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Kirchengesang wird digitaler

Das klei­ne blaue Kirchen­ge­sang­buch wird bis 2027 durch ein schlan­ke­res Gesang­buch und digi­ta­le Inhal­te ersetzt. Die Arbei­ten laufen auf Hoch­tou­ren. Die Projekt­ver­ant­wort­li­chen brau­chen nun Feed­back aus der Bevölkerung.

«Weni­ger Gottes­dienst­teil­neh­men­de und die stei­gen­de Digi­ta­li­sie­rung – wir versu­chen, in Zeiten einer sich verän­dern­den Kirche unse­ren Weg zu finden», sagt Martin Hobi. Der 62-Jährige steht in der Kathe­dra­le St. Gallen, in der einen Hand sein iPad, in der ande­ren das blaue Kirchen­ge­sang­buch. Seit 1998 liegt das 959-seitige Werk mit der schier endlo­sen Fülle an Kirchen­lie­dern und litur­gi­schen Formeln in den katho­li­schen Kirchen der Schweiz. Doch seine Tage sind gezählt. Ein neues Medi­um soll her – eines, das die Menschen mehr abholt und der fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung gerecht wird. Die Lösung: Ein schlan­ke­res Gesang­buch, eine App und eine Website, auf der auch jene Lieder zu finden sein werden, die es nicht in die gedruck­te Ausga­be geschafft haben. 

Das blaue Kirchen­ge­sangs­buch verschwin­det. Ersetzt wird es durch ein schlan­ke­res Gesangs­buch mit App und Webseite. 

Die Pfar­rei­en können so eige­ne Samm­lun­gen zusam­men­stel­len. «Das Digi­ta­le dürfen wir nicht mehr als Konkur­renz anse­hen, sondern müssen es aufneh­men», sagt Martin Hobi. Er ist Dozent für Kirchen­mu­sik in St. Gallen und als Mitglied des Projekt­teams auch in der Kommis­sion «Hymno­lo­gie» für die Lieder zuständig.

Arbei­ten auf Kurs

2021 hat die Projekt­grup­pe KG-neu der Deutsch­schwei­ze­ri­schen Ordi­na­ri­en­kon­fe­renz unter der Leitung von Abt Urban Fede­rer von Einsie­deln mit der Umset­zung begon­nen. Das neue Medi­um soll 2027 unter dem Namen «Jubi­la­te» erschei­nen. «Wir sind auf Kurs», sagt Martin Hobi. Die Finan­zie­rung sei zwar noch nicht gesi­chert, «aber vieles kommt mit dem Verkauf des Print­pro­dukts und der Auffüh­rungs­rech­te wieder zusam­men. Das Kirchengesangbuch aus dem Jahr 1998 war letzt­lich ein finan­zi­el­les Erfolgs­pro­dukt.» Das Inter­es­se am Projekt sei riesig und die Projekt­grup­pe perso­nell gut aufge­stellt. Dazu gehö­ren nebst Leite­rin Sandra Rupp Fischer unter ande­rem Esther Wild Bislin, Kirchen­mu­sik­lei­te­rin in Uzwil, und Micha­el Wersin, Studi­en­lei­ter an der Diöze­sa­nen Kirchen­mu­sik­schu­le St. Gallen. Martin Hobi streicht die Bedeu­tung von St. Gallen als Teil der Projekt­grup­pe heraus: «St. Gallen ist und war schon früh ein wich­ti­ges Zentrum für die kirch­li­che Musik und in diesem Bereich sehr vif.»

Veral­te­te Ausdrücke

Die Verant­wort­li­chen haben jedes Lied ange­schaut, die Wort­wahl hinter­fragt und das Zusam­men­spiel mit der Melo­die unter­sucht. Dabei sties­sen sie immer wieder auf Ausdrü­cke, die über­holt sind oder auf musi­ka­li­sche Gesangs­stü­cke, die kaum bekannt sind. Auf solche wird künf­tig verzich­tet. Ausschlag­ge­bend ist auch die Komple­xi­tät. «Es ist wich­tig, dass ein Lied inhalt­lich und melo­disch gut erfass­bar ist», erklärt Hobi. 

Die Projekt­ver­ant­wort­li­chen haben in den vergan­ge­nen Mona­ten jedes Lieb und jedes litur­gi­sche Gefäss überprüft.

Nun stehen die Verant­wort­li­chen vor der Entschei­dung: Welche Lieder und litur­gi­schen Formeln kommen ins neue Buch und welche nicht? «Dies ist der Kern des Projek­tes und eine sehr inten­si­ve Arbeit. Span­nend sei die Sensi­bi­li­sie­rung für das Zusam­men­spiel von Wort und Musik in der Litur­gie. «Dieses ist für die Kirche zentral und stellt damit für sie ein zukunfts­ori­en­tier­tes Hoffnungs- und Aufbruchs­zei­chen dar. Das ist für die Kirche in Zeiten, in denen sie mit dem Rücken zur Wand steht, beson­ders wichtig.»

Rück­mel­dun­gen erwünscht

Die Projekt­grup­pe sucht aktiv den Kontakt zur Bevöl­ke­rung und zu den Pfar­rei­en. Zu Beginn stand eine breit ange­leg­te Umfra­ge, welche Verän­de­run­gen der Kirchen­ge­sang in kommen­der Zeit erfah­ren müsse. Auch bei der Namens­ge­bung konn­te die Bevöl­ke­rung mitma­chen. Wie Martin Hobi erklärt, laufen momen­tan verschie­de­ne Expe­ri­men­te. So sind die Pfar­rei­en aufge­ru­fen, Erfah­run­gen mit dem Singen ab Beamer und dem Singen ab Smart­phone zu sammeln und Feed­back zu geben. «Die Pfar­rei­en machen mit. Die Rück­mel­dun­gen sind sehr wich­tig für uns», so Hobi. Denn die Arbeit des Projekkt­teams ist noch längst nicht fertig: 2025 widmet es sich mögli­chen neuen litur­gi­schen Gefäs­sen und der Anpas­sung jetzi­ger Formeln.

→ Weite­re Infor­ma­tio­nen unter: www.jubilate.ch

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 4. Juni 2024

Trotz Armut eine Wahl haben

Sofort und nieder­schwel­lig Armuts­be­trof­fe­ne zu unter­stüt­zen, gehö­re zu den wich­tigs­ten Aufga­ben der Cari­tas St. Gallen-Appenzell, sagt Geschäfts­lei­ter Phil­ipp Holder­eg­ger. Seit 100 Jahren hilft diese dort, wo der Staat etwas nicht macht – etwa mittels Caritas-Märkten.

Phil­ipp Holder­eg­ger, die Zahlen Armuts­be­trof­fe­ner in der Schweiz stei­gen seit Jahren. Wie zeigt sich das bei Caritas?

In den Caritas-Märkten sehen wir etwa jeden Tag neue Gesich­ter. Zuneh­mend kaufen bei uns Perso­nen ein, die vorher nicht kamen. Sie kommen, weil sie keine ande­re Wahl haben. Auch die Zahlen bele­gen, wie die Armut zunimmt. Allei­ne durch den Krieg in der Ukrai­ne und in der Folge durch die Zahl der Geflüch­te­ten verzeich­ne­ten wir  20 Prozent mehr Einkäu­fe. Durch die darauf­fol­gen­de Teue­rungs­wel­le kamen noch­mals 20 Prozent dazu. Der unters­te Mittel­stand wird zusam­men­ge­drückt, bis es nicht mehr geht und er auf Hilfe­stel­lun­gen ange­wie­sen ist.

Die Entwick­lung der Armut zeigt sich in den Caritas-­Märkten also am schnellsten?

Das ist so. In den Märk­ten ist sie sicht­bar und greif­bar. Mit eini­ger Verzö­ge­rung macht sich die Armut dann bei uns in der Schul­den­be­ra­tung bemerk­bar. Aktu­ell arbei­ten wir beispiels­wei­se viele Fälle auf, bei denen es sich um Verschul­dung als Folge der Coronapandemie handelt.

Im Rahmen des 100-Jahr-Jubiläums der Cari­tas St. Gallen-Appenzell gibt es in den drei Caritas-Märkten der Regi­on Tage der offe­nen Tür. Wie funk­tio­nie­ren die Märk­te überhaupt?

Unse­re Einkaufs­ge­nos­sen­schaft in Sempach kauft die Produk­te für uns ein, ein Teil wird subven­tio­niert. Das bedeu­tet, dass diesel­ben Produk­te, die auch die gängi­gen Gross­ver­tei­ler anbie­ten, bei uns im Schnitt 30 Prozent billi­ger sind. Zu unse­rem Sorti­ment gehö­ren Grund­nah­rungs­mit­tel wie Brot, Früch­te, Gemü­se, Fleisch- und Milch­pro­duk­te, aber auch Süssig­kei­ten, Parfüm und Spiel­sa­chen. Es ist wich­tig, dass auch armuts­be­trof­fe­ne Perso­nen eine Auswahl haben und sich auch einmal für etwas wie ein Parfüm entschei­den können. Bei vielen handelt es sich um Working Poor. Das sind Perso­nen, die trotz Arbeit zu wenig zum Leben haben. Auswäh­len zu können ist wich­tig, weil es das Selbst­wert­ge­fühl stärkt. Man ist kein Almo­sen­emp­fän­ger, der die Hand aufhält und nehmen muss, was er bekommt.

In St. Gallen und Appen­zell ist die Cari­tas ein Hilfs­werk der Katho­li­schen Kirche. Vielen ist das nicht bewusst. Wie gehen Sie damit um?

Wir sind in einer glück­li­chen Situa­ti­on. Wir werden jähr­lich vom katho­li­schen Konfes­si­ons­teil mit 1,4 Millio­nen Fran­ken unter­stützt. Das ist längst nicht in jedem Bistum in der Schweiz so. Diese Unter­stüt­zung ermög­licht es uns, dass Gelder, welche als Spen­den bei uns rein­kom­men, auch als Spen­den wieder raus­ge­hen, anstatt etwa für Lohn­kos­ten einge­setzt zu werden. Die Kirchen­steu­er wird hier auf eine äusserst sinn­vol­le Art einge­setzt: Sie hilft direkt von Armut betrof­fe­nen Menschen. Entwick­lun­gen zu sehen, wie den Image­ver­lust der Katho­li­schen Kirche und zuneh­men­de Kirchen­aus­trit­te, tut weh. Gleich­zei­tig können wir als Cari­tas nicht die Retter der Katho­li­schen Kirche sein. Die Kirche hat und hätte bei vielen gesell­schafts­re­le­van­ten Themen Wich­ti­ges beizu­tra­gen, etwa im Gesund­heits­we­sen oder zu der Art, wie heute mit den Themen Endlich­keit und Ster­ben umge­gan­gen wird. Es muss gelin­gen, diese Stär­ken zu zeigen und sich in der Öffent­lich­keit zu positionieren.

Was hat sich in 100 Jahren ­Cari­tas St. Gallen-Appenzell am stärks­ten verändert?

Im Grun­de hat sich nicht viel verän­dert. Thema der Cari­tas ist seit jeher die Armut mit all ihren Facet­ten. Im Zentrum steht dabei immer, dort anzu­set­zen, wo der Staat etwas nicht macht. Je nach Jahr­zehnt wurden beispiels­wei­se straf­fäl­li­ge katho­li­sche Männer, Menschen mit einer Beein­träch­ti­gung, Geflüch­te­te, Arbeits­lo­se oder eben Working Poor beson­ders unter­stützt. Eine wich­ti­ge Verän­de­rung waren aber schon die Caritas-Märkte, die es nun im Bistum St. Gallen seit 31 Jahren gibt. Sie sind ein nieder­schwel­li­ges Ange­bot, das sofort hilft.

Welchen Wunsch haben Sie für die Zukunft der Caritas?

Ich bin stets neidisch auf die welschen Kolle­gen. In der West­schweiz wird anders und offe­ner mit dem Thema Armut umge­gan­gen. Der Staat über­nimmt mehr Verant­wor­tung. Bei uns domi­niert auch von poli­ti­scher Seite her oft die Einstel­lung, dass jemand selber schuld ist, wenn es ihm schlecht geht. Ich würde mir einen Sinnes­wan­del wünschen. Zudem braucht es gesell­schaft­li­che Wert­schät­zung der vielen Freiwilligen.

Ohne Frei­wil­li­ge würden wohl auch die Caritas-Märkte nicht funktionieren?

Das ist so. Allein im Caritas-Markt St. Gallen enga­gie­ren sich 60 Perso­nen. Bei den meis­ten handelt es sich um Pensio­nier­te aus dem Mittel­stand, die etwas zurück­ge­ben möch­ten. Viele Frei­wil­li­ge finden sich durch Mund-zu-Mund-­Propaganda. Wie gross die Bereit­schaft in der Gesell­schaft ist, zu helfen, erle­be ich immer wieder. Als etwa während der Coro­na­pan­de­mie alle Pensio­nier­ten zu Hause blei­ben muss­ten, verschick­ten wir per Whats­App einen Aufruf. Innert kurzer Zeit waren alle Stel­len mit Studie­ren­den besetzt. Das zu sehen, moti­viert einen.

Tag der offe­nen Tür in den Caritas-Märkten St. Gallen, Wil  und Rapperswil-Jona, 8. Juni, 10 bis 16 Uhr. Tag der offe­nen Regio­nal­stel­len in Sargans, St. Gallen und Uznach, 16. August, 11 bis 18 Uhr. Jubi­lä­ums­got­tes­dienst in der Kathe­dra­le St. Gallen mit Apéro, 9. Novem­ber, 17.30 Uhr. Infos unter www.caritas-regio.ch

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 29. Mai 2024

Sie lässt die Malven erblühen

Seit neun Jahren enga­giert sich Susi Wink­ler für den Bibel­gar­ten Gossau und hegt über 100 Pflan­zen­ar­ten. Bei ihrer Arbeit hat die Hobby­gärt­ne­rin ­einen einfa­chen Grund­satz: Sie härtet die Pflan­zen bewusst ab, damit sie sie nicht «höfe­le» muss.

Susi Wink­ler stöbert gerne in alten Büchern. Nicht in irgend­wel­chen, sondern in Pflan­zen­bü­chern. «Dort finde ich immer wieder nütz­li­che und vor allem natür­li­che Tipps. Schne­cken­kör­ner oder Ähnli­ches gibt es bei mir nicht», sagt die 62-Jährige. Sie zeigt nach­ein­an­der auf mehre­re Beete. Acht sind es an der Zahl. Darin spries­sen die unter­schied­lichs­ten Pflan­zen, mal farbig und zart, mal stach­lig und zäh. In den vergan­ge­nen Jahren hat Susi Wink­ler hier im Bibel­gar­ten im Andre­as­park in Gossau immer wieder ihren grünen Daumen bewie­sen. Sie ist seit 2015 zustän­dig für das Fleck­chen Natur mitten im Stadt­zen­trum, das 365 Tage im Jahr frei zugäng­lich ist. Unter­stüt­zung erhält sie dabei von Ursu­la Rehmann und Chris­toph Grzon­ka, welche sich ehren­amt­lich im Team enga­gie­ren. Der Vier­te im Bunde, Simon Sigg, orga­ni­siert regel­mäs­sig Führun­gen im Schau­gar­ten. Dieser feiert im kommen­den Jahr bereits sein 20-jähriges Bestehen.

Nicht immer gelingt Anzucht

Mit viel Herz­blut kümmern sich die Hobby­gärt­ner liebe­voll um rund 110 Pflan­zen­ar­ten – 70 davon werden in der Bibel erwähnt oder sind arten­ver­wandt. Darun­ter sind auch Exoten wie ein Maul­beer­baum, ein Granat­ap­fel­baum oder Senfkörner. 

Susi Wink­ler enga­giert sich seit neun Jahren mit viel Herz­blut für den Bibel­gar­ten Gossau. Im Früh­jahr hat sie beson­ders viel zu tun.

Im vergan­ge­nen Jahr versuch­te sich Susi Wink­ler an Safran. Die Setz­lin­ge hatte sie von der Safran­zunft Mund im Wallis, «der einzi­ge Ort, an dem in der Schweiz Safran wächst.» Susi Wink­ler bekommt von Bekann­ten oft Setz­lin­ge oder Samen von alten Kultur­pflan­zen und probiert auch immer wieder die Anzucht von neuen Pflan­zen. «Ich kann auch manch­mal krea­tiv sein. Wenn ich etwas Neues höre, möch­te ich es auspro­bie­ren», sagt sie. Der Safran hat den erneu­ten Kälte­ein­bruch vor eini­gen Wochen aller­dings nicht vertra­gen und ist zum Leid­we­sen von Susi Wink­ler einge­gan­gen. «Das reut mich schon ein bisschen.»

Pflan­zen abhärten

Susi Wink­ler hat ihre Leiden­schaft gefun­den. Dies war nicht immer so. Auf einem Bauern­hof aufge­wach­sen, war die Mithil­fe im Garten im Kindes­al­ter ein notwen­di­ges Muss. Erst nach der Geburt der eige­nen Kinder habe sie wieder zu gärt­nern begon­nen. «Und es hat mir den Ärmel hinein­ge­zo­gen.» Die aufge­stell­te Frau ist aber keine typi­sche Gärt­ne­rin. Rosen mag sie nicht. «Die muss man ‹höfe­le›, das liegt mir nicht», sagt sie und ergänzt: «Blumen sind schön, wenn man sie nicht umständ­lich pfle­gen muss.» Viel­mehr faszi­niert sie der klei­ne Stachel­ro­sen­baum, der «aussieht, als würde er bren­nen, wenn die Sonne ihn anscheint», oder das Beet mit den Wiesen­blu­men. Dieses wurde erst im vergan­ge­nen Jahr ange­legt und hat eine wich­ti­ge Bedeu­tung: «Viele sehen gar nicht, was über­haupt hinter einer einfa­chen Wiese steckt», sagt Susi Wink­ler. «Wiesen­blu­men werden immer wich­ti­ger und wir wollen damit einen Beitrag zur Biodi­ver­si­tät leis­ten.» Die Klima­er­wär­mung hinge­gen beein­flusst Susi Wink­lers Arbeit nicht. Sie ist eine Verfech­te­rin davon, ihre Pflan­zen abzu­här­ten. Wasser bekom­men sie nur in den ersten beiden Jahren und das sehr spär­lich. «Danach müssen die Wurzeln lang genug sein, um an das Grund­was­ser zu gelan­gen. Ich kann nicht jeden Tag die Pflan­zen gies­sen», sagt sie. Dann verab­schie­det sie sich. Sie hat noch eini­ges zu tun – die Früh­lings­mo­na­te sind für sie die inten­sivs­ten. Dann heisst es: Jäten, säen und zurück­schnei­den, was das Zeug hält, damit sich die Gäste auch in diesem Jahr wieder an vielen verschie­de­nen Pflan­zen­ar­ten erfreu­en können.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 27. Mai 2024

Am Open Air für andere unterwegs

Vier Tage lang mit Freun­den Musik und Konzer­te genies­sen und den Ausnah­me­zu­stand im Sitter­to­bel miter­le­ben: Jugend­ar­bei­ten­de und Mitar­bei­ten­de des Care Teams erzäh­len, welche Chan­cen und Heraus­for­de­run­gen das gera­de für junge  Menschen mit sich bringt.

Das Open Air St. Gallen hat Thomas Fuhrer erst­mals vor drei Jahren besucht. Er bevor­zugt eigent­lich Festi­vals mit einer ande­ren musi­ka­li­schen Ausrich­tung. «Ich mag Heavy Metal», sagt der 28-Jährige, der als katho­li­scher Jugend­ar­bei­ter in der Stadt St. Gallen arbei­tet. An Heavy-Metal-Festivals gefal­le ihm nebst der Musik die fried­li­che Stim­mung. Als Beispiel erzählt er von einem Kolle­gen, der aus betrun­ke­nem Leicht­sinn einem völlig Frem­den seine Kredit­kar­te zur siche­ren Aufbe­wah­rung zusteck­te. «Am nächs­ten Morgen liefen sich die beiden zufäl­lig über den Weg  und der Frem­de sagte: ‹Hey, ich habe übri­gens noch deine Karte›», sagt Thomas Fuhrer und lacht. Ob das nun typisch für ein Heavy-Metal-Festival oder einfach nur Glück gewe­sen sei, wisse er natür­lich nicht.

Als Pfadi am Festival

Seine Motivation, ans Open Air St. Gallen zu gehen, ist eine ande­re. Seit eini­gen Jahren ist er im Care Team beider Appen­zell dabei. Geschieht beispiels­wei­se ein Unfall oder ein ande­res Ereig­nis mit seeli­schen Extrem­be­las­tun­gen, unter­stützt er unmit­tel­bar die Ange­hö­ri­gen. «Als ich dann vor drei Jahren erfuhr, dass das Care Team vom Open Air St. Gallen Mitglie­der sucht, hat mich das sofort ange­spro­chen. Das war für mich eine neue Heraus­for­de­rung», sagt er. Am Open Air St. Gallen liegt ihm noch etwas Weite­res am Herzen. Thomas Fuhrer ist Präses der Pfadi Zentrum St. Gallen. Deren Leitungs­team geht seit Jahren zusam­men ans Open Air. «Ich schaue während des Festi­vals natür­lich auch beim Zelt­platz meiner Pfadi vorbei. Dann bin ich aber privat unter­wegs», sagt er. Dass die Pfadis das seit Jahren so machen und gemein­schaft­lich am Festi­val seien, beein­dru­cke ihn. «Ich denke, gera­de in einer Grup­pe, die sich seit Langem kennt, ist das Verant­wor­tungs­be­wusst­sein gross», sagt er und ergänzt: «Wer beispiels­wei­se an heis­sen Open-Air-Tagen viel Wasser trinkt, macht schon einmal ziem­lich viel rich­tig.» Besorg­ten Eltern rät er, Vertrau­en zu haben und nachts das Handy anzu­las­sen. «Deren Nach­wuchs soll wissen, dass er sich jeder­zeit melden kann», sagt er.

Aus Lange­wei­le pöbeln

Wider­spre­chen möch­te Thomas Fuhrer der These, dass vor allem Jugend­li­che am Open Air beson­de­ren Risi­ken ausge­setzt sind. «Von über­mäs­si­gem Alko­hol­kon­sum oder Gewalt­er­fah­run­gen sind auch Erwach­se­ne betrof­fen», sagt er. So sei ihm vor allem ein Erleb­nis in Erin­ne­rung geblie­ben. Bei der Tele­fon­num­mer des Care Teams habe sich einmal ein Mann gemel­det, dem es lang­wei­lig gewe­sen sei und der daher will­kür­lich Leute ange­pö­belt habe. «Er rief uns an, und erwar­te­te zwei stäm­mi­ge Securitas-Mitarbeiter», sagt Thomas Fuhrer. Als der Pöbler dann ihn und seine Kolle­gin vom Care Team gese­hen habe, beide eher schmäch­tig, habe er gelacht und gemeint, nun werde wohl nichts aus einer Schlä­ge­rei. «So etwas verwun­dert einen schon», sagt Thomas Fuhrer.

Wie sieht es Back­stage beim Open Air St. Gallen aus? Wie sind die Band­gar­de­ro­ben einge­rich­tet und wie ist es, auf der Bühne zu stehen? Weni­ge Tage bevor das Festi­val Ende Juni beginnt, wird die refor­mier­te Reli­gi­ons­päd­ago­gin Tanja Mäder mit Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen das Gelän­de bege­hen. Bis zu 40 Perso­nen können sich für den Rund­gang anmel­den, den Tanja Mäder in diesem Jahr zum ersten Mal für junge Erwach­se­ne orga­ni­siert. Führungen am Open Air St. Gallen, vor allem für Firmen, macht sie aber seit über 20 Jahren. «Als kirch­li­che Mitar­bei­ten­de ist es nicht einfach, mit jungen Erwach­se­nen in Kontakt zu kommen und in Kontakt zu blei­ben, da diese einen ziem­lich vollen Alltag und die verschie­dens­ten Inter­es­sen haben», sagt die 52-Jährige. Daher sei in Zusam­men­ar­beit mit der Kirch­ge­mein­de Gaiser­wald und der Fach­stel­le kirch­li­che Jugend­ar­beit DAJU die Idee mit den Führun­gen entstan­den. «Über span­nen­de Themen rund ums Open Air wollen wir mit den jungen Erwach­se­nen ins Gespräch kommen und zeigen, dass es uns gibt und dass sie mit allen Anlie­gen auch zu uns kommen können», sagt sie.

Fürein­an­der einstehen

Span­nend wird es alle­mal. Nach so vielen Jahren Enga­ge­ment am Open Air kann Tanja Mäder aus dem Nähkäst­chen erzäh­len, etwa von den Sonder­wün­schen eini­ger Bands. So soll­ten einmal alle M&M’s einer bestimm­ten Farbe aussor­tiert werden, weil diese einem Musi­ker nicht schmeck­ten. Nebst span­nen­den Fakten rund ums Open Air möch­te Tanja Mäder auch Werte vermit­teln. Es sind Werte, die ihr gera­de als kirch­li­che Jugend­ar­bei­te­rin beson­ders wich­tig sind. Dazu gehö­ren fürein­an­der da sein und einste­hen sowie der Zusam­men­halt als Gemein­schaft. «Das beein­druckt mich auch am Open Air immer wieder. Die Stim­mung ist eigent­lich sehr fried­lich und wenn etwas passiert, beob­ach­te ich vor allem bei jungen Menschen, wie gross die gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung ist», sagt sie. Als Eltern mache man sich natür­lich Sorgen. Aber wer seinen Kindern durch die Erzie­hung gute Werte mit auf den Weg gege­ben habe, der müsse auch loslas­sen und die Kinder eige­ne Erfah­run­gen machen lassen können. Den Jugend­li­chen rät sie, mit guten Freun­den in der Grup­pe unter­wegs zu sein sowie sich bei Problemen an das Care Team oder die Sani­tä­te­rin­nen und Sani­tä­ter zu wenden.

Dersel­be Kern

Vor 39 Jahren besuch­te Tanja Mäder erst­mals selbst das Open Air St. Gallen. In all diesen Jahren habe sich das Open Air stark verän­dert. «Es ist von einem Dorf zu einer Stadt gewach­sen, mit einem Super­markt, Bazar-Ständen und verschie­de­nen Bühnen. Zudem ist alles profes­sio­nel­ler orga­ni­siert», sagt sie und fügt an: «Aber der Kern, die Stim­mung und dass die Menschen und vor allem die jungen Menschen gemein­sam etwas Schö­nes erle­ben wollen, ist nach wie vor gleich.»

«Das Open Air St. Gallen ist wie eine klei­ne Stadt, in der alles zusam­men­kommt, nur konzen­trier­ter als sonst im Alltag. Gera­de für Jugend­li­che, die viel­leicht zum ersten Mal an ein Open Air gehen, ist das ein beson­de­res Erleb­nis», sagt Sandra Köst­li. Die 36-Jährige leitet seit diesem Jahr das Care Team des Festi­vals. Die 27 Ehren­amt­li­chen des Care Teams helfen Perso­nen, die in eine Krise gera­ten – an einem Festi­val­tag im Schnitt fünf Mal.

Aufein­an­der achten

Sandra Köst­li ist seit 2016 mit dabei. «Verän­dert hat sich in dieser Zeit vor allem, dass das Thema Aware­ness immer wich­ti­ger wurde. Die Festi­val­be­su­che­rin­nen und ‑besu­cher sind sensi­bi­li­sier­ter dafür, wie wich­tig es ist, aufein­an­der zu achten und zu helfen, wenn jemand auf Unter­stüt­zung ange­wie­sen ist», sagt sie. Beein­druckt sei sie beispiels­wei­se immer wieder davon, wie gut gera­de junge Erwach­se­ne und Jugend­li­che als Grup­pe auf die Einzel­nen aufpas­sen würden, wenn es diesen nicht gut geht.

Dem Alltag entfliehen

Neue Musik entde­cken, verschie­de­nes Essen auspro­bie­ren, neue Leute kennen­ler­nen und Teil der Open-Air-Gemeinschaft sein: All das bringt laut Köst­li viele Chan­cen und schö­ne Erleb­nis­se gera­de auch für Jugend­li­che mit sich. «Ausser­dem können sie einmal dem Alltag mit all seinen Struk­tu­ren entflie­hen und vier Tage Ausnah­me­zu­stand erle­ben», sagt sie. Das brin­ge aller­dings auch Heraus­for­dern­des mit sich: Viel­leicht gerät man in eine unan­ge­neh­me Situa­ti­on, mit der man nicht umge­hen kann. Man könn­te Gewalt erle­ben, zu viel getrun­ken haben oder es könn­te ein Unfall gesche­hen. Vor eini­gen Jahren brach in einem Stroh­la­ger beispiels­wei­se ein Brand aus. Es gab zwar keine Verletz­ten, aber Perso­nen, die alles verlo­ren, was sie dabei hatten. «Immer dann, wenn Perso­nen in Not sind, aber keine körper­li­che Gefahr besteht, kommen wir vom Care Team ins Spiel», sagt Sandra Köst­li, die sozia­le Arbeit studiert hat. «Wir schau­en, was die Betrof­fe­nen brau­chen. Ob sie zum Beispiel nach Hause gehen oder am Festi­val blei­ben möch­ten oder ob wir allen­falls den Kontakt zur Opfer­hil­fe herstel­len sollen.»

Sich auf Freun­de verlassen

Das Care Team hat am Open Air einen Contai­ner, ist aber auch auf dem Gelän­de unter­wegs. «Gera­de die Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen begeg­nen uns sehr offen und inter­es­siert», sagt sie und fügt an: «Ich denke, dass die Themen ‹Aware­ness› und ‹Aufmerk­sam sein› durch die Sensi­bi­li­sie­rungs­ar­beit des Open Airs bei der heuti­gen Jugend stär­ker veran­kert ist als früher.» Tipps, die Sandra Köst­li jungen Menschen mit auf den Weg gibt, die zum ersten Mal ein Festi­val besu­chen, sind: Mit Perso­nen zusam­men hinge­hen, auf die man sich verlas­sen kann. «Und wenn man merkt, dass einem vier Tage Menschen­mas­se, Hitze oder Kälte sowie der Lärm zu viel sind, soll man einfach einmal eine Pause einle­gen. Man könn­te viel­leicht kurz heim­ge­hen und dann ausge­ruht ans Festi­val zurückkommen.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontou­lis / zVg. 

Veröf­fent­li­chung: 23.5.2024

«Wissen, dass immer ­jemand da ist»

Mirco Meier und Jani­na Landolt, kirch­li­che Jugend­ar­bei­ter in der Seel­sor­ge­ein­heit Gaster, ­unter­stüt­zen Jugend­li­che auf ihrem Weg ins Erwach­se­nen­le­ben. Im Jugend­treff haben sie auch ein Ohr, wenn ein Teen­ager einmal einfach über sein Hobby spre­chen will.

Zehn bis fünf­zehn Jugend­li­che kommen jeden zwei­ten Sams­tag­abend in den kirch­li­chen Jugend­treff in Weesen. Das Zusam­men­sein genies­sen, Musik hören oder mitein­an­der Billard spie­len. «Manch­mal hat jemand auch das Bedürf­nis, dass ihnen jemand zuhört», so Mirco Meier, Jugend­ar­bei­ter, «sie möch­ten mit einem Erwach­se­nen über das spre­chen, das sie beschäf­tigt oder inter­es­siert wie zum Beispiel ihr Hobby.» Ihm sei es wich­tig, den Jugend­li­chen eine Erfah­rung zu ermög­li­chen, die auch er als Jugend­li­cher erlebt hat: «In meiner Teen­ager­zeit zerbrach meine Fami­lie, ich hatte in der Kirche Ansprech­per­so­nen, die für mich da waren, das hat mich durch diese schwe­re Zeit getragen.»

Jani­na Landolt: Die Sitz­kis­sen sind bei den Jugend­li­chen jeweils sehr begehrt. 

Empa­thie trainieren

Gemüt­lich im Jugend­treff chil­len und zusam­men­sit­zen, beim Koch-Abend «fair kochen» gemein­sam ein Rezept kreieren oder sich auf die Wall­fahrt nach Einsie­deln bege­ben – in der Seel­sor­ge­ein­heit Gaster hat die kirch­li­che Jugend­ar­beit einen gros­sen Stel­len­wert. Für Mirco Meier ist Jugend­ar­beit nicht einfach ein «Nice to have», sondern theo­lo­gisch begrün­det: «Es geht darum, Jugend­li­che zu unter­stüt­zen, freie und selbst­stän­di­ge Menschen zu werden.» Dies sei bereits bei der Synode 72 – eine Reform­syn­ode der Schwei­zer Bistü­mer – so fest­ge­hal­ten worden. «Kirch­li­che Jugend­ar­beit ist viel mehr als einfach nur Frei­zeit­be­schäf­ti­gung oder mit Gleich­alt­ri­gen beisam­men sein: Jugend­li­che setzen sich bei unse­ren Ange­bo­ten auch ganz konkret mit Werten ausein­an­der.» Er nennt als Beispiel das Ange­bot «fair kochen»: «Beim gemein­sa­men Kochen werden auch Empa­thie und Tole­ranz trai­niert. Die Teil­neh­men­den werden mit unter­schied­li­chen Geschmä­ckern, Vorlie­ben und Aller­gien konfron­tiert und stehen vor der Heraus­for­de­rung, ein Rezept zu entwi­ckeln, das für alle passt. Beim Essen merken sie dann: Es schmeckt auch, wenn ich es nicht genau so mache, wie ich es immer mache.»

Jugend­la­bel lanciert

Zur kirch­li­chen Jugend­ar­beit gehört viel mehr als nur der kirch­li­che Jugend­treff: Ministranten-Arbeit, Jugend­rei­sen … dazu kommen in vielen Seel­sor­ge­ein­hei­ten im Bistum St. Gallen auch verband­li­che Jugend­an­ge­bo­te wie zum Beispiel die Jubla oder die katho­li­sche Pfadi und Jugend­pas­to­ral wie der Firm­weg oder Seel­sor­ge. All diese Ange­bo­te sollen nun mehr ins Bewusst­sein rücken und gewür­digt werden. Mirco Meier und Jani­na Landolt werten es als posi­ti­ves Zeichen, dass die Fach­stel­le für Jugend­ar­beit im Bistum St. Gallen (DAJU) nun ein «Jugend­la­bel» lanciert (siehe Kasten). «Ein solches Label hilft, die Ange­bo­te vor Ort genau anzu­schau­en und auch auf blin­de Flecken aufmerk­sam zu werden», so Mirco Meier. Ein erster Schritt sei die Anstel­lung einer Jugend­ar­bei­te­rin gewe­sen: «Die Jugend­li­chen sollen zwischen einer Frau und einem Mann als Ansprech­per­son wählen können.»

Mirco Landolt (mitte) weiss aus eige­ner Erfah­rung: Es ist wich­tig, dass Jugend­li­che Ansprechs­per­so­nen haben.

Persön­lich­keit entwickeln

Wenn eine Kirch­ge­mein­de in die Jugend inves­tiert, inves­tiert sie in die Zukunft, hört man oft als Argu­ment für den Einsatz von kirch­li­chen Ressour­cen für diese Ziel­grup­pe. Mirco Meier sieht das etwas anders: «Der Grund für Jugend­ar­beit muss aus meiner Sicht sein, Jugend­li­che bei der Persön­lich­keits­ent­wick­lung zu unter­stüt­zen. Allein deshalb lohnt es sich, Ressour­cen dafür zu inves­tie­ren.» Es geht aber auch noch um einen ande­ren Aspekt: Kirch­li­che Jugend­ar­beit ermög­licht laut Mirco Meier Erleb­nis­se, zu denen manche Jugend­li­che aufgrund der finan­zi­el­len Situa­ti­on zuhau­se keinen Zugang hätten. «Wir entlas­ten damit auch Fami­li­en, die von Armut betrof­fen sind: Einen Ausflug machen und dort etwas essen können, das ist nicht für alle eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Bei uns können alle mitma­chen, niemand wird aufgrund seiner Situa­ti­on zuhau­se ausgegrenzt.»

Chil­len, mitein­an­der reden, Musik hören oder Tögge­li­kas­ten spie­len: Im Jugend­treff in Weesen wird es nie langweilig.

Erfah­run­gen machen

Jani­na Landolt beob­ach­tet, dass sich Jugend­li­che heute nach Räumen sehnen, wo sie nicht bewer­tet werden und auch nicht schon wieder eine Leis­tung erbrin­gen müssen. Dass manche Eltern ihre Kinder über­hü­ten, sieht Mirco Meier kritisch: «Es gehört ja gera­de zur Jugend, dass sie Erfah­run­gen machen können. Es ist eine heraus­for­dern­de Zeit, aber da lernen junge Menschen, auch mit nega­ti­ven Erfah­run­gen umzu­ge­hen und daran zu wach­sen. Wenn man erst mit 30 mit solchen Heraus­for­de­run­gen konfron­tiert wird, hat man zuvor nicht die Chan­ce gehabt zu lernen, damit umzu­ge­hen. Zudem erhält jemand in der Jugend häufig einfa­cher eine zwei­te Chan­ce.» Der Jugend­ar­bei­ter steht auch im Austausch mit Eltern. «Wenn Jugend­li­che Proble­me haben, wird das viel­fach als Versa­gen der Eltern gedeu­tet. Viele sind deshalb total unter Druck. Dabei hat das oft nichts damit zu tun.» Für Jani­na Landolt ist das Vertrau­en zwischen Eltern und Jugend­li­chen eine entschei­den­de Grund­la­ge: «Das Wich­tigs­te ist, zu vermit­teln: Egal, was passiert, du kannst zu uns kommen und wir helfen dir. Und es gibt dann auch keine Vorwür­fe oder Schuld­zu­wei­sun­gen. Jugend­li­che soll­ten wissen, dass immer jemand für sie da ist.»

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 24. Mai 2024

Label für jugend­freund­li­che Kirche

Die DAJU und die Anima­ti­ons­stel­len für kirch­li­che Jugend­ar­beit (akjs) haben ein Label für eine «jugend­freund­li­che Kirche» ausge­ar­bei­tet. Das Label soll eine öffent­lich sicht­ba­re Auszeich­nung für eine quali­ta­tiv gute Jugend­ar­beit sein. Es werde für jeweils drei Jahre verge­ben. Nach dieser Zeit kann es neu bean­tragt werden. «Das Label sei ein Zeichen für eine hohe Quali­tät und Profes­sio­na­li­tät der Jugend­ar­beit einer Seel­sor­ge­ein­heit», so die DAJU in einer Mittei­lung. «Mit dem Label werden Seel­sor­ge­ein­hei­ten ausge­zeich­net, welche die mit dem Label verbun­de­nen zentra­len Quali­täts­merk­ma­le erfüllen.»

Das Label brin­ge der Seel­sor­ge­ein­heit und deren Jugend­ar­beit viele Vortei­le. Unter ande­rem werden damit die Quali­tät und Profes­sio­na­li­tät der Jugend­ar­beit gestärkt und gegen aussen sicht­bar gemacht. Die Ziele und Wirkung der Jugend­ar­beit werden defi­niert und auch über­prüf­bar. Zudem werden Seel­sor­ge­ein­hei­ten beim Aufbau und der Profes­sio­na­li­sie­rung der Jugend­ar­beit unter­stützt. Schliess­lich könne damit das Vertrau­en von Eltern und Fami­li­en in die Jugend­ar­beit gestärkt werden. Die Seelsorgeeinheit Gaster strebt als eine der ersten Seelsorgeeinheiten das Jugend­la­bel an.

→ www.daju.ch

Berggottesdienste 2024

Auch in diesem Sommer finden im Alpstein und in ande­ren Regio­nen des Bistums St.Gallen zahl­rei­che Berg­got­tes­diens­te statt. Die Redak­ti­on hat für Sie eine Über­sicht für Juni bis Septem­ber 2024 zusammengestellt.

(mehr …)

Wiborada vertanzt

Robi­na Stey­er kann­te nur den Namen Wibora­da. Mehr hatte die 40-Jährige über die Inklu­sin nicht gewusst. Dann hat sie sich entschlos­sen, das Leben der Einsied­le­rin tänze­risch darzu­stellen. Dabei hat sie viele Paral­le­len zur heuti­gen Zeit entdeckt.

Robi­na Stey­er lässt ein blau­es Tuch über ihren Kopf schwe­ben. Regel­mäs­sig hält sie inne, über­legt und beginnt von Neuem. Eine Frage beschäf­tigt sie in diesem Moment spezi­ell: «Wie lässt sich das beweg­te Leben einer Frau in Einsam­keit vor über 1000 Jahren tänze­risch darstel­len?» Wieder lässt ­Robi­na Stey­er das blaue Tuch über ihrem Kopf krei­sen. «Es ist ein zentra­les Element und stellt den Himmel und den Geist dar. Es soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», erklärt Robi­na Stey­er. Die 40-Jährige ist ausge­bil­de­te Tänze­rin, Choreo­gra­fin und Dozen­tin und probt momen­tan ein ganz beson­de­res Stück. Anfang Mai bringt sie «Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on» erst­mals auf die Bühne.

Liebe für sozi­al­kri­ti­sche Themen

Das Stück ist eine Heraus­for­de­rung für die erfah­re­ne Darstel­le­rin, die zwischen 2014 und 2019 als Solis­tin in der Tanz­kom­pa­nie St. Gallen enga­giert war. «Es ist nicht ganz einfach, das Leben der heili­gen Wibora­da zu vertan­zen», sagt sie und lächelt. Wie vielen ande­ren sei auch ihr der Name zwar ein Begriff gewe­sen, die Geschich­te aber fremd. Robi­na Stey­er ist in der DDR gebo­ren und bezeich­net sich als «nicht sonder­lich gläu­big». Heute ist sie faszi­niert von der Inklu­sin: «Ich habe heraus­ge­fun­den, wie span­nend Wibora­da war. Im Kern ist es eine femi­nis­ti­sche, sozi­al­kri­ti­sche Geschich­te. Das schät­ze ich sehr.» Robi­na Stey­er widmet sich gerne solchen Geschich­ten. Zusam­men mit zwei Kolle­gen leitet sie das ­ConFu­sion­Art Coll­ec­ti­ve in St.Gallen, dass sich immer wieder sozi­al­kri­ti­schen Themen annimmt.

Lange Recher­che

Die 40-Jährige hat in den vergan­ge­nen Wochen viel über das Leben der Inklu­sin recher­chiert, hat Arti­kel gele­sen und mit Exper­tin­nen und Exper­ten gespro­chen. Als gros­se Hilfe bezeich­net Robi­na Stey­er die St.Galler Histo­ri­ke­rin Judith Thoma, die immer mit Rat und Tat zur Seite gestan­den sei. 

«Das Tuch soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», so Robi­na Steyer.

Eine gros­se Frage für Robi­na Stey­er war jene nach den Beweg­grün­den der Wibora­da. «Ich habe mir lange über­legt, warum Wibora­da ein Leben in der Inklu­se, ein Leben in Einsam­keit einem Leben in Frei­heit vorge­zo­gen hat.» Robi­na Stey­er spricht von Rebel­li­on, von gesell­schaft­li­chem Druck, von äusse­ren Wert­vor­stel­lun­gen und eige­nen Wegen – und zieht den Vergleich zu heute. «Durch die vielen Einflüs­se verlie­ren wir manch­mal die Verbin­dung zu uns selbst. Es nützt, sich immer wieder zurück­zu­neh­men, inne­zu­hal­ten und sich zu fragen: Was ist Glück für mich über­haupt?». Wibora­da habe sich selbst­be­wusst gegen die gesell­schaft­li­chen Normen gestellt. «Das braucht Mut. Wir können uns ein Beispiel an ihr nehmen.»

Rück­zug ins Selbst

Während all der Mona­te, in denen sie sich auf das Stück vorbe­rei­tet hat, hat Robi­na Stey­er viele Paral­le­len zu ihrem Leben gefun­den. «Das Stück thema­ti­siert den Rück­zug ins Selbst. Auch für uns Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein sehr zentra­les Element, wenn wir krea­ti­ve Wege einschla­gen. Es hilft, sich voll in eine Rolle hinein­zu­ge­ben.» Und was erwar­tet die Besu­che­rin­nen und Besu­cher konkret, und wie gross wird das blaue Tuch schluss­end­lich? Alles will Robi­na Stey­er nicht verra­ten. Nur so viel: «Es wird ein Stück, das über die Gren­zen des Glau­bens und des Chris­ten­tums hinaus­blickt und damit für alle zugäng­lich ist.»

«Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on»: 2. Mai: Premie­re in der Kirche St. Mangen in St.Gallen, 20 bis 21 Uhr (Eintritt frei); 3. und 4. Mai am Tanz­fest St.Gallen: ­Kirche St. Mangen, 20 bis 21 Uhr (35 Franken)

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: zVg. / Kay Appenzeller

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

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