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Wachsreste für die Ukraine

Die Ukrai­ne­rin Nata­lia Moser hat im vergan­ge­nen Jahr eine Hilfs­ak­ti­on gestar­tet. Dabei konn­te sie auf die Unter­stüt­zung der ­Pfar­rei Berschis-Tscherlach zählen. Im Novem­ber wurde das Projekt zum ­zwei­ten Mal durchgeführt.

«Haben Sie Kerzen­res­te?» Welch gros­se Wirkung eine solch einfa­che Anfra­ge haben kann, zeigt das Beispiel von Nata­lia Moser. Die 51-Jährige wohnt seit 22 Jahren in Tscher­lach und hat in der klei­nen Gemein­de am Walen­see im vergan­ge­nen Jahr eine Hilfs­ak­ti­on ins Leben geru­fen. Mehre­re hundert Kilo­gramm Wachs­res­te wurden auf ihre Initia­ti­ve hin in den umlie­gen­den Pfar­rei­en gesam­melt und in Mosers Heimat­land zu Kerzen verar­bei­tet. Aber von Anfang an: Nata­lia Moser stammt aus der Ukrai­ne – jenem Land, das seit Jahren unter den Angrif­fen von Russ­land leidet. Sie verfolgt die Nach­rich­ten aus dem Heimat­land aufmerk­sam und mit gros­sem Schmerz. «Die Bilder zu sehen, tut unheim­lich weh. Die Situa­ti­on macht einen ohnmäch­tig. Man versteht das alles gar nicht», sagt sie. Den Menschen in der Ukrai­ne fehle es am Notwen­digs­ten. «Es gibt vieler­orts keinen Strom und kein Wasser.» Als Nata­lia Moser im vergan­ge­nen Jahr eine Anfra­ge von ihrer Freun­din Lesja Berger aus dem Rhein­tal erreich­te, ob sie eine Sammel­ak­ti­on für Wachs­res­te star­ten könne, zöger­te sie keine Sekun­de. «Es ist nicht viel, das ich hier machen kann. Aber wenn ich helfen kann, dann helfe ich», sagt Moser.

Spezi­el­le Herstellungstechnik

Die Wachs­res­te werden in der Ukrai­ne gebraucht, um eine Art Hinden­burg­licht herzu­stel­len. Dieses wurde schon im Ersten Welt­krieg einge­setzt, um in Luft­schutz­bun­kern oder Schüt­zen­grä­ben für eine Notbe­leuch­tung zu sorgen. Die Kerzen­res­te werden via das Rhein­tal an Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen in der Ukrai­ne gelie­fert. Diese schmel­zen das Wachs ein und gies­sen es in leere Konser­ven­do­sen. Als Docht fungie­ren Karton­strei­fen, welche – teils spiral­för­mig oder als Paar – in den noch heis­sen Wachs geführt werden. Durch die spezi­el­le Herstel­lungs­tech­nik sollen die Kerzen für mehr Hellig­keit sorgen. «Licht und Wärme sind sehr wich­tig für die Menschen in der Ukrai­ne. Vor allem jetzt im Winter.» Die Kerzen werden gemäss Nata­lia Moser in ehren­amt­li­cher Arbeit gefer­tigt und kosten­los an die Bevöl­ke­rung verteilt. «Es ist eine einfa­che Sache mit gros­ser Wirkung.»

Pfar­rei koor­di­niert Sammlung

Schnell war für Nata­lia Moser klar, dass sie für die Akti­on Unter­stüt­zung bei der katho­li­schen Kirche sucht. In Pavel Zupan aus der Pfar­rei Berschis-Tscherlach hat sie eine wert­vol­le Unter­stüt­zung gefun­den. Zupan war sofort Feuer und Flam­me für das Projekt und koor­di­nier­te die Samm­lung fort­an. Der Trans­port wurde im Rhein­tal orga­ni­siert. Zu den 250 Kilo­gramm gesam­mel­ten Wachs­res­ten spen­de­te die Hong­ler Kerzen AG aus Altstät­ten noch­mals 250 Kilo­gramm Wachs und so fand im vergan­ge­nen Jahr schliess­lich eine  halbe Tonne Mate­ri­al den Weg in die Ukrai­ne. «Das Wohl­wol­len und die Unter­stüt­zung war riesen­gross. Ich hätte nie damit gerech­net, dass so viel Wachs zusam­men­kommt», sagt Nata­lia Moser. Sie hat in der Schweiz eine neue Heimat gefun­den. Ande­ren geht es nicht so. «Viele Menschen, die geflo­hen sind, wollen wieder heim.» Die Hilfs­ak­ti­on wurde diesen Novem­ber zum zwei­ten Mal durch­ge­führt. ­Nata­lia Moser ist dank­bar für die Hilfe aus der Pfar­rei und spricht zum Schluss noch eine ande­re wich­ti­ge Kompo­nen­te an: «Das Projekt zeigt den Menschen in der Ukrai­ne, dass sie nicht verges­sen werden.»

Die Sammel­ak­ti­on dauert bis Janu­ar. Wachs­res­te und Kerzen können an folgen­den Sammel­stel­len abge­ge­ben werden: Kath. Kirche Lauren­ti­us Flums; Kath. Kirche Johan­nes der Täufer Murg; Kath. Kirche Johan­nes Evan­ge­list Tscher­lach; Kath. Kirche Luzi­us und Florin Walen­stadt, Kath. Pfarr­amt Berschis, Allm­end­stras­se 16.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Regi­na Kühne
Veröf­fent­li­chung: 1. Dezem­ber 2023

«Traditionen stiften Identität»

Nicht nur der Advent und die Weih­nachts­zeit, sondern unser ganzes Leben ist von Tradi­tio­nen geprägt. Im Inter­view erklärt Manue­la Reiss­mann, Fach­ver­ant­wort­li­che der kanto­na­len Fach­stel­le Kultur­er­be St. Gallen, warum Tradi­tio­nen für unse­re Gesell­schaft wich­tig sind.

Wie entste­hen Traditionen?

Manue­la Reiss­mann: Wenn beispiels­wei­se bestimm­te Kennt­nis­se, Werte oder Über­zeu­gun­gen, Ereig­nis­se oder Tätig­kei­ten von mehre­ren Menschen regel­mäs­sig wieder­holt und weiter­ge­ge­ben werden, können sich daraus über den Zeit­raum von mehre­ren Gene­ra­tio­nen Tradi­tio­nen bilden. Die Grün­de für die Entste­hung von Tradi­tio­nen sind dabei sicher so viel­fäl­tig wie die Tradi­tio­nen selbst.

Was können solche Grün­de für neue ­Tradi­tio­nen sein?

Manue­la Reiss­mann: Die Alpwirt­schaft zum Beispiel brach­te verschie­de­ne Tradi­tio­nen hervor wie die Alpfahr­ten, Betru­fe und die Käse­pro­duk­ti­on. Das Wissen um land­wirt­schaft­li­che oder hand­werk­li­che Tech­ni­ken konn­te das Einkom­men sichern. Aus der Notwen­dig­keit von Hirten und Bauern, in den Bergen über weite Entfer­nun­gen zu kommu­ni­zie­ren, entstand das Alphorn­spie­len und vermut­lich auch der Jodel. Dann gibt es zahl­rei­che Bräu­che im Zusam­men­hang mit den Jahres­zei­ten, wie die Fasnachts­bräu­che zum Vertrei­ben des Winters. Und natür­lich spie­len auch die Reli­gio­nen eine wich­ti­ge Rolle bei der Entste­hung von Tradi­tio­nen, wie beispiels­wei­se das Chris­ten­tum beim Weih­nachts­fest, das heute in vielen Ländern gefei­ert wird.

Wann spricht man von einer Tradition?

Manue­la Reiss­mann: Hinter dem Begriff «Tradi­ti­on» verber­gen sich Bräu­che, Gepflo­gen­hei­ten, Fertig­kei­ten und Ausdrucks­for­men, die inner­halb einer Grup­pe oder Gemein­schaft gelebt, gepflegt und von einer Gene­ra­ti­on an die nächs­te weiter­ge­ge­ben werden. Tradi­tio­nen finden sich in verschie­de­nen Berei­chen und umfas­sen beispiels­wei­se Formen des Musi­zie­rens, Bräu­che und Kennt­nis­se in land­wirt­schaft­li­chen Berei­chen, Tradi­tio­nen im Zusam­men­hang mit den Jahres­zei­ten und hand­werk­li­che Fertig­kei­ten. Sie können unter ande­rem in Fami­li­en, durch Träger­schaf­ten wie Verei­ne, Berufs­grup­pen, reli­giö­se Gemein­schaf­ten sowie durch Gemein­den oder Regio­nen ausge­übt und weiter­ent­wi­ckelt werden.

Wie wich­tig sind Tradi­tio­nen für uns?

Manue­la Reiss­mann: Welche Bedeu­tung Tradi­tio­nen beigemes­sen wird, ist sehr unter­schied­lich. Für manche mag es eher nach etwas Verstaub­tem und Über­flüs­si­gem klin­gen, ande­re setzen sich inten­siv für ihre Bewah­rung und Über­lie­fe­rung ein. Bei den meis­ten Menschen dürf­te die Verbun­den­heit mit Tradi­tio­nen wohl irgend­wo dazwi­schen liegen. Grund­sätz­lich kann man aber sagen, dass Tradi­tio­nen Iden­ti­tät stif­ten und die Zusam­men­ge­hö­rig­keit in einer Gemein­schaft stär­ken sowie Orien­tie­rung und Stabi­li­tät vermit­teln können. Durch sie erhal­ten wir Infor­ma­tio­nen zu unse­rer Herkunft und Geschich­te und können somit aus der Vergan­gen­heit lernen und einen Nutzen für die Gestal­tung unse­rer Gegen­wart und viel­leicht auch Zukunft gewinnen.

Wie stark hängen Tradi­tio­nen und Erwar­tungs­hal­tun­gen zusammen?

Manue­la Reiss­mann: Tradi­tio­nen und Erwar­tungs­hal­tun­gen können auf verschie­de­ne Weise zusam­men­hän­gen. Dazu gehö­ren sicher die Erwar­tun­gen an Perso­nen einer Gemein­schaft, dass tradier­te Regeln, Gepflo­gen­hei­ten oder Prak­ti­ken beibe­hal­ten und fort­ge­führt werden. So haben viele Menschen bestimm­te Ritua­le, Abläu­fe und Spei­sen für das Weih­nachts­fest, vieles davon wurde über Gene­ra­tio­nen weiter­ge­ge­ben. Auch daran sind Erwar­tun­gen geknüpft, zum Beispiel Besinn­lich­keit und Gebor­gen­heit im Krei­se der Liebs­ten zu erfah­ren und zu bewah­ren. Es lässt sich wohl sagen, dass Erwar­tungs­hal­tun­gen dazu beitra­gen können, dass Tradi­tio­nen erhal­ten blei­ben oder aber auch dazu, dass sie abge­lehnt werden, zum Beispiel dann, wenn sie persön­li­chen Werten zu stark entgegenstehen.

Wann verän­dern sich Traditionen?

Manue­la Reiss­mann: Tradi­tio­nen müssen sich manch­mal ändern, um weiter fort­be­stehen zu können. Manch­mal endet eine Tradi­ti­on auch. Ob und wie sich Tradi­tio­nen ändern, hängt von verschie­de­nen Einfluss­fak­to­ren ab. Dies können beispiels­wei­se die bereits erwähn­ten Erwar­tungs­hal­tun­gen, neue tech­no­lo­gi­sche Errun­gen­schaf­ten oder kultu­rel­ler Wandel, verän­der­te Werte, Bedürf­nis­se und Lebens­wei­sen sein, die auf eine Tradi­ti­on wirken. Eben­so kann die kommer­zi­el­le oder touris­ti­sche Verwer­tung einer Tradi­ti­on diese verän­dern oder aber auch vermeint­lich authen­tisch erhal­ten. Das Inter­es­se der jeweils jünge­ren Gene­ra­ti­on an einer Tradi­ti­on sowie die Art, wie diese das Über­lie­fer­te für sich inter­pre­tiert, lebt und weiter­ent­wi­ckelt, ist eben­falls von gros­ser Bedeutung.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 23. Novem­ber 2023

Fröhliche Weihnachten für alle

Nicht alle schau­en Weih­nach­ten freu­dig entge­gen: Eini­ge fühlen sich einsam, kämp­fen mit ­finan­zi­el­len Engpäs­sen, sind gestresst wegen den Vorbe­rei­tun­gen oder befürch­ten fami­liä­re Konflik­te. Das Pfar­rei­fo­rum zeigt, wie Pfar­rei­en und Privat­per­so­nen an Heilig­abend für diese Menschen da sind.

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Leserfrage: Würden Sie wieder Theologie studieren?

Ein langer Prozess liess mich step by step auf dem drit­ten Bildungs­weg Theo­lo­gie studie­ren. Es war eine genia­le, ­inter­es­san­te Zeit, für die ich sehr dank­bar bin.

Ursprüng­lich war der Abschluss zur Theo­lo­gin nicht geplant. Er ist gewor­den dank vielen Menschen und Erfah­run­gen auf dem Weg. Da waren junge Menschen. Es waren Erfah­run­gen als Mutter, die mich den mütterlich-väterlichen Gott entde­cken lies­sen. Da waren aber auch die Menschen im Alters- und Pfle­ge­heim, die ich in den Tod beglei­ten durf­te. Die Not der ster­ben­den Menschen, die sich in Sätzen zeig­te wie: «Schwes­ter Judith, brin­gen Sie mir nie einen Pries­ter!» oder die Aussa­ge von Frau­en: «Wie schön, Sie dürfen eine theo­lo­gi­sche Ausbil­dung machen – ich wäre so gerne Pries­te­rin gewor­den» haben mich dazu gedrängt, den Abschluss zu machen. Ich woll­te und will den Menschen, denen Gott – einfach durch ihr Mensch­sein und beson­ders in der Taufe – die könig­li­che, prophe­ti­sche und pries­ter­li­che Würde ein für alle Mal zuge­spro­chen hat, Raum und Stim­me geben.

Die aktu­el­le Situa­ti­on in der Kirche?

Die Miss­brauchs­stu­die – sie hat mich nicht über­rascht. Ich verste­he die Menschen, die den Kirchen­aus­tritt geben. Dabei geht es nicht um den Austritt aus dem Glau­ben, es geht um die Unglaub­wür­dig­keit unse­rer kirch­li­chen Struk­tu­ren. Leider sind sich die Austre­ten­den oft nicht bewusst, dass sie damit haupt­säch­lich die Pfar­rei­en vor Ort schwä­chen, denn nur ein ganz klei­ner Teil der Kirchen­steu­er geht ans Bistum oder noch weiter. Ich bin aber auch für all jene dank­bar, die trotz allem blei­ben, uns so in der Pfar­rei­ar­beit unter­stüt­zen und dadurch Hoffnungsträger:innen sind. Die Welt­syn­ode, die momen­tan in Rom statt­fin­det: Was ich da erwar­te? Ein Wunder!

Warum ich immer noch in der Kirche arbeite?

Weil für mich der christ­li­che Glau­be das Poten­zi­al hat, Sinn und Hoff­nung in frohe und in schwie­ri­ge Lebens­si­tua­tio­nen zu geben. Und weil ich mich freue, in all diesen unter­schied­li­chen Situa­tio­nen Menschen beglei­ten zu dürfen. Weil da Menschen sind vor Ort, die mitein­an­der und fürein­an­der da sind. Weil ich dank­bar bin fürs Team, die Räte und Ehren­amt­li­chen, dass wir einan­der unter­stüt­zen. Weil da Menschen sind, die aufste­hen für not-wendende Refor­men in der Kirche. Ich denke an die Junia-Initiative, Maria 2.0, die Alli­anz gleich­wür­dig katho­lisch, «So nicht!» und viele mehr. Weil ich dank­bar bin für die vielen, die beten und mit denen ich beten darf und so im Vertrau­en auf Gottes Geist­kraft die Anlie­gen der Welt vor ihn brin­gen. Auch wenn immer wieder düste­re Wolken über der Kirche und unse­rem Leben krei­sen, so wünsche ich uns allen das Vertrau­en in die Lebens- und Liebes­kraft. Ich wünsche uns allen den Mut, für nöti­ge Verän­de­run­gen einzu­ste­hen und die Hoff­nung und Zuver­sicht, dass Gottes Geist­kraft uns begleitet.

Judith Romer-Popp
Seel­sor­ge­rin, Seel­sor­ge­ein­heit Steinerburg

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Veröf­fent­li­chung: 10. Novem­ber 2023

Adventsengel

Die 3. Ober­stu­fen­schü­le­rin­nen der Mait­li­sek Gossau haben für den Advent 2023 eine Advents­bei­la­ge für das Pfar­rei­fo­rum gestaltet.

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Halbwissen schafft Konflikte

Das Thea­ter St. Gallen bringt zwei Stücke zum Thema Tod auf die Bühne. Bei beiden spielt die Schau­spie­le­rin Diana Deng­ler eine tragen­de Rolle. Die Proben verlang­ten ihr eini­ges ab.

Diana Deng­ler kommt mit dem Velo. Sie wirkt ange­spannt, hat nur kurz Zeit. «Ich komme direkt von der Probe. Es sind inten­si­ve Tage», sagt sie. Ab Novem­ber spielt die in St. Gallen wohn­haf­te Schau­spie­le­rin die Haupt­rol­le im Stück «Die Ärztin» am Thea­ter St. Gallen. Ab Dezem­ber über­nimmt sie zudem eine Rolle in «Gott» nach dem Erfolgs­au­tor Ferdi­nand von Schi­rach. Beide Stücke brin­gen das Thema Tod und Selbst­be­stim­mung auf die Bühne. Themen, die Diana Deng­ler wich­tig sind, die ihr aber auch eini­ges abver­lan­gen: «Die Proben sind anders als sonst. Sie kosten mehr Kraft.» Man befas­se sich acht Stun­den am Tag mit der Thema­tik. «Das muss man aushal­ten können.» Deng­ler spielt mit einem Ensem­ble von zehn bezie­hungs­wei­se neun Perso­nen jegli­chen Alters. Die Ältes­ten sind an die 90 Jahre alt, die Jüngs­ten knapp voll­jäh­rig. «Bei allen löst die Thema­tik etwas aus.»

Gemein­sam erfahren

In den Stücken geht es um Fragen wie: Darf man seinem Leben ein Ende setzen, wenn man dessen über­drüs­sig ist? Wer entschei­det, wann ich ster­ben darf und wie der Tod auszu­se­hen hat? Oder: Wo sind die Gren­zen meiner Selbst­be­stim­mung? Die Themen sind Deng­ler nicht fremd. Sie hat selber bereits zwei Menschen beim Ster­be­pro­zess beglei­tet. «Ich habe Respekt vor diesen Themen. Aber es sind Themen, die unwei­ger­lich zum Leben gehö­ren», sagt sie. 

Die St. Galler Schau­spie­le­rin Diana Deng­ler befasst sich ­dieser Tage viel mit den ­Themen Tod und Selbstbestimmung.

Trotz der Schwe­re der Kost: Für die 55-Jährige haben die beiden Thea­ter­stü­cke auch etwas Befrei­en­des. «Man wird nicht allei­ne gelas­sen mit den Themen, hat einen gemein­sa­men Rahmen. Einen geteil­ten Raum. Es ist wie bei einem Gottes­dienst in der Kirche. Es ist ein gemein­sa­mes Erfah­ren. Man teilt Freud und Leid miteinander.»

Verste­hen lernen

Diana Deng­ler hofft und wünscht sich, dass die beiden Thea­ter­stü­cke nach­hal­tig wirken. «Dass sie eine Diskus­si­on in der Bevöl­ke­rung auslö­sen.» In den Stücken werden immer mehre­re Posi­tio­nen und Meinun­gen vertre­ten. «Alle Posi­tio­nen werden respekt­voll behan­delt und es gibt kein Schwarz und Weiss. Die verschie­de­nen Meinun­gen haben Platz. Es geht also darum, sich Gedan­ken zu machen und sich selbst zu reflek­tie­ren.» In den beiden Stücken geht es auch um den Zwie­spalt zwischen beruf­li­chen Verpflich­tun­gen und persön­li­chen Ansich­ten. Um Meinungs­ver­schie­den­hei­ten. Darum, das Gegen­über zu akzep­tie­ren. Dass es im Leben unter­schied­li­che Ansich­ten gibt, ist Diana Deng­ler klar. Man müsse lernen, das Gegen­über zu verste­hen und diesem zuzu­hö­ren. «Alles ist im Wandel. So auch die Kirche oder der Tod. Wissen macht es einfa­cher zu verste­hen. Halb­wis­sen schafft eine aggres­si­ve Haltung.» Um die Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er auch nach dem Thea­ter­be­such nicht mit dem Thema allei­ne zu lassen, sind Gesprächs­rei­hen mit Exper­tin­nen und Exper­ten geplant. Denn: Egal wie man zum Tod steht und welche Meinung man über Ster­be­hil­fe hat: Das Wich­ti­ge ist, darüber zu reden. Die Themen betref­fen uns alle.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Regi­na Kühne
Veröf­fent­li­chung: 5. Novem­ber 2023

Das Risiko gut abwägen

Die Bischö­fe mit der Blocka­de der Kirchen­steu­ern unter Druck setzen? Auf mehr ­Mitspra­che­recht beim St. Galler Bischofs­wahl­recht pochen? Rapha­el Kühne, Admi­nis­tra­ti­ons­rats­prä­si­dent des ­Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils, will bei der Miss­brauchs­auf­ar­bei­tung lieber auf ande­re Wege setzen.

Eine Kirch­ge­mein­de aus dem Kanton Luzern will den Teil der Kirchen­steu­ern, die sie an das Bistum Basel weiter­lei­ten müss­te, blockie­ren und fordert damit vom Bistum grund­le­gen­de Mass­nah­men bei der Aufar­bei­tung der Miss­bräu­che und einen Struk­tur­wan­del. Dieses Beispiel scheint auch Kirch­ge­mein­den im Bistum St. Gallen auf den Plan geru­fen zu haben. Ende Septem­ber hat der Admi­nis­tra­ti­ons­rat des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen alle Kirch­ge­mein­den aufge­ru­fen, auf solche Mass­nah­men zu verzich­ten. «Aus unse­rer Sicht macht es den Bischö­fen mehr Eindruck, wenn eine Insti­tu­ti­on wie der Konfes­si­ons­teil aktiv wird, als wenn eine einzel­ne Kirch­ge­mein­de Druck ausübt», sagt Rapha­el Kühne, Präsi­dent des Admi­nis­tra­ti­ons­ra­tes im Inter­view mit dem Pfar­rei­fo­rum. Doch: Kirchen­steu­er­gel­der an den Bischof zu blockie­ren, das ist für die katho­li­sche Kanto­nal­kir­che momen­tan kein Thema.

Gemein­sam mit RKZ

«Wir fordern gemein­sam mit der RKZ, dem Zusam­men­schluss aller Kanto­nal­kir­chen, bei den Bischö­fen struk­tu­rel­le Verän­de­run­gen ein. Aus meiner Sicht sind sich die Bischö­fe durch­aus bewusst, welche Stär­ke wir haben. Druck mit den Kirchen­steu­ern auszu­üben, wäre wirk­lich das letz­te Mittel.» Die gröss­ten Mitglie­der der RKZ – die Kanto­nal­kir­chen des Kantons Zürich, Luzern, Aargau und St. Gallen – ziehen laut Kühne am glei­chen Strang und gera­de deshalb müsse die Kraft dieser Zusam­men­ar­beit genutzt werden. Das nächs­te RKZ-Treffen finde im Novem­ber statt, das Thema sei traktandiert.

Einzig­ar­ti­ges Bischofswahlrecht

Gera­de was die Situa­ti­on im Bistum St. Gallen betrifft, rät Rapha­el Kühne zur Vorsicht: Das St. Galler Bischofs­wahl­recht ist welt­weit einzig­ar­tig. In St. Gallen wählt das Domka­pi­tel den Bischof, das Kolle­gi­um (das Parla­ment der Katho­li­kin­nen und Katho­li­ken) hat Mitspra­che­mög­lich­kei­ten. Grund­la­ge dafür ist die päpst­li­che Bulle von 1847. «Wenn dem Bischof Kirchen­steu­ern gekürzt oder vorent­hal­ten werden, besteht das Risi­ko, dass der Vati­kan dies als Verlet­zung der Bestim­mun­gen der Bulle in Frage stellt und daraus verlan­gen könn­te, dass die Bischofs­wahl wie in ande­ren Bistü­mern abläuft, und also der Papst den Bischof ohne Betei­li­gung der staats­kir­chen­recht­li­chen Seite wählt», so Rapha­el Kühne. Aus seiner Sicht sei deshalb das Risi­ko grös­ser als ein mögli­cher Zuge­winn der demo­kra­ti­schen Mittel und Trans­pa­renz, wie sie aktu­ell die St. Galler Bewe­gung «So nicht!» (zum Beitrag) einfor­dert.

Keine Kampa­gne geplant

Während der Konfes­si­ons­teil in den vergan­ge­nen Jahren mit verschie­de­nen Initia­ti­ven die Bevöl­ke­rung über die Verwen­dung der Kirchen­steu­ern infor­miert wie beispiels­wei­se mit der gros­sen Image­kam­pan­ge «Den Kirchen­steu­ern sei dank», ist es momen­tan merk­wür­dig still. Müss­te die Kanto­nal­kir­che in dieser Krisen­zeit den Kirch­ge­mein­den nicht mehr Rücken­de­ckung geben? «Die Öffent­lich­keit darüber zu infor­mie­ren, was die Kirchen­steu­ern vor Ort bewir­ken, ist für uns ein wich­ti­ges Anlie­gen», betont Rapha­el Kühne. Mit einem Austritt bestra­fe man nämlich nicht den Papst, sondern die Insti­tu­tio­nen und das viel­fäl­ti­ge Enga­ge­ment vor Ort – von den Kirchen­steu­ern flies­se kein einzi­ger Fran­ken nach Rom. «Deshalb haben wir vor einem Jahr die Kommu­ni­ka­ti­on­s­tel­le ausge­baut. Unser Kommu­ni­ka­ti­ons­be­auf­trag­te hat gera­de in den letz­ten Wochen in Medi­en­mit­tei­lun­gen an verschie­de­nen Beispie­len sicht­bar gemacht, welche wich­ti­gen Aufga­ben die Kirchen­steu­ern ermög­li­chen: sozia­le Aufga­ben, Kultur und Bildung.» Er sieht die Wich­tig­keit von Kampa­gnen, doch müsse dafür auch der rich­ti­ge Zeit­punkt gefun­den werden. «Im falschen Moment kann so eine Kampa­gne auch das Gegen­teil vom Gewünsch­ten auslösen.»

Text: Stephan Sigg

Bild: Roger Fuchs

Veröf­fent­licht: 27.10.2023

Verzicht auf Wiederwahl

Der Flawi­ler Rapha­el Kühne verzich­tet auf eine Wieder­wahl im Admi­nis­tra­ti­ons­rat für die Legis­la­tur­pe­ri­ode 2024 bis 2027. Ende des Jahres, dann im 68. Alters­jahr stehend, wird der Jurist auf 9,5 Jahre im Admi­nis­tra­ti­ons­rat zurück­bli­cken können. Seit 2020 amtet er als Präsi­dent, zuvor oblag ihm als Mitglied das Ressort «Kirch­ge­mein­den und Aufsicht». Rapha­el Kühne: «Nach über vier­zig Jahren Berufs­le­ben als Rechts­an­walt und dabei auch stets im Diens­te der Öffent­lich­keit wirkend – 16 Jahre als Präsi­dent im Kirchen­ver­wal­tungs­rat Flawil und als Kolle­gi­en­rat, 14 Jahre im Kantons­rat und 9,5 Jahre im Admi­nis­tra­ti­ons­rat – ist es Zeit, jünge­ren Enga­gier­ten Platz zu machen.» Das Parla­ment des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils wird bei seiner Sitzung am 21. Novem­ber 2023 seine Nach­fol­ge­rin, seinen Nach­fol­ger wählen.

Rapha­el Kühne, Präsi­dent des Admi­nis­tra­ti­ons­ra­tes, ruft dazu auf, die Kräf­te zu bündeln – anstatt auf Einzel­ak­tio­nen gegen die Bischö­fe zu setzen.

«Zu viel Konsum kollidiert mit der Totenruhe»

Der Fried­hof als Gedenk­ort für Verstor­be­ne verliert an Bedeu­tung. Das stellt Dani­el Klin­gen­berg, refor­mier­ter Pfar­rer im Toggen­burg, fest. Was bedeu­tet das für unse­re Gesell­schaft und den Umgang mit dem Tod und der Trauer?

Dani­el Klin­gen­berg (61) zeigt in seinem Beitrag «Die Aufer­ste­hung der Fried­hö­fe als multi­funk­tio­na­ler Raum», der im Neujahrs­blatt 2023 des Histo­ri­schen Vereins des Kantons St. Gallen erschie­nen ist, die Nutzungs­ver­än­de­rung von Fried­hö­fen an Beispie­len aus den Städ­ten St. Gallen und Bern auf. Sein Befund ist eindeu­tig: Immer weni­ger Erdbe­stat­tun­gen, immer mehr Krema­tio­nen. Urnen­be­stat­tun­gen brau­chen weni­ger Platz, wodurch die frei werden­den Grün­flä­chen auf den Fried­hö­fen zuneh­men. Mit dem zahlen­mäs­si­gen Rück­gang kirch­li­cher Bestat­tungs­ri­tua­le kommt ein neuer Trend dazu: Immer mehr Menschen wünschen eine indi­vi­du­el­le Bestat­tung ohne kirch­li­che Liturgie. 

Dani­el Klin­gen­berg, Sie spre­chen von drei gesell­schaft­li­chen «Mega­trends» im Wandel der Fried­hö­fe. Können Sie diese kurz umschreiben?

Dani­el Klin­gen­berg: Es geht gene­rell um einen reli­gi­ons­so­zio­lo­gi­schen Befund. Das ist erstens die Indi­vi­dua­li­sie­rung unse­rer Gesell­schaft, die auch im Glau­bens­be­reich wirk­sam ange­kom­men ist. Dazu gehö­ren weiter der Werte­wan­del sowie die reli­giö­se Plura­li­sie­rung. Damit hat sich auch der Umgang mit dem Lebens­en­de verän­dert. Das kirch­li­che Stan­dard­ri­tu­al wird immer öfter durch selbst­ge­wähl­te Abschieds­for­men ersetzt.

Die Feuer­be­stat­tung hat in den letz­ten Jahren sehr stark zuge­nom­men. Wie erklä­ren Sie sich diese Entwicklung?

Dani­el Klin­gen­berg: Das kann man mit dem Werte­wan­del sehr schön aufzei­gen. Dass die Erdbe­stat­tung Voraus­set­zung ist für die christ­li­che Vorstel­lung von der Aufer­ste­hung des Leibes, und dass diese wich­tig sei, scheint heute unwich­tig. Seit dem Jahr 1963 ist die Feuer­be­stat­tung von der katho­li­schen Kirche auch lehr­mäs­sig akzep­tiert. Hinzu kommen prak­ti­sche Grün­de: Eine Krema­ti­on ist viel «platz­spa­ren­der» und bei der Urnen­bei­set­zung fallen oft ein indi­vi­du­el­ler Grab­stein sowie die Grab­pfle­ge weg.

Durch diesen dras­ti­schen Rück­gang der Erdbe­stat­tun­gen ist der Platz­be­darf auf den Fried­hö­fen entspre­chend geschrumpft und es gibt verschie­de­ne Ideen zur Umnut­zung dieser Grün­flä­chen. Was geht aus Ihrer Sicht gar nicht auf einem Friedhofsareal?

Dani­el Klin­gen­berg: Ich sehe vor allem bei Frei­zeit­nut­zun­gen ein Konflikt­po­ten­zi­al. Alles, was zu konsum­ori­en­tiert ist, kolli­diert meiner Meinung nach mit dem Phäno­men Tod. Ich kann mir ein Konzert auf einem Fried­hof vorstel­len, vorausgesetzt, die Örtlich­kei­ten werden in der Veran­stal­tung sinn­voll einge­bun­den. Es kommt also stark auf den Rahmen an. Grund­sätz­lich glau­be ich, dass auf einem Fried­hofs­are­al vieles möglich ist.

Was wäre aus Ihrer Sicht eine sinn­vol­le Umnutzung?

Dani­el Klin­gen­berg: Wich­tig scheint mir, dass die Grün­flä­chen beibe­hal­ten werden und öffent­lich zugäng­lich sind. Dabei soll­te auf lärmi­ge und tempo­rei­che Akti­vi­tä­ten verzich­tet werden. Ich stel­le mir grüne Oasen vor, ohne inten­si­ve Nutzung und ohne Zweckbestimmung. 

Im 19. Jahr­hun­dert wurde die Fried­hofs­zu­stän­dig­keit von einer kirch­li­chen zu einer staat­li­chen Aufga­be. Sie schrei­ben in einer Schluss­fol­ge­rung «im Bereich der Neuge­stal­tung frei werden­der Fried­hofs­flä­chen als Orte der Ruhe hätten Kirchen spiri­tu­el­le Kompe­ten­zen einzu­brin­gen.» Finden Sie, die Kirche enga­giert sich dies­be­züg­lich zu wenig? 

Dani­el Klin­gen­berg: Tod und die Trau­er sind eigent­lich spiri­tu­el­le Themen, der Umgang damit gehört zur Kern­kom­pe­tenz der Kirche. Bei der Verän­de­rung der Fried­hofs­nut­zung wäre es daher nahe­lie­gend, dieses Wissen einzu­brin­gen. Die Poli­tik hat kaum Inter­es­se daran, was man mit der Lang­sam­keit des Umnut­zungs­pro­zes­ses erklä­ren kann. Das Thema geht quasi vergessen.

Immer häufi­ger wenden sich Menschen von kirch­li­chen Bestat­tun­gen ab und wollen eine Natur­be­stat­tung. Dabei wird die Asche in der frei­en Natur, etwa an einem persön­li­chen Kraft­ort des Verstor­be­nen oder in Bestat­tungs­wäl­dern verstreut. Was halten Sie davon? 

Dani­el Klin­gen­berg: Das geht mit einem Verlust einher. Ich empfin­de eine öffent­li­che Trau­er­fei­er als sehr wich­tig im ganzen Trau­er­pro­zess. Aus der Trau­er­for­schung ist bekannt, dass das gemein­sa­me Abschied­neh­men für Ange­hö­ri­ge sehr trös­tend sein kann. Durch die indi­vi­du­el­len Abschieds­fei­ern im priva­ten Rahmen verschwin­det dieses kollek­ti­ve Ritu­al. Zudem gibt es keinen öffent­lich zugäng­li­chen Gedenk­ort für die verstor­be­ne Person.

Was denken Sie, wie sehen unse­re Fried­hö­fe in 50 Jahren aus?

Dani­el Klin­gen­berg: Ich denke nicht, dass sich so schnell etwas ändern wird. Die Verän­de­rung der Fried­hö­fe ist ein sehr lang­sa­mer Prozess. Es ist wich­tig zu wissen, was die Bevöl­ke­rung denkt. Dabei ist eine verant­wor­tungs­be­wuss­te Planung entschei­dend. Weil das Thema mit vielen unter­schied­li­chen Meinun­gen, Emotio­nen und örtli­chen Gege­ben­hei­ten verknüpft ist, gibt es auch viel­fäl­ti­ge Vari­an­ten der Umnut­zung. Ich vermu­te, dass man die Grün­flä­chen als Oasen behal­ten wird. In einzel­nen Fällen wird es in urba­nen Räumen aufgrund des Sied­lungs­dru­ckes Umnut­zun­gen geben. 

Dani­el Klin­gen­berg ist Pfar­rer in der Evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg und Publizist.

Text: Katja Hongler

Bild: Regi­na Kühne / zVg.

Veröf­fent­licht: 23. Okto­ber 2023

«Ich komme ­gerne auf den Friedhof»

Der Fried­hof hat für Mari­an­ne Diet­rich aus Gossau eine ­gros­se Bedeu­tung. Er half ihr, den Verlust ihres Mannes besser zu ertra­gen. Für die 82-Jährige ist er aber mehr als nur Ort der Trau­er und der Erin­ne­run­gen. Am Grab lässt sie auch fröh­li­che Momen­te zu.

Der Herbst hat Einzug gehal­ten. Die Blät­ter an den Bäumen erstrah­len in bunten Farben und die Bise weht steif. Mari­an­ne Diet­rich schrei­tet lang­sam, aber ziel­ge­rich­tet den brei­ten Weg entlang. Es ist ein Weg, den sie gut kennt. Sie ist ihn schon unzäh­li­ge Male gegan­gen. Mari­an­ne Diet­rich hat vor fünf Jahren ihren Mann verlo­ren. René Diet­rich war 77 Jahre alt, als er einen Hirn­schlag erlitt. Es folg­ten Spital­auf­ent­hal­te und Thera­pien. Zuletzt wohn­te René Diet­rich im Pfle­ge­heim Vita Tertia in Gossau. Seit seinem Tod besucht Mari­an­ne Diet­rich das Grab ihres gelieb­ten Mannes regel­mäs­sig. «Ich komme gerne hier­her», sagt die 82-Jährige. «Es tut mir gut.» Man merkt: Der Fried­hof­be­such bedeu­tet Mari­an­ne Diet­rich viel. «Hier tref­fe ich immer Menschen und kann einen Schwatz halten.» Das Wissen, dass es ande­ren ähnlich gehe, könne in der Trau­er helfen. «Plötz­lich merkt man, dass man nicht allei­ne ist.»

Mari­an­ne Diet­rich (rechts) ist auf dem Fried­hof selten allei­ne. Beim Besuch Ende Septem­ber beglei­tet sie Jacque­line Boll­hal­der vom Trauercafé.

Den rich­ti­gen Platz gefunden

Mari­an­ne Diet­rich grüsst Bekann­te hier und winkt Freun­den dort. Immer wieder bleibt sie kurz stehen und schaut auf Grab­stei­ne. Und immer wieder sieht sie darauf ihr bekann­te Namen. Mit fort­schrei­ten­dem Alter werden es immer mehr. Ein Umstand, den Mari­an­ne Diet­rich akzep­tie­ren muss. Ihr Ehemann hat seine letz­te Ruhe­stät­te im Gemein­schafts­grab auf dem Fried­hof Hofegg in Gossau gefun­den. Auf dem gros­sen, acht­tei­li­gen Monu­ment sind auf goldig-schimmernden Plaket­ten die Namen der Verstor­be­nen vermerkt. Mari­an­ne Diet­rich läuft um den Grab­stein herum. An der Rück­sei­te – ganz oben – steht der Name ihres verstor­be­nen Mannes. Sie tritt an den Stein heran und schaut hoch. Der Grab­stein liegt an diesem Nach­mit­tag halb im Schat­ten. «Hier hat er den rich­ti­gen Platz gefun­den. Er moch­te Schat­ten sehr gerne. Ich mag lieber Sonnen­schein», sagt Mari­an­ne Diet­rich mit einem Lächeln im Gesicht. Die Erin­ne­run­gen an ihren Mann sind allge­gen­wär­tig. Und auch wenn man ihr die Trau­er bei jedem Wort ansieht, kann sie mitt­ler­wei­le wieder fröh­li­che Momen­te zulas­sen. «An einem Grab darf man auch lachen», sagt sie. 

Mari­an­ne Diet­rich ist sehr wich­tig, dass der Name ­ihres verstor­be­nen Mannes irgend­wo vermerkt ist.

Mari­an­ne Diet­rich erin­nert sich gerne an die 54 gemein­sa­men Jahre zurück. «Wir hatten es gut mitein­an­der und ein so schö­nes Leben.» Dass sie noch den golde­nen Hoch­zeits­tag feiern konn­ten, bedeu­tet ihr sehr viel. Sie spricht über die Kinder, über die Hobbys ihres Mannes, über gemein­sa­me Ausflü­ge – und der Ort, an dem Mari­an­ne Diet­rich noch kurz zuvor fröh­lich war, wird plötz­lich zum Ort, an dem Tränen ihre Wangen herun­ter­kul­lern. Der Abschied wiegt noch immer schwer. «Ich vermis­se ihn jeden Tag.»

Trau­er­ca­fé als Fixpunkt

Auf dem Fried­hofs­be­such wird Mari­an­ne Diet­rich oft von zwei Freun­din­nen beglei­tet. Wenn Toch­ter Karin zu Besuch ist, gehört auch für sie der Gang ans Grab des Vaters zur Pflicht. An diesem sonni­gen Tag Ende Septem­ber ist Mari­an­ne Diet­rich mit Jacque­line Boll­hal­der, katho­li­sche Seel­sor­ge­rin in Gossau und Leite­rin des ökume­ni­schen Trau­er­ca­fés, auf dem Fried­hof. Die beiden kennen sich gut. Seit dem Tod des Mannes ist das monat­li­che Tref­fen ein Fixpunkt in Diet­richs Agen­da. Einmal wöchent­lich nimmt sie am Mittag­essen im Fried­egg teil und einmal im Monat besucht sie den Senio­ren­nach­mit­tag der Pfar­rei. «Das tut mir gut», sagt Mari­an­ne Diet­rich. «Ich kann hier mit Mitmen­schen spre­chen. Wir alle haben das Glei­che erlebt. Und es sind alles liebe Menschen.» 

Nach dem Tod ihres Mannes half das Trau­er­ca­fé der katho­li­schen und refor­mier­ten Kirche Mari­an­ne Diet­rich aus dem Tief. Noch heute ist das monat­li­che Tref­fen mit ande­ren Betrof­fe­nen und Seel­sor­ge­rin Jacque­line Boll­hal­der für sie ein Fixpunkt.

Auch Jacque­line Boll­hal­der schätzt Mari­an­ne Diet­rich. «Sie sorgt sich sehr um die ande­ren im Trau­er­ca­fé, spielt Fahre­rin und ist ein Sonnen­schein», so Boll­hal­der. Die beiden Frau­en verbin­det mitt­ler­wei­le mehr als nur eine Zweck­ge­mein­schaft. Man inter­es­siert sich fürein­an­der und sorgt sich umein­an­der. Jacque­line Boll­hal­der weiss aus Erfah­rung, wie wich­tig für Betrof­fe­ne der Fried­hof als Ort der Trau­er und Erin­ne­rung ist. «Viele Betrof­fe­ne besu­chen die Gräber nach einem Verlust jeden Tag. Das gibt ihnen eine Struk­tur», sagt Boll­hal­der. «Auf dem Fried­hof muss man mit nieman­dem reden und weiss gleich­zei­tig, dass alle dort das Glei­che erlebt haben. Das Wissen, dass ande­re diese Situa­ti­on auch durch­ma­chen, hilft vielen. Zudem wollen sie die Erin­ne­rung an diese Perso­nen erhalten.»

Begeg­nun­gen wichtig

Am Grab setzt sich Mari­an­ne Diet­rich gerne auf die bereit­ge­stell­ten Stüh­le. Oft spricht sie zu ihrem Mann, erzählt ihm, was sie erlebt hat oder was sie beschäf­tigt. Schlimm seien am Anfang vor allem die Wochen­en­den gewe­sen. Dann, wenn nicht viel läuft und sie Zeit hatte, ihren Gedan­ken frei­en Lauf zu lassen. «Ich hatte sehr viele Krisen», sagt Diet­rich. «Gera­de die Mona­te nach dem Tod waren der Fried­hof und die Begeg­nun­gen dort für mich sehr wich­tig.» Der Verlust eines gelieb­ten Menschen lasse einen in ein Loch fallen. «Nichts ist mehr, wie es war.» Sie habe sich anstren­gen müssen, wieder am Leben teil­zu­neh­men, nach draus­sen zu gehen, nicht zu vereinsamen. 

Mari­an­ne Diet­rich setzt sich gerne an das Grab ihres verstor­be­nen Mannes und spricht mit ihm.

Der Fried­hof und die Gesprä­che dort halfen ihr dabei. Irgend­wann begann sie wieder mehr, unter die Leute zu gehen. «Ich woll­te nicht versau­ern.» Mari­an­ne Diet­rich ist dank­bar, dass sie noch so rüstig ist, ein gutes Umfeld und viele nette Freun­din­nen und Freun­de hat. Aber es gibt auch immer wieder schwie­ri­ge Zeiten. Etwa, als sie sich vor zwei Mona­ten operie­ren lassen muss­te. «In solchen Zeiten vermis­se ich meinen Mann noch mehr.»

Räumung war «schreck­lich»

Gerne würde sie beim Grab öfter das bereit­ge­stell­te Weih­was­ser nutzen und die Plaket­te damit bepin­seln – «damit er auch merkt, dass ich da war.» Die Plaket­te hängt aller­dings zu hoch. Mari­an­ne Diet­rich kann sie nicht errei­chen. Heute über­nimmt das ihre Beglei­te­rin Jacque­line Boll­hal­der. «Ich bepins­le dann halt statt­des­sen manch­mal Plaket­ten von Freun­den», sagt Diet­rich. Früher habe sie jeweils noch eine Kerze ans Grab mitge­nom­men. «Aber das habe ich aufge­ge­ben. Wegen des Windes erlö­schen die immer wieder.» 

Mit dem Weih­was­ser bepin­selt Mari­an­ne Diet­rich oft ­Plaket­ten von verstor­be­nen Freun­den oder Bekannten.

Dann wird Mari­an­ne Diet­richs Stim­me leiser. Sie wirkt nach­denk­lich. Man habe sie einmal gefragt, ob sie an die Aufer­ste­hung glau­be. «Ich bin sicher, dass er es schön hat im Himmel», sagt sie. Mari­an­ne Diet­rich muss­te bereits einmal einen schwe­ren Schick­sals­schlag verkraf­ten. 1990 verstarb ihr Sohn im Alter von 22 Jahren. Seine Ruhe­stät­te fand er eben­falls auf dem Fried­hof Hofegg. Auch damals waren die Fried­hof­be­su­che ein Trost für Mari­an­ne Diet­rich und sie kann sich noch gut an den Tag erin­nern, als das Grab nach 25 Jahren geräumt wurde. «Das war schreck­lich für mich.»

Grab­pfle­ge ausschlaggebend

Die Entschei­dung für das Gemein­schafts­grab hat Mari­an­ne Diet­rich mit ihrem Mann gefällt. Ein Einzel­grab kam für sie nicht in Frage. «Wer soll­te denn für das Grab schau­en, wenn auch ich nicht mehr da bin?», fragt sie rheto­risch. Die Toch­ter wohne leider zu weit weg. So müsse sich niemand um das Grab kümmern und die Ruhe­stät­te sehe immer schön aus. «Wich­tig ist für mich einfach, dass sein Name dasteht und ich einen Ort habe, an den ich kommen kann, um ihm nahe zu sein.» 

Blumen beim Gemein­schafts­grab auf dem Fried­hof Hofegg in Gossau.

Auch sie selbst wird dereinst im Gemein­schafts­grab auf dem Fried­hof Hofegg beer­digt werden. Sie schaut aber­mals hoch zur Plaket­te ihres Mannes. Links und rechts dane­ben sind viele weite­re Namen vermerkt. Jacque­line Boll­hal­der spricht den Umstand an, dass heute eini­ge Menschen die Asche verstreu­en. Sie selbst sehe das eher schwie­rig, aber man dürfe nicht urtei­len. «Die Trau­er­ar­beit ist so indi­vi­du­ell und persön­lich. Jeder muss das selbst für sich wissen.»

Erin­ne­run­gen bleiben

Die Besu­che von Mari­an­ne Diet­rich auf dem Fried­hof wurden im Laufe der Jahre weni­ger. Früher war sie noch täglich am Grab ihres Mannes. Heute geht sie einmal wöchent­lich. Die Erin­ne­run­gen an ihre Liebs­ten und die Trau­er sind geblie­ben. Zuhau­se hat Mari­an­ne Diet­rich einen klei­nen Altar errich­tet. Darauf eine Schüs­sel mit frischen Blumen und die Namen des Sohnes und des Ehemanns auf hand­ge­schrie­be­nen Zetteln. Jeden Abend zündet Mari­an­ne Diet­rich im Geden­ken an sie eine Kerze an.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Regi­na Kühne
Veröf­fent­li­chung: 22. Okto­ber 2023

Die Engel in Niederglatt entdecken

Mit dem Pfar­rei­gre­mi­um Nieder­glatt hat der 38-jährige Dani­el Inau­en den «Engel­zau­ber» initi­iert – eine Schnit­zel­jagd in und um das Dorf. An wen sie sich rich­tet und warum sich der Finanz­con­trol­ler in der Kirche engagiert.

«Jeder kann ein Engel sein, ein Schutz­en­gel zum Beispiel», sagt Dani­el Inau­en. Der 38-Jährige steht in der Kirche Nieder­glatt, ein für die Grös­se des Dorfes – es zählt rund 300 Einwoh­ne­rin­nen und Einwoh­ner – statt­li­cher Bau. Die Frage nach dem typi­schen Ausse­hen eines Himmels­bo­ten lässt ihn ein wenig grübeln – und schliess­lich ratlos zurück. Statt­des­sen zeigt Inau­en an die Decke. Auf einem bunten Gemäl­de sind zwei Engel­fi­gu­ren abge­bil­det. «Sie sind über­all, man muss nur mit offe­nen Augen umher­ge­hen und bewusst darauf achten.» Inau­en lädt uns ein, auf die Empo­re zu gehen, «dort­hin, wo sonst selten jemand hingeht», und das Bild aus der Nähe zu betrach­ten. Und schon sind wir Teil des «Engel­zau­bers», einer inter­ak­ti­ven Schnit­zel­jagd in und um das Dörf­chen Niederglatt.

Wohn­ort neu kennenlernen

An über zehn Statio­nen erfah­ren die Schnit­zel­jä­ge­rin­nen und ‑jäger Wissens­wer­tes über Engel und müssen an eini­gen Posten Aufga­ben lösen, um die weite­re Route zu erfah­ren. Die Schnit­zel­jagd rich­tet sich an alle Alters­grup­pen. «Die Fragen sind leicht zu beant­wor­ten und der Weg nicht allzu lang», so Inau­en. «Der Weg soll vor allem auch Junge und Fami­li­en anspre­chen.» Einzi­ge Bedin­gung zur Teil­nah­me ist ein Handy mit ausrei­chend Akku und Inter­net­ver­bin­dung. Den QR-Code an der Kirchen­tü­re gescannt und schon geht’s los. «Der Weg ist nicht zu kirch­lich geprägt und nicht beleh­rend», sagt Inau­en und fügt hinzu: «Durch die Vorbe­rei­tun­gen auf das Projekt habe ich die Umge­bung meines Wohn­or­tes noch­mals ganz neu kennen­ge­lernt. Besten­falls geht es ande­ren Nieder­glätt­lern auch so.» Die Posten stehen etwa bei der ehema­li­gen Schu­le, beim Fried­hof, bei einer Grot­te, am Ufer der Glatt. «Es ist erstaun­lich und inter­es­sant, wo Engel über­all präsent sind.»

Der «Engel­zau­ber» führt an der ehema­li­gen Schu­le in Nieder­glatt vorbei.

Aus Mangel an Angeboten

Den Anstoss für die Schnit­zel­jagd, die in diesem Jahr zum ersten Mal statt­fin­det, gab das fünf­köp­fi­ge Pfar­rei­gre­mi­um von Nieder­glatt. Die Pfar­rei Nieder­glatt wieder­um ist seit vier Jahren Teil der Seel­sor­ge­ein­heit Magden­au. Dort wurde im vergan­ge­nen Jahr eine Schnit­zel­jagd orga­ni­siert. Die Idee ist also nicht neu. Wie Inau­en erklärt, ist der «Engel­zau­ber» als Teil der Chil­bi in Nieder­glatt geplant worden. «Die Chil­bi ist neben dem Suppen­tag und eini­gen weni­gen Anläs­sen in der Weih­nachts­zeit meist der einzi­ge Event im Dorf. Ansons­ten läuft hier nicht viel», erklärt Inau­en. Der «Engel­zau­ber» soll­te auch den jungen Gene­ra­tio­nen etwas bieten. Der Weg ist noch bis 15. Novem­ber begeh­bar. Ob das Projekt im kommen­den Jahr fort­ge­setzt werde, sei noch offen. «Leider haben während der Chil­bi nicht so viele mitge­macht wie erhofft.»

Mitwir­kung durch Kirche

Dani­el Inau­en enga­giert sich seit vier Jahren im Pfar­rei­gre­mi­um. Dane­ben arbei­tet der zwei­fa­che Fami­li­en­va­ter in der Finanz­kon­trol­le der Stadt St. Gallen. Über seine Moti­va­ti­on für das frei­wil­li­ge Enga­ge­ment sagt der gebür­ti­ge Inner­r­höd­ler: «Ich woll­te mitwir­ken und mich inte­grie­ren.» Da Nieder­glatt kein viel­fäl­ti­ges Vereins­le­ben oder ein akti­ves Dorf­le­ben habe, sei die Kirche für ihn eine gute Möglich­keit gewe­sen, in der Gemein­schaft mitzu­wir­ken. «Zudem bin ich in Appen­zell katho­lisch aufge­wach­sen und die Verbun­den­heit zur Kirche war bereits da. Aber fromm war ich nie.» Inau­en spricht auch den Stel­len­wert der Kirche für die Gemein­schaft an. «Nieder­glatt ist sehr verstreut, die Einwoh­ner wohnen oft weit vonein­an­der entfernt, und seit die Schu­le nicht mehr da ist, ist die Kirche noch sinn­stif­ten­der und verbindender.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 20. Okto­ber 2023

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