Der Israel-Palästina-Konflikt beschäftigt. Dies zeigen nicht zuletzt die gestiegenen Besucherzahlen im Jüdischen Museum Hohenems. Museumsdirektor Hanno Loewy und sein Team versuchen, mit Wissensvermittlung ihren Beitrag gegen Antisemitismus zu leisten.
«Wir waren vorbereitet – sofern man auf so etwas überhaupt vorbereitet sein kann», sagt Hanno Loewy. Der 63-Jährige spricht mit ruhiger und besonnener Stimme. Loewy muss seine Antworten nicht abwägen. Es sind Antworten, die er schon zigmal gegeben hat. Aber es sind auch Antworten auf Fragen, auf die es eigentlich keine oder sicherlich keine einfachen Antworten gibt: Fragen zum Israel-Palästina-Konflikt, der am 7. Oktober mit dem Überfall der Hamas auf Israel auf furchtbare Weise eskaliert ist und die bis heute dauernde militärische Offensive Israels im Gazastreifen zur Folge hatte. Vom Konflikt ist Hanno Loewy direkt betroffen. Er ist seit 2004 leitender Direktor des Jüdischen Museums Hohenems und war von 2011 bis 2017 Präsident der Association of European Jewish Museums. Loewy ist überzeugt: Das Museum Hohenems kann durch Wissensvermittlung seinen Beitrag gegen den gestiegenen Antisemitismus und andere radikale Reaktionen auf den Konflikt leisten. «Leider herrscht sehr viel Unwissenheit in diesem Bereich. Wir versuchen, mit unseren Ausstellungen einen ungewohnten und vielleicht unerwarteten Blick auf die jüdische Geschichte zu werfen.» Mit «guter Vorbereitung» meint er die aktuelle Ausstellung «A Place of Our Own. Vier junge Palästinenserinnen in Tel Aviv», die noch bis Ende August zu sehen ist. Eine Ausstellung, die die palästinensische Minderheit Israels ins Zentrum stellt.
Unterschiedliche Konflikte
Das Museum Hohenems macht seit seiner Eröffnung im Jahr 1990 mit Ausstellungen und niederschwelligen Projekten jüdische Geschichte und Gegenwart, und auch die widersprüchliche Realität Israels und Palästinas, greifbar. Und dies ist nicht ganz einfach. Jüdische Geschichte ist vielfältig. «Es gab immer wieder fruchtbare Koexistenzen. Und es gab Unterdrückung und Migration», sagt Loewy.
Heute ist das Land Israel gespalten. Loewy spricht von vier unterschiedlichen Konflikten in und um Israel: Einerseits dem Konflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn, zweitens dem Konflikt um die Besatzung, drittens dem Konflikt um Gleichberechtigung oder Diskriminierung der israelischen Palästinenser und schliesslich dem innerjüdischen Konflikt, ob Israel ein säkularer oder religiös dominierter Staat sein soll. «Inzwischen fragen sich viele kritische Israelis, ob Israel die besetzten Gebiete nun annektieren wird oder ob umgekehrt die Siedler in den besetzten Gebieten Israel beherrschen. Diese Konflikte können nur gemeinsam und von den Menschen vor Ort gelöst werden», sagt Loewy.
Integrieren, nicht ausgrenzen
Von der vielfältigen Geschichte Israels zeugt auch die heutige Bevölkerung. 1948, nach dem Rückzug der Briten aus dem Mandatsgebiet, gegründet, leben heute rund 1,8 Millionen Palästinenserinnen und Palästinenser im kleinen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan. Dies macht rund 20 Prozent der Bevölkerung Israels aus. Ebenfalls rund 20 Prozent gehören dem muslimischen Glauben an. «Dies sind weder Zugewanderte noch Fremde», sagt Hanno Loewy. Ein Umstand, der oft vergessen werde. «Israel wird diese Menschen als integralen Teil der Gesellschaft begreifen müssen, nicht als ausgegrenzte Minderheit.» Genau hier setzt das Museum an. Auch die kommende Ausstellung wird diese polaren Identitätspolitiken infrage stellen. Sie handelt von der Erinnerung und Gegenwart arabisch-jüdischer Lebenswelten aus der Perspektive von sieben Künstlerinnen und ihrem arabisch-jüdischen Hintergrund. «Wir wollen Menschen zeigen, die im Konflikt zwischen den Stühlen sitzen und an die die wenigsten denken.»
Grosses Interesse
Die Situation rund um den Gazakrieg und den auch in der Schweiz gestiegenen Antisemitismus macht nicht nur Hanno Loewy betroffen. Dies zeigt sich auch an den Besucherzahlen im Jüdischen Museum Hohenems. Das Interesse ist gross. Mit mehr als 20 000 Eintritten verzeichnete das Museum im vergangenen Jahr die höchste Zahl seit Eröffnung. «Wir wurden geradezu überrannt», sagt der Museumsdirektor. Noch steht vor ihm einiges an Arbeit. Die Wissensvermittlung ist noch längst nicht beendet. Ein Projekt beschäftigt die Museumsverantwortlichen seit einiger Zeit – und steht nun kurz vor dem Start. Gemeinsam mit dem Kanton St. Gallen plant das Jüdische Museum Hohenems in Diepoldsau ein Vermittlungszentrum zum Thema Flucht und Grenze in den Jahren 1938–1945.
Veröffentlichung: 9. August 2024
Text: Alessia Pagani
Bilder: Ana Kontoulis