Die Ukrainerin Natalia Moser hat im vergangenen Jahr eine Hilfsaktion gestartet. Dabei konnte sie auf die Unterstützung der Pfarrei Berschis-Tscherlach zählen. Im November wurde das Projekt zum zweiten Mal durchgeführt.
«Haben Sie Kerzenreste?» Welch grosse Wirkung eine solch einfache Anfrage haben kann, zeigt das Beispiel von Natalia Moser. Die 51-Jährige wohnt seit 22 Jahren in Tscherlach und hat in der kleinen Gemeinde am Walensee im vergangenen Jahr eine Hilfsaktion ins Leben gerufen. Mehrere hundert Kilogramm Wachsreste wurden auf ihre Initiative hin in den umliegenden Pfarreien gesammelt und in Mosers Heimatland zu Kerzen verarbeitet. Aber von Anfang an: Natalia Moser stammt aus der Ukraine – jenem Land, das seit Jahren unter den Angriffen von Russland leidet. Sie verfolgt die Nachrichten aus dem Heimatland aufmerksam und mit grossem Schmerz. «Die Bilder zu sehen, tut unheimlich weh. Die Situation macht einen ohnmächtig. Man versteht das alles gar nicht», sagt sie. Den Menschen in der Ukraine fehle es am Notwendigsten. «Es gibt vielerorts keinen Strom und kein Wasser.» Als Natalia Moser im vergangenen Jahr eine Anfrage von ihrer Freundin Lesja Berger aus dem Rheintal erreichte, ob sie eine Sammelaktion für Wachsreste starten könne, zögerte sie keine Sekunde. «Es ist nicht viel, das ich hier machen kann. Aber wenn ich helfen kann, dann helfe ich», sagt Moser.
Spezielle Herstellungstechnik
Die Wachsreste werden in der Ukraine gebraucht, um eine Art Hindenburglicht herzustellen. Dieses wurde schon im Ersten Weltkrieg eingesetzt, um in Luftschutzbunkern oder Schützengräben für eine Notbeleuchtung zu sorgen. Die Kerzenreste werden via das Rheintal an Hilfsorganisationen in der Ukraine geliefert. Diese schmelzen das Wachs ein und giessen es in leere Konservendosen. Als Docht fungieren Kartonstreifen, welche – teils spiralförmig oder als Paar – in den noch heissen Wachs geführt werden. Durch die spezielle Herstellungstechnik sollen die Kerzen für mehr Helligkeit sorgen. «Licht und Wärme sind sehr wichtig für die Menschen in der Ukraine. Vor allem jetzt im Winter.» Die Kerzen werden gemäss Natalia Moser in ehrenamtlicher Arbeit gefertigt und kostenlos an die Bevölkerung verteilt. «Es ist eine einfache Sache mit grosser Wirkung.»
Pfarrei koordiniert Sammlung
Schnell war für Natalia Moser klar, dass sie für die Aktion Unterstützung bei der katholischen Kirche sucht. In Pavel Zupan aus der Pfarrei Berschis-Tscherlach hat sie eine wertvolle Unterstützung gefunden. Zupan war sofort Feuer und Flamme für das Projekt und koordinierte die Sammlung fortan. Der Transport wurde im Rheintal organisiert. Zu den 250 Kilogramm gesammelten Wachsresten spendete die Hongler Kerzen AG aus Altstätten nochmals 250 Kilogramm Wachs und so fand im vergangenen Jahr schliesslich eine halbe Tonne Material den Weg in die Ukraine. «Das Wohlwollen und die Unterstützung war riesengross. Ich hätte nie damit gerechnet, dass so viel Wachs zusammenkommt», sagt Natalia Moser. Sie hat in der Schweiz eine neue Heimat gefunden. Anderen geht es nicht so. «Viele Menschen, die geflohen sind, wollen wieder heim.» Die Hilfsaktion wurde diesen November zum zweiten Mal durchgeführt. Natalia Moser ist dankbar für die Hilfe aus der Pfarrei und spricht zum Schluss noch eine andere wichtige Komponente an: «Das Projekt zeigt den Menschen in der Ukraine, dass sie nicht vergessen werden.»
Die Sammelaktion dauert bis Januar. Wachsreste und Kerzen können an folgenden Sammelstellen abgegeben werden: Kath. Kirche Laurentius Flums; Kath. Kirche Johannes der Täufer Murg; Kath. Kirche Johannes Evangelist Tscherlach; Kath. Kirche Luzius und Florin Walenstadt, Kath. Pfarramt Berschis, Allmendstrasse 16.
Nicht nur der Advent und die Weihnachtszeit, sondern unser ganzes Leben ist von Traditionen geprägt. Im Interview erklärt Manuela Reissmann, Fachverantwortliche der kantonalen Fachstelle Kulturerbe St. Gallen, warum Traditionen für unsere Gesellschaft wichtig sind.
Wie entstehen Traditionen?
Manuela Reissmann: Wenn beispielsweise bestimmte Kenntnisse, Werte oder Überzeugungen, Ereignisse oder Tätigkeiten von mehreren Menschen regelmässig wiederholt und weitergegeben werden, können sich daraus über den Zeitraum von mehreren Generationen Traditionen bilden. Die Gründe für die Entstehung von Traditionen sind dabei sicher so vielfältig wie die Traditionen selbst.
Was können solche Gründe für neue Traditionen sein?
Manuela Reissmann: Die Alpwirtschaft zum Beispiel brachte verschiedene Traditionen hervor wie die Alpfahrten, Betrufe und die Käseproduktion. Das Wissen um landwirtschaftliche oder handwerkliche Techniken konnte das Einkommen sichern. Aus der Notwendigkeit von Hirten und Bauern, in den Bergen über weite Entfernungen zu kommunizieren, entstand das Alphornspielen und vermutlich auch der Jodel. Dann gibt es zahlreiche Bräuche im Zusammenhang mit den Jahreszeiten, wie die Fasnachtsbräuche zum Vertreiben des Winters. Und natürlich spielen auch die Religionen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Traditionen, wie beispielsweise das Christentum beim Weihnachtsfest, das heute in vielen Ländern gefeiert wird.
Wann spricht man von einer Tradition?
Manuela Reissmann: Hinter dem Begriff «Tradition» verbergen sich Bräuche, Gepflogenheiten, Fertigkeiten und Ausdrucksformen, die innerhalb einer Gruppe oder Gemeinschaft gelebt, gepflegt und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Traditionen finden sich in verschiedenen Bereichen und umfassen beispielsweise Formen des Musizierens, Bräuche und Kenntnisse in landwirtschaftlichen Bereichen, Traditionen im Zusammenhang mit den Jahreszeiten und handwerkliche Fertigkeiten. Sie können unter anderem in Familien, durch Trägerschaften wie Vereine, Berufsgruppen, religiöse Gemeinschaften sowie durch Gemeinden oder Regionen ausgeübt und weiterentwickelt werden.
Wie wichtig sind Traditionen für uns?
Manuela Reissmann: Welche Bedeutung Traditionen beigemessen wird, ist sehr unterschiedlich. Für manche mag es eher nach etwas Verstaubtem und Überflüssigem klingen, andere setzen sich intensiv für ihre Bewahrung und Überlieferung ein. Bei den meisten Menschen dürfte die Verbundenheit mit Traditionen wohl irgendwo dazwischen liegen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass Traditionen Identität stiften und die Zusammengehörigkeit in einer Gemeinschaft stärken sowie Orientierung und Stabilität vermitteln können. Durch sie erhalten wir Informationen zu unserer Herkunft und Geschichte und können somit aus der Vergangenheit lernen und einen Nutzen für die Gestaltung unserer Gegenwart und vielleicht auch Zukunft gewinnen.
Wie stark hängen Traditionen und Erwartungshaltungen zusammen?
Manuela Reissmann: Traditionen und Erwartungshaltungen können auf verschiedene Weise zusammenhängen. Dazu gehören sicher die Erwartungen an Personen einer Gemeinschaft, dass tradierte Regeln, Gepflogenheiten oder Praktiken beibehalten und fortgeführt werden. So haben viele Menschen bestimmte Rituale, Abläufe und Speisen für das Weihnachtsfest, vieles davon wurde über Generationen weitergegeben. Auch daran sind Erwartungen geknüpft, zum Beispiel Besinnlichkeit und Geborgenheit im Kreise der Liebsten zu erfahren und zu bewahren. Es lässt sich wohl sagen, dass Erwartungshaltungen dazu beitragen können, dass Traditionen erhalten bleiben oder aber auch dazu, dass sie abgelehnt werden, zum Beispiel dann, wenn sie persönlichen Werten zu stark entgegenstehen.
Wann verändern sich Traditionen?
Manuela Reissmann: Traditionen müssen sich manchmal ändern, um weiter fortbestehen zu können. Manchmal endet eine Tradition auch. Ob und wie sich Traditionen ändern, hängt von verschiedenen Einflussfaktoren ab. Dies können beispielsweise die bereits erwähnten Erwartungshaltungen, neue technologische Errungenschaften oder kultureller Wandel, veränderte Werte, Bedürfnisse und Lebensweisen sein, die auf eine Tradition wirken. Ebenso kann die kommerzielle oder touristische Verwertung einer Tradition diese verändern oder aber auch vermeintlich authentisch erhalten. Das Interesse der jeweils jüngeren Generation an einer Tradition sowie die Art, wie diese das Überlieferte für sich interpretiert, lebt und weiterentwickelt, ist ebenfalls von grosser Bedeutung.
Text: Alessia Pagani Bild: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 23. November 2023
Nicht alle schauen Weihnachten freudig entgegen: Einige fühlen sich einsam, kämpfen mit finanziellen Engpässen, sind gestresst wegen den Vorbereitungen oder befürchten familiäre Konflikte. Das Pfarreiforum zeigt, wie Pfarreien und Privatpersonen an Heiligabend für diese Menschen da sind.
Ein langer Prozess liess mich step by step auf dem dritten Bildungsweg Theologie studieren. Es war eine geniale, interessante Zeit, für die ich sehr dankbar bin.
Ursprünglich war der Abschluss zur Theologin nicht geplant. Er ist geworden dank vielen Menschen und Erfahrungen auf dem Weg. Da waren junge Menschen. Es waren Erfahrungen als Mutter, die mich den mütterlich-väterlichen Gott entdecken liessen. Da waren aber auch die Menschen im Alters- und Pflegeheim, die ich in den Tod begleiten durfte. Die Not der sterbenden Menschen, die sich in Sätzen zeigte wie: «Schwester Judith, bringen Sie mir nie einen Priester!» oder die Aussage von Frauen: «Wie schön, Sie dürfen eine theologische Ausbildung machen – ich wäre so gerne Priesterin geworden» haben mich dazu gedrängt, den Abschluss zu machen. Ich wollte und will den Menschen, denen Gott – einfach durch ihr Menschsein und besonders in der Taufe – die königliche, prophetische und priesterliche Würde ein für alle Mal zugesprochen hat, Raum und Stimme geben.
Die aktuelle Situation in der Kirche?
Die Missbrauchsstudie – sie hat mich nicht überrascht. Ich verstehe die Menschen, die den Kirchenaustritt geben. Dabei geht es nicht um den Austritt aus dem Glauben, es geht um die Unglaubwürdigkeit unserer kirchlichen Strukturen. Leider sind sich die Austretenden oft nicht bewusst, dass sie damit hauptsächlich die Pfarreien vor Ort schwächen, denn nur ein ganz kleiner Teil der Kirchensteuer geht ans Bistum oder noch weiter. Ich bin aber auch für all jene dankbar, die trotz allem bleiben, uns so in der Pfarreiarbeit unterstützen und dadurch Hoffnungsträger:innen sind. Die Weltsynode, die momentan in Rom stattfindet: Was ich da erwarte? Ein Wunder!
Warum ich immer noch in der Kirche arbeite?
Weil für mich der christliche Glaube das Potenzial hat, Sinn und Hoffnung in frohe und in schwierige Lebenssituationen zu geben. Und weil ich mich freue, in all diesen unterschiedlichen Situationen Menschen begleiten zu dürfen. Weil da Menschen sind vor Ort, die miteinander und füreinander da sind. Weil ich dankbar bin fürs Team, die Räte und Ehrenamtlichen, dass wir einander unterstützen. Weil da Menschen sind, die aufstehen für not-wendende Reformen in der Kirche. Ich denke an die Junia-Initiative, Maria 2.0, die Allianz gleichwürdig katholisch, «So nicht!» und viele mehr. Weil ich dankbar bin für die vielen, die beten und mit denen ich beten darf und so im Vertrauen auf Gottes Geistkraft die Anliegen der Welt vor ihn bringen. Auch wenn immer wieder düstere Wolken über der Kirche und unserem Leben kreisen, so wünsche ich uns allen das Vertrauen in die Lebens- und Liebeskraft. Ich wünsche uns allen den Mut, für nötige Veränderungen einzustehen und die Hoffnung und Zuversicht, dass Gottes Geistkraft uns begleitet.
Das Theater St. Gallen bringt zwei Stücke zum Thema Tod auf die Bühne. Bei beiden spielt die Schauspielerin Diana Dengler eine tragende Rolle. Die Proben verlangten ihr einiges ab.
Diana Dengler kommt mit dem Velo. Sie wirkt angespannt, hat nur kurz Zeit. «Ich komme direkt von der Probe. Es sind intensive Tage», sagt sie. Ab November spielt die in St. Gallen wohnhafte Schauspielerin die Hauptrolle im Stück «Die Ärztin» am Theater St. Gallen. Ab Dezember übernimmt sie zudem eine Rolle in «Gott» nach dem Erfolgsautor Ferdinand von Schirach. Beide Stücke bringen das Thema Tod und Selbstbestimmung auf die Bühne. Themen, die Diana Dengler wichtig sind, die ihr aber auch einiges abverlangen: «Die Proben sind anders als sonst. Sie kosten mehr Kraft.» Man befasse sich acht Stunden am Tag mit der Thematik. «Das muss man aushalten können.» Dengler spielt mit einem Ensemble von zehn beziehungsweise neun Personen jeglichen Alters. Die Ältesten sind an die 90 Jahre alt, die Jüngsten knapp volljährig. «Bei allen löst die Thematik etwas aus.»
Gemeinsam erfahren
In den Stücken geht es um Fragen wie: Darf man seinem Leben ein Ende setzen, wenn man dessen überdrüssig ist? Wer entscheidet, wann ich sterben darf und wie der Tod auszusehen hat? Oder: Wo sind die Grenzen meiner Selbstbestimmung? Die Themen sind Dengler nicht fremd. Sie hat selber bereits zwei Menschen beim Sterbeprozess begleitet. «Ich habe Respekt vor diesen Themen. Aber es sind Themen, die unweigerlich zum Leben gehören», sagt sie.
Die St. Galler Schauspielerin Diana Dengler befasst sich dieser Tage viel mit den Themen Tod und Selbstbestimmung.
Trotz der Schwere der Kost: Für die 55-Jährige haben die beiden Theaterstücke auch etwas Befreiendes. «Man wird nicht alleine gelassen mit den Themen, hat einen gemeinsamen Rahmen. Einen geteilten Raum. Es ist wie bei einem Gottesdienst in der Kirche. Es ist ein gemeinsames Erfahren. Man teilt Freud und Leid miteinander.»
Verstehen lernen
Diana Dengler hofft und wünscht sich, dass die beiden Theaterstücke nachhaltig wirken. «Dass sie eine Diskussion in der Bevölkerung auslösen.» In den Stücken werden immer mehrere Positionen und Meinungen vertreten. «Alle Positionen werden respektvoll behandelt und es gibt kein Schwarz und Weiss. Die verschiedenen Meinungen haben Platz. Es geht also darum, sich Gedanken zu machen und sich selbst zu reflektieren.» In den beiden Stücken geht es auch um den Zwiespalt zwischen beruflichen Verpflichtungen und persönlichen Ansichten. Um Meinungsverschiedenheiten. Darum, das Gegenüber zu akzeptieren. Dass es im Leben unterschiedliche Ansichten gibt, ist Diana Dengler klar. Man müsse lernen, das Gegenüber zu verstehen und diesem zuzuhören. «Alles ist im Wandel. So auch die Kirche oder der Tod. Wissen macht es einfacher zu verstehen. Halbwissen schafft eine aggressive Haltung.» Um die Zuschauerinnen und Zuschauer auch nach dem Theaterbesuch nicht mit dem Thema alleine zu lassen, sind Gesprächsreihen mit Expertinnen und Experten geplant. Denn: Egal wie man zum Tod steht und welche Meinung man über Sterbehilfe hat: Das Wichtige ist, darüber zu reden. Die Themen betreffen uns alle.
Die Bischöfe mit der Blockade der Kirchensteuern unter Druck setzen? Auf mehr Mitspracherecht beim St. Galler Bischofswahlrecht pochen? Raphael Kühne, Administrationsratspräsident des Katholischen Konfessionsteils, will bei der Missbrauchsaufarbeitung lieber auf andere Wege setzen.
Eine Kirchgemeinde aus dem Kanton Luzern will den Teil der Kirchensteuern, die sie an das Bistum Basel weiterleiten müsste, blockieren und fordert damit vom Bistum grundlegende Massnahmen bei der Aufarbeitung der Missbräuche und einen Strukturwandel. Dieses Beispiel scheint auch Kirchgemeinden im Bistum St. Gallen auf den Plan gerufen zu haben. Ende September hat der Administrationsrat des Katholischen Konfessionsteils des Kantons St. Gallen alle Kirchgemeinden aufgerufen, auf solche Massnahmen zu verzichten. «Aus unserer Sicht macht es den Bischöfen mehr Eindruck, wenn eine Institution wie der Konfessionsteil aktiv wird, als wenn eine einzelne Kirchgemeinde Druck ausübt», sagt Raphael Kühne, Präsident des Administrationsrates im Interview mit dem Pfarreiforum. Doch: Kirchensteuergelder an den Bischof zu blockieren, das ist für die katholische Kantonalkirche momentan kein Thema.
Gemeinsam mit RKZ
«Wir fordern gemeinsam mit der RKZ, dem Zusammenschluss aller Kantonalkirchen, bei den Bischöfen strukturelle Veränderungen ein. Aus meiner Sicht sind sich die Bischöfe durchaus bewusst, welche Stärke wir haben. Druck mit den Kirchensteuern auszuüben, wäre wirklich das letzte Mittel.» Die grössten Mitglieder der RKZ – die Kantonalkirchen des Kantons Zürich, Luzern, Aargau und St. Gallen – ziehen laut Kühne am gleichen Strang und gerade deshalb müsse die Kraft dieser Zusammenarbeit genutzt werden. Das nächste RKZ-Treffen finde im November statt, das Thema sei traktandiert.
Einzigartiges Bischofswahlrecht
Gerade was die Situation im Bistum St. Gallen betrifft, rät Raphael Kühne zur Vorsicht: Das St. Galler Bischofswahlrecht ist weltweit einzigartig. In St. Gallen wählt das Domkapitel den Bischof, das Kollegium (das Parlament der Katholikinnen und Katholiken) hat Mitsprachemöglichkeiten. Grundlage dafür ist die päpstliche Bulle von 1847. «Wenn dem Bischof Kirchensteuern gekürzt oder vorenthalten werden, besteht das Risiko, dass der Vatikan dies als Verletzung der Bestimmungen der Bulle in Frage stellt und daraus verlangen könnte, dass die Bischofswahl wie in anderen Bistümern abläuft, und also der Papst den Bischof ohne Beteiligung der staatskirchenrechtlichen Seite wählt», so Raphael Kühne. Aus seiner Sicht sei deshalb das Risiko grösser als ein möglicher Zugewinn der demokratischen Mittel und Transparenz, wie sie aktuell die St. Galler Bewegung «So nicht!» (zum Beitrag) einfordert.
Keine Kampagne geplant
Während der Konfessionsteil in den vergangenen Jahren mit verschiedenen Initiativen die Bevölkerung über die Verwendung der Kirchensteuern informiert wie beispielsweise mit der grossen Imagekampange «Den Kirchensteuern sei dank», ist es momentan merkwürdig still. Müsste die Kantonalkirche in dieser Krisenzeit den Kirchgemeinden nicht mehr Rückendeckung geben? «Die Öffentlichkeit darüber zu informieren, was die Kirchensteuern vor Ort bewirken, ist für uns ein wichtiges Anliegen», betont Raphael Kühne. Mit einem Austritt bestrafe man nämlich nicht den Papst, sondern die Institutionen und das vielfältige Engagement vor Ort – von den Kirchensteuern fliesse kein einziger Franken nach Rom. «Deshalb haben wir vor einem Jahr die Kommunikationstelle ausgebaut. Unser Kommunikationsbeauftragte hat gerade in den letzten Wochen in Medienmitteilungen an verschiedenen Beispielen sichtbar gemacht, welche wichtigen Aufgaben die Kirchensteuern ermöglichen: soziale Aufgaben, Kultur und Bildung.» Er sieht die Wichtigkeit von Kampagnen, doch müsse dafür auch der richtige Zeitpunkt gefunden werden. «Im falschen Moment kann so eine Kampagne auch das Gegenteil vom Gewünschten auslösen.»
Text: Stephan Sigg
Bild: Roger Fuchs
Veröffentlicht: 27.10.2023
Verzicht auf Wiederwahl
Der Flawiler Raphael Kühne verzichtet auf eine Wiederwahl im Administrationsrat für die Legislaturperiode 2024 bis 2027. Ende des Jahres, dann im 68. Altersjahr stehend, wird der Jurist auf 9,5 Jahre im Administrationsrat zurückblicken können. Seit 2020 amtet er als Präsident, zuvor oblag ihm als Mitglied das Ressort «Kirchgemeinden und Aufsicht». Raphael Kühne: «Nach über vierzig Jahren Berufsleben als Rechtsanwalt und dabei auch stets im Dienste der Öffentlichkeit wirkend – 16 Jahre als Präsident im Kirchenverwaltungsrat Flawil und als Kollegienrat, 14 Jahre im Kantonsrat und 9,5 Jahre im Administrationsrat – ist es Zeit, jüngeren Engagierten Platz zu machen.» Das Parlament des Katholischen Konfessionsteils wird bei seiner Sitzung am 21. November 2023 seine Nachfolgerin, seinen Nachfolger wählen.
Raphael Kühne, Präsident des Administrationsrates, ruft dazu auf, die Kräfte zu bündeln – anstatt auf Einzelaktionen gegen die Bischöfe zu setzen.
Der Friedhof als Gedenkort für Verstorbene verliert an Bedeutung. Das stellt Daniel Klingenberg, reformierter Pfarrer im Toggenburg, fest. Was bedeutet das für unsere Gesellschaft und den Umgang mit dem Tod und der Trauer?
Daniel Klingenberg (61) zeigt in seinem Beitrag «Die Auferstehung der Friedhöfe als multifunktionaler Raum», der im Neujahrsblatt 2023 des Historischen Vereins des Kantons St. Gallen erschienen ist, die Nutzungsveränderung von Friedhöfen an Beispielen aus den Städten St. Gallen und Bern auf. Sein Befund ist eindeutig: Immer weniger Erdbestattungen, immer mehr Kremationen. Urnenbestattungen brauchen weniger Platz, wodurch die frei werdenden Grünflächen auf den Friedhöfen zunehmen. Mit dem zahlenmässigen Rückgang kirchlicher Bestattungsrituale kommt ein neuer Trend dazu: Immer mehr Menschen wünschen eine individuelle Bestattung ohne kirchliche Liturgie.
Daniel Klingenberg, Sie sprechen von drei gesellschaftlichen «Megatrends» im Wandel der Friedhöfe. Können Sie diese kurz umschreiben?
Daniel Klingenberg: Es geht generell um einen religionssoziologischen Befund. Das ist erstens die Individualisierung unserer Gesellschaft, die auch im Glaubensbereich wirksam angekommen ist. Dazu gehören weiter der Wertewandel sowie die religiöse Pluralisierung. Damit hat sich auch der Umgang mit dem Lebensende verändert. Das kirchliche Standardritual wird immer öfter durch selbstgewählte Abschiedsformen ersetzt.
Die Feuerbestattung hat in den letzten Jahren sehr stark zugenommen. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?
Daniel Klingenberg: Das kann man mit dem Wertewandel sehr schön aufzeigen. Dass die Erdbestattung Voraussetzung ist für die christliche Vorstellung von der Auferstehung des Leibes, und dass diese wichtig sei, scheint heute unwichtig. Seit dem Jahr 1963 ist die Feuerbestattung von der katholischen Kirche auch lehrmässig akzeptiert. Hinzu kommen praktische Gründe: Eine Kremation ist viel «platzsparender» und bei der Urnenbeisetzung fallen oft ein individueller Grabstein sowie die Grabpflege weg.
Durch diesen drastischen Rückgang der Erdbestattungen ist der Platzbedarf auf den Friedhöfen entsprechend geschrumpft und es gibt verschiedene Ideen zur Umnutzung dieser Grünflächen. Was geht aus Ihrer Sicht gar nicht auf einem Friedhofsareal?
Daniel Klingenberg: Ich sehe vor allem bei Freizeitnutzungen ein Konfliktpotenzial. Alles, was zu konsumorientiert ist, kollidiert meiner Meinung nach mit dem Phänomen Tod. Ich kann mir ein Konzert auf einem Friedhof vorstellen, vorausgesetzt, die Örtlichkeiten werden in der Veranstaltung sinnvoll eingebunden. Es kommt also stark auf den Rahmen an. Grundsätzlich glaube ich, dass auf einem Friedhofsareal vieles möglich ist.
Was wäre aus Ihrer Sicht eine sinnvolle Umnutzung?
Daniel Klingenberg: Wichtig scheint mir, dass die Grünflächen beibehalten werden und öffentlich zugänglich sind. Dabei sollte auf lärmige und temporeiche Aktivitäten verzichtet werden. Ich stelle mir grüne Oasen vor, ohne intensive Nutzung und ohne Zweckbestimmung.
Im 19. Jahrhundert wurde die Friedhofszuständigkeit von einer kirchlichen zu einer staatlichen Aufgabe. Sie schreiben in einer Schlussfolgerung «im Bereich der Neugestaltung frei werdender Friedhofsflächen als Orte der Ruhe hätten Kirchen spirituelle Kompetenzen einzubringen.» Finden Sie, die Kirche engagiert sich diesbezüglich zu wenig?
Daniel Klingenberg: Tod und die Trauer sind eigentlich spirituelle Themen, der Umgang damit gehört zur Kernkompetenz der Kirche. Bei der Veränderung der Friedhofsnutzung wäre es daher naheliegend, dieses Wissen einzubringen. Die Politik hat kaum Interesse daran, was man mit der Langsamkeit des Umnutzungsprozesses erklären kann. Das Thema geht quasi vergessen.
Immer häufiger wenden sich Menschen von kirchlichen Bestattungen ab und wollen eine Naturbestattung. Dabei wird die Asche in der freien Natur, etwa an einem persönlichen Kraftort des Verstorbenen oder in Bestattungswäldern verstreut. Was halten Sie davon?
Daniel Klingenberg: Das geht mit einem Verlust einher. Ich empfinde eine öffentliche Trauerfeier als sehr wichtig im ganzen Trauerprozess. Aus der Trauerforschung ist bekannt, dass das gemeinsame Abschiednehmen für Angehörige sehr tröstend sein kann. Durch die individuellen Abschiedsfeiern im privaten Rahmen verschwindet dieses kollektive Ritual. Zudem gibt es keinen öffentlich zugänglichen Gedenkort für die verstorbene Person.
Was denken Sie, wie sehen unsere Friedhöfe in 50 Jahren aus?
Daniel Klingenberg: Ich denke nicht, dass sich so schnell etwas ändern wird. Die Veränderung der Friedhöfe ist ein sehr langsamer Prozess. Es ist wichtig zu wissen, was die Bevölkerung denkt. Dabei ist eine verantwortungsbewusste Planung entscheidend. Weil das Thema mit vielen unterschiedlichen Meinungen, Emotionen und örtlichen Gegebenheiten verknüpft ist, gibt es auch vielfältige Varianten der Umnutzung. Ich vermute, dass man die Grünflächen als Oasen behalten wird. In einzelnen Fällen wird es in urbanen Räumen aufgrund des Siedlungsdruckes Umnutzungen geben.
Daniel Klingenberg ist Pfarrer in der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Mittleres Toggenburg und Publizist.
Der Friedhof hat für Marianne Dietrich aus Gossau eine grosse Bedeutung. Er half ihr, den Verlust ihres Mannes besser zu ertragen. Für die 82-Jährige ist er aber mehr als nur Ort der Trauer und der Erinnerungen. Am Grab lässt sie auch fröhliche Momente zu.
Der Herbst hat Einzug gehalten. Die Blätter an den Bäumen erstrahlen in bunten Farben und die Bise weht steif. Marianne Dietrich schreitet langsam, aber zielgerichtet den breiten Weg entlang. Es ist ein Weg, den sie gut kennt. Sie ist ihn schon unzählige Male gegangen. Marianne Dietrich hat vor fünf Jahren ihren Mann verloren. René Dietrich war 77 Jahre alt, als er einen Hirnschlag erlitt. Es folgten Spitalaufenthalte und Therapien. Zuletzt wohnte René Dietrich im Pflegeheim Vita Tertia in Gossau. Seit seinem Tod besucht Marianne Dietrich das Grab ihres geliebten Mannes regelmässig. «Ich komme gerne hierher», sagt die 82-Jährige. «Es tut mir gut.» Man merkt: Der Friedhofbesuch bedeutet Marianne Dietrich viel. «Hier treffe ich immer Menschen und kann einen Schwatz halten.» Das Wissen, dass es anderen ähnlich gehe, könne in der Trauer helfen. «Plötzlich merkt man, dass man nicht alleine ist.»
Marianne Dietrich (rechts) ist auf dem Friedhof selten alleine. Beim Besuch Ende September begleitet sie Jacqueline Bollhalder vom Trauercafé.
Den richtigen Platz gefunden
Marianne Dietrich grüsst Bekannte hier und winkt Freunden dort. Immer wieder bleibt sie kurz stehen und schaut auf Grabsteine. Und immer wieder sieht sie darauf ihr bekannte Namen. Mit fortschreitendem Alter werden es immer mehr. Ein Umstand, den Marianne Dietrich akzeptieren muss. Ihr Ehemann hat seine letzte Ruhestätte im Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Hofegg in Gossau gefunden. Auf dem grossen, achtteiligen Monument sind auf goldig-schimmernden Plaketten die Namen der Verstorbenen vermerkt. Marianne Dietrich läuft um den Grabstein herum. An der Rückseite – ganz oben – steht der Name ihres verstorbenen Mannes. Sie tritt an den Stein heran und schaut hoch. Der Grabstein liegt an diesem Nachmittag halb im Schatten. «Hier hat er den richtigen Platz gefunden. Er mochte Schatten sehr gerne. Ich mag lieber Sonnenschein», sagt Marianne Dietrich mit einem Lächeln im Gesicht. Die Erinnerungen an ihren Mann sind allgegenwärtig. Und auch wenn man ihr die Trauer bei jedem Wort ansieht, kann sie mittlerweile wieder fröhliche Momente zulassen. «An einem Grab darf man auch lachen», sagt sie.
Marianne Dietrich ist sehr wichtig, dass der Name ihres verstorbenen Mannes irgendwo vermerkt ist.
Marianne Dietrich erinnert sich gerne an die 54 gemeinsamen Jahre zurück. «Wir hatten es gut miteinander und ein so schönes Leben.» Dass sie noch den goldenen Hochzeitstag feiern konnten, bedeutet ihr sehr viel. Sie spricht über die Kinder, über die Hobbys ihres Mannes, über gemeinsame Ausflüge – und der Ort, an dem Marianne Dietrich noch kurz zuvor fröhlich war, wird plötzlich zum Ort, an dem Tränen ihre Wangen herunterkullern. Der Abschied wiegt noch immer schwer. «Ich vermisse ihn jeden Tag.»
Trauercafé als Fixpunkt
Auf dem Friedhofsbesuch wird Marianne Dietrich oft von zwei Freundinnen begleitet. Wenn Tochter Karin zu Besuch ist, gehört auch für sie der Gang ans Grab des Vaters zur Pflicht. An diesem sonnigen Tag Ende September ist Marianne Dietrich mit Jacqueline Bollhalder, katholische Seelsorgerin in Gossau und Leiterin des ökumenischen Trauercafés, auf dem Friedhof. Die beiden kennen sich gut. Seit dem Tod des Mannes ist das monatliche Treffen ein Fixpunkt in Dietrichs Agenda. Einmal wöchentlich nimmt sie am Mittagessen im Friedegg teil und einmal im Monat besucht sie den Seniorennachmittag der Pfarrei. «Das tut mir gut», sagt Marianne Dietrich. «Ich kann hier mit Mitmenschen sprechen. Wir alle haben das Gleiche erlebt. Und es sind alles liebe Menschen.»
Nach dem Tod ihres Mannes half das Trauercafé der katholischen und reformierten Kirche Marianne Dietrich aus dem Tief. Noch heute ist das monatliche Treffen mit anderen Betroffenen und Seelsorgerin Jacqueline Bollhalder für sie ein Fixpunkt.
Auch Jacqueline Bollhalder schätzt Marianne Dietrich. «Sie sorgt sich sehr um die anderen im Trauercafé, spielt Fahrerin und ist ein Sonnenschein», so Bollhalder. Die beiden Frauen verbindet mittlerweile mehr als nur eine Zweckgemeinschaft. Man interessiert sich füreinander und sorgt sich umeinander. Jacqueline Bollhalder weiss aus Erfahrung, wie wichtig für Betroffene der Friedhof als Ort der Trauer und Erinnerung ist. «Viele Betroffene besuchen die Gräber nach einem Verlust jeden Tag. Das gibt ihnen eine Struktur», sagt Bollhalder. «Auf dem Friedhof muss man mit niemandem reden und weiss gleichzeitig, dass alle dort das Gleiche erlebt haben. Das Wissen, dass andere diese Situation auch durchmachen, hilft vielen. Zudem wollen sie die Erinnerung an diese Personen erhalten.»
Begegnungen wichtig
Am Grab setzt sich Marianne Dietrich gerne auf die bereitgestellten Stühle. Oft spricht sie zu ihrem Mann, erzählt ihm, was sie erlebt hat oder was sie beschäftigt. Schlimm seien am Anfang vor allem die Wochenenden gewesen. Dann, wenn nicht viel läuft und sie Zeit hatte, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. «Ich hatte sehr viele Krisen», sagt Dietrich. «Gerade die Monate nach dem Tod waren der Friedhof und die Begegnungen dort für mich sehr wichtig.» Der Verlust eines geliebten Menschen lasse einen in ein Loch fallen. «Nichts ist mehr, wie es war.» Sie habe sich anstrengen müssen, wieder am Leben teilzunehmen, nach draussen zu gehen, nicht zu vereinsamen.
Marianne Dietrich setzt sich gerne an das Grab ihres verstorbenen Mannes und spricht mit ihm.
Der Friedhof und die Gespräche dort halfen ihr dabei. Irgendwann begann sie wieder mehr, unter die Leute zu gehen. «Ich wollte nicht versauern.» Marianne Dietrich ist dankbar, dass sie noch so rüstig ist, ein gutes Umfeld und viele nette Freundinnen und Freunde hat. Aber es gibt auch immer wieder schwierige Zeiten. Etwa, als sie sich vor zwei Monaten operieren lassen musste. «In solchen Zeiten vermisse ich meinen Mann noch mehr.»
Räumung war «schrecklich»
Gerne würde sie beim Grab öfter das bereitgestellte Weihwasser nutzen und die Plakette damit bepinseln – «damit er auch merkt, dass ich da war.» Die Plakette hängt allerdings zu hoch. Marianne Dietrich kann sie nicht erreichen. Heute übernimmt das ihre Begleiterin Jacqueline Bollhalder. «Ich bepinsle dann halt stattdessen manchmal Plaketten von Freunden», sagt Dietrich. Früher habe sie jeweils noch eine Kerze ans Grab mitgenommen. «Aber das habe ich aufgegeben. Wegen des Windes erlöschen die immer wieder.»
Mit dem Weihwasser bepinselt Marianne Dietrich oft Plaketten von verstorbenen Freunden oder Bekannten.
Dann wird Marianne Dietrichs Stimme leiser. Sie wirkt nachdenklich. Man habe sie einmal gefragt, ob sie an die Auferstehung glaube. «Ich bin sicher, dass er es schön hat im Himmel», sagt sie. Marianne Dietrich musste bereits einmal einen schweren Schicksalsschlag verkraften. 1990 verstarb ihr Sohn im Alter von 22 Jahren. Seine Ruhestätte fand er ebenfalls auf dem Friedhof Hofegg. Auch damals waren die Friedhofbesuche ein Trost für Marianne Dietrich und sie kann sich noch gut an den Tag erinnern, als das Grab nach 25 Jahren geräumt wurde. «Das war schrecklich für mich.»
Grabpflege ausschlaggebend
Die Entscheidung für das Gemeinschaftsgrab hat Marianne Dietrich mit ihrem Mann gefällt. Ein Einzelgrab kam für sie nicht in Frage. «Wer sollte denn für das Grab schauen, wenn auch ich nicht mehr da bin?», fragt sie rhetorisch. Die Tochter wohne leider zu weit weg. So müsse sich niemand um das Grab kümmern und die Ruhestätte sehe immer schön aus. «Wichtig ist für mich einfach, dass sein Name dasteht und ich einen Ort habe, an den ich kommen kann, um ihm nahe zu sein.»
Blumen beim Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Hofegg in Gossau.
Auch sie selbst wird dereinst im Gemeinschaftsgrab auf dem Friedhof Hofegg beerdigt werden. Sie schaut abermals hoch zur Plakette ihres Mannes. Links und rechts daneben sind viele weitere Namen vermerkt. Jacqueline Bollhalder spricht den Umstand an, dass heute einige Menschen die Asche verstreuen. Sie selbst sehe das eher schwierig, aber man dürfe nicht urteilen. «Die Trauerarbeit ist so individuell und persönlich. Jeder muss das selbst für sich wissen.»
Erinnerungen bleiben
Die Besuche von Marianne Dietrich auf dem Friedhof wurden im Laufe der Jahre weniger. Früher war sie noch täglich am Grab ihres Mannes. Heute geht sie einmal wöchentlich. Die Erinnerungen an ihre Liebsten und die Trauer sind geblieben. Zuhause hat Marianne Dietrich einen kleinen Altar errichtet. Darauf eine Schüssel mit frischen Blumen und die Namen des Sohnes und des Ehemanns auf handgeschriebenen Zetteln. Jeden Abend zündet Marianne Dietrich im Gedenken an sie eine Kerze an.
Mit dem Pfarreigremium Niederglatt hat der 38-jährige Daniel Inauen den «Engelzauber» initiiert – eine Schnitzeljagd in und um das Dorf. An wen sie sich richtet und warum sich der Finanzcontroller in der Kirche engagiert.
«Jeder kann ein Engel sein, ein Schutzengel zum Beispiel», sagt Daniel Inauen. Der 38-Jährige steht in der Kirche Niederglatt, ein für die Grösse des Dorfes – es zählt rund 300 Einwohnerinnen und Einwohner – stattlicher Bau. Die Frage nach dem typischen Aussehen eines Himmelsboten lässt ihn ein wenig grübeln – und schliesslich ratlos zurück. Stattdessen zeigt Inauen an die Decke. Auf einem bunten Gemälde sind zwei Engelfiguren abgebildet. «Sie sind überall, man muss nur mit offenen Augen umhergehen und bewusst darauf achten.» Inauen lädt uns ein, auf die Empore zu gehen, «dorthin, wo sonst selten jemand hingeht», und das Bild aus der Nähe zu betrachten. Und schon sind wir Teil des «Engelzaubers», einer interaktiven Schnitzeljagd in und um das Dörfchen Niederglatt.
Wohnort neu kennenlernen
An über zehn Stationen erfahren die Schnitzeljägerinnen und ‑jäger Wissenswertes über Engel und müssen an einigen Posten Aufgaben lösen, um die weitere Route zu erfahren. Die Schnitzeljagd richtet sich an alle Altersgruppen. «Die Fragen sind leicht zu beantworten und der Weg nicht allzu lang», so Inauen. «Der Weg soll vor allem auch Junge und Familien ansprechen.» Einzige Bedingung zur Teilnahme ist ein Handy mit ausreichend Akku und Internetverbindung. Den QR-Code an der Kirchentüre gescannt und schon geht’s los. «Der Weg ist nicht zu kirchlich geprägt und nicht belehrend», sagt Inauen und fügt hinzu: «Durch die Vorbereitungen auf das Projekt habe ich die Umgebung meines Wohnortes nochmals ganz neu kennengelernt. Bestenfalls geht es anderen Niederglättlern auch so.» Die Posten stehen etwa bei der ehemaligen Schule, beim Friedhof, bei einer Grotte, am Ufer der Glatt. «Es ist erstaunlich und interessant, wo Engel überall präsent sind.»
Der «Engelzauber» führt an der ehemaligen Schule in Niederglatt vorbei.
Aus Mangel an Angeboten
Den Anstoss für die Schnitzeljagd, die in diesem Jahr zum ersten Mal stattfindet, gab das fünfköpfige Pfarreigremium von Niederglatt. Die Pfarrei Niederglatt wiederum ist seit vier Jahren Teil der Seelsorgeeinheit Magdenau. Dort wurde im vergangenen Jahr eine Schnitzeljagd organisiert. Die Idee ist also nicht neu. Wie Inauen erklärt, ist der «Engelzauber» als Teil der Chilbi in Niederglatt geplant worden. «Die Chilbi ist neben dem Suppentag und einigen wenigen Anlässen in der Weihnachtszeit meist der einzige Event im Dorf. Ansonsten läuft hier nicht viel», erklärt Inauen. Der «Engelzauber» sollte auch den jungen Generationen etwas bieten. Der Weg ist noch bis 15. November begehbar. Ob das Projekt im kommenden Jahr fortgesetzt werde, sei noch offen. «Leider haben während der Chilbi nicht so viele mitgemacht wie erhofft.»
Mitwirkung durch Kirche
Daniel Inauen engagiert sich seit vier Jahren im Pfarreigremium. Daneben arbeitet der zweifache Familienvater in der Finanzkontrolle der Stadt St. Gallen. Über seine Motivation für das freiwillige Engagement sagt der gebürtige Innerrhödler: «Ich wollte mitwirken und mich integrieren.» Da Niederglatt kein vielfältiges Vereinsleben oder ein aktives Dorfleben habe, sei die Kirche für ihn eine gute Möglichkeit gewesen, in der Gemeinschaft mitzuwirken. «Zudem bin ich in Appenzell katholisch aufgewachsen und die Verbundenheit zur Kirche war bereits da. Aber fromm war ich nie.» Inauen spricht auch den Stellenwert der Kirche für die Gemeinschaft an. «Niederglatt ist sehr verstreut, die Einwohner wohnen oft weit voneinander entfernt, und seit die Schule nicht mehr da ist, ist die Kirche noch sinnstiftender und verbindender.»
Text: Alessia Pagani Bild: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 20. Oktober 2023
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