Von seinem Hocker aus kann Finn alles beobachten und überblicken. Der rothaarige Kater darf gemeinsam mit 14 Artgenossen seinen Lebensabend im Katzenaltersheim des Büsi- und Papageienhofs in Mogelsberg verbringen.
Fast täglich nimmt der Papageien- und Büsihof Mogelsberg herren- und schutzlose Tiere auf. Aktuell betreuen Marcel Jung und sein Team im Tierheim über 350 Schützlinge. Sie alle haben ein unterschiedliches Schicksal und meist eine schwierige Zeit hinter sich. Was sie verbindet? Der Grossteil wartet auf ein neues schönes Plätzchen.
Stolz und erhaben thront Finn auf seinem Hocker und mustert die Gäste. «Diva» schiesst einem durch den Kopf, wenn man den rothaarigen Kater so sitzen sieht. Doch Finn erbarmt sich. Er macht einen Schritt auf die Gäste zu und schon ist das Eis gebrochen. Es folgt eine 30-minütige Streicheleinheit mit vielen Liebkosungen. Nach Finn möchte Gargamel schmeicheln. Der langhaarige Kater kam erst vor wenigen Tagen via Tierschutz in den Papageien- und Büsihof Mogelsberg. Gargamel wurde auf einem Bauernhof gefunden, vernachlässigt und verfilzt. Mittlerweile ist er frisch frisiert. Mit dem Einzug ins Tierheim ist auch sein Schicksal besiegelt: «Er bleibt bis zum Lebensende bei uns», sagt Heimleiter Marcel Jung. Finn und Gargamel sind Bewohner des Katzenaltersheims im Papageien- und Büsihof Mogelsberg. Das heisst, sie werden nicht vermittelt und werden ihren Lebensabend im Tierheim verbringen. Momentan leben 15 Katzen im Katzenaltersheim. Wie Finn und Gargamel landen jährlich Tausende von Tieren in Schweizer Tierheimen. Gemäss Statistik des Schweizer Tierschutzes wurden 2022 über 13 000 Tiere abgegeben. Im Papageien- und Büsihof Mogelsberg kümmert sich Marcel Jung um rund 350 solcher Tiere, darunter mehrere Hunde und Katzen, unzählige Nager wie Meersäuli und Kaninchen sowie Schildkröten und rund 200 teils exotische Vögel. Das Tierheim soll allerdings nur Zwischenstation sein. Der Grossteil der Katzen, die Hunde und die Nager warten im Neckertal auf ein neues schönes Zuhause mit liebenswürdigen Besitzern. Was die Tiere eint: Sie haben oft ein schlimmes Schicksal hinter sich und niemanden mehr, der sich um sie kümmert. Sie wurden ausgesetzt oder wurden vernachlässigt. Sie wurden vergessen oder verlassen. Es sind Tiere, die aus Privathaushalten kommen und freiwillig abgegeben wurden oder die Tierschutz und Polizei in die Obhut des Tierheims gebracht haben. So auch Lillyfee und Mika. Die beiden Hunde tollen freudig in der Aussenanlage umher und begrüssen die Gäste aufgeregt.
Kastrationspflicht gefordert
Die beiden kleinen Racker sind schon längere Zeit im Zwinger des Tierheims. Unfreiwillig, wie Marcel Jung erklärt. Gerne würde er die Hündchen an einen schönen Ort vermitteln, aber er darf nicht – aus einem absurden Grund: Nach dem Tod des Besitzers kamen die beiden Hunde gemäss Gesetz in die Erbmasse. Das Ganze zieht sich in die Länge. Marcel Jung geht nicht davon aus, dass sie vor ihrem Tod den Tierheimzwinger noch verlassen können. «Das ist sehr schade für die beiden.» Mit ihnen warten vier weitere Hunde auf eine Vermittlung. Wir Schweizerinnen und Schweizer lieben Haustiere. Über 40 Prozent der Haushalte besitzen mindestens einen Hund, eine Katze oder Fische, Vögel und Nager. In der Schweiz lebten 2022 rund 0,5 Millionen Hunde und rund 1,8 Millionen Katzen. Doch nicht immer schaffen wir es, unsere Verpflichtung gegenüber den Tieren wahrzunehmen. Das merken auch die Verantwortlichen: «Die Zahl der abgegebenen Tiere ist in den vergangenen Jahren immer stärker gestiegen», sagt Marcel Jung.
Gebühren schrecken ab
Im vergangenen Jahr hat der Papageien- und Büsihof Mogelsberg Schlagzeilen gemacht. Es war die Rede von einer Katzenschwemme und von einem drohenden Aufnahmestopp. Ende 2023 waren 40 Samtpfoten in der Vermittlung. Mittlerweile habe sich die Situation beruhigt und die Zahl abgegebener Tiere sei geringer als im Vorjahr, sagt Marcel Jung. «Aber gerade zur Ferienzeit merken wir leider immer einen Anstieg.» Das Problem: Heute verlangen Tierheime nicht selten Aufnahme- und Abgabegebühren. Damit sollen Kosten wie Futter und Tierarztrechnungen bezahlt werden. Für ein Tierheim, das ausschliesslich von Spenden und Legaten lebt, ein notwendiger Zustupf. «Viele Leute verstehen das nicht und weigern sich, etwas zu zahlen. Sie scheuen sich deshalb, das Tier ins Tierheim zu bringen», erklärt Jung. Dies führe nicht selten dazu, dass die Besitzer die ihnen überdrüssig gewordenen Tiere vor der Ferienreise im Wald «entsorgen». Von den 13 000 im Jahr 2022 in Schweizer Tierheimen abgegebenen Tieren waren rund 5128 Findeltiere. Marcel Jung kennt das leider nur zu gut. Erst vor wenigen Tagen habe er wieder Meersäuli aufgenommen, die in einer Kartonschachtel ausgesetzt wurden.
Verantwortung fehlt
Ein Problem sieht Marcel Jung auch in der raschen Fortpflanzung der Katzen. Schätzungsweise 100 000 bis 300 000 Katzen in der Schweiz sind herrenlos. Eine Kastrations- oder Chip-Pflicht gibt es bei uns nicht. «Eine solche wäre wünschenswert», sagt Jung. Gerade Bauernhofkatzen würden sich oft unkontrolliert vermehren. Dadurch sei auch die Gefahr der Übertragung von Krankheiten gross, was zu hohen Folgekosten führen könne. Dies wiederum steigere die Gefahr, dass Katzen ausgesetzt würden. Ein Teufelskreis. Problematisch sieht Marcel Jung auch die «Trendisierung» bestimmter Rassen, speziell bei Hunden. Durch Filme oder Social Media würden Trendrassen entstehen, die dann in kurzer Zeit aus «Prestigegründen» vermehrt nachgefragt werden, bis sie von neuen Trendrassen abgelöst werden. Als Beispiel nennt Jung Mopse oder Pitbulls. Einen Hype hatte Anfang der 2000er-Jahre auch Hotelerbin Paris Hilton geschaffen, als sie ihren Chihuahua überall hin mitnahm und so den Begriff des Handtaschenhündchens prägte. Marcel Jung verurteilt solche Trends, zeigt aber auch Verständnis: «Wenn wir Menschen etwas unbedingt wollen, setzt manchmal unser Verstand aus.» Gegenüber den Züchtern hat Jung ein ambivalentes Verhältnis: «Viele sind nicht seriös und überschwemmen den Markt. Meist stehen monetäre Interessen im Vordergrund und nicht die Tiere.» Marcel Jung hat schon vieles gesehen und trotzdem gehen ihm die Geschichten immer noch nahe: «Ich würde mir so sehr mehr Verantwortung von den Menschen gegenüber den Tieren wünschen.»
Beziehungen aufbauen
Der Rundgang im Tierheim neigt sich langsam dem Ende zu. In den Gängen des Vogelhauses kommt uns Larissa Gribi entgegen. Sie nimmt sich Zeit für Kakadu Julio. Zu diesem hat sie ein ganz besonderes Verhältnis. Stolz sitzt er auf Gribis Schulter, zeigt seine schöne Haube in voller Pracht und nagt genüsslich an der Lesebrille seiner Pflegerin. Für die Tiere ist der Kontakt zu den Menschen wichtig. «Aber es sind nicht alle so zutraulich wie er», sagt Larissa Gribi und bringt Julio zurück zu seinen Artgenossen in die Voliere. Draussen im Zwinger bellt derweil ein schöner schwarzer Mischling. Er ist nervös und springt am Gitter hoch. Tierpflegerin Jenny Nigg sperrt ihn für einige Minuten in sein Zimmer ein. «Zur Beruhigung», wie sie sagt. Er sei sich noch nicht an die veränderte Umgebung gewohnt. Auch der Rüde hat kein einfaches Leben hinter sich. Die Polizei hatte den Hund vorbeigebracht, mit der Aussage, der Besitzer werde ihn am kommenden Tag abholen. Das war vor mehreren Monaten. Zwischenzeitlich hat der Besitzer angerufen, er könne sich nicht mehr um den Hund kümmern. Eine Verzichtserklärung unterschrieb er nicht, der Hund verbleibt entsprechend im Tierheim. «Ich kann nicht verstehen, wie man eine solche Tatsache wegschieben und solche Entscheidungen treffen kann», sagt Marcel Jung. Und Jenny Nigg fügt hinzu: «Es ist schon traurig, was man alles sieht, und die Menschen und ihr Verhalten machen mich nachdenklich.» Es sind alles Schicksale, die die Tierpfleger betroffen machen. «Was würden wir denn machen, wenn es keine Tierheime mehr gibt?», fragt Marcel Jung rhetorisch. Das Tierheim Papageien- und Büsihof Mogelsberg ist unabhängig und privat geführt. Um die Kosten zu decken, ist es auf Feriengäste angewiesen. «Wenn ich an die Sorgen und Probleme denke, würde ich das alles nicht mehr machen. Aber es geht ums Tier. Und dafür würde ich das Risiko und die Herausforderungen immer wieder auf mich nehmen», sagt Jung, der sich für einen obligatorischen Tierschutzfranken stark macht. «1 Franken pro Jahr und Erwachsener, das würde doch niemandem wehtun und würde den Tieren so viel bringen.» Jung ist sich sicher: «Dies würde auch die Frage nach der Verantwortung gegenüber unseren Haustieren wieder mehr in den Fokus rücken.»
Büsis bringen Geld
Angefangen hat alles vor genau 20 Jahren mit Papagei Pepito. Diesen hatte der gelernte Plattenleger unverhofft geschenkt bekommen. Nach und nach kamen weitere – meist exotische Vögel – in die Obhut von Marcel Jung. Die Volieren wurden mehr, das Geld weniger. Ein neuer Plan musste her, denn: «Mit Vögeln lassen sich keine Spenden generieren. Sie haben keinen Jöh-Effekt wie etwa Katzen», sagt Jung. So nahm er dann auch mit diesem Hintergedanken den ersten Fellknäuel bei sich auf – ein dreibeiniges, im Wald ausgesetztes Kätzchen. Damit war der Startschuss für das Tierheim gelegt. Heute ist der Papageien- und Büsihof Mogelsberg gemäss Jungs Aussagen das einzige Altersheim für Papageien in der Schweiz und die einzige Auffangstation, welche nicht züchtet und handelt. Es ist mittlerweile später Vormittag. Jenny Nigg war den ganzen Morgen damit beschäftigt, die Räume im Katzenhaus zu säubern und die Samtpfoten zu verpflegen. Nun hat sie Pause. Diese verbringt sie mit ihrem eigenen Vierbeiner. Auch Fusel fand über den Tierschutz den Weg ins Tierheim und schliesslich zu seiner liebenden neuen Besitzerin. Und das dreibeinige Kätzchen? Es streift heute noch übers Areal und ist somit die älteste Mitbewohnerin im Katzenaltersheim, wo es umsorgt seinen Lebensabend verbringen darf.
Text: Alessia Pagani
Bilder: Ana Kontoulis
Veröffentlicht: 23.08.2024