«Wie soll ich denn jetzt mein Prepaidhandy aufladen?»

Auch im Früh­ling 2024: Armuts­be­trof­fen trotz einem oder mehre­rer Jobs? Mit ihren Rund­gän­gen «unten_durch» mach­te die Cari­tas im Sommer 2023 in Bad Ragaz und Buchs deut­lich, dass dieses Schick­sal alle tref­fen kann. 2024 geht es weiter in Altstät­ten und Bütschwil (Daten siehe unten).

Donners­tag­abend in Bad Ragaz vor dem Rathaus: Eine Besu­cher­grup­pe wartet darauf, ihren Rund­gang durch den Ort zu star­ten. Plötz­lich wird man Zeuge einer laut­star­ken Ausein­an­der­set­zung. Eine junge Frau verwi­ckelt im Vorbei­ge­hen die Leite­rin vom Sozi­al­amt in einer nach­ge­stell­ten Szene in ein Gespräch. Mit einem Brief habe man ihr mitge­teilt, dass ihr erneut das Geld gekürzt werde. «Wie soll ich denn jetzt mein Prepaid­han­dy aufla­den?», fragt sie sicht­lich verzweifelt.

Abge­bro­che­ne Lehre

Ohne Geld auf dem Prepaid­han­dy und ohne Compu­ter und eige­nen Drucker sei es schwer, sich zu bewer­ben. Jede gekauf­te Kopie wie auch Zug- und Buskos­ten stra­pa­zier­ten ihr ohne­hin schon knap­pes Budget, sagt sie. Und dann erklärt sie den Umste­hen­den, wie die Einhal­tung von Fris­ten und die Erbrin­gung von Unter­la­gen für das Amt ihr das Leben schwer machen – insbe­son­de­re, wenn ihr Kind wieder einmal krank sei. Der Ursprung für ihre Mise­re, so erzählt sie den Zuhö­ren­den, sei eine Hirn­haut­ent­zün­dung während der Lehr­zeit gewe­sen. Sie habe die Lehre wegen der schlim­men Kopf­schmer­zen und damit verbun­de­nen Fehl­zei­ten nicht been­den können. Ihr Gesuch an die IV sei wieder­holt abge­lehnt worden, da Entzün­dun­gen und Schmer­zen nur sehr schwer nach­zu­wei­sen seien. Jede Arbeits­stel­le verlie­re sie deswe­gen bald wieder. Ihre Ratlo­sig­keit über­trägt sich aufs Publikum.

Stamm­tisch­the­sen

Zuge­ge­ben: die Szene ist nur gespielt, aber sie basiert auf wahren Bege­ben­hei­ten aus dem Bera­tungs­all­tag in der Regio­nal­stel­le der Cari­tas St. Gallen-Appenzell in Sargans. Romy Forlin (Thea­ter Romli) hat die Erfah­run­gen zu reali­täts­na­hen Dialo­gen auf der Stras­se verar­bei­tet und spielt diese nun gemein­sam mit ihren Kolle­gin­nen Lili­an Meier, Chia­ra Ilic-Meier und Carla Stoop. Dabei werden Stamm­tisch­the­sen und Vorur­tei­le aufge­wor­fen und anhand von realen Beispie­len wider­legt. So bekommt Armut in beson­de­rer Weise ein Gesicht. Schei­dung, Krank­heit und Arbeits­lo­sig­keit sind mögli­che Ursa­chen für die finan­zi­el­le Schief­la­ge. Lorenz Bertsch und Olivia Conrad von der Regio­nal­stel­le Sargans der Cari­tas St. Gallen-Appenzell unter­mau­ern die Szenen zu Themen wie Arbeit, Bildung und Gesund­heit an nahe­lie­gen­den Schau­plät­zen mit Fakten.

Armut macht einsam

Vor dem Super­markt wird deut­lich, dass Lebens­hal­tungs­kos­ten wie Miete, Kran­ken­kas­se und Lebens­mit­tel inner­halb der letz­ten 20 Jahre markant gestie­gen sind, während die Löhne im Tief­lohn­seg­ment konstant blie­ben. Betrach­tet man zudem, dass in manchen Jobs Präsenz auf Abruf oder über­mäs­si­ge Flexi­bi­li­tät bezüg­lich Arbeits­zeit oder Über­stun­den verlangt wird, so wird klar, warum dies die Gesund­heit gefähr­det. Die notwen­di­ge Zahn­span­ge fürs Kind, Frei­zeit­ak­ti­vi­tä­ten und sozia­le Kontak­te werden zum uner­reich­ba­ren Luxus. Armut macht einsam. Es verwun­dert also nicht, dass oft der Bahn­hof zur Endsta­ti­on wird. Hier ist das Bier güns­tig und hier trifft man Menschen, die eben­falls «abem Char­rä gheit sin», wie es in der letz­ten Szene am Bahn­hof heisst. Hier findet man Schick­sals­ge­nos­sen mit Verständnis.

Text und Bild: Kath­rin Wetzig

Veröf­fent­licht: 19.07.2023

Aktua­li­siert: 23.04.2024

«unten_durch» 2024

4. Mai in Bütschwil und 18. Mai in Altstät­ten. Max. 20 Perso­nen pro Rund­gang. Weite­re Infos und Anmel­dung: https://caritas-regio.ch/ (Regi­on St.Gallen-Appenzell)

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch