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Wiborada vertanzt

Robi­na Stey­er kann­te nur den Namen Wibora­da. Mehr hatte die 40-Jährige über die Inklu­sin nicht gewusst. Dann hat sie sich entschlos­sen, das Leben der Einsied­le­rin tänze­risch darzu­stellen. Dabei hat sie viele Paral­le­len zur heuti­gen Zeit entdeckt.

Robi­na Stey­er lässt ein blau­es Tuch über ihren Kopf schwe­ben. Regel­mäs­sig hält sie inne, über­legt und beginnt von Neuem. Eine Frage beschäf­tigt sie in diesem Moment spezi­ell: «Wie lässt sich das beweg­te Leben einer Frau in Einsam­keit vor über 1000 Jahren tänze­risch darstel­len?» Wieder lässt ­Robi­na Stey­er das blaue Tuch über ihrem Kopf krei­sen. «Es ist ein zentra­les Element und stellt den Himmel und den Geist dar. Es soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», erklärt Robi­na Stey­er. Die 40-Jährige ist ausge­bil­de­te Tänze­rin, Choreo­gra­fin und Dozen­tin und probt momen­tan ein ganz beson­de­res Stück. Anfang Mai bringt sie «Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on» erst­mals auf die Bühne.

Liebe für sozi­al­kri­ti­sche Themen

Das Stück ist eine Heraus­for­de­rung für die erfah­re­ne Darstel­le­rin, die zwischen 2014 und 2019 als Solis­tin in der Tanz­kom­pa­nie St. Gallen enga­giert war. «Es ist nicht ganz einfach, das Leben der heili­gen Wibora­da zu vertan­zen», sagt sie und lächelt. Wie vielen ande­ren sei auch ihr der Name zwar ein Begriff gewe­sen, die Geschich­te aber fremd. Robi­na Stey­er ist in der DDR gebo­ren und bezeich­net sich als «nicht sonder­lich gläu­big». Heute ist sie faszi­niert von der Inklu­sin: «Ich habe heraus­ge­fun­den, wie span­nend Wibora­da war. Im Kern ist es eine femi­nis­ti­sche, sozi­al­kri­ti­sche Geschich­te. Das schät­ze ich sehr.» Robi­na Stey­er widmet sich gerne solchen Geschich­ten. Zusam­men mit zwei Kolle­gen leitet sie das ­ConFu­sion­Art Coll­ec­ti­ve in St.Gallen, dass sich immer wieder sozi­al­kri­ti­schen Themen annimmt.

Lange Recher­che

Die 40-Jährige hat in den vergan­ge­nen Wochen viel über das Leben der Inklu­sin recher­chiert, hat Arti­kel gele­sen und mit Exper­tin­nen und Exper­ten gespro­chen. Als gros­se Hilfe bezeich­net Robi­na Stey­er die St.Galler Histo­ri­ke­rin Judith Thoma, die immer mit Rat und Tat zur Seite gestan­den sei. 

«Das Tuch soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», so Robi­na Steyer.

Eine gros­se Frage für Robi­na Stey­er war jene nach den Beweg­grün­den der Wibora­da. «Ich habe mir lange über­legt, warum Wibora­da ein Leben in der Inklu­se, ein Leben in Einsam­keit einem Leben in Frei­heit vorge­zo­gen hat.» Robi­na Stey­er spricht von Rebel­li­on, von gesell­schaft­li­chem Druck, von äusse­ren Wert­vor­stel­lun­gen und eige­nen Wegen – und zieht den Vergleich zu heute. «Durch die vielen Einflüs­se verlie­ren wir manch­mal die Verbin­dung zu uns selbst. Es nützt, sich immer wieder zurück­zu­neh­men, inne­zu­hal­ten und sich zu fragen: Was ist Glück für mich über­haupt?». Wibora­da habe sich selbst­be­wusst gegen die gesell­schaft­li­chen Normen gestellt. «Das braucht Mut. Wir können uns ein Beispiel an ihr nehmen.»

Rück­zug ins Selbst

Während all der Mona­te, in denen sie sich auf das Stück vorbe­rei­tet hat, hat Robi­na Stey­er viele Paral­le­len zu ihrem Leben gefun­den. «Das Stück thema­ti­siert den Rück­zug ins Selbst. Auch für uns Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein sehr zentra­les Element, wenn wir krea­ti­ve Wege einschla­gen. Es hilft, sich voll in eine Rolle hinein­zu­ge­ben.» Und was erwar­tet die Besu­che­rin­nen und Besu­cher konkret, und wie gross wird das blaue Tuch schluss­end­lich? Alles will Robi­na Stey­er nicht verra­ten. Nur so viel: «Es wird ein Stück, das über die Gren­zen des Glau­bens und des Chris­ten­tums hinaus­blickt und damit für alle zugäng­lich ist.»

«Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on»: 2. Mai: Premie­re in der Kirche St. Mangen in St.Gallen, 20 bis 21 Uhr (Eintritt frei); 3. und 4. Mai am Tanz­fest St.Gallen: ­Kirche St. Mangen, 20 bis 21 Uhr (35 Franken)

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: zVg. / Kay Appenzeller

Eine Zeitreise mitten im Alltag

Was passiert, wenn wir schwei­gend essen und uns jemand Texte vorliest? Auf dieses Expe­ri­ment mit Elke Larcher von der Stifts­bi­blio­thek können sich Inter­es­sier­te ab sofort einlassen.

Einfach nur zuhö­ren tut gut. Elke Larcher, Leite­rin des Muse­ums­be­triebs Stifts­be­zirk St.Gallen, liest Texte vor, die von der Zeit handeln. Ansons­ten ist es an diesem Mittag ruhig im Innen­hof des Domzen­trums neben der Kathe­dra­le. Keine der Zuhö­re­rin­nen und Zuhö­rer redet. Sollen sie auch nicht, sondern sich ausschliess­lich auf das Mittag­essen und eben die Texte konzen­trie­ren. Als «Nahrung für Körper und Geist» bezeich­net Elke Larcher diese Veran­stal­tungs­rei­he, die an die Art und Weise ange­lehnt ist, wie in bene­dik­t­i­ni­schen Klös­tern geges­sen wird. Alle Inter­es­sier­ten können sich einmal im Monat von Mai bis Septem­ber in St. Gallen auf dieses Expe­ri­ment einlas­sen. Nebst der Zeit wird Elke Larcher in den Texten ­weite­re Themen aufgreifen.

Raum­schif­fe flie­gen schneller

«Früher war Zeit mystisch. Die Natur bestimm­te sie, etwa durch die Jahres­zei­ten, das Morgen­grau­en, den Sonnen­auf­gang, das Hahn­krä­hen oder den Sonnen­un­ter­gang.» Diese Aussa­ge eines Textes bleibt an diesem Mittag in den Gedan­ken hängen. Auch, dass der deut­sche Dich­ter Johann Wolf­gang von Goethe bereits 1824, also vor genau 200 Jahren, eine zuneh­men­de Alltags­hek­tik bei seinen Mitmen­schen fest­stell­te. Durch einen ande­ren Text erfährt man, dass gros­se Städ­te einst eige­ne Uhrzei­ten hatten und diese mit benach­bar­ten Städ­ten nicht unbe­dingt über­ein­stimm­ten. Und eine «Zeit­um­stel­lung» gibt es nicht. Viel eher müss­te die rich­ti­ge Bezeich­nung «Uhrum­stel­lung» lauten. Aber ob das nun der ­Autor und Geist­li­che Anselm Grün sagte, der ­Theo­lo­ge Albert Schweit­zer oder doch jemand ganz ande­res, bleibt nicht im Gedächt­nis haften. Dafür aber, dass in den 2000er-Jahren ein Zusam­men­schnitt der Fern­seh­se­rie Raum­pa­trouil­le ­Orion von 1966 ins Kino kam. Selbst einge­fleisch­ten Fans fiel nicht auf, dass die Raum­schif­fe auf einmal mit einer mehr als doppelt so schnel­len Geschwin­dig­keit als im Origi­nal über den Bild­schirm flogen.

Rück­kehr in die Realität

Alles um uns herum wird schnel­ler. An diesem Mittag im Domzen­trum fühlt es sich aller­dings an, als ob die Zeit ein klein biss­chen stehen­bleibt. Die Wahr­neh­mung verän­dert sich. Das Pfei­fen der Vögel erscheint lauter. Und der Stangensellerie-Apfelsalat knackt beim Kauen beson­ders laut. Und wohin soll man über­haupt schau­en, wenn man doch gar nicht mitein­an­der redet? Beim Dessert wird das Schwei­ge­ge­bot aufge­ho­ben. Die Teil­neh­men­den tauschen sich aus. «Mir hat es gefal­len, bewusst nur etwas zu machen», sagt jemand. Eine ande­re Person sagt: «Ich fand es ange­nehm und span­nend, was ich so nicht erwar­tet hätte.» Wie eine klei­ne Zeit­rei­se durch die Lite­ra­tur hat es eine drit­te Person empfun­den. Dann ruft der Alltag mit seinen Termi­nen. Ein kurzer Abschied, dann kehren alle in ihre Reali­tät zurück.

Nach­ge­fragt mit Elke Larcher

Elke Larcher, woher kommt die Idee, in ­St.Gallen ­Bene­dik­t­i­ni­sche Mittag­essen anzubieten?

Ich habe solche Mittag­essen schon früher orga­ni­siert, immer im priva­ten Rahmen. Die Rück­mel­dun­gen haben mich stets bekräf­tigt in meiner Idee, einen klei­nen Teil der bene­dik­t­i­ni­schen Lebens­wei­se nach aussen zu tragen. Inspi­riert hier­zu wurde ich durch meine lang­jäh­ri­ge ­Tätig­keit als Muse­ums­lei­te­rin bis 2022 im Bene­dik­ti­ne­rin­nen­klos­ter St. Johann in Müst­a­ir. ­Damals war es mir wich­tig, die Regel des hl. Bene­dikt selbst zu erle­ben. Ich wohn­te eine Woche mit den Nonnen von Müst­a­ir und liess mich ganz auf das bene­dik­t­i­ni­sche «ora et labo­ra et lege» ein. Aktu­ell zeigt die Stifts­bi­blio­thek die Ausstel­lung «Geseg­ne­te Spei­sen – Vom Essen und Trin­ken im Mittel­al­ter». Für mich war das die Gele­gen­heit, die Bene­dik­t­i­ni­schen Essen nach St.Gallen, ins ehema­li­ge Benediktiner­kloster, zu bringen.

Im Klos­ter ist der Tages­ab­lauf vorge­ge­ben. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Ich habe wider Erwar­ten eine gros­se Frei­heit gespürt. Wir tref­fen täglich bis zu 20 000 Entschei­dun­gen. Im Klos­ter ist vieles schon vorge­ge­ben: Was ich anzie­he oder was ich koche. Wenn die Glocke zum Gebet läutet, dann lassen die Nonnen ihre Arbeit liegen und eilen zum Gebet. Es gibt nicht noch das eine oder das ande­re, das ich schnell erle­di­ge. Gemäss der Bene­dikts­re­gel (RB) 43.3 «soll dem Gottes­dienst nichts vorge­zo­gen werden». Diese klare Tages­struk­tur wirkt befrei­end in einer Gesell­schaft, in der wir stets erreich­bar sind. Eine gege­be­ne Tages­ordnung schenkt Ruhe im Alltag.

Sie beschrei­ben die Bene­dik­t­i­ni­schen ­Mittag­essen als Nahrung für Geist und ­Körper. Was heisst das genau?

Am Mittag haben wir heut­zu­ta­ge gene­rell eher wenig Zeit. Einmal bewusst zu essen, ohne dabei schon auf dem Smart­phone die Termi­ne vom Nach­mit­tag durch­zu­ge­hen, tut einem gut und ist gesund. Nahrung für den Geist bieten die ausge­wähl­ten Texte. Die Lesung soll die Zuhö­ren­den erbau­en (vgl. RB 38.12). Anders als im Klos­ter lese ich nicht nur Texte spiri­tu­el­ler Natur, sondern auch Gedich­te und sach­li­che Texte. Ich teile auch meine Gedan­ken zu den Textausschnitten.

Was sollen die Teil­nehmenden mitnehmen?

Ich hoffe, dass die Bene­dik­t­i­ni­schen Essen berei­chernd wirken. Das Schöns­te für mich wäre, wenn sie in dieser Mittags­pau­se nicht nur Mund und Ohren öffnen, sondern auch die Herzen, so wie es im Prolog der Bene­dikts­re­gel steht: «Neige das Ohr deines Herzens» (RB Prolog 1). Wenn mir das gelingt, dann habe ich mehr erreicht, als ich mir je erhofft habe.

Infos auf www.stiftsbezirk.ch/veranstaltungen

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Michel Canonica

Veröf­fent­li­chung: 26. April 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Sich auf Spontanes einlassen

Sich frei­wil­lig zu enga­gie­ren halte geis­tig und körper­lich fit, sagt der pensio­nier­te Kirch­ber­ger Arzt Felix Fust. Er selbst setzt sich bei «Zeit­gut Toggen­burg» für die Nach­bar­schafts­hil­fe ein. Mitun­ter am meis­ten faszi­nie­ren ihn die verschie­de­nen Lebensgeschichten.

Wenn Felix Fust über das Alter spricht wird deut­lich, dass ihn dieses faszi­niert. Der pensio­nier­te Kirch­ber­ger Arzt und aktu­el­le Gemeinde-Koordinator für Kirch­berg beim Verein Zeit­gut Toggen­burg legt einen Zeitungs­ar­ti­kel auf den Stuben­tisch und zitiert aus diesem: «Jedes vier­te, im Jahre 2024 gebo­re­ne Mädchen und jeder sechs­te Junge wird schät­zungs­wei­se mindes­tens 100 Jahre alt», sagt er und fügt an: «Aber was bedeu­tet das für die Gesell­schaft, gera­de in Zeiten, in denen Fami­li­en­ver­bän­de nicht mehr so stark sind wie früher?» Zeit­gut Toggen­burg ist eine Möglich­keit auf diesen Struk­tur­wan­del in der Gesell­schaft zu reagie­ren. Wer sich bei dem Verein enga­giert, bekommt die Stun­den, die er leis­tet, gutge­schrie­ben. Die Frei­wil­li­gen können diese bei Bedarf später selbst bezie­hen. Vor allem sei es aber wich­tig, Jung und Alt zusam­men­zu­brin­gen, gene­ra­tio­nen­über­grei­fend zu denken und entspre­chen­de Ange­bo­te zu schaffen.

Von Erin­ne­run­gen erzählen

«Der von Akti­on ‹Kirchberg-bewegt› initi­ier­te Gene­ra­tio­nen­spiel­platz neben dem Fuss­ball­platz in Kirch­berg oder Kinder­gar­ten­pro­gram­me, zu denen Besuchs­ta­ge im Alters­heim gehö­ren, schaf­fen nieder­schwel­lig Berüh­rungs­punk­te», sagt der 76-Jährige. Kinder würden durch ihre spon­ta­ne und direk­te Art viel aus älte­ren Perso­nen heraus­ho­len und diese auf eine ganz ande­re Weise akti­vie­ren, als es beispiels­wei­se Pfle­ge­fach­per­so­nen tun. «Und da heute längst nicht mehr jedes Kind regel­mäs­sig seine Gross­el­tern sieht, kann es im Gegen­zug von den Erfah­run­gen und Erin­ne­run­gen der älte­ren Perso­nen profitieren.»

«Der moder­ne Mensch hat oft die Erwar­tungs­hal­tung, dass Medi­zin alles kann.»

Felix Fust, pensio­nier­ter Hausarzt

Beim Älter­wer­den begleitet

Der Bäcker, der nach seiner Pensio­nie­rung einmal pro Woche in einer Kita kocht und davon begeis­tert ist. Oder ein Tier­lieb­ha­ber, der mit dem Hund eines über 80jährigen Mannes, der schlecht zu Fuss ist, spazie­ren geht, damit das Tier bei ihm blei­ben darf und nicht ins Tier­heim muss. Das sind Beispie­le, wie bei Zeit­gut Nach­bar­schafts­hil­fe geleis­tet wird. «Sich zu enga­gie­ren ist auch immer etwas, das einen selbst geis­tig und körper­lich fit hält. Unter Menschen zu sein und sich sozi­al einzu­brin­gen hält jung», sagt Felix Fust. «Aber neu ist diese Erkennt­nis ja nicht. Gesund alt werden ist seit Jahren eines der Trend­the­men in den Medi­en», sagt er und zieht einen weite­ren Zeitungs­ar­ti­kel hervor. Dieser listet Fakto­ren auf, die einen gesun­den Lebens­stil ausma­chen: Aktiv sein, sich gesund ernäh­ren und viel bewe­gen, nicht rauchen, wenig Alko­hol trin­ken, posi­ti­ve sozia­le Bezie­hun­gen pfle­gen, Stress redu­zie­ren und möglichst keine opio­id­hal­ti­gen Medi­ka­men­te zu sich nehmen sind eini­ge Empfeh­lun­gen, die genannt werden. «Als Arzt in Kirch­berg habe ich viele Menschen beim Älter­wer­den beglei­tet», sagt Felix Fust. «Dabei war gesund alt werden natür­lich eines der wich­ti­gen Themen. Wobei der moder­ne Mensch schon oft die Erwar­tungs­hal­tung hat, dass Medi­zin alles kann.» Beein­druckt hat ihn als Arzt auch, wie unter­schied­lich Perso­nen damit umge­gan­gen sind, wenn sie die Diagno­se einer unheil­ba­ren Krank­heit erhal­ten haben. «Oft kam dann bei meinen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten der Glau­be im tradi­tio­nel­len Sinn zum Vorschein. Über­rascht hat mich immer auch, wie viele ihr Schick­sal ange­nom­men statt damit geha­dert haben», sagt er. Als Gegen­bei­spiel sei ihm ein Geist­li­cher in Erin­ne­rung geblie­ben, dem es über­ra­schen­der­wei­se schwer­fiel seine Krank­heit zu akzep­tie­ren und der immer weite­re medi­zi­ni­sche Abklä­run­gen forderte.

Was da ist nutzen

Durch sein Enga­ge­ment bei Zeit­gut Toggen­burg ist Felix Fust weiter­hin nahe an den Lebens­geschichten der Menschen dran. «Ich kann sie bera­ten, ohne aber wie früher als Arzt alles lösen zu müssen. Das mache ich gerne und es gibt mir etwas zurück», sagt er. Projek­te und Visio­nen, die sich in Kirch­berg umset­zen lies­sen, hat Felix Fust eini­ge: So etwas wie den b’treff in Watt­wil hätte er gerne, also einen Ort mit nieder­schwel­li­gen Unter­stüt­zungs­an­ge­bo­ten und einem Begeg­nungs­ca­fé. Auch Rikscha­fahr­ten wie in Rorschach ­würde er gerne in Kirch­berg anbie­ten. Dabei unter­neh­men Frei­wil­li­ge mit einem umge­bau­ten ­­Lasten­ve­lo Ausfahr­ten mit Pfle­ge­heim­be­woh­ne­rin­nen und ‑bewoh­nern. «Die Über­al­te­rung und die Verein­sa­mung nehmen zu. Die Ressour­cen für frei­wil­li­ges Enga­ge­ment sind in der Gesel­schaft da. Das müssen wir nutzen.»

Kasten: In dem Verein Zeitgut-Toggenburg enga­gie­ren sich aktu­ell über 450 Frei­wil­li­ge in der Nach­bar­schafts­hil­fe. Die Stun­den, die sie leis­ten, bekom­men sie gutge­schrie­ben. Die Frei­wil­li­gen können diese bei Bedarf später selbst bezie­hen. 2016 wurde Zeitgut-Toggenburg in Lich­ten­steig gegrün­det. «Kirchberg-bewegt», in deren Rahmen Projek­te wie der Helsana-Trail oder ein neuer Generationen-Spielplatz eröff­net wurde, ist seit 2020 Mitglied. Ziel von Zeitgut-Toggenburg ist es, sich gene­ra­tio­nen­über­grei­fend für Nach­barn, Betag­te, Asyl-suchende, Fami­li­en, ja allge­mein für unse­re Mitmen­schen einzu­set­zen. → Infos unter zeitgut-toggenburg.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. April 2024

«Wie soll ich denn jetzt mein Prepaidhandy aufladen?»

Auch im Früh­ling 2024: Armuts­be­trof­fen trotz einem oder mehre­rer Jobs? Mit ihren Rund­gän­gen «unten_durch» mach­te die Cari­tas im Sommer 2023 in Bad Ragaz und Buchs deut­lich, dass dieses Schick­sal alle tref­fen kann. 2024 geht es weiter in Altstät­ten und Bütschwil (Daten siehe unten).

Donners­tag­abend in Bad Ragaz vor dem Rathaus: Eine Besu­cher­grup­pe wartet darauf, ihren Rund­gang durch den Ort zu star­ten. Plötz­lich wird man Zeuge einer laut­star­ken Ausein­an­der­set­zung. Eine junge Frau verwi­ckelt im Vorbei­ge­hen die Leite­rin vom Sozi­al­amt in einer nach­ge­stell­ten Szene in ein Gespräch. Mit einem Brief habe man ihr mitge­teilt, dass ihr erneut das Geld gekürzt werde. «Wie soll ich denn jetzt mein Prepaid­han­dy aufla­den?», fragt sie sicht­lich verzweifelt.

Abge­bro­che­ne Lehre

Ohne Geld auf dem Prepaid­han­dy und ohne Compu­ter und eige­nen Drucker sei es schwer, sich zu bewer­ben. Jede gekauf­te Kopie wie auch Zug- und Buskos­ten stra­pa­zier­ten ihr ohne­hin schon knap­pes Budget, sagt sie. Und dann erklärt sie den Umste­hen­den, wie die Einhal­tung von Fris­ten und die Erbrin­gung von Unter­la­gen für das Amt ihr das Leben schwer machen – insbe­son­de­re, wenn ihr Kind wieder einmal krank sei. Der Ursprung für ihre Mise­re, so erzählt sie den Zuhö­ren­den, sei eine Hirn­haut­ent­zün­dung während der Lehr­zeit gewe­sen. Sie habe die Lehre wegen der schlim­men Kopf­schmer­zen und damit verbun­de­nen Fehl­zei­ten nicht been­den können. Ihr Gesuch an die IV sei wieder­holt abge­lehnt worden, da Entzün­dun­gen und Schmer­zen nur sehr schwer nach­zu­wei­sen seien. Jede Arbeits­stel­le verlie­re sie deswe­gen bald wieder. Ihre Ratlo­sig­keit über­trägt sich aufs Publikum.

Stamm­tisch­the­sen

Zuge­ge­ben: die Szene ist nur gespielt, aber sie basiert auf wahren Bege­ben­hei­ten aus dem Bera­tungs­all­tag in der Regio­nal­stel­le der Cari­tas St. Gallen-Appenzell in Sargans. Romy Forlin (Thea­ter Romli) hat die Erfah­run­gen zu reali­täts­na­hen Dialo­gen auf der Stras­se verar­bei­tet und spielt diese nun gemein­sam mit ihren Kolle­gin­nen Lili­an Meier, Chia­ra Ilic-Meier und Carla Stoop. Dabei werden Stamm­tisch­the­sen und Vorur­tei­le aufge­wor­fen und anhand von realen Beispie­len wider­legt. So bekommt Armut in beson­de­rer Weise ein Gesicht. Schei­dung, Krank­heit und Arbeits­lo­sig­keit sind mögli­che Ursa­chen für die finan­zi­el­le Schief­la­ge. Lorenz Bertsch und Olivia Conrad von der Regio­nal­stel­le Sargans der Cari­tas St. Gallen-Appenzell unter­mau­ern die Szenen zu Themen wie Arbeit, Bildung und Gesund­heit an nahe­lie­gen­den Schau­plät­zen mit Fakten.

Armut macht einsam

Vor dem Super­markt wird deut­lich, dass Lebens­hal­tungs­kos­ten wie Miete, Kran­ken­kas­se und Lebens­mit­tel inner­halb der letz­ten 20 Jahre markant gestie­gen sind, während die Löhne im Tief­lohn­seg­ment konstant blie­ben. Betrach­tet man zudem, dass in manchen Jobs Präsenz auf Abruf oder über­mäs­si­ge Flexi­bi­li­tät bezüg­lich Arbeits­zeit oder Über­stun­den verlangt wird, so wird klar, warum dies die Gesund­heit gefähr­det. Die notwen­di­ge Zahn­span­ge fürs Kind, Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten und sozia­le Kontak­te werden zum uner­reich­ba­ren Luxus. Armut macht einsam. Es verwun­dert also nicht, dass oft der Bahn­hof zur Endsta­ti­on wird. Hier ist das Bier güns­tig und hier trifft man Menschen, die eben­falls «abem Char­rä gheit sin», wie es in der letz­ten Szene am Bahn­hof heisst. Hier findet man Schick­sals­ge­nos­sen mit Verständnis.

Text und Bild: Kath­rin Wetzig

Veröf­fent­licht: 19.07.2023

Aktua­li­siert: 23.04.2024

«unten_durch» 2024

4. Mai in Bütschwil und 18. Mai in Altstät­ten. Max. 20 Perso­nen pro Rund­gang. Weite­re Infos und Anmel­dung: https://caritas-regio.ch/ (Regi­on St.Gallen-Appenzell)

Ein Geschenk des Himmels

Die Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf dem Dach der katho­li­schen Kirche in Ober­egg wird im Mai zehn­jäh­rig. Die Ener­gie­quel­le hat eine beweg­te Geschich­te. Die trei­ben­de Kraft war unter ande­rem der Dorfpfarrer.

Ober­egg wird gerne als Unikat bezeich­net. Vom rest­li­chen Inner­rho­der Kantons­ge­biet abge­trennt hatte der Bezirk Ober­egg als Enkla­ve schon immer eine beson­de­re Stel­lung. Einen unkon­ven­tio­nel­len Weg wählt auch die Kirch­ge­mein­de in Bezug auf erneu­er­ba­re Ener­gien. Ein Rück­blick: An der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung vom 30. März 2012 votier­ten alle anwe­sen­den Bürge­rin­nen und Bürger einstim­mig für die geplan­te Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf Ober­eggs Kirchen­dach. Die Baube­wil­li­gung wurde sofort einge­reicht. Drei Mona­te später folg­te eine Einspra­che von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz. Walter Breu, Bau- und Sach­ver­stän­di­ger der Kirch­ge­mein­de Ober­egg, erin­nert sich: «Die Behör­den argu­men­tier­ten, die Kirche sei ein geschütz­tes Objekt und zudem habe der Orts­bild­schutz Vorrang.» Im Okto­ber hat die Stan­des­kom­mis­si­on den Rekurs von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz abge­wie­sen, dennoch wurde im Dezem­ber diesel­be Beschwer­de wieder­um einge­reicht, dieses Mal mit Unter­stüt­zung von zwei Archi­tek­ten. Dieser Rekurs wurde dann vom Kantons­ge­richt behan­delt und letzt­lich im Mai 2013 abge­wie­sen. Damit war der Weg für erneu­er­ba­re Ener­gien defi­ni­tiv frei­ge­räumt und im Mai 2014 konn­te die PV-Anlage in Betrieb genom­men werden.

Seit zehn Jahren ist auf dem Dach der Katho­li­schen Kirche Ober­egg eine Photo­vol­ta­ik­an­la­ge zu finden.

Ein enga­gier­ter Pfarrer

Der Ober­eg­ger Pfar­rer Johann Kühnis, der im Jahr 2022 verstarb, ist von Anfang an die trei­ben­de Kraft hinter diesem Projekt. Breu erklärt: «Er sah von seinem Wohn­zim­mer aus direkt aufs Kirchen­dach und war über­zeugt, dass die südli­che Lage perfekt wäre für eine Solar­an­la­ge. So ist die Idee entstan­den, die Sonnen­kraft als Quel­le für den hohen Ener­gie­ver­brauch der Kirche zu nutzen.» Nach den Einspra­chen setzt sich Kühnis öffent­lich für die PV-Anlage ein. Das St. Galler Tagblatt berich­tet damals über ihn: «Er ist der Meinung, dass die Kirche in Sachen erneu­er­ba­rer Ener­gie als Vorbild agie­ren soll­te und dass die vorge­se­he­ne Dach­flä­che vom Dorf aus nicht sicht­bar sei.» Kühnis bleibt auch nach seinem Tod als «Pate der PV-Anlage» und als belieb­ter Pfar­rer in Erin­ne­rung. Er habe sich bis zur fina­len Umset­zung des Projek­tes mit viel Herz­blut enga­giert: «Er hat sogar persön­lich mitge­hol­fen, die Panels zu montie­ren», berich­tet Breu. Zum Abschied von Kühnis sagte der Pfar­rei­lei­ter Albert Kappen­t­hul­er: «Es gäbe unend­lich vieles aufzu­zäh­len, was er geleis­tet hat. Das Wich­tigs­te aber ist, dass er immer Mensch geblie­ben ist, mit beiden Füssen auf dem Boden, fest verwur­zelt im Glau­ben, aber auch stets offen für das Alltäg­li­che und Gewöhn­li­che. Etwa für die Photovoltaik-Anlage auf dem Kirchen­dach oder ­einen Jass am Stammtisch.»

Ohne Zerti­fi­kat

«Die PV-Anlage besteht aus spezi­el­len Modu­len, die einer­seits sehr effi­zi­ent sind – sie liefern zirka 35 000 KW pro Jahr – und ande­rer­seits optisch sehr dezent wirken», weiss Mesmer Rolf Hoch­reu­te­ner. Rund 40 Prozent des eige­nen Ener­gie­ver­brau­ches können damit abge­deckt werden. Die Kirch­ge­mein­de Ober­egg lege gros­sen Wert auf einen scho­nen­den Umgang mit Ressour­cen. «Unser Kirch­turm wird beispiels­wei­se nur noch an Feier­tagen und nachts beleuch­tet und im Moment planen wir, die Beleuch­tung von ­Halo­gen auf LED umzu­stel­len», so Hoch­reu­te­ner. Auf die Frage, ob kirch­li­che Umwelt­prei­se oder Zerti­fi­zie­run­gen wie «Der Grüne Güggel» auch ein Thema in Ober­egg seien, vernei­nen die Verant­wort­li­chen: «Der Prozess bis zur Zerti­fi­zie­rung ist sehr personal- und kosten­in­ten­siv, wir nehmen lieber klei­ne Schrit­te in Angriff, die wir mit dem aktu­el­len Team bewäl­ti­gen können.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg. / Mauro Callegari

Veröf­fent­licht: 16. April 2024

Geschenketipps Erstkommunion

Was zur Erst­kom­mu­ni­on schen­ken? Was passt zu diesem beson­de­ren Fest?

Zoobe­such: Wer zur Erst­kom­mu­ni­on ein «gemein­sa­mes Erleb­nis» oder gemein­sam verbrach­te Zeit schenkt, sorgt für blei­ben­de Erin­ne­run­gen. Wohin woll­te das Erst­kom­mu­ni­ons­kind schon lange mal? In einen Zoo, in einen Frei­zeit­park oder in eine beson­de­re Stadt? Oder wünscht es sich einen Töpfer­kurs? Nicht verges­sen: ein gemein­sa­mes Erin­ne­rungs­bild machen!

Geld: Manche tun sich schwer damit, Geld zu schen­ken – und gera­de bei einem reli­giö­sen Fest? Doch sinn­vol­ler als «Staub­fän­ger» ist es auf jeden Fall. Die Kinder können moti­viert werden, das Geld zu sparen, um sich damit später etwas Grös­se­res zu kaufen.

Ein Kreuz oder Schmuck­stück: Geht das noch in der heuti­gen Zeit? Es ist erstaun­lich, wie viele Jugend­li­che und junge Erwach­se­ne auch heute noch, Anhän­ger oder ande­re Schmuck­stü­cke tragen, die sie zur Erst­kom­mu­ni­on oder Firmung erhal­ten haben. Nicht immer als reli­giö­ses Bekennt­nis, aber oft als Erin­ne­rung an das Fest, die Fami­lie und die Person, die ihm das Geschenk als Glücks­brin­ger über­reicht hat. Unbe­dingt gemein­sam mit dem Kind aussu­chen – so trifft man dessen Geschmack.

Bibel: Auch Menschen, die sie eher kirchen­fern sind, können Bibeln schen­ken: Eine Bibel kann zum Lebens­be­glei­ter werden. Sie enthält Tipps und Impul­se für alle Lebens­si­tua­tio­nen und jede Menge Zuver­sicht und Zuspruch. Im Buch­han­del sind heute viele moder­ne und alter­na­ti­ve Bibel­aus­ga­ben zu finden, die selbst Kinder und Fami­li­en anspre­chen, die sich mit trad­tio­nel­len Bibeln eher schwer tun. Tipp: «Die Kinder-Bibel – die beste Geschich­te aller Zeiten» von Georg Langen­horst, mit pfif­fi­gen Illus­tra­tio­nen von Tobi­as Krejtschi.

Fami­li­en­fest: Gemein­sa­me Zeit delu­xe: Anstatt nur das Kind beschen­ken, die ganze Fami­lie zu einem beson­de­ren Anlass oder Ausflug einla­den. Dann kann man gemein­sam die Erin­ne­run­gen an die Erst­kom­mu­ni­on teilen, Fotos anschau­en und das Zusam­men­sein noch­mals geniessen.

Bücher: Wem die Bibel zu fromm ist – oder wenn das Kind schon eine hat, für den gibt es auch viele ande­re Kinder­bü­cher, die auf kind­ge­rech­te Weise sich mit zentra­len Lebens­fra­gen beschäf­ti­gen, für Nächs­ten­lie­be und Mut moti­vie­ren. Fragen Sie am besten Ihre Büch­händ­le­rin oder Ihren Buch­händ­ler! (ssi)

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 12.04.2024

«Auch ich habe Vorurteile»

Robyn Jung, Ober­mi­nis­tran­tin in Henau, hat ihre Matu­ra­ar­beit immi­grier­ten Müttern und deren Inte­gra­ti­on gewid­met. Durch die Erfah­run­gen konn­te die 18-Jährige eige­ne Vorur­tei­le abbauen.

Wissen schafft Verständ­nis, Verständ­nis schafft Akzep­tanz – davon ist Robyn Jung über­zeugt. Die 18-Jährige schliesst im Sommer die Kantons­schu­le ab und hat sich inten­siv mit der Inte­gra­ti­on beschäf­tigt. Für ihre Matu­ra­ar­beit ist sie in das Leben immi­grier­ter Mütter einge­taucht – hat mit   einer Türkin Rama­dan gefei­ert und mit einer Ukrai­ne­rin einen Floh­markt veran­stal­tet. Entstan­den ist das Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) mit acht Portraits von Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. Ihr Fazit: «Für immi­grier­te Mütter ist es nicht einfach, sich in der Gesell­schaft zu inte­grie­ren und Beruf, Fami­lie und Privat­le­ben zu vereinen.» 

Robyn Jung hat ihre Matu­ra­ar­beit über immi­grier­te Mütter geschrie­ben. Sie weiss: «Für diese ist es nicht immer einfach, sich zu integrieren.»

Oft hätten junge Männer weni­ger Proble­me, würden von Behör­den Hilfe erhal­ten, schnel­ler in Sprach­kur­se inte­griert und bei der Jobsu­che unter­stützt. Bei Frau­en brau­che es mehr Selbst­in­itia­ti­ve. «Dabei über­neh­men die Mütter eine sehr wich­ti­ge Rolle. Sie erzie­hen die Kinder und formen deren Zukunft. Und damit unser aller Leben.» Kinder­er­zie­hung und Inte­gra­ti­on – bei immi­grier­ten Müttern blei­be häufig eines von beiden auf der Strecke.

Wie in der Schule

Robyn Jung ist in Henau bei Wil aufge­wach­sen. In der Pfar­rei enga­giert sie sich als Minis­tran­tin, seit einein­halb Jahren ist sie sogar Ober­mi­nis­tran­tin. Seit Kurzem ist sie zudem Leite­rin im Kinder­treff Kunter­bunt, einem Ange­bot der Pfar­rei. Sie ist in einer offe­nen Fami­lie gross gewor­den, macht die bilin­gua­le Matu­ra in Englisch und reist wie viele junge Menschen gerne in ferne Länder. Multi­kul­tu­ra­li­tät gehört für Robyn Jung zum Alltag, und dennoch sagt sie: «Auch ich habe Vorur­tei­le.» Eige­ne Vorstel­lun­gen brin­ge man nicht so einfach weg. Die Erleb­nis­se mit den Migran­tin­nen haben Eindruck hinterlassen. 

Im Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) porträ­tiert Robin Jung acht Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. 

Sie habe gelernt, wie wich­tig gegen­sei­ti­ges Inter­es­se und gegen­sei­ti­ge Bemü­hun­gen sind. «Die Migran­tin­nen und Migran­ten sind froh, wenn man Inter­es­se zeigt und mit ihnen in den Dialog tritt. So können Ängs­te abge­baut werden. Umge­kehrt müssen auch die Migran­tin­nen und Migran­ten offen sein und sich anpas­sen wollen.» Robyn Jung vergleicht es mit dem Berufs- oder Schul­all­tag. «Man muss nicht alle mögen, aber man muss mitein­an­der auskom­men. Dabei gibt es Grund­re­geln, an die wir uns alle halten müssen.»

Mit Best­no­te ausgezeichnet

Bei der Inte­gra­ti­on böten vor allem auch die Kirchen eine Chan­ce, so die junge Frau: «Reli­gi­on kann helfen, sich als Teil der Gemein­schaft zu fühlen. Zudem bieten Kirchen oft viele Möglich­kei­ten zur Parti­zi­pa­ti­on.» Robyn Jung ist dank­bar, dass sie die Erfah­run­gen im Rahmen ihrer Matu­ra­ar­beit machen konnte. 

Robyn Jung konn­te in den Gesprä­chen mit den immi­grier­ten Müttern Vorur­tei­le abbauen.

Diese wurde nicht ohne Grund mit der Best­no­te ausge­zeich­net. Im Janu­ar hat sie eine Podi­ums­dis­kus­si­on in Wil veran­stal­tet, an der auch der Wiler Stadt­rat Dario Sulzer, Vorste­her des Depar­te­ments Gesell­schaft und Sicher­heit, und Clau­dia Nef, Geschäfts­füh­re­rin des Träger­ver­eins Inte­gra­ti­ons­pro­jek­te St. Gallen, teil­nah­men. Zu den portrai­tier­ten Frau­en hat Robyn Jung immer noch Kontakt und sie denkt gerne an die gemein­sa­men Erleb­nis­se zurück. Sie ist über­zeugt: «Das Leben mit zwei Kultu­ren bringt viele Vortei­le. Man kann aus beiden das Beste herausnehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 8. April 2024

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