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«Wissen, dass immer ­jemand da ist»

Mirco Meier und Jani­na Landolt, kirch­li­che Jugend­ar­bei­ter in der Seel­sor­ge­ein­heit Gaster, ­unter­stüt­zen Jugend­li­che auf ihrem Weg ins Erwach­se­nen­le­ben. Im Jugend­treff haben sie auch ein Ohr, wenn ein Teen­ager einmal einfach über sein Hobby spre­chen will.

Zehn bis fünf­zehn Jugend­li­che kommen jeden zwei­ten Sams­tag­abend in den kirch­li­chen Jugend­treff in Weesen. Das Zusam­men­sein genies­sen, Musik hören oder mitein­an­der Billard spie­len. «Manch­mal hat jemand auch das Bedürf­nis, dass ihnen jemand zuhört», so Mirco Meier, Jugend­ar­bei­ter, «sie möch­ten mit einem Erwach­se­nen über das spre­chen, das sie beschäf­tigt oder inter­es­siert wie zum Beispiel ihr Hobby.» Ihm sei es wich­tig, den Jugend­li­chen eine Erfah­rung zu ermög­li­chen, die auch er als Jugend­li­cher erlebt hat: «In meiner Teen­ager­zeit zerbrach meine Fami­lie, ich hatte in der Kirche Ansprech­per­so­nen, die für mich da waren, das hat mich durch diese schwe­re Zeit getragen.»

Jani­na Landolt: Die Sitz­kis­sen sind bei den Jugend­li­chen jeweils sehr begehrt. 

Empa­thie trainieren

Gemüt­lich im Jugend­treff chil­len und zusam­men­sit­zen, beim Koch-Abend «fair kochen» gemein­sam ein Rezept kreieren oder sich auf die Wall­fahrt nach Einsie­deln bege­ben – in der Seel­sor­ge­ein­heit Gaster hat die kirch­li­che Jugend­ar­beit einen gros­sen Stel­len­wert. Für Mirco Meier ist Jugend­ar­beit nicht einfach ein «Nice to have», sondern theo­lo­gisch begrün­det: «Es geht darum, Jugend­li­che zu unter­stüt­zen, freie und selbst­stän­di­ge Menschen zu werden.» Dies sei bereits bei der Synode 72 – eine Reform­syn­ode der Schwei­zer Bistü­mer – so fest­ge­hal­ten worden. «Kirch­li­che Jugend­ar­beit ist viel mehr als einfach nur Frei­zeit­be­schäf­ti­gung oder mit Gleich­alt­ri­gen beisam­men sein: Jugend­li­che setzen sich bei unse­ren Ange­bo­ten auch ganz konkret mit Werten ausein­an­der.» Er nennt als Beispiel das Ange­bot «fair kochen»: «Beim gemein­sa­men Kochen werden auch Empa­thie und Tole­ranz trai­niert. Die Teil­neh­men­den werden mit unter­schied­li­chen Geschmä­ckern, Vorlie­ben und Aller­gien konfron­tiert und stehen vor der Heraus­for­de­rung, ein Rezept zu entwi­ckeln, das für alle passt. Beim Essen merken sie dann: Es schmeckt auch, wenn ich es nicht genau so mache, wie ich es immer mache.»

Jugend­la­bel lanciert

Zur kirch­li­chen Jugend­ar­beit gehört viel mehr als nur der kirch­li­che Jugend­treff: Ministranten-Arbeit, Jugend­rei­sen … dazu kommen in vielen Seel­sor­ge­ein­hei­ten im Bistum St. Gallen auch verband­li­che Jugend­an­ge­bo­te wie zum Beispiel die Jubla oder die katho­li­sche Pfadi und Jugend­pas­to­ral wie der Firm­weg oder Seel­sor­ge. All diese Ange­bo­te sollen nun mehr ins Bewusst­sein rücken und gewür­digt werden. Mirco Meier und Jani­na Landolt werten es als posi­ti­ves Zeichen, dass die Fach­stel­le für Jugend­ar­beit im Bistum St. Gallen (DAJU) nun ein «Jugend­la­bel» lanciert (siehe Kasten). «Ein solches Label hilft, die Ange­bo­te vor Ort genau anzu­schau­en und auch auf blin­de Flecken aufmerk­sam zu werden», so Mirco Meier. Ein erster Schritt sei die Anstel­lung einer Jugend­ar­bei­te­rin gewe­sen: «Die Jugend­li­chen sollen zwischen einer Frau und einem Mann als Ansprech­per­son wählen können.»

Mirco Landolt (mitte) weiss aus eige­ner Erfah­rung: Es ist wich­tig, dass Jugend­li­che Ansprechs­per­so­nen haben.

Persön­lich­keit entwickeln

Wenn eine Kirch­ge­mein­de in die Jugend inves­tiert, inves­tiert sie in die Zukunft, hört man oft als Argu­ment für den Einsatz von kirch­li­chen Ressour­cen für diese Ziel­grup­pe. Mirco Meier sieht das etwas anders: «Der Grund für Jugend­ar­beit muss aus meiner Sicht sein, Jugend­li­che bei der Persön­lich­keits­ent­wick­lung zu unter­stüt­zen. Allein deshalb lohnt es sich, Ressour­cen dafür zu inves­tie­ren.» Es geht aber auch noch um einen ande­ren Aspekt: Kirch­li­che Jugend­ar­beit ermög­licht laut Mirco Meier Erleb­nis­se, zu denen manche Jugend­li­che aufgrund der finan­zi­el­len Situa­ti­on zuhau­se keinen Zugang hätten. «Wir entlas­ten damit auch Fami­li­en, die von Armut betrof­fen sind: Einen Ausflug machen und dort etwas essen können, das ist nicht für alle eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Bei uns können alle mitma­chen, niemand wird aufgrund seiner Situa­ti­on zuhau­se ausgegrenzt.»

Chil­len, mitein­an­der reden, Musik hören oder Tögge­li­kas­ten spie­len: Im Jugend­treff in Weesen wird es nie langweilig.

Erfah­run­gen machen

Jani­na Landolt beob­ach­tet, dass sich Jugend­li­che heute nach Räumen sehnen, wo sie nicht bewer­tet werden und auch nicht schon wieder eine Leis­tung erbrin­gen müssen. Dass manche Eltern ihre Kinder über­hü­ten, sieht Mirco Meier kritisch: «Es gehört ja gera­de zur Jugend, dass sie Erfah­run­gen machen können. Es ist eine heraus­for­dern­de Zeit, aber da lernen junge Menschen, auch mit nega­ti­ven Erfah­run­gen umzu­ge­hen und daran zu wach­sen. Wenn man erst mit 30 mit solchen Heraus­for­de­run­gen konfron­tiert wird, hat man zuvor nicht die Chan­ce gehabt zu lernen, damit umzu­ge­hen. Zudem erhält jemand in der Jugend häufig einfa­cher eine zwei­te Chan­ce.» Der Jugend­ar­bei­ter steht auch im Austausch mit Eltern. «Wenn Jugend­li­che Proble­me haben, wird das viel­fach als Versa­gen der Eltern gedeu­tet. Viele sind deshalb total unter Druck. Dabei hat das oft nichts damit zu tun.» Für Jani­na Landolt ist das Vertrau­en zwischen Eltern und Jugend­li­chen eine entschei­den­de Grund­la­ge: «Das Wich­tigs­te ist, zu vermit­teln: Egal, was passiert, du kannst zu uns kommen und wir helfen dir. Und es gibt dann auch keine Vorwür­fe oder Schuld­zu­wei­sun­gen. Jugend­li­che soll­ten wissen, dass immer jemand für sie da ist.»

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 24. Mai 2024

Label für jugend­freund­li­che Kirche

Die DAJU und die Anima­ti­ons­stel­len für kirch­li­che Jugend­ar­beit (akjs) haben ein Label für eine «jugend­freund­li­che Kirche» ausge­ar­bei­tet. Das Label soll eine öffent­lich sicht­ba­re Auszeich­nung für eine quali­ta­tiv gute Jugend­ar­beit sein. Es werde für jeweils drei Jahre verge­ben. Nach dieser Zeit kann es neu bean­tragt werden. «Das Label sei ein Zeichen für eine hohe Quali­tät und Profes­sio­na­li­tät der Jugend­ar­beit einer Seel­sor­ge­ein­heit», so die DAJU in einer Mittei­lung. «Mit dem Label werden Seel­sor­ge­ein­hei­ten ausge­zeich­net, welche die mit dem Label verbun­de­nen zentra­len Quali­täts­merk­ma­le erfüllen.»

Das Label brin­ge der Seel­sor­ge­ein­heit und deren Jugend­ar­beit viele Vortei­le. Unter ande­rem werden damit die Quali­tät und Profes­sio­na­li­tät der Jugend­ar­beit gestärkt und gegen aussen sicht­bar gemacht. Die Ziele und Wirkung der Jugend­ar­beit werden defi­niert und auch über­prüf­bar. Zudem werden Seel­sor­ge­ein­hei­ten beim Aufbau und der Profes­sio­na­li­sie­rung der Jugend­ar­beit unter­stützt. Schliess­lich könne damit das Vertrau­en von Eltern und Fami­li­en in die Jugend­ar­beit gestärkt werden. Die Seelsorgeeinheit Gaster strebt als eine der ersten Seelsorgeeinheiten das Jugend­la­bel an.

→ www.daju.ch

Wiborada vertanzt

Robi­na Stey­er kann­te nur den Namen Wibora­da. Mehr hatte die 40-Jährige über die Inklu­sin nicht gewusst. Dann hat sie sich entschlos­sen, das Leben der Einsied­le­rin tänze­risch darzu­stellen. Dabei hat sie viele Paral­le­len zur heuti­gen Zeit entdeckt.

Robi­na Stey­er lässt ein blau­es Tuch über ihren Kopf schwe­ben. Regel­mäs­sig hält sie inne, über­legt und beginnt von Neuem. Eine Frage beschäf­tigt sie in diesem Moment spezi­ell: «Wie lässt sich das beweg­te Leben einer Frau in Einsam­keit vor über 1000 Jahren tänze­risch darstel­len?» Wieder lässt ­Robi­na Stey­er das blaue Tuch über ihrem Kopf krei­sen. «Es ist ein zentra­les Element und stellt den Himmel und den Geist dar. Es soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», erklärt Robi­na Stey­er. Die 40-Jährige ist ausge­bil­de­te Tänze­rin, Choreo­gra­fin und Dozen­tin und probt momen­tan ein ganz beson­de­res Stück. Anfang Mai bringt sie «Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on» erst­mals auf die Bühne.

Liebe für sozi­al­kri­ti­sche Themen

Das Stück ist eine Heraus­for­de­rung für die erfah­re­ne Darstel­le­rin, die zwischen 2014 und 2019 als Solis­tin in der Tanz­kom­pa­nie St. Gallen enga­giert war. «Es ist nicht ganz einfach, das Leben der heili­gen Wibora­da zu vertan­zen», sagt sie und lächelt. Wie vielen ande­ren sei auch ihr der Name zwar ein Begriff gewe­sen, die Geschich­te aber fremd. Robi­na Stey­er ist in der DDR gebo­ren und bezeich­net sich als «nicht sonder­lich gläu­big». Heute ist sie faszi­niert von der Inklu­sin: «Ich habe heraus­ge­fun­den, wie span­nend Wibora­da war. Im Kern ist es eine femi­nis­ti­sche, sozi­al­kri­ti­sche Geschich­te. Das schät­ze ich sehr.» Robi­na Stey­er widmet sich gerne solchen Geschich­ten. Zusam­men mit zwei Kolle­gen leitet sie das ­ConFu­sion­Art Coll­ec­ti­ve in St.Gallen, dass sich immer wieder sozi­al­kri­ti­schen Themen annimmt.

Lange Recher­che

Die 40-Jährige hat in den vergan­ge­nen Wochen viel über das Leben der Inklu­sin recher­chiert, hat Arti­kel gele­sen und mit Exper­tin­nen und Exper­ten gespro­chen. Als gros­se Hilfe bezeich­net Robi­na Stey­er die St.Galler Histo­ri­ke­rin Judith Thoma, die immer mit Rat und Tat zur Seite gestan­den sei. 

«Das Tuch soll versinn­bild­li­chen, wie der Geist in der Einsam­keit wächst und grös­ser wird», so Robi­na Steyer.

Eine gros­se Frage für Robi­na Stey­er war jene nach den Beweg­grün­den der Wibora­da. «Ich habe mir lange über­legt, warum Wibora­da ein Leben in der Inklu­se, ein Leben in Einsam­keit einem Leben in Frei­heit vorge­zo­gen hat.» Robi­na Stey­er spricht von Rebel­li­on, von gesell­schaft­li­chem Druck, von äusse­ren Wert­vor­stel­lun­gen und eige­nen Wegen – und zieht den Vergleich zu heute. «Durch die vielen Einflüs­se verlie­ren wir manch­mal die Verbin­dung zu uns selbst. Es nützt, sich immer wieder zurück­zu­neh­men, inne­zu­hal­ten und sich zu fragen: Was ist Glück für mich über­haupt?». Wibora­da habe sich selbst­be­wusst gegen die gesell­schaft­li­chen Normen gestellt. «Das braucht Mut. Wir können uns ein Beispiel an ihr nehmen.»

Rück­zug ins Selbst

Während all der Mona­te, in denen sie sich auf das Stück vorbe­rei­tet hat, hat Robi­na Stey­er viele Paral­le­len zu ihrem Leben gefun­den. «Das Stück thema­ti­siert den Rück­zug ins Selbst. Auch für uns Künst­le­rin­nen und Künst­ler ein sehr zentra­les Element, wenn wir krea­ti­ve Wege einschla­gen. Es hilft, sich voll in eine Rolle hinein­zu­ge­ben.» Und was erwar­tet die Besu­che­rin­nen und Besu­cher konkret, und wie gross wird das blaue Tuch schluss­end­lich? Alles will Robi­na Stey­er nicht verra­ten. Nur so viel: «Es wird ein Stück, das über die Gren­zen des Glau­bens und des Chris­ten­tums hinaus­blickt und damit für alle zugäng­lich ist.»

«Sanc­ta Wibora­da – eine Reise ins Inne­re der Rebel­li­on»: 2. Mai: Premie­re in der Kirche St. Mangen in St.Gallen, 20 bis 21 Uhr (Eintritt frei); 3. und 4. Mai am Tanz­fest St.Gallen: ­Kirche St. Mangen, 20 bis 21 Uhr (35 Franken)

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: zVg. / Kay Appenzeller

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Was wir von Ordensbrüdern lernen können

Der Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels liegt bei 65 Jahren. Die sechs Kapu­zi­ner sind alle bei bester Gesund­heit. Nicht ohne Grund: Der Alltag im Klos­ter tut gut, wie eine Studie belegt. Im Schnitt leben Ordens­brü­der fünf Jahre länger als ihre welt­li­chen Kolle­gen. Doch woran liegt das? Bruder Ephrem und Guar­di­an Beat erzäh­len, worauf es ankommt.

Im Sprech­zim­mer des Klos­ters Mels herrscht zuerst Ratlo­sig­keit. Die beiden Ordens­brüder Beat und Ephrem schau­en sich kurz irri­tiert an, dann antwor­tet Bruder Ephrem auf die Frage, wie es ihm geht: «Ich bin nicht mehr zwan­zig, das merke ich natür­lich. Aber mir geht es recht gut. Ich bin zufrie­den.» Die Frage kommt nicht von unge­fähr. Bruder Ephrem ist im vergan­ge­nen ­Febru­ar 80 Jahre alt gewor­den. Vor 60 Jahren ist er in den Orden der Kapu­zi­ner und damit in das Klos­ter­le­ben einge­tre­ten. Guar­di­an Beat ist seit 36 Jahren im Orden. Und damit haben die beiden die besten Voraus­set­zun­gen für ein langes Leben. Gemäss einer aktu­el­len Studie leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger als ihre welt­lichen Kollegen. 

Gemäss der Deutsch-Österreichischen Kloster­studie des Insti­tuts für Demo­graphie der Öster­rei­chi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten leben Ordens­män­ner im Schnitt fünf Jahre länger.

Als Grün­de werden unter ande­rem der gere­gel­te Alltag und das Leben in der Gemein­schaft genannt. Dies zeigt, dass unse­re Lebens­er­war­tung nicht nur biolo­gisch vorge­ge­ben, sondern zum Teil beein­fluss­bar ist. Doch was machen die Menschen im Klos­ter anders als die Menschen draus­sen? Bei einem Besuch in Mels Anfang April erzäh­len die zwei Ordens­brü­der von ihren Erfahrungen.

Morgend­li­che Gymnastikeinheiten

Im Klos­ter Mels leben heute noch sechs Brüder. Der Jüngs­te ist 36 Jahre, der Ältes­te 88 Jahre alt. Guar­di­an Beat ist mit seinen 58 Jahren der Zweit­jüngs­te in der Gemein­schaft. Alle sind sie bei ­guter Gesund­heit – sowohl körper­lich als auch geis­tig. «Natür­lich merken wir Älte­ren manch­mal unser fort­ge­schrit­te­nes Alter, aber es geht uns nicht schlecht, wir haben nichts Akutes», so Bruder Ephrem. Er ist ein aufge­stell­ter Zeit­ge­nos­se, vif im Kopf und körper­lich fitter als manch 40-Jähriger. Nicht ohne Grund. Bruder Ephrem hat seit der Jugend viel Sport betrie­ben, hat jahre­lang Sieben­kampf und Leicht­ath­le­tik prak­ti­ziert und Klet­ter­tou­ren unter­nom­men. Heute geht er immer noch oft schwim­men und reiten – einfach weni­ger inten­siv als früher. «Alt werden heisst für mich: Einen Tag nach dem ande­ren nehmen. Man muss sich arran­gie­ren mit gewis­sen Sachen und manch­mal um Hilfe bitten», sagt Bruder Ephrem. Sport und Bewe­gung spie­len im Alltag der Ordens­brü­der eine bedeu­ten­de Rolle. «Natür­lich auch im Hinblick auf unse­re Gesund­heit», erklärt Bruder Beat. 

Guar­di­an Beat und Bruder Ephrem leben seit mehre­ren Jahren im Klos­ter Mels und kennen die Vorzü­ge des Lebens in einer Gemeinschaft.

Er war früher star­ker Raucher und hat erst kürz­lich damit aufge­hört – er habe am Berg zu schnau­fen begon­nen. «Man merkt erst mit zuneh­men­dem Alter, dass dies nicht guttut. Je älter ich werde, umso mehr achte  ich darauf, solche ‘ungu­ten’ Sachen zu vermei­den.» Bruder Beat ist gerne und oft draus­sen in der Natur, macht täglich einen Spazier­gang von mindes­tens einer Stun­de. «Das tut Körper und Geist gut. Man denkt einfach anders draus­sen.» Wenn er am Morgen keine Zeit findet, versucht er den Spazier­gang am Nach­mit­tag in den Tages­ab­lauf einzu­bau­en. Für Bruder Ephrem begin­nen die Sport­ein­hei­ten noch früher. Kurz nach dem Aufste­hen um 5.30 Uhr widmet er sich während 30 Minu­ten der Morgen­gym­nas­tik, «auch, um beweg­lich zu blei­ben». Später an diesem Tag führt er uns in seine priva­te Zelle. 

Bruder Ephrem macht jeden Morgen Gymnas­tik­übun­gen. Die Hantel benutzt er nach eige­nen Anga­ben aller­dings selten.

Ein Gymnas­tik­mät­te­li sucht man dort vergeb­lich – er mache die Übun­gen am Boden, sagt Bruder Ephrem – statt­des­sen zeigt er uns seine Hantel, und bevor wir über­haupt rich­tig gucken können, schwingt er sie schon mehr­mals über den Kopf. «Diese benut­ze ich aber selten.» Bruder Ephrem lacht. Man vermag die Aussa­ge nicht ganz zu glau­ben, ange­sichts der Selbst­ver­ständ­lich­keit, mit der der 80-Jährige mit der Hantel umgeht. Auf den Step­per im Keller schwingt er sich wie ein junger Turner. Auch Bruder Beat ist beein­druckt. Bruder Ephrem ist ein Tausend­sas­sa. Noch heute sitzt er in verschie­de­nen Verwal­tungs­rä­ten. «Wir ­müssen ihn immer ein biss­chen brem­sen», sagt ­Bruder Beat.

Ein Ort zum Wohlfühlen

Die Ordens­brü­der pfle­gen ein gutes Verhält­nis unter­ein­an­der. Das spürt man sofort. Bruder Ephrem und Bruder Beat scher­zen viel. Nicht oft wird an einem Termin für das Pfar­rei­fo­rum so herz­haft gelacht wie an diesem Nach­mit­tag in Mels. «Ich bin hier in einer Gesell­schaft, in der ich mich sehr wohl­füh­le. Wir alle fühlen uns sehr wohl an diesem Ort und haben alles, was wir brau­chen. Wir leben gerne hier und in der Gemein­schaft. Das hilft natür­lich für das Wohl­be­fin­den», sagt Bruder Beat. 

Die beiden Ordens­brü­der fühlen sich in der Gemein­schaft in Mels wohl.

«Die Gemein­schaft ist für uns alle eine Entlas­tung», ergänzt Bruder Ephrem. Dane­ben spie­le auch die Sinn­haf­tig­keit des Tuns eine bedeu­ten­de Rolle. «Das Leben im Klos­ter gibt uns einen Sinn. Wir wissen, warum wir morgens aufste­hen. Wir Menschen brau­chen einen Sinn in unse­rem Leben, um glück­lich zu sein.» Im Klos­ter sei die Sinn­fra­ge im Alltag und in der Spiri­tua­li­tät einge­bet­tet. Bei den welt­li­chen Bürgern sei dies anders. «Heute wird die Sinn­fra­ge ausser­halb der Klos­ter­mau­ern oft verdeckt. Es gibt viele Heraus­for­de­run­gen im Alltag und im Beruf. Das schafft Stress und verdrängt die Sinn­fra­ge. Sich über ‘das Wofür’ im Leben Gedan­ken zu machen, braucht Zeit. Oft haben wir die heute nicht mehr», sagt Bruder Ephrem. Auch das Zur-Ruhe-Kommen beim Beten und Medi­tie­ren stei­ge­re das Wohlbefinden.

Beim Beten und Medi­tie­ren kommen die Ordens­brü­der zur Ruhe. Das redu­ziert Stress.

Bruder Beat erklärt: «Unser Klos­ter­le­ben ist geprägt von einem gere­gel­ten Ablauf. Wir wissen, wann wir aufste­hen müssen und was wir wann zu erle­di­gen haben. Dazwi­schen haben wir sehr viel mehr Flexi­bi­li­tät als die welt­li­chen Bürger. Wir haben nicht densel­ben Stress und nicht densel­ben Druck.» Die gere­gel­te Essens­zeit habe einen weite­ren Vorteil: «Wir können uns Zeit nehmen fürein­an­der und für das Essen. Wir spre­chen dann oft über das Erleb­te oder über Sorgen. Und wir nehmen das Essen bewusst zu uns.» In der Küche berei­tet Koch Bruder Josef soeben das Abend­essen vor. 

Als Koch amtet Bruder Josef. Er zaubert täglich ausge­wo­ge­ne Mahl­zei­ten auf den Tisch — teil­wei­se stam­men die Lebens­mit­tel aus dem Klostergarten.

Der frisch­ge­pflück­te Salat aus dem eige­nen Garten liegt schon parat. Es gibt immer Suppe, Salat, einen Haupt­gang  «und meist ein Dessert», so Bruder Beat. «Wir essen also sehr ausgewogen.»

«Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden.»

Bruder Beat

Die Situa­ti­on annehmen

Manch­mal macht sich der hohe Alters­durch­schnitt im Klos­ter Mels sicht­bar. Nicht mehr alle Arbei­ten können die Ordens­brü­der allei­ne verrich­ten. Für die Reini­gung der öffent­li­chen sowie der gemein­schaft­lich genutz­ten Räume beispiels­wei­se haben sie Hilfe von Ange­stell­ten und Frei­wil­li­gen. Eben­so bei der Garten­ar­beit, die für die sechs Brüder mitt­ler­wei­le zu anstren­gend gewor­den ist. Mit einer Ausnah­me: «Den Rasen mähe meist ich. Der Rasen­mä­her läuft ja von allei­ne vorwärts», sagt Bruder Beat und lacht. «Natür­lich steht uns mit fort­schrei­ten­dem Alter nicht mehr alles offen, aber das kann auch posi­tiv sein. Wir ‘müssen’ nicht mehr alles machen.» Im Laufe der Jahre verän­de­re sich die Einstel­lung zum Leben. «Es geht darum, mit der aktu­el­len Situa­ti­on einen Umgang zu finden. Irgend­wann merkt man, dass man nicht inner­lich gegen etwas ankämp­fen muss, dass man nicht beein­flus­sen kann.» Die beiden spre­chen an diesem Nach­mit­tag viel über Akzep­tanz, darüber, dass man das Beste aus einer Situa­ti­on machen müsse. 

Bruder Ephrem ist 80 Jahre alt. Er sagt: «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Angst vor der Zukunft haben die beiden nicht. Ob sie denn auch, wie viele Menschen ausser­halb der Klos­ter­mau­ern, für die eige­ne Gesund­heit beten, will man wissen. Die beiden Brüder schau­en sich wieder an und antwor­ten mit einem deut­li­chen Nein. «Ich sage mir immer: Da musst schon du selbst dafür sorgen», sagt Bruder Ephrem und Bruder Beat ergänzt: «Hoff­nung heisst für mich nicht, dass nichts Schlim­mes kommen kann. Hoff­nung heisst für mich, die Dinge so zu nehmen, wie sie kommen, und einen Sinn dahin­ter zu finden. Natür­lich will ich gerne alt werden und am liebs­ten geis­tig fit blei­ben. Körper­lich wünsche ich mir, dass ich eini­ger­mas­sen ‘zwäg’ blei­be und nicht bett­lä­ge­rig werde.» Mit zuneh­men­dem Alter macht sich auch Bruder Ephrem mehr Gedan­ken über seinen Lebens­abend. Er weiss, dass das irdi­sche Leben endlich ist. «Lang­sam geht es dem Tod entge­gen. Respekt habe ich davor, dass ich irgend­wann viel­leicht im Kopf nicht mehr da bin, dass ich Demenz bekom­me. Das wäre schlimm für mich. Alles ande­re muss ich in Kauf nehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. 4. 2024

Ein Geschenk des Himmels

Die Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf dem Dach der katho­li­schen Kirche in Ober­egg wird im Mai zehn­jäh­rig. Die Ener­gie­quel­le hat eine beweg­te Geschich­te. Die trei­ben­de Kraft war unter ande­rem der Dorfpfarrer.

Ober­egg wird gerne als Unikat bezeich­net. Vom rest­li­chen Inner­rho­der Kantons­ge­biet abge­trennt hatte der Bezirk Ober­egg als Enkla­ve schon immer eine beson­de­re Stel­lung. Einen unkon­ven­tio­nel­len Weg wählt auch die Kirch­ge­mein­de in Bezug auf erneu­er­ba­re Ener­gien. Ein Rück­blick: An der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung vom 30. März 2012 votier­ten alle anwe­sen­den Bürge­rin­nen und Bürger einstim­mig für die geplan­te Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf Ober­eggs Kirchen­dach. Die Baube­wil­li­gung wurde sofort einge­reicht. Drei Mona­te später folg­te eine Einspra­che von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz. Walter Breu, Bau- und Sach­ver­stän­di­ger der Kirch­ge­mein­de Ober­egg, erin­nert sich: «Die Behör­den argu­men­tier­ten, die Kirche sei ein geschütz­tes Objekt und zudem habe der Orts­bild­schutz Vorrang.» Im Okto­ber hat die Stan­des­kom­mis­si­on den Rekurs von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz abge­wie­sen, dennoch wurde im Dezem­ber diesel­be Beschwer­de wieder­um einge­reicht, dieses Mal mit Unter­stüt­zung von zwei Archi­tek­ten. Dieser Rekurs wurde dann vom Kantons­ge­richt behan­delt und letzt­lich im Mai 2013 abge­wie­sen. Damit war der Weg für erneu­er­ba­re Ener­gien defi­ni­tiv frei­ge­räumt und im Mai 2014 konn­te die PV-Anlage in Betrieb genom­men werden.

Seit zehn Jahren ist auf dem Dach der Katho­li­schen Kirche Ober­egg eine Photo­vol­ta­ik­an­la­ge zu finden.

Ein enga­gier­ter Pfarrer

Der Ober­eg­ger Pfar­rer Johann Kühnis, der im Jahr 2022 verstarb, ist von Anfang an die trei­ben­de Kraft hinter diesem Projekt. Breu erklärt: «Er sah von seinem Wohn­zim­mer aus direkt aufs Kirchen­dach und war über­zeugt, dass die südli­che Lage perfekt wäre für eine Solar­an­la­ge. So ist die Idee entstan­den, die Sonnen­kraft als Quel­le für den hohen Ener­gie­ver­brauch der Kirche zu nutzen.» Nach den Einspra­chen setzt sich Kühnis öffent­lich für die PV-Anlage ein. Das St. Galler Tagblatt berich­tet damals über ihn: «Er ist der Meinung, dass die Kirche in Sachen erneu­er­ba­rer Ener­gie als Vorbild agie­ren soll­te und dass die vorge­se­he­ne Dach­flä­che vom Dorf aus nicht sicht­bar sei.» Kühnis bleibt auch nach seinem Tod als «Pate der PV-Anlage» und als belieb­ter Pfar­rer in Erin­ne­rung. Er habe sich bis zur fina­len Umset­zung des Projek­tes mit viel Herz­blut enga­giert: «Er hat sogar persön­lich mitge­hol­fen, die Panels zu montie­ren», berich­tet Breu. Zum Abschied von Kühnis sagte der Pfar­rei­lei­ter Albert Kappen­t­hul­er: «Es gäbe unend­lich vieles aufzu­zäh­len, was er geleis­tet hat. Das Wich­tigs­te aber ist, dass er immer Mensch geblie­ben ist, mit beiden Füssen auf dem Boden, fest verwur­zelt im Glau­ben, aber auch stets offen für das Alltäg­li­che und Gewöhn­li­che. Etwa für die Photovoltaik-Anlage auf dem Kirchen­dach oder ­einen Jass am Stammtisch.»

Ohne Zerti­fi­kat

«Die PV-Anlage besteht aus spezi­el­len Modu­len, die einer­seits sehr effi­zi­ent sind – sie liefern zirka 35 000 KW pro Jahr – und ande­rer­seits optisch sehr dezent wirken», weiss Mesmer Rolf Hoch­reu­te­ner. Rund 40 Prozent des eige­nen Ener­gie­ver­brau­ches können damit abge­deckt werden. Die Kirch­ge­mein­de Ober­egg lege gros­sen Wert auf einen scho­nen­den Umgang mit Ressour­cen. «Unser Kirch­turm wird beispiels­wei­se nur noch an Feier­tagen und nachts beleuch­tet und im Moment planen wir, die Beleuch­tung von ­Halo­gen auf LED umzu­stel­len», so Hoch­reu­te­ner. Auf die Frage, ob kirch­li­che Umwelt­prei­se oder Zerti­fi­zie­run­gen wie «Der Grüne Güggel» auch ein Thema in Ober­egg seien, vernei­nen die Verant­wort­li­chen: «Der Prozess bis zur Zerti­fi­zie­rung ist sehr personal- und kosten­in­ten­siv, wir nehmen lieber klei­ne Schrit­te in Angriff, die wir mit dem aktu­el­len Team bewäl­ti­gen können.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg. / Mauro Callegari

Veröf­fent­licht: 16. April 2024

«Auch ich habe Vorurteile»

Robyn Jung, Ober­mi­nis­tran­tin in Henau, hat ihre Matu­ra­ar­beit immi­grier­ten Müttern und deren Inte­gra­ti­on gewid­met. Durch die Erfah­run­gen konn­te die 18-Jährige eige­ne Vorur­tei­le abbauen.

Wissen schafft Verständ­nis, Verständ­nis schafft Akzep­tanz – davon ist Robyn Jung über­zeugt. Die 18-Jährige schliesst im Sommer die Kantons­schu­le ab und hat sich inten­siv mit der Inte­gra­ti­on beschäf­tigt. Für ihre Matu­ra­ar­beit ist sie in das Leben immi­grier­ter Mütter einge­taucht – hat mit   einer Türkin Rama­dan gefei­ert und mit einer Ukrai­ne­rin einen Floh­markt veran­stal­tet. Entstan­den ist das Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) mit acht Portraits von Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. Ihr Fazit: «Für immi­grier­te Mütter ist es nicht einfach, sich in der Gesell­schaft zu inte­grie­ren und Beruf, Fami­lie und Privat­le­ben zu vereinen.» 

Robyn Jung hat ihre Matu­ra­ar­beit über immi­grier­te Mütter geschrie­ben. Sie weiss: «Für diese ist es nicht immer einfach, sich zu integrieren.»

Oft hätten junge Männer weni­ger Proble­me, würden von Behör­den Hilfe erhal­ten, schnel­ler in Sprach­kur­se inte­griert und bei der Jobsu­che unter­stützt. Bei Frau­en brau­che es mehr Selbst­in­itia­ti­ve. «Dabei über­neh­men die Mütter eine sehr wich­ti­ge Rolle. Sie erzie­hen die Kinder und formen deren Zukunft. Und damit unser aller Leben.» Kinder­er­zie­hung und Inte­gra­ti­on – bei immi­grier­ten Müttern blei­be häufig eines von beiden auf der Strecke.

Wie in der Schule

Robyn Jung ist in Henau bei Wil aufge­wach­sen. In der Pfar­rei enga­giert sie sich als Minis­tran­tin, seit einein­halb Jahren ist sie sogar Ober­mi­nis­tran­tin. Seit Kurzem ist sie zudem Leite­rin im Kinder­treff Kunter­bunt, einem Ange­bot der Pfar­rei. Sie ist in einer offe­nen Fami­lie gross gewor­den, macht die bilin­gua­le Matu­ra in Englisch und reist wie viele junge Menschen gerne in ferne Länder. Multi­kul­tu­ra­li­tät gehört für Robyn Jung zum Alltag, und dennoch sagt sie: «Auch ich habe Vorur­tei­le.» Eige­ne Vorstel­lun­gen brin­ge man nicht so einfach weg. Die Erleb­nis­se mit den Migran­tin­nen haben Eindruck hinterlassen. 

Im Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) porträ­tiert Robin Jung acht Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. 

Sie habe gelernt, wie wich­tig gegen­sei­ti­ges Inter­es­se und gegen­sei­ti­ge Bemü­hun­gen sind. «Die Migran­tin­nen und Migran­ten sind froh, wenn man Inter­es­se zeigt und mit ihnen in den Dialog tritt. So können Ängs­te abge­baut werden. Umge­kehrt müssen auch die Migran­tin­nen und Migran­ten offen sein und sich anpas­sen wollen.» Robyn Jung vergleicht es mit dem Berufs- oder Schul­all­tag. «Man muss nicht alle mögen, aber man muss mitein­an­der auskom­men. Dabei gibt es Grund­re­geln, an die wir uns alle halten müssen.»

Mit Best­no­te ausgezeichnet

Bei der Inte­gra­ti­on böten vor allem auch die Kirchen eine Chan­ce, so die junge Frau: «Reli­gi­on kann helfen, sich als Teil der Gemein­schaft zu fühlen. Zudem bieten Kirchen oft viele Möglich­kei­ten zur Parti­zi­pa­ti­on.» Robyn Jung ist dank­bar, dass sie die Erfah­run­gen im Rahmen ihrer Matu­ra­ar­beit machen konnte. 

Robyn Jung konn­te in den Gesprä­chen mit den immi­grier­ten Müttern Vorur­tei­le abbauen.

Diese wurde nicht ohne Grund mit der Best­no­te ausge­zeich­net. Im Janu­ar hat sie eine Podi­ums­dis­kus­si­on in Wil veran­stal­tet, an der auch der Wiler Stadt­rat Dario Sulzer, Vorste­her des Depar­te­ments Gesell­schaft und Sicher­heit, und Clau­dia Nef, Geschäfts­füh­re­rin des Träger­ver­eins Inte­gra­ti­ons­pro­jek­te St. Gallen, teil­nah­men. Zu den portrai­tier­ten Frau­en hat Robyn Jung immer noch Kontakt und sie denkt gerne an die gemein­sa­men Erleb­nis­se zurück. Sie ist über­zeugt: «Das Leben mit zwei Kultu­ren bringt viele Vortei­le. Man kann aus beiden das Beste herausnehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 8. April 2024

Hinter den Kulissen #1 — Wie sich Familien auf die Erstkommunion vorbereiten

In unse­rer ersten Podcast-Folge berich­ten wir, was wir während unse­rer Repor­ta­ge am Vorbe­rei­tungs­tag auf die Erst­kom­mu­ni­on in Nieder­uz­wil erlebt haben. Ausser­dem gehen wir der Frage nach, wie die Kirche auf verän­der­te Fami­li­en­rea­li­tä­ten wie patch­work oder allein­er­zie­hend eingeht. 

Podcast: Nina Rudni­cki / Ales­sia Pagani

Veröf­fent­licht: 05.04.2024

«Vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen»

Die ÖV-Mehrfahrtenkarte soll durch ein digi­ta­les Ange­bot ersetzt werden. Der Theo­lo­ge und Ethik­pro­fes­sor Peter G. Kirch­schlä­ger bezeich­net den Schritt als ethisch proble­ma­tisch. Er nimmt den Staat in die Pflicht und rät Betrof­fe­nen, sich zur Wehr zu setzen.

Einste­cken, abstem­peln lassen und los geht die Fahrt. Während Jahr­zehn­ten erfreu­ten sich die Mehr­fahr­ten­kar­ten der SBB und ande­rer Bahn- und Busbe­trie­be gros­ser Beliebt­heit. Gemäss K‑Tipp wurden im vergan­ge­nen Jahr über 6 Millio­nen Stem­pel­kar­ten verkauft. Doch nun soll damit Schluss sein. Die SBB und ande­re Verkehrs­be­trie­be haben ange­kün­digt, das Ange­bot im kommen­den Jahr einzu­stel­len. Die oran­ge­far­be­nen Entwer­tungs­käs­ten sollen bis Ende 2025 aus den Schwei­zer Bahn­hö­fen verschwin­den. Die SBB will die Mehr­fahr­ten­kar­ten durch ein digi­ta­les Ticket ablö­sen. Die Ankün­di­gung sorg­te bei verschie­de­nen Fach­ver­bän­den als auch in der Bevöl­ke­rung für Unmut. Einer der Kriti­ker ist Peter G. Kirch­schlä­ger. Der katho­li­sche Theo­lo­ge und Ethik­pro­fes­sor der Univer­si­tät Luzern bezeich­net die Abschaf­fung der Stem­pel­kar­te als «ethisch proble­ma­tisch». «Es besteht die Gefahr, dass Menschen vom öffent­li­chen Verkehr ausge­schlos­sen werden. Die Ticket­ver­käu­fe werden vermehrt digi­ta­li­siert, doch es ist unan­ge­mes­sen, von allen zu erwar­ten, dass sie ein Smart­phone besit­zen», sagt Kirch­schlä­ger auf Nachfrage.

Gefahr von Mani­pu­la­ti­on steigt

Peter G. Kirch­schlä­ger hat Verständ­nis dafür, dass Unter­neh­men versu­chen, mit der Digi­ta­li­sie­rung effi­zi­en­ter zu werden und Kosten einzu­spa­ren. Beson­ders stos­send ist für ihn unter ande­rem die Tatsa­che, dass es sich bei ÖV-Betrieben um staat­li­che oder teil­staat­li­che Unter­neh­mun­gen handelt und nicht um Privat­un­ter­neh­men. «Gera­de die öffent­li­che Hand darf die Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zes­se nicht so gestal­ten, dass ein Teil der Bevöl­ke­rung ausge­schlos­sen wird und dass das Menschen­recht auf Daten­schutz und Privat­sphä­re verletzt wird.» Für Kirch­schlä­ger ist die geplan­te Abschaf­fung der Mehr­fahr­ten­kar­te denn auch nicht nach­voll­zieh­bar: «Ich frage mich, wieso man eine neue Lösung suchen muss, wenn es mit den Mehr­fahr­ten­kar­ten eine gibt, die funk­tio­niert und offen­bar auch nach wie vor nach­ge­fragt wird.» Tangiert sind gemäss Kirch­schlä­ger verschie­de­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen. «Die Umstel­lung betrifft unter ande­rem Menschen, die mit der Tech­nik über­for­dert sind, also vor allem älte­re Menschen, sowie Armuts­be­trof­fe­ne, die sich oder ihren Kindern kein Smart­phone kaufen können.» Proble­ma­tisch sieht er die geplan­te Ände­rung auch in Bezug auf die junge Gene­ra­ti­on. «Eine Abschaf­fung der Mehr­fahr­ten­kar­te würde vor allem Kindern scha­den, denn je früher sie ein Smart­phone haben, desto eher wird die Nutzung zu einem Problem für ihre menta­le Gesund­heit und sie können bereits früh in ihrem Konsum und in der Entwick­lung ihrer poli­ti­schen Ansich­ten mani­pu­liert werden. Denn jede Sekun­de auf dem Smart­phone ist eine Sekun­de Mani­pu­la­ti­ons­mög­lich­keit.» Den Betrof­fe­nen rät Kirch­schlä­ger, sich bei den verant­wort­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­mun­gen zu wehren.

«Frei­heit wird angegriffen»

Für Peter G. Kirch­schlä­ger ist klar: «Es besteht drin­gen­der Hand­lungs­be­darf.» Nicht nur wegen eines drohen­den Ausschlus­ses, sondern auch im Hinblick auf die Verlet­zung von Menschen­rech­ten. «Im Rahmen der Digi­ta­li­sie­rung werden stets Daten gestoh­len, um sie dann den Meist­bie­ten­den weiter­zu­ver­kau­fen». Dies wieder­um stel­le eine Verlet­zung der Menschen­rech­te auf Daten­schutz und Privat­sphä­re dar, betont Kirch­schlä­ger. «Diese Menschen­rechts­ver­let­zun­gen müssen gestoppt werden. Diese Menschen­rech­te sind rele­vant für unse­re Frei­heit, da wir uns anders verhal­ten, wenn wir über­wacht werden. Wir tendie­ren zu einem normier­te­ren Verhal­ten. Unse­re Frei­heit wird also ange­grif­fen.» Er spricht von einer «hohen Dring­lich­keit». «Es handelt sich hier um Menschen­rech­te, die ja die Menschen­wür­de schüt­zen», so Kirch­schlä­ger. Seit Länge­rem fordert er deshalb die Schaf­fung einer Inter­na­tio­na­len Agen­tur für daten­ba­sier­te Syste­me bei der UNO – vergleich­bar mit der Inter­na­tio­na­len Atom­ener­gie­be­hör­de bei der UNO, was Anklang findet. «Damit sollen die ethi­schen Chan­cen der daten­ba­sier­ten Syste­me (Anm. der Redak­ti­on: bisher künst­li­che Intel­li­genz) geför­dert und deren ethi­sche Risi­ken gemeis­tert oder vermie­den werden.» Fakt ist: Die fort­schrei­ten­de Digi­ta­li­sie­rung des Lebens kann nicht aufge­hal­ten werden. Vieles – sei es der Einkauf oder die Feri­en­bu­chung – geht heute digi­tal schnel­ler und einfa­cher als noch vor eini­gen Jahren analog. Dass dabei Perso­nen­da­ten erho­ben und Nutzer­da­ten gespei­chert werden, ist uns allen klar. Aber: Geben wir unse­re Daten zu schnell und unüber­legt an Drit­te weiter? Peter G. Kirch­schlä­ger rela­ti­viert: «Selbst­ver­ständ­lich können wir durch unser Tun und Lassen hier einen Einfluss nehmen und haben damit korre­spon­die­rend auch eine Verant­wor­tung. Oftmals bleibt uns aber gar keine ande­re Wahl.» Die Möglich­kei­ten eines einzel­nen Bürgers oder einer Bürge­rin seien viel klei­ner als die Macht des Staa­tes, die Menschen­rech­te zu schüt­zen und durch­zu­set­zen, und von Unter­neh­men, die Menschen­rech­te zu respek­tie­ren, erklärt Kirch­schlä­ger. «Entspre­chend hat der Staat hier auch eine grös­se­re Verant­wor­tung, die Menschen­rech­te zu realisieren.»

Zur Person

Peter G. Kirch­schlä­ger ist Theo­lo­ge und Philo­soph. Er ist Profes­sor für Theo­lo­gi­sche Ethik und Leiter des Insti­tuts für Sozi­al­ethik ISE an der Univer­si­tät Luzern, Gast­pro­fes­sor an der Profes­sur für Neuro­in­for­ma­tik und Neuro­na­le Syste­me der ETH Zürich sowie am ETH AI Center und Rese­arch Fellow an der Univer­si­ty of the Free State, Bloem­font­ein (Südafri­ka). Seine Forschungs­schwer­punk­te sind Ethik der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on und künst­li­chen Intel­li­genz, Ethik der Menschen­rech­te und Wirtschafts‑, Finanz- und Unter­neh­mens­ethik. Der 46-Jährige ist bera­ten­der Exper­te in ethi­schen Fragen für natio­na­le und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen etwa für die UN, UNESCO, die Orga­ni­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa OSZE oder den Euro­pa­rat. Er ist Präsi­dent a. i. der Eidge­nös­si­schen Ethik­kom­mis­si­on für die Biotech­no­lo­gie im Ausser­hu­man­be­reich EKAH, Mitglied der Kommis­si­on Justi­tia et Pax der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz und Studi­en­lei­ter des neuen Master­stu­di­ums «Ethik» an der Univer­si­tät Luzern: www.unilu.ch/master-ethik

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis / zVg.
Veröf­fent­li­chung: 2. April 2024

«Damit wir etwas bewegen können»

Hoff­nung stecke gera­de auch in schein­bar klei­nen Dingen, sagt die Rhein­ta­ler ­Seel­sor­ge­rin Anne Heither-Kleynmanns im Inter­view. Ein Gespräch anläss­lich des Oster­fes­tes über ­Vorbil­der, Dank­bar­keit und das Inne­hal­ten im Alltag.

Anne Heither-Kleynmans, wann haben Sie zuletzt etwas gehofft?

Gera­de eben. Mit einer Pati­en­tin habe ich als Spital­seel­sor­ge­rin gehofft, dass der Unter­such ihrer Krebs­er­kran­kung ein gutes Ergeb­nis bringt.

Was löst Hoff­nung in uns aus?

Hoff­nung hilft uns, zuver­sicht­lich auf das Leben und in die Zukunft zu blicken. Sie ist eine posi­ti­ve Erwar­tung. Zugleich ist man sich aber bewusst, dass es auch anders kommen kann. Ohne Hoff­nung würden wir uns ohnmäch­tig fühlen und wohl vieles als sinn­los empfinden.

Kann Hoff­nung auch nega­tiv sein?

Hoff­nun­gen können schei­tern. Dann ist die Frage, wie wir damit umge­hen, ob wir neue, ande­re Hoff­nun­gen entwi­ckeln können oder in der Hoff­nungs­lo­sig­keit stecken bleiben.

Braucht Hoff­nung Vorbilder?

Ja. Vorbil­der können uns in schwe­ren Zeiten helfen, trotz allem nach vorne zu schau­en. Das können Perso­nen aus der Gegen­wart sein wie der russi­sche Oppo­si­tio­nel­le Alexej Nawal­ny, der kürz­lich in Gefan­gen­schaft gestor­ben ist. Seine Botschaft ist: «Ich glau­be daran, dass ich etwas bewe­gen kann.» Es können bibli­sche Perso­nen sein oder Heili­ge, aber auch ganz norma­le Menschen in unse­rem Alltag. Ich bin in meinem Leben oft Menschen begeg­net, die mir vermit­telt haben: «Ich nehme das Leid im eige­nen Leben und in der Welt nicht einfach so hin, ich enga­gie­re mich und lebe so die Hoff­nung auf Verän­de­rung.» Das kann uns zu einer Haltung der Hoff­nung ermutigen.

Lässt sich einwen­den, dass Hoff­nung über­flüs­sig gewor­den ist, weil es uns in unse­rer Gesell­schaft gut geht?

Nein, auf keinen Fall. Wir brau­chen Hoff­nung, gera­de auch im Klei­nen und im Alltag. Viele Menschen machen belas­ten­de Erfah­run­gen, sei es beruf­lich, fami­li­är oder wegen einer Krank­heit. Hier lässt sich auch ein Bezug zur Oster­bot­schaft herstel­len: Der gros­se Stein vor dem Grab Jesu ist ein star­kes Symbol für alles Schwe­re, das es in unse­rem Leben gibt. Ohne Hoff­nung wäre der Stein unbeweglich.

Wie schafft man es, diese Schwe­re beisei­te zu schieben?

Persön­lich, aber auch bei der Arbeit als Seel­sor­ge­rin versu­che ich zu schau­en, wie und wo man Hoff­nung finden kann. Ist jemand unheil­bar erkrankt, kann er etwa darin Hoff­nung finden, noch eine gute Zeit mit seiner Fami­lie zu verbrin­gen. Fühlen wir uns hoff­nungs­los, kann es helfen, die Perspek­ti­ve zu wech­seln und nach Leben­di­gem Ausschau zu halten. Gras, das zwischen Beton­plat­ten hervor­wächst, oder Licht, das ins Dunkel einfällt, oder der wegge­roll­te Grab­stein und eben das offene, leere Grab sind anschau­li­che Symbo­le für Hoffnung.

Das Leben ist stär­ker: Ist es das, was wir von Ostern mitneh­men können?

Ja. Es gibt Situa­tio­nen, in denen alles trau­rig erscheint und in denen wir nieder­ge­schla­gen sind, weil wir etwas ande­res erwar­tet hatten. Auch die Jünger sind nach Jesu Tod völlig enttäuscht. Diese Enttäu­schun­gen gehö­ren zum mensch­li­chen Leben. Die Aufer­ste­hung von Jesus, das leere Grab, der beisei­te­ge­scho­be­ne Stein sagen ihnen und uns aller­dings: Nichts muss im Schwe­ren stecken­blei­ben. Es gibt neue Hoffnung.

Welche Tipps haben Sie? Wie können wir lernen, Hoff­nung bewusst zu leben?

Wir können den Blick auf das rich­ten, was gut läuft, ohne dabei das Schwe­re zu verleug­nen. Wir können schein­bar klei­ne Dinge in den Mittel­punkt stel­len und uns fragen, wo wir beschenkt sind. Dank­bar zu sein und das auch zu formu­lie­ren, im Gebet, gegen­über unse­ren Ange­hö­ri­gen oder Freun­den, und sich Zeit zu nehmen, die Natur zu beob­ach­ten und zu sehen, wie alles wächst, schult uns für die Hoff­nung. Es ist wich­tig, dass ich mich frage: «Was trägt mich? Was gibt mir Halt und Kraft?»

Text: Nina Rudnicki

Bild: zVg./ Forum Pfarrblatt

Veröf­fent­li­chung: 28. März 2024

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