«Viele Betroffene ermutigt»

Vor rund einem Jahr ist die schweiz­wei­te Pilot­stu­die zur Aufar­bei­tung der ­Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld erschie­nen. Der Schock über die Ergeb­nis­se ist bis heute gross, Rufe nach Mass­nah­men wurden laut. Was ist der aktu­el­le Stand?

«Seit Septem­ber 2023 hat sich eini­ges getan», hält Vreni Pete­rer aus Schlatt AI fest. Sie ist Präsi­den­tin der IG‑M!kU, einer Gemein­schaft von Miss­brauchs­be­trof­fe­nen im kirch­li­chen Umfeld, und selbst Betrof­fe­ne. Nach­dem am 12. Septem­ber 2023 die Vorstu­die der Univer­si­tät Zürich präsen­tiert wurde, hat Vreni Pete­rer in zahl­rei­chen Inter­views Betrof­fe­nen eine öffent­li­che Stim­me gege­ben. In den vergan­ge­nen zwölf Mona­ten hat sie auch an vielen Sitzun­gen und Gesprä­chen mit den verschie­dens­ten kirch­li­chen Gremi­en teil­ge­nom­men. «Einer­seits gibt es Betrof­fe­ne, die davon berich­ten, dass sie nun endlich ernst genom­men werden und ihnen zuge­hört wird. Ande­re erle­ben, dass sie nach wie vor für ihr Recht kämp­fen müssen. Ich kenne Betrof­fe­ne, die sogar einen Juris­ten einschal­ten muss­ten.» Die Katho­li­sche Kirche hat verschie­de­ne Mass­nah­men beschlos­sen, um Miss­brauch aufzu­de­cken und zu verhin­dern. «Es ist ein Prozess der klei­nen Schrit­te», sagt Vreni Pete­rer und fügt hinzu: «Wir sind noch lange nicht am Ziel.» Als posi­ti­ve Entwick­lung nennt sie, dass nun auch dem spiri­tu­el­len Miss­brauch die nöti­ge Beach­tung geschenkt wird. «Nicht immer handelt es sich bei Über­grif­fen um sexu­el­le Gewalt, das wuss­ten viele bisher nicht. Auch Macht­miss­brauch oder Mani­pu­la­ti­on sind Formen von Über­grif­fen, die verhee­ren­de Folgen im Leben Betrof­fe­ner haben können.»

Am 13. Septem­ber 2023 stell­ten sich Bischof Markus Büchel und Vreni Pete­rer in St. Gallen den Fragen der Medi­en zu sexu­el­len Über­grif­fen im Bistum St. Gallen und den Mass­nah­men, die künf­tig psychi­sche und physi­sche Grenz­ver­let­zun­gen verhin­dern sollen.

Mass­nah­men umsetzen

Die Mass­nah­men rich­tig umzu­set­zen, sei ein anspruchs­vol­les Unter­fan­gen, sagte der Churer Bischof Joseph Bonn­emain bei einer Medi­en­kon­fe­renz am 27. Mai. Eine der Mass­nah­men ist die Tren­nung der Bera­tung von Betrof­fe­nen und Melde­struk­tu­ren. Betrof­fe­ne sollen künf­tig an kanto­na­le Opfer­hil­fe­stel­len verwie­sen werden. Vreni Pete­rer: «Diese Stel­len sind etabliert, deshalb macht das auch Sinn und es ist auch schon Reali­tät, dass Betrof­fe­ne dort­hin verwie­sen werden.» Derzeit sind die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz (SBK), die kath. Kanto­nal­kir­chen (RKZ) und die kath. Ordens­ge­mein­schaf­ten (Kovos) im Gespräch mit diesen Stel­len, um sich am Mehr­auf­wand finan­zi­ell zu betei­li­gen. Eben­so werden kirch­li­che Informations- und Koor­di­na­ti­ons­stel­len als Support für die Opfer­be­ra­tung geschaf­fen. Und es gibt eine Weiter­ent­wick­lung der kirchen­in­ter­nen Melde- und Fall­be­ar­bei­tungs­struk­tu­ren. Ziel ist es, im Janu­ar 2025 eine unab­hän­gi­ge Melde­stel­le zu haben. «Natür­lich wünsch­te ich mir, dass solche Mass­nah­men möglichst schnell konkret umge­setzt werden», räumt Vreni Pete­rer ein. Ihr sei in den vergan­ge­nen Mona­ten jedoch bewusst gewor­den: Damit die Mass­nah­men künf­tig wirk­lich gut funk­tio­nie­ren, soll nicht über­stürzt gehan­delt werden. «Aber viele Betrof­fe­ne haben sich nach dem 12. Septem­ber 2023 gemel­det. Sie benö­ti­gen jetzt offe­ne Ohren und Unter­stüt­zung. Aktu­ell kann dies nicht immer opti­mal gebo­ten werden.» Die Zeit dränge.

Erfah­re­nes aufschreiben

Seit Septem­ber 2023 berich­ten die Medi­en regel­mäs­sig über die Aufar­bei­tung der Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld. Dies ist laut Vreni Pete­rer nicht ohne Wirkung geblie­ben: «Das Thema ist in der Öffent­lich­keit. Dies hat viele Betrof­fe­ne ermu­tigt, zum ersten Mal über das erfah­re­ne Leid zu spre­chen oder sich zu melden.» Bei der IG‑M!kU haben sich über fünf­zig Betrof­fe­ne gemel­det. Vreni Pete­rer erzählt auch von Nach­rich­ten, die sie auf Insta­gram bekom­men hat. «Es war diesen Betrof­fe­nen ein Anlie­gen, das Erfah­re­ne aufschrei­ben zu können», sagt sie. «Wir hoffen, dass sich noch mehr Betrof­fe­ne melden. Jede Geschich­te trägt dazu dabei, das Gesche­he­ne aufzu­ar­bei­ten.» Die IG‑M!kU will auch mit Info­aben­den in der ganzen Deutsch­schweiz einen Beitrag zur Aufar­bei­tung leis­ten und gleich­zei­tig Betrof­fe­ne ermu­ti­gen. Der erste Abend wird am 1. Okto­ber in Chur statt­fin­den und gleich­zei­tig online via Zoom übertragen.

«Es ist ein Prozess der klei­nen Schrit­te», sagt Vreni Pete­rer knapp ein Jahr nach Präsen­ta­ti­on der Pilot-Studie und fügt hinzu: «Wir sind noch lange nicht am Ziel.» (Archiv­bild Septem­ber 2023)

Psycho­lo­gi­sches Assessment

Die SBK, RKZ und Kovos haben weite­re Mass­nah­men beschlos­sen: Künf­tig sollen alle Seel­sor­gen­den vor dem Einstieg in eine kirch­li­che Tätig­keit ein psycho­lo­gi­sches Assess­ment durch­lau­fen. Dies soll auffäl­li­ge Persön­lich­keits­struk­tu­ren aufzei­gen. Für die Umset­zung dieser Mass­nah­me hat sich die Kirche Unter­stüt­zung bei Rund­stedt, einem dafür spezia­li­sier­ten Unter­neh­men, geholt. Eine drit­te Mass­nah­me umfasst die Stan­dards für Perso­nal­dos­siers und Infor­ma­ti­ons­aus­tausch. Täter zu verset­zen, war in der Vergan­gen­heit möglich, da zu wenig Austausch statt­ge­fun­den hat. Derzeit werden Stan­dards entwi­ckelt für die Führung der Personaldossiers.

Text: Stephan Sigg

Bild: Regi­na Kühne (Archiv, 13. Septem­ber 2023)

Veröf­fent­licht: 16.08.2024

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