«Haustiere geben uns Halt»

In fast der Hälf­te aller Schwei­zer Haus­hal­te lebt ein Haus­tier. Im Inter­view spricht Tier­ethi­ker und Präsi­dent des Arbeits­krei­ses Kirche und Tiere Chris­toph Ammann über die Heraus­for­de­run­gen bei der Haus­tier­hal­tung und den Balan­ce­akt zwischen unter­schied­li­chen Bedürfnissen.

Chris­toph Ammann, ­wieso halten wir uns Haustiere?

Chris­toph Ammann: Verein­facht gesagt haben wir Menschen seit jeher einen tiefen Drang nach Bezie­hun­gen und Gemein­schaft. Wir wollen unser Leben mit ande­ren teilen, wollen nicht einsam und allei­ne sein. Wir brau­chen den Austausch und die Inter­ak­ti­on mit ande­ren. Das hält uns lebendig.

Sind Haus­tie­re also einzig zu unse­rer Belus­ti­gung da?

Für viele Menschen sind Haus­tie­re wich­ti­ge Lebens­be­glei­ter. Sie sind Bezugs­punkt und Wegge­fähr­ten. Es tut uns gut, uns um sie zu kümmern, und sie tun uns gut. Haus­tie­re sind treu und verläss­lich. Sie geben uns Halt und Struk­tur. Grund­sätz­lich ist daran nichts falsch und es ist eigent­lich etwas Schö­nes. Proble­ma­tisch wird es da, wo wir Tiere nur zur Befrie­di­gung unse­rer eige­nen Bedürf­nis­se halten und wo die Abhän­gig­keit extrem wird. Wir müssen uns bewusst sein, dass Tiere eige­ne Bedürf­nis­se haben, aber abhän­gig von uns Menschen sind. Tiere haben weni­ger Möglich­kei­ten, sich zu wehren. Wir Menschen befin­den uns in einer Macht­stel­lung und haben ethisch gese­hen eine beson­de­re Verant­wor­tung. Wir haben die Pflicht, uns um die Tiere zu kümmern. Das ist eine hohe Anfor­de­rung, die leider nicht über­all erfüllt wird. Über­all wo es solche Struk­tu­ren gibt, kann es zu Macht­miss­brauch kommen.

«Tiere sind nicht nur da, um unse­re Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Es ist ein Balan­ce­akt zwischen unse­ren Bedürf­nis­sen und dem Respekt gegen­über dem Tier.»

Als Tier­ethi­ker fordern Sie ein würde­vol­les Leben für Tiere. Was ist das?

Es ist ganz einfach: Ein würde­vol­les Leben ist ein Leben, in dem das Tier genü­gend Frei­raum erhält und in dem die Bedürf­nis­se der Tiere gleich gewich­tet werden wie jene von uns Menschen. Tiere sind nicht nur da, um unse­re Bedürf­nis­se zu befrie­di­gen. Es ist ein Balan­ce­akt zwischen unse­ren Bedürf­nis­sen und dem Respekt gegen­über dem Tier. Bevor man sich ein Haus­tier anschafft, soll­te man sich gut über­le­gen, ob man bereit ist, die nöti­ge Zeit und zum Beispiel im Krank­heits­fall auch das nöti­ge Geld aufzubringen.

Wie hat sich das Verhält­nis zu unse­ren Haus­tie­ren verändert?

Früher hat man sich aus Haus­tie­ren tenden­zi­ell weni­ger gemacht. Sie waren einfach da, und eine Katze war zum Beispiel zum Mäuse­ja­gen nütz­lich. Seit der Nach­kriegs­zeit ist die Bezie­hung der Menschen zu ihrem Haus­tier emotio­nal inten­si­ver gewor­den. Der Stel­len­wert der Haus­tie­re hat stän­dig zuge­nom­men. Das merken wir vor allem in den städ­ti­schen Gebie­ten. Für viele ist das Tier mitt­ler­wei­le ein festes Fami­li­en­mit­glied. Manche spre­chen von einem Kinde­r­er­satz. Es gibt Hundekrip­pen, Katzen­coif­feu­re, Tier­gym­nas­tik. Die Haus­tier­hal­tung ist ein riesi­ger Markt gewor­den. Das ist nicht per se nega­tiv. Es zeigt, dass die Tiere einen grös­se­ren Stel­len­wert haben. Es ist aber nach wie vor so, dass viele Menschen nicht merken, dass es nicht selbst­ver­ständ­lich ist, dass wir ein Tier halten dürfen und welche Verant­wor­tung sie damit einge­hen. Wir müssen uns bewusst sein, dass es komplett etwas ande­res ist, sich einen Hund anzu­schaf­fen als ein neues Handy zu kaufen.

Sie spre­chen damit die ­Objek­ti­vie­rung von Tieren an.

Viele merken das gar nicht. Heute kann man insbe­son­de­re im Inter­net alles kaufen. Wir können unse­re Velos nach unse­ren Wünschen konfi­gu­rie­ren oder zwischen Pull­over­far­ben wählen. Alles ist immer verfüg­bar. Unse­re Gesell­schaft hat sich daran gewöhnt nach dem Motto: Das gefällt mir, das kaufe ich. Dies ist sicher­lich auch ein Grund, warum vermehrt Rasse­hun­de nach­ge­fragt und entspre­chend ange­bo­ten werden. Wir können quasi unse­re Wunsch­hun­de aussu­chen. Ethisch gese­hen ist das sehr proble­ma­tisch und beför­dert die Menta­li­tät, Tiere nur als Objekt zu sehen und auch viel zu schnell ein herzi­ges Tier­chen quasi als Gadget anzuschaffen.

Was tut sich in den Kirchen in Sachen Tierwohl?

Es kommt eini­ges in Bewe­gung. Es gibt zum Beispiel gera­de in katho­li­schen Kontex­ten Tier­seg­nun­gen. In Zürich wurde vor zwei Jahren das erste Mensch-Tier-Grabfeld eröff­net. Tiere sind aller­dings immer noch ein Thema, mit dem sich die Kirchen schwer­tun. Es ist eine Knack­nuss, die Kirchen dazu zu bewe­gen, die Tiere erns­ter zu nehmen. Wir merken aber, dass gesamt­ge­sell­schaft­lich die Bedeu­tung der Tiere in den vergan­ge­nen fünf bis zehn Jahren stark zuge­nom­men hat. Auch die Pfar­rei­en sind sensi­bi­li­sier­ter. Es gibt nach wie vor Wider­stän­de, aber wir von AKUT werden weni­ger belä­chelt und unse­re Arbeit wird erns­ter genommen.

Text: Ales­sia Pagani

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 23.08.2024

Kirche und Tiere

Chris­toph Ammann ist refor­mier­ter Pfar­rer in Zürich Witi­kon und Tier­ethi­ker. Er ist Präsi­dent des Arbeits­krei­ses Kirche und Tiere (AKUT). Der Verein setzt sich seit zwan­zig Jahren für einen würde­vol­le­ren, acht­sa­me­ren und gerech­te­ren Umgang mit Tieren ein. AKUT hat unter ande­rem die Selbst­ver­pflich­tung «Tier­freund­li­che Kirche» lanciert und gibt den Pfar­rei­en Tipps für die Umset­zung im Alltag, beispiels­wei­se im Reli­gi­ons­un­ter­richt oder in den Gottesdiensten.

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