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Ein Café wird zum Haus für alle

In einem ehema­li­gen Watt­wi­ler Café haben die katho­li­sche und die evangelisch-­reformierte Kirche vor knapp einem Jahr einen inno­va­ti­ven Begeg­nungs­ort eröff­net. «Der b’treff füllt eine Nische», sagt Marlis Kauf­mann, die Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de ­Watt­wil, «er bringt verschie­de­ne sozia­le Ange­bo­te zusam­men. So können wir und ande­re ­Betei­lig­te Menschen noch viel besser helfen.»

Im ersten Stock findet an diesem Montag­mor­gen gera­de Deutsch­un­ter­richt (siehe Titel­bild) statt, im Erdge­schoss bespricht eine Hand­voll Frei­wil­li­ge ihren nächs­ten Einsatz­plan und sich­tet die Spie­le, die für die Café-Gäste zur Verfü­gung stehen. «Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret», sagt Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil. Seit knapp einem Jahr ist der b’treff in Betrieb. Initi­iert wurde er von der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de und der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de. «Es war ein gros­ses Glück, dass dieses Haus gefun­den werden konn­te», so Marlis Kauf­mann. Das ehema­li­ge Café, zentral gele­gen in der Nähe von Bahn­hof Watt­wil und Manor, sei schon eini­ge Zeit leer gestan­den. «Das Gebäu­de hat verschie­de­ne Räum­lich­kei­ten, verteilt auf drei Etagen. So ist es möglich, mehre­re Ange­bo­te gleich­zei­tig durch­zu­füh­ren.» Das Herz des Hauses ist der Café-Bereich im Erdge­schoss. Es wurden nur weni­ge bauli­che Anpas­sun­gen vorge­nom­men, der Café-Charme blieb erhal­ten. Im Sommer stehen sogar Sitz­plät­ze draus­sen auf der Terras­se zur Verfü­gung. Selbst die ehema­li­ge Verkaufs­the­ke wurde umfunk­tio­niert: hier stehen zahl­rei­che «Second-Hand»-Gegenstände zum Mitneh­men bereit – kosten­los oder gegen eine klei­ne Spende.

Geschirr, Deko­ma­te­ri­al und ande­res kann gratis oder gegen eine klei­ne Spen­de mitge­nom­men werden.

Betrof­fe­nen besser helfen

Mittags­tisch, Lebens­mit­tel­ab­ga­be, Sozial- und Schul­den­be­ra­tung, Deutsch­kurs oder einfach nur bei einer Tasse Kaffee über Freu­den und Nöte spre­chen oder zusam­men mit ande­ren lismen – im b’treff Watt­wil haben viele verschie­de­ne Ange­bo­te ein neues Zuhau­se gefun­den. Sven Keller, Sozi­al­ar­bei­ter der katho­li­schen Seel­sor­ge­ein­heit Neutog­gen­burg, und Remo Schwei­zer, Diakon der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg, teilen sich die Leitung des b’treffs. «Uns ging es primär nicht darum, mit dem b’treff sofort eine Palet­te an neuen Ange­bo­ten zu lancie­ren. Viel­mehr ist es die Idee, dass der neue Begeg­nungs­ort eine Vernet­zung zwischen den bestehen­den Ange­bo­ten ermög­licht», sagt Sven Keller. «Viele der Ange­bo­te waren bisher an unter­schied­li­chen Stand­or­ten behei­ma­tet, jetzt ist alles am glei­chen Ort. Die Chan­ce dabei ist, dass Betrof­fe­ne schnel­ler einen Über­blick bekom­men. Sie sehen, was es alles gibt. Alles ist viel nieder­schwel­li­ger zugäng­lich. Aber auch die Frei­wil­li­gen, die sich bei uns enga­gie­ren, wissen besser Bescheid und können Betrof­fe­nen zeigen, welche Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten es gibt.»

Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil: «Der b’treff füllt eine Nische.»

Mitein­an­der lismen

Die Verant­wort­li­chen sind mit der bishe­ri­gen Reso­nanz zufrie­den. «Dank dem b’treff konn­te ich neue Kontak­te knüp­fen», zitiert Sven Keller die Rück­mel­dung eines b’treff-Besuchers. Die Dienst­leis­tun­gen werden genutzt von Armuts­be­trof­fe­nen, Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, aber auch von Pensio­nier­ten. «Unter den Gästen sind auch viele Allein­ste­hen­de», weiss Marlis Kauf­mann, «oft tun sie sich zu klei­nen Grüpp­chen zusam­men und kommen gemein­sam zu uns.» Auch eine Lisme-Gruppe, die sich früher im Pfar­rei­zen­trum traf, habe im b’treff ein neues Zuhau­se gefun­den. Als ein High­light erwähnt Sven Keller die Weih­nachts­fei­er, bei der sich 35 Perso­nen zum Raclette trafen. 50 bis 60 Perso­nen nutzen die Lebens­mit­tel­ab­ga­be, zum Mittags­tisch kommen etwa fünf­zehn. «Aber es braucht sicher noch etwas Zeit, dass sich unser Ange­bot herum­spricht.» Hinter den Ange­bo­ten im b’treff stehen verschie­de­ne kirch­li­che und nicht­kirch­li­che Organsia­tio­nen wie Cari­tas, Heks oder die Lebens­mit­tel­ab­ga­be «Tisch­lein deck dich». «Jede Orga­ni­sa­ti­on hat eine eige­ne Struk­tur und ande­re Bedürf­nis­se», sagt Sven Keller. Er bezeich­net es als alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich, dass das Mitein­an­der der betei­lig­ten Orga­ni­sa­tio­nen im Haus so gut ange­lau­fen ist.

«Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret.»

Marlis Kauf­mann

Ökume­ne intensivieren

«Uns war es wich­tig einen Ort zu schaf­fen, der für alle offen ist, unab­hän­gig von ihrem reli­giö­sen oder kultu­rel­len Hinter­grund», erklärt Brigit­te Horn. Sie ist in der katho­li­schen Kirchen­ver­wal­tung für die Ressorts Ökume­ne, Reli­gi­on und Kate­che­se zustän­dig, «Der Begeg­nungs­ort soll­te nicht abseits, sondern inmit­ten des Gesche­hens zu finden sein.» Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die allge­mei­ne Teue­rung haben die Zahl der Armuts­be­trof­fe­nen in der Schweiz erhöht. «Als wir das Konzept für den b’treff entwi­ckelt haben, war das alles noch weit weg», so Brigit­te Horn, «aber auch unab­hän­gig von der neuen Entwick­lung war die Not in der Gesell­schaft schon gross genug.» Zu Beginn erar­bei­te­ten fünf Studie­ren­de der Fach­hoch­schu­le Ost als Praxis­pro­jekt eine Mach­bar­keits­stu­die. «Diese Arbeit brach­te klar zum Ausdruck, dass ein Ange­bot wie der b’treff in Watt­wil und Umge­bung fehlt», so Sven Keller. Die katho­li­sche Kirch­ge­mein­de entschied sich schnell für eine Mitwir­kung. «Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller (links) und Remo Schwei­zer leiten den b’treff gemeinsam.

Von Frei­wil­li­gen getragen

«Ohne frei­wil­li­ges Enga­ge­ment wäre unser b’treff nicht denk­bar», sagt Sven Keller. Die beiden Co-Stellenleiter sind jeweils zehn Prozent ange­stellt. Es sei erfreu­lich, wie viele sich von Anfang an für eine frei­wil­li­ge Mitar­beit zur Verfü­gung gestellt haben. «Die Mitwir­kung der Frei­wil­li­gen ist sehr posi­tiv ange­lau­fen. Mein refor­mier­ter Kolle­ge Remo verfügt über ein gros­ses Netz­werk», so Keller. Rund sech­zig Frei­wil­li­ge sind im b’treff aktiv. Viele von ihnen hätten einen kirch­li­chen Bezug. Neben Pensio­nier­ten seien auch erstaun­lich viele dabei, die im Berufs­le­ben stehen.

«Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller

Gemein­de Lich­ten­steig als Partnerin

Der b’treff Watt­wil wird von den Katho­li­schen Kirch­ge­mein­den Watt­wil und Lich­ten­steig, der Evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg sowie der Cari­tas St. Gallen-Appenzell getra­gen. Ein gros­ser Teil der Betriebs­kos­ten sowie die Perso­nal­kos­ten werden durch Kirchen­steu­ern finan­ziert. Als Gönner und Spon­so­ren sind die Gemein­de Lich­ten­steig, die Stif­tung Fondia, die Inte­gra­ti­ons­för­de­rung des Kantons St. Gallen sowie der EVDA (Evang.-ref. Verein für diako­ni­sche Aufga­ben) mit im Boot.

Seit Febru­ar 2023 gibt es im b’treff auch eine Kleiderabgabe. 

Vorerst bis 2025

Ist der b’treff auch eine Chan­ce, um Menschen zu errei­chen, die sonst Berüh­rungs­ängs­te mit Kirche haben? «Das katho­li­sche Pfar­rei­zen­trum war auch bisher ein Ort, der für alle offen stand und in dem die unter­schied­lichs­ten Ange­bo­te und Ziel­grup­pen will­kom­men sind», sagt Brigit­te Horn. Aber mit dem b’treff sei die Diako­nie der Kirchen noch etwas deut­li­cher sicht­bar. Das Projekt ist vorerst bis 2025 gesi­chert – bis dann läuft der Miet­ver­trag. Dann werde – so der Plan – das Haus für einen Neubau abge­ris­sen. «Dann werden wir das Projekt evalu­ie­ren und über­le­gen, ob und wie es weiter­ge­führt werden kann», so Marlis Kauf­mann. «Entschei­dend wird sein, ob wir mit unse­rem Ange­bot den Menschen helfen können. Auch stehen wir dann vor der Heraus­for­de­rung, geeig­ne­te Räum­lich­kei­ten zu finden, die zudem auch noch finan­zier­bar sind.»

Bis es soweit ist, hat Sven Keller noch eine Menge vor. Seit Febru­ar gibt es neu eine Klei­der­ab­ga­be. Aus der Sicht des Sozi­al­ar­bei­ters gibt es durch­aus Poten­zi­al für mehr: «In unse­ren Räum­lich­kei­ten sollen even­tu­ell auch Kunst­aus­stel­lun­gen ange­bo­ten werden mit Werken, die in Mal- oder Gestal­tungs­the­ra­pien entstan­den sind. Zudem kann ich mir ganz alltags­prak­ti­sche Work­shops zu Haus­halts­the­men vorstel­len wie zum Beispiel: wie kann ich Heiz­kos­ten sparen?» Denk­bar sei auch ein Repair-Café. So könne die Grund­idee ganz konse­quent umge­setzt werden: der b’treff als Begeg­nungs­ort für alle.

Website b’treff Wattwil

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 21. Febru­ar 2023

Mehre­re b’treffs

Neben dem b’treff in Watt­wil gibt es auch b’treffs in Ebnat-Kappel, Bütschwil und Flawil. Sie haben unter­schied­li­che Konzep­te und Finan­zie­rungs­mo­del­le, doch bei allen sind die Kirch­ge­mein­den mitbe­tei­ligt. Zudem werden alle b’treffs mass­geb­lich durch das Enga­ge­ment Frei­wil­li­ger ermöglicht.

Leserfrage: Warum braucht es den kirchlichen Sozialdienst?

Sabi­ne F. betritt das Büro des kirch­li­chen Sozi­al­diens­tes (KSD) der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg. Ihr Mann ist kürz­lich an Krebs gestor­ben, nach­dem die 53-Jährige ihn drei Jahre gepflegt hatte.

Das Paar lebte von seinem Einkom­men, zuletzt von Kran­ken­tag­gel­dern und Erspar­nis­sen. Zeit für Freund­schaf­ten gab es kaum und die fami­liä­ren Kontak­te waren spannungs­geladen. Nun ist sie mit der Admi­nis­tra­ti­on über­for­dert, aktu­ell hat sie wenig Geld, sein Konto ist gesperrt. Sabi­ne F. sehnt sich nach Ruhe, Trost und Sicher­heit. Der Seel­sor­ger über­weist sie an den KSD.

Zusatz­ein­kom­men nötig

Hier verschaf­fen wir uns gemein­sam einen Über­blick. Wir klären Fragen bezüg­lich des Nach­lass­in­ven­tars und der Witwen­ren­te, erhal­ten vom Pfarr­amt finan­zi­el­le Hilfe, um eine Miete zu bezah­len und erstel­len Budgets für verschie­de­ne Zukunfts­sze­na­ri­en. Daraus wird ersicht­lich, dass Sabi­ne F. ein Zusatz­ein­kom­men benö­ti­gen wird. Immer wieder nehmen wir uns Zeit für die wider­sprüch­li­che Gefühls­welt von Sabi­ne F., für ihre biogra­phi­schen Rück­bli­cke und Zukunfts­fra­gen. Nach eini­gen Mona­ten sind die Finan­zen gesi­chert. Sabi­ne F. besucht regel­mäs­sig einen Trau­er­treff und kann sich bei Bewer­bungs­ge­sprä­chen vorstel­len. Sie fühlt sich nun siche­rer und ist zuver­sicht­lich, den weite­ren Weg selbst­stän­dig zu bewältigen.

Scham und Angst

Wenn sich Menschen mit persön­li­chen, fami­liä­ren oder finan­zi­el­len Proble­men an die Kirche wenden, braucht es sowohl seel­sor­ger­li­che Beglei­tung und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung als auch sozi­al­ar­bei­te­ri­sches Fach­wis­sen. Denn obwohl unser Sozi­al­sys­tem grund­sätz­lich gut ist, fallen Menschen durch die Maschen. Und nicht weni­gen fällt es schwer, sich im Sozi­al­sys­tem zurecht­zu­fin­den. Auf welche Leis­tun­gen habe ich Anspruch? An wen kann ich mich wenden? Hinzu kommen Scham und Angst vor Behör­den. Für manche Klien­ten und Klien­tin­nen ist es darum einfa­cher, mit einem KSD Kontakt aufzu­neh­men. Hier ist es möglich, flexi­bel und schnell zu reagie­ren sowie genü­gend Zeit zu haben für umfas­sen­de Bera­tun­gen. Dank lösungs­ori­en­tier­ter Zusam­men­ar­beit ist ein KSD oft ein Brücken­bau­er zu den staat­li­chen Stellen.

Vor allem für Working Poor

Mit der Grün­dung eines KSD veran­kert die Seel­sor­ge­ein­heit ihr sozia­les Enga­ge­ment auch struk­tu­rell. Dabei muss sie stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen fällen: Welche Bedürf­nis­se bestehen vor Ort, welche Ange­bo­te gibt es bereits und welche Leis­tun­gen und Projek­te soll der KSD erbrin­gen. In der Regi­on Werden­berg erhal­ten vor allem Working Poor (d. h. Menschen, deren Lohn kaum zum Leben reicht) finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Zudem hat der kirch­li­che Sozi­al­dienst Werden­berg etwa eine Lebens­mit­tel­ab­ga­be­stel­le eröff­net, eine Diako­nie­wo­che orga­ni­siert sowie Compu­ter­kur­se für Menschen mit klei­nem Budget ange­bo­ten. Dies wurde nur möglich dank einer inten­si­ven Zusam­men­ar­beit mit dem Pasto­ral­team, den Sozi­al­fach­stel­len vor Ort und vielen Freiwilligen.

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Text: Snje­z­a­na Gajski, Sozi­al­ar­bei­te­rin, KSD Werden­berg, Cari­tas St. Gallen-Appenzell

Veröf­fent­li­chung: 15.2.2023

Diplomat und Zuhörer

Vor über 30 Jahren zog Peter Burk­hard von St. Gallen nach Ebnat-Kappel. Die «tief verwur­zel­ten» Tradi­tio­nen im Toggen­burg faszi­nie­ren den neuen höchs­ten St. Galler Katho­li­ken bis ­heute. Er wünscht sich eine libe­ra­le­re Kirche.

Was es bedeu­tet, wenn eine Dorf­ge­mein­schaft eine einzel­ne Person oder eine Fami­lie mitträgt und wie viele Tradi­tio­nen ein Kirchen­le­ben mit sich bringt, das gepflegt wird: Peter Burk­hard, neuer höchs­ter St. Galler Katho­lik, erzählt, wie er vor vielen Jahren durch seine Frau der Kirche näher kam. Bis dahin hatte er zwar die katho­li­sche Sekun­dar­schu­le flade in St. Gallen und vor allem an Weih­nach­ten und Ostern die Gottes­diens­te besucht. «Ansons­ten nahm ich aber nicht gross am kirch­li­chen Leben teil», sagt der neue Parla­ments­prä­si­dent des katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Amt wird er bis Ende Novem­ber 2024 inne­ha­ben. Durch seine Frau, eine Walli­se­rin, änder­te sich seine Bezie­hung zur Kirche. «Als ich meine Frau als junger Mann in ihrem Heimat­dorf im Lötschen­tal besuch­te, war gera­de der Pfar­rer gestor­ben und ich wurde in die Toten­wa­che einge­teilt. Es war die Aufga­be des ganzen Dorfes, mehre­re Tage neben dem Leich­nam zu wachen», sagt er. «Auf diese Weise kommst du auto­ma­tisch ins Kirchen­le­ben rein und wirst Teil davon.»

Peter Burk­hard aus Ebnat-Kappel arbei­tet als Unter­neh­mens­be­ra­ter bei der Würth Finan­cial Services AG in Rorschach. Aufge­wach­sen ist der neue Parla­ments­prä­si­dent des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils in St. Gallen.

Ans Dorf­le­ben anschliessen

Seit über 30 Jahren lebt Peter Burk­hard, der in der Stadt St. Gallen aufge­wach­sen ist, mit seiner Fami­lie nun schon in Ebnat-Kappel. Und wie im Wallis sind es auch im Toggen­burg die «tief verwur­zel­ten Tradi­tio­nen» und die Kultur, die ihn faszi­nie­ren und vor denen er gros­sen Respekt hat. Als Beispiel nennt der 59-Jährige das «Einschel­len», die Vieh­schau­en oder den Toggen­bur­ger Natur­jo­del. Es sei ein wunder­ba­res und viel­fäl­ti­ges Tal und durch den Umzug nach Ebnat-Kappel als junge Fami­lie – die Kinder waren damals fünf und drei Jahre, das Jüngs­te kam im Toggen­burg zur Welt – sei auch der Anschluss ans Dorf­le­ben nicht schwer gefal­len. Nach Ebnat-Kappel zu ziehen, dafür hatte sich Peter Burk­hard wegen seines Beru­fes entschie­den. Bei seinem dama­li­gen Arbeit­ge­ber, der Winter­thur Versi­che­run­gen, wurde ein neuer Innen­dienst­lei­ter für die Gene­ral­agen­tur Watt­wil gesucht. «Ich woll­te den Job und so zogen wir um», sagt er.

Das Gegen­über einschätzen

In Ebnat-Kappel war Peter Burk­hard ab dem Jahr 2000 während 18 Jahren in der Kirchen­ver­wal­tung – für das Amt wurde er ange­fragt. Seit 2007 poli­ti­siert er zudem im Kolle­gi­um, dem Parla­ment des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. «Ich fand damals, dass unse­re Kirchen­ver­wal­tung eine Verbin­dung ins Parla­ment haben soll­te, da es immer von gegen­sei­ti­gem Vorteil ist, wenn man die Perso­nen hinter den Verwal­tun­gen kennt», sagt er über seine Moti­va­ti­on, sich ins Kolle­gi­um wählen zu lassen. Sich selbst beschreibt Peter Burk­hard als Zuhö­rer, Realist und Diplo­mat. Ihm sei es wich­tig, sein Gegen­über einschät­zen zu können und dessen Meinung zu kennen. In seinen zwei Jahren als Präsi­dent wird er vier Kolle­gi­ums­sit­zun­gen leiten und dabei die Eröff­nungs­re­den halten. «Die Kirche kann ich in diesem Amt nicht verän­dern. Aber ich kann in den Reden meine Gedan­ken kund­tun. Ich bin höchst libe­ral. Meiner Meinung nach wäre es Zeit für das Frau­en­pries­ter­tum und die Aufhe­bung des Zöli­bats», sagt er.

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 10.2.2023

Eine familiäre Hochschule

Der St. Galler Lukas Gemein­der (27) arbei­te­te bisher im Kauf­män­ni­schen Bereich und s­uchte ­einen Beruf, der ihn mehr erfüllt. Jetzt studiert er an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Wie er haben viele der Studie­ren­den vor dem Theo­lo­gie­stu­di­um in ande­ren Beru­fen gearbeitet.

«Ich enga­gie­re mich schon seit länge­rem frei­wil­lig in der Kirche», erzählt Lukas Gemein­der (27) aus St. Gallen, «dabei habe ich immer mehr gespürt, dass mich diese Arbeit mehr erfüllt als meine beruf­li­che Tätig­keit im Kauf­män­ni­schen. Zudem habe ich in den letz­ten Jahren wieder stär­ker zum Glau­ben zurück­ge­fun­den und mich schliess­lich für das Theo­lo­gie­stu­di­um entschie­den mit dem kirch­li­chen Dienst als Ziel.» Das Studi­um gefal­le ihm: «Die unter­schied­li­chen Fächer wie etwa Musik, Liturgie-Wissenschaft, Kirchen­ge­schich­te und Spra­chen machen das Studi­um sehr span­nend und viel­sei­tig. Dank des brei­ten Spek­trums kann man persön­li­che Stär­ken und Schwä­chen in einzel­nen Fächern gut kompen­sie­ren. Auch wenn es manch­mal sehr theo­re­tisch ist, wird immer auch ein prak­ti­scher Bezug hergestellt.»

Lukas Gemein­der (rechts) in der Kaffee-Pause mit ande­ren Studie­ren­den aus dem Bistum St.Gallen.

Umfeld reagiert erstaunt

Einer der Studie­ren­den aus dem Bistum St. Gallen ist auch Simon Sigg (32), Reli­gi­ons­päd­ago­ge und Jugend­seel­sor­ger in Gossau. Er absol­viert ein berufs­be­glei­ten­des Studi­um im bischöf­li­chen Studi­en­pro­gramm. «Mein Umfeld reagiert manch­mal ein biss­chen erstaunt, dass ich als junger Mensch Theo­lo­gie studie­re und ich spüre auch eine gewis­se Span­nung in Bezug auf die Kirche», sagt er. «Auch wenn mich die Skan­da­le oder die vielen Kirchen­aus­trit­te trau­rig und nach­denk­lich stim­men, denke ich, dass die Kirche eine Zukunft hat.» Ihn moti­vie­re die Arbeit mit Jugend­li­chen. «Ich spüre eine Offen­heit gegen­über Reli­gi­on und auch ein Bedürf­nis nach Spiri­tua­li­tät. Ich bin über­zeugt von der frohen Botschaft der Kirche und möch­te diese weiter­tra­gen.» Mit Anfang 30 verspür­te er die Moti­va­ti­on, sich persön­lich vermehrt mit exis­ten­zi­el­len und philo­so­phi­schen Fragen ausein­an­der­zu­set­zen und den Glau­ben zu hinter­fra­gen und zu begrün­den. «Ich arbei­te schon seit eini­gen Jahren in der Pfar­rei­seel­sor­ge und woll­te mein Wissen erwei­tern und vertie­fen.» Für Chur hat er sich entschie­den, weil die Hoch­schu­le dort klein und fami­li­är sei. «Man kennt sich persön­lich, isst und disku­tiert zusam­men am Mittags­tisch. Ich habe bereits Reli­gi­ons­päd­ago­gik studiert und zwar in Luzern. Ich woll­te noch eine ande­re Hoch­schu­le kennen lernen und entschied mich auch deshalb für Chur.»

Viele der Studie­ren­den an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur kommen aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich.

50 bis 60 Studierende

«Das gros­se Plus der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur ist die Nähe von Hoch­schu­le und Semi­nar», hält René Scha­ber­ger, Rekto­rat­s­as­sis­tent an der Hoch­schu­le, fest. «Es wird nicht nur Theo­lo­gie gelehrt, sondern wir ermög­li­chen den Studie­ren­den auch eine ganz­heit­li­che Persön­lich­keits­bil­dung.» Auch bezeich­net René Scha­ber­ger die gute Betreu­ung der Studie­ren­den als einen Mehr­wert. «Wir können auch indi­vi­du­el­le Studi­en­pro­gram­me anbie­ten für Studie­ren­de, die berufs­tä­tig sind.» Etwa fünf­zig bis sech­zig Perso­nen studie­ren an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Diese Zahl sei seit Jahren stabil. «Heute begin­nen die wenigs­ten direkt nach der Matu­ra mit dem Theo­lo­gie­stu­di­um. Die meis­ten haben schon eine Berufs­aus­bil­dung absol­viert und zum Teil auch mehre­re Jahre im Beruf gear­bei­tet.» Viele der Studie­ren­den kommen laut René Scha­ber­ger aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich. Es gebe auch verein­zel­te Gast­hö­rer im Renten­al­ter, die die eine oder ande­re Vorle­sung besuchen.

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 31.01.2023

Online-­Infoveranstaltungen

Inter­es­sier­te erhal­ten bei den Online-­Informationsveranstaltungen am 13. und 21. Febru­ar, jeweils 19.30 Uhr, kompakt die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen zum ­Studi­um der Theo­lo­gie an der TH Chur sowie einen Einblick in die Insti­tu­ti­on. Es werden auch Fragen beantwortet.

→ Anmel­dung: www.thchur.ch/info

Paargeschichten sammeln, ohne sie zu bewerten

Wieso uns Bezie­hungs­ge­schich­ten ande­rer Paare gut tun, erzäh­len Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle und Matthi­as Koller Filli­ger von der Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St. Gallen im Inter­view. Kürz­lich haben sie das Projekt paargeschichten.ch lanciert.

Die Platt­form paargeschichten.ch sammelt Geschich­ten unter ­ande­rem von Liebes­an­fän­gen, Tren­nun­gen und Abschie­den, vom Heira­ten und Allei­ne sein: Welches ist Ihre Lieblingsgeschichte?

Matthi­as Koller Filli­ger: Persön­lich mag ich die Geschich­ten gerne, die von Liebes­an­fän­gen handeln. Oft erzäh­len sie vom Krib­beln am Anfang einer Bezie­hung. Gera­de auch in der Paar­be­ra­tung sind Liebes­an­fän­ge ein wich­ti­ges Element. Wenn man beispiels­wei­se in einer Krise der Frage nach­geht, wie alles begon­nen hat und warum sich das Paar einmal fürein­an­der entschie­den hat.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Fragt man Perso­nen nach ihren Liebes­an­fän­gen, erin­nern sich diese zunächst oft nicht an ein bestimm­tes Ereig­nis, sondern an viele verschie­de­ne Bilder. Die verschie­de­nen Bilder erge­ben dann zusam­men einen Liebes­an­fang. Das Span­nen­de dabei ist, dass zwei Perso­nen, die von ihrem Bezie­hungs­an­fang erzäh­len, oft ganz unter­schied­li­che Erin­ne­run­gen und Bilder haben. Das ist es, was mich fasziniert.

Mitt­ler­wei­le sind rund 70 ­Geschich­ten zusammen­gekommen. Wer erzählt Ihnen diese Geschich­ten und wieso?

Matthi­as Koller Filli­ger: Nehmen wir die Geschich­te mit dem Velo­ku­rier. In dieser betre­ten zwei Frau­en einen Velo­ku­rier­la­den, um ihre Velos zu pumpen. Sie blei­ben den ganzen Nach­mit­tag dort. Einer der Velo­ku­rie­re und eine der Frau­en küssen sich noch am selben Abend. Heute sind sie seit 22 Jahren verhei­ra­tet. Diese Geschich­te erzähl­te mir ein Arbeits­kol­le­ge, als wir zusam­men im Zug an eine Tagung fuhren. Weil paargeschichten.ch gera­de lanciert worden war, hatte ich ihn spon­tan gefragt, wie er denn eigent­lich seine Frau kennen­ge­lernt hatte. Am nächs­ten Tag frag­te ich ihn, ob ich ihre eindrück­li­che Geschich­te aufschrei­ben und veröf­fent­li­chen dürfe.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Wenn wir an einer Tagung oder einem Anlass mit den bereits gesam­mel­ten Geschich­ten arbei­ten, dann wirkt das oft wie ein Kata­ly­sa­tor. Viele Perso­nen erin­nern sich dann an ihre eige­nen Geschich­ten und erzäh­len diese. Das ist es auch, was die Stär­ke dieses Projek­tes ausmacht: Die Geschich­ten sind oft so alltäg­lich und gewöhn­lich und doch zeigen sie einem sofort auf, was eine Bezie­hung ausmacht und was deren Essenz ist. Eine meiner liebs­ten Geschich­ten ist «Die Bett­fla­sche». Jeden Abend bringt Floras Part­ner ihr eine Bett­fla­sche ins Bett. Das wird zu einem gemein­sa­men Ritu­al, das dabei hilft, die Enttäu­schung zu über­win­den, dass Flora gerne früh und ihr Part­ner stets spät ins Bett geht. Nur weil ich aber diese Geschich­te mag, heisst das nicht, dass sie auch ande­ren gefal­len muss und dass sie auf die Geschich­te genau­so posi­tiv reagie­ren wie ich.

Als Projekt­lei­ter von paargeschichten.ch wird Matthi­as Koller Filli­ger auch selbst zum Autor und zeich­net auf, was ande­re ihm erzählen.

Wie geht man damit um, wenn jeman­dem eine Geschich­te nicht gefällt, die einem selbst viel bedeutet?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Es ist gera­de das Ziel von paargeschichten.ch nicht zu bewer­ten oder zu inter­pre­tie­ren. Es ist zentral, Menschen nach ihren Geschich­ten zu fragen und sie erzäh­len zu lassen. Die Geschich­ten können verschie­de­nes auslö­sen: Faszi­na­ti­on und Befrem­den, Fragen und Wieder­erken­nen. Sie handeln von vielen Höhe­punk­ten, aber auch von schwie­ri­gen Momen­ten wie Tren­nung und Abschied. Diese Brei­te an Geschich­ten ist ein Schatz, der aufzeigt, dass Paar­be­zie­hun­gen ganz unter­schied­lich ablau­fen und gestal­tet werden können.

Matthi­as Koller Filli­ger: Und gera­de deshalb ist es ein Projekt, in dessen Mittel­punkt die Wert­schät­zung steht. Etwa die Wert­schät­zung dessen, was die gemein­sa­me Geschich­te eines Paares ausmacht.

Die Geschich­ten können nicht nur auf paargeschichten.ch ­gele­sen werden, sondern sind auch im Kultur­ma­ga­zin Ernst erschie­nen. Wie ist es zu dieser Zusam­men­ar­beit gekommen?

Matthi­as Koller Filli­ger: Die Idee zum Projekt Paar­ge­schich­ten kam 2020 vom St. Galler Jour­na­lis­ten und drama­tur­gi­schen Bera­ter Mark Riklin. Durch ihn ist auch die Zusam­men­ar­beit mit dem Kultur­ma­ga­zin ERNST und dem Burg­dor­fer Biogra­fi­schen Insti­tut entstanden.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Gera­de durch diese Zusam­men­ar­beit mit ausser­kirch­li­chen Part­nern ist das Projekt unglaub­lich viel­fäl­tig und damit anschluss­fä­hig für verschie­de­ne Menschen gewor­den. Die Redak­ti­on vom Maga­zin ERNST zum Beispiel mach­te ganz verschie­de­ne Beiträ­ge, auf die wir als kirch­li­che Arbeits­grup­pe nicht gekom­men wären, wie beispiels­wei­se eine Repor­ta­ge mit einem Kell­ner, der über zwei­hun­dert Hoch­zei­ten beglei­tet hat oder ein Gespräch mit einer Schei­dungs­an­wäl­tin. Erwäh­nen möch­te ich auch die Repor­ta­ge über eine Seel­sor­ge­rin im Trau­er­ca­fé in Gossau, die dort mit den Paar­ge­schich­ten gear­bei­tet hat und auf diese Weise viele weite­re berüh­ren­de Erzäh­lun­gen der Teil­neh­men­den über ihre Bezie­hun­gen zu hören bekam.

Stich­wort Trau­er­ca­fé: Ist das ein Beispiel dafür, wie die ­Paar­ge­schich­ten in der Praxis zum Einsatz kommen sollen?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Genau. Mit den Paar­ge­schich­ten kann man in bestehen­den Grup­pen arbei­ten, einen Anlass zum Thema Paar­ge­schich­ten entwi­ckeln oder diese als Türöff­ner in die Einzel­seel­sor­ge einflies­sen lassen. Wie bereits erwähnt, löst es bei allen Perso­nen eige­ne Emotio­nen und Erin­ne­run­gen aus, wenn sie eine der Paar­ge­schich­ten hören. Wir beto­nen dabei immer, wie wich­tig es ist, nicht über ande­re Geschich­ten zu werten und zu urtei­len. Nicht alle Geschich­ten sind eingän­gig oder roman­tisch. Es gibt Geschich­ten, die von Drei­ecks­be­zie­hun­gen erzäh­len oder von der Unfä­hig­keit, sich auf eine Part­ner­schaft einzulassen.

Matthi­as Koller Filli­ger: Kirche und Pasto­ral betre­ten «Heili­gen Boden», wenn sie mit Paaren und Fami­li­en arbei­ten: So heisst ein neuer Leit­fa­den für die Seel­sor­ge, der nach der letz­ten Bischofs­syn­ode von den Bistü­mern Basel und St. Gallen zur Ehe- und Fami­li­en­pas­to­ral heraus­ge­ge­ben wurde. Dieser betont, wie wich­tig es ist, sich vorbe­halt­los auf die heut­zu­ta­ge viel­fäl­ti­gen Paar- und Fami­li­en­rea­li­tä­ten einzu­las­sen. Genau diesem seel­sor­ge­ri­schen Ansatz entspricht auch das Projekt paargeschichten.ch.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle und Matthi­as Koller Filli­ger such­ten nach einem Projekt, das sich weiter­ent­wi­ckeln lässt und wurde mit paargeschichten.ch fündig.

Von wegen viel­fäl­ti­gen ­Paar- und Fami­li­en­rea­li­tä­ten: Welche Rolle spielt der inter­kul­tu­rel­le Aspekt? Was können wir etwa von bina­tio­na­len Paaren oder von Paaren aus einer ande­ren Kultur lernen?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Das Wich­tigs­te ist wohl, zu verste­hen, dass wir nicht in einer Blase leben. So wie wir und viel­leicht unser Bekann­ten­kreis leben, das muss nicht zwangs­läu­fig auch für ande­re so stim­men. Das soll auch in den Paar­ge­schich­ten wider­ge­spie­gelt werden. Gera­de planen wir eine Zusam­men­ar­beit mit dem St. Galler Verein Aida, der sich im Bereich Bildung und Begeg­nung fremd­spra­chi­ger Frau­en enga­giert. Die Bezie­hungs­ge­schich­ten dieser Frau­en werden in paargeschichten.ch aufge­nom­men und berei­chern so das Projekt.

→ www.paargeschichten.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 25.01.2023

Stets neue Geschichten

Das Projekt paargeschichten.ch wird von IG PEF-Pastoral Deutsch­schweiz verant­wor­tet und von der Inlän­di­schen Missi­on sowie den röm.-kath. Kanto­nal­kir­chen Aargau, Luzern, Deutsch­frei­burg und Zürich und den Bistü­mern Sitten ­(Ober­wal­lis) und St. Gallen finan­ziert. Die Websei­te paargeschichten.ch wird fort­lau­fend mit neuen Geschich­ten ­erwei­tert. Die Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St. Gallen ist Mitglied bei der IG PEF und setzt das Projekt Paar­ge­schich­ten im Bistum St. Gallen um.

→ Weite­re Infos unter www.pef-sg.ch

Geschlechterklischees ­überwinden

Mehr Sensi­bi­li­tät für die Geschlech­ter­viel­falt – die Tagung der ­Fach­stel­le für Jugend­ar­beit im Bistum St. Gallen (Daju) regte an, über Geschlech­ter­rol­len, Diskri­mi­nie­rung und die Perspek­ti­ve von sexu­el­len Minder­hei­ten nachzudenken.

Was macht dich zur Frau, was macht dich zum Mann? Welche Geschlech­ter­vor­ur­tei­le machen dir zu schaf­fen? Was wäre in meinem Leben anders, wenn ich ein ande­res Geschlecht hätte? Was ist unweib­lich und unmänn­lich – und wer legt das fest? Gleich zu Beginn der Daju-Tagung in Trogen AR konfron­tiert ein Frage­bo­gen die Jugend­seel­sor­gen­den mit ihrer eige­nen Haltung zum Geschlecht. Bei der anschlies­sen­den Diskus­si­on in Klein­grup­pen wird schnell klar: Auch wer sich selbst als tole­rant und offen im Umgang mit der Geschlech­ter­viel­falt bezeich­net, hat beim Frage­bo­gen den einen oder ande­ren Aha-Moment erlebt. Vieles, das selbst­ver­ständ­lich scheint, ist doch gar nicht so selbst­ver­ständ­lich. Im Austausch mit den ande­ren schil­dern die kirch­li­chen Jugend­ar­bei­ten­den aber auch bald Erfah­run­gen aus ihrem Berufs­all­tag: «Ich erle­be noch immer, dass manche Jugend­li­che sich gegen einen Lehr­be­ruf entschei­den, weil dieser als zu weib­lich oder zu männ­lich gilt und sie sich vor Häme und Vorur­tei­len fürch­ten.» Auch bekom­men die Jugend­ar­bei­ten­den mit, wie sehr Ideal­bil­der von Männ­lich­keit und Weib­lich­keit in Werbung und Medi­en auch heute viele junge Menschen unter Druck setzen.

Kirch­li­che Jugendarbeiter*innen aus dem Bistum St.Gallen setz­ten sich mit der Geschlech­ter­viel­falt auseinander.

Offen und unverkrampft

Die Teil­neh­men­den spre­chen ganz offen und unver­krampft. Man spürt, dass es in der kirch­li­chen Jugend­ar­beit schon viel Sensi­bi­li­tät im Umgang mit Geschlech­ter­viel­falt und sexu­el­len Orien­tie­run­gen gibt. Viele Jugend­seel­sor­gen­de sind bemüht, Jugend­li­che bei der Entwick­lung einer gelin­gen­den Geschlechts­iden­ti­tät zu unter­stüt­zen. Ande­re wieder­um berich­ten, dass die Akzep­tanz von quee­ren Jugend­li­chen unter Gleich­alt­ri­gen noch gar nicht so verbrei­tet ist wie man oft den Eindruck hat: Ein Jugend­seel­sor­ger erzählt von homo­pho­ben Äusse­run­gen, die Jugend­li­che in seiner Pfar­rei von sich gege­ben haben.

Die Tagung ging auch der Frage nach, wie kirch­li­che Jugend­ar­beit zeit­ge­mäss mit der Geschlech­ter­viel­falt umgeht und nieman­den ausschliesst.

Mit Spra­che ausdrücken

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos, Geschäfts­lei­te­rin der Fach­stel­le für Aids- und Sexu­al­fra­gen St. Gallen, zeigt immer wieder auf, wie sehr die Gesell­schaft bis heute in Kate­go­rien denkt. «Das gilt es zu hinter­fra­gen», sagt sie. Die binä­re Eintei­lung grei­fe zu kurz und schlies­se viele Geschlech­ter­iden­ti­tä­ten aus. Während die einen die Viel­falt als berei­chernd erle­ben, löst sie bei ande­ren Unsi­cher­hei­ten und Ableh­nung aus. «Die meis­ten von uns haben ihre Geschlech­ter­rol­len auto­ma­tisch ange­nom­men. Viele der heuti­gen Jugend­li­chen setzen sich inten­siv mit der Frage ausein­an­der, wer sie sind und wie sie ihr Geschlecht leben wollen. Manche spie­len auch krea­tiv damit.» Das heis­se aber nicht auto­ma­tisch, dass es für sexu­el­le Minder­hei­ten heute einfa­cher sei. Simo­ne Dos Santos moti­viert die Teil­neh­men­den, die Viel­falt auch in der Spra­che sicht­bar zu machen: Beispiels­wei­se hätten Studi­en gezeigt, dass Kinder sich mehr Beru­fe zutrau­en, wenn die Geschlech­ter­viel­falt in Beru­fen auch sprach­lich immer wieder expli­zit ausge­drückt wird. An der Tagung kommen auch Betrof­fe­ne selbst zu Wort – am Vormit­tag in Film­ein­spie­lun­gen und am ­Nach­mit­tag stellt sich Aman­da, eine junge Trans­frau aus der Ostschweiz, den Fragen der Teilnehmenden.

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos moti­vier­te für eine geschlech­ter­sen­si­ble Sprache.

Die Bibel und die Geschlechter

Im Tagungs­saal hängt ein Banner an der Wand: «Gott liebt viel­fäl­tig.» Was sagt die Bibel zu diesem Thema? Dieser Frage geht am zwei­ten Tag Gregor Emmen­eg­ger, Profes­sor für Kirchen­ge­schich­te an der Univer­si­tät Frei­burg, nach. Er zeigt auf, dass die Bibel sehr viel­fäl­ti­ge Aussa­gen zu den Geschlech­tern macht: Zum Beispiel habe Gott in erster Linie Adam als Menschen geschaf­fen und nicht als Mann und daraus die Frau, wie das verkürzt in jahr­hun­der­te­lan­gen Bibel­aus­le­gun­gen wieder­ge­ge­ben wurde. Auch der Umgang mit den Geschlech­tern habe sich im Laufe der ­Kirchen­ge­schich­te gewan­delt (s. Inter­view S. 11). Der Apos­tel Paulus schrieb im Brief an die ­Gala­ter: «Es gibt nicht mehr Juden und Grie­chen, nicht Skla­ven und Freie, nicht männ­lich und weib­lich; denn ihr alle seid einer in Chris­tus Jesus.»

Trans­frau Aman­da gab offen und ehrlich Einbli­cke in ihre Geschich­te und den Umgang mit Vorurteilen.
Die Teil­neh­men­den schil­der­ten persön­li­che Erfah­run­gen aus ihrem Arbeits­all­tag in der kirch­li­chen Jugendarbeit.

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 28. Novem­ber 2022

«Immer wieder weiterentwickelt»

Gregor Emmen­eg­ger, Sie haben über die histo­ri­sche Entwick­lung der kirch­li­chen Haltung zu Geschlech­ter­fra­gen refe­riert. Die Kirche lehrt, es gibt Mann und Frau. Ist die Frage damit nicht schon beantwortet?

Im Gegen­teil – die Haltung der Kirche hat sich im Laufe der Jahr­hun­der­te immer wieder verän­dert. Die Idee, dass Mann und Frau sich dualis­tisch gegen­über­ste­hen, verbrei­tet sich erst ab dem 17. Jahrhundert.

Wie gingen denn die Kirche und die Theo­lo­gie im frühen Chris­ten­tum mit dem Thema um?

Wer von Geschlech­tern redet, denkt darüber nach, was Menschen verbin­det und was sie trennt. In der Anti­ke und im Mittel­al­ter wurden die Geschlechts­merk­ma­le nicht auf zwei Geschlech­ter hin inter­pre­tiert. Man ging davon aus, dass es nur ein Menschen­ge­schlecht gibt, in stär­ke­rer männ­li­cher und schwä­che­rer weib­li­cher Ausprä­gung, und ohne abso­lu­te Tren­nung dazwi­schen. Man reflek­tier­te so mit medi­zi­ni­schem Voka­bu­lar die Gesell­schafts­ver­hält­nis­se: Der Bauer unter­schied sich nicht sehr von der Bäue­rin, aber sehr vom Ritter. Im 17. Jahr­hun­dert verän­der­te sich das. Die Frau­en blie­ben zuneh­mend zu Hause, die Männer gingen auswärts arbei­ten. Ein neues gesell­schaft­li­ches Modell entwi­ckel­te sich und man gewann einen neuen Blick auf die Geschlech­ter. Auch in der Kirche und in der Medi­zin wurde seit­her die Diffe­renz der Geschlech­ter betont.

Die Gender-Diskussion wird heute oft emotio­nal geführt. Was lehrt uns der Blick in die Kirchengeschichte?

In den vergan­ge­nen Jahr­hun­der­ten hatte die Kirche im Umgang mit diesem Thema weni­ger Mühe. Die Viel­falt wurde nicht als Gefahr verstan­den. Es wäre eine Chan­ce, wenn die Kirche heute die Menschen in ihrer Viel­falt sehen lernt und diese Viel­falt als Mehr­wert versteht. (ssi)

«Den anderen nicht besiegen»

Was tun, wenn sich ein Kind weigert, in die Schu­le zu gehen? Und wie soll man mit ­respekt­lo­sem Verhal­ten umge­hen? Schul­ex­per­te Stefan Gander spricht im Inter­view darüber, wie Erwach­se­ne und Lehr­per­so­nen in solchen Situa­tio­nen reagie­ren können.

Erzie­hen war nie schwie­ri­ger als heute: Stimmt das und ­wieso entsteht dieser Eindruck?

Stefan Gander: Mit solchen pauscha­len Aussa­gen habe ich Mühe. Jede Gene­ra­ti­on hat ande­re und neue Heraus­for­de­run­gen. Wir befin­den uns derzeit in einer unbe­stän­di­gen Zeit. Alles ist unsi­cher und von der steten Verfüg­bar­keit geprägt. Die Jugend­li­chen haben durch die sozia­len Medi­en immer das Gefühl, etwas verpas­sen zu können. Ein weite­rer Punkt ist, dass wir heute stark geprägt sind vom Wort «sofort». Warten fällt uns schwer. Gera­de Jugend­li­che wollen dort sein, wo etwas passiert. Sich darauf einlas­sen, ist aber schwie­rig, weil an einem ande­ren Ort ja gleich­zei­tig auch etwas passiert.

Führt das dazu, dass wir keine Gren­zen mehr kennen? Und die Lehr­per­so­nen können dann ausba­den, was zuhau­se in der Erzie­hung versäumt wurde?

Stefan Gander: Das kann ich so nicht bestä­ti­gen. Es gibt nicht einfach Die Jugend­li­chen, Die Eltern oder Die Lehr­per­so­nen. Es gibt ganz viele gelin­gen­de und posi­ti­ve Beispie­le, Fami­li­en, Bezie­hun­gen und so weiter. Als Eltern wie auch als Lehr­per­so­nen kann man aber in Situa­tio­nen gera­ten, in denen man nicht mehr weiter weiss und sich ohnmäch­tig fühlt. Dieses Gefühl der Ohnmacht könn­te man viel­leicht mit dem Vorwurf gleich­set­zen, dass Kinder und Jugend­li­che heute keine Gren­zen mehr kennen würden.

Hier setzt die Metho­de der Neuen Auto­ri­tät an, nach der Sie an Ihren Schu­len arbei­ten. Worum handelt es sich dabei?

Stefan Gander: Die Neue Auto­ri­tät des israe­li­schen Psycho­lo­gen Haim Omer ist in den 1990er-Jahren dadurch entstan­den, dass er die Hilf­lo­sig­keit von Eltern im Gaza­strei­fen wahr­nahm. Es handelt sich dabei um eine Extrem­si­tua­ti­on ohne Zukunfts­per­spek­ti­ven oder Hoff­nung für die Jugend­li­chen. Drogen und Banden wurden unter den Jugend­li­chen ein gros­ses Thema. Allen Eltern war gemein­sam, dass sie eben in diese Ohnmacht gerie­ten. Die Neue Auto­ri­tät ist darauf ein Stück weit eine Antwort. Ich verwen­de heute lieber den Begriff der Verbin­den­den Auto­ri­tät nach Elia­ne Wieben­ga, da er zeit­ge­mäs­ser und meiner Meinung nach zutref­fen­der ist.

Lehr­per­so­nen sind für Stefan Gander, Bereichs­lei­ter Förder­an­ge­bo­te Verein tipi­ti, wie gute Gast­ge­ber. Ein Gast­ge­ber dürfe verlan­gen, dass man die ­Füsse nicht auf den Tisch lege. Ein Gast­geber sei aber auch als erster vor Ort.

Wann fingen Sie an, nach ­diesem Ansatz zu arbeiten?

Stefan Gander: 1996 grün­de­te ich mit der SBW Haus des Lernens Heris­au meine erste Privat­schu­le mit. 2005 entdeck­te ich die Metho­de von Haim Omer und merk­te, dass er syste­ma­tisch fest­ge­hal­ten hatte, was wir in den Jahren zuvor schon umge­setzt hatten. Durch Haim Omer hatten wir eine tref­fen­de Spra­che für unse­re Haltung gefun­den. Ziel ist es, als Lehr­per­son in fest­ge­fah­re­nen Situa­tio­nen wieder hand­lungs­fä­hig zu werden. Ich verglei­che Lehr­per­so­nen oft mit einem guten Gast­ge­ber. Ein Gast­ge­ber darf verlan­gen, dass man die Füsse nicht auf den Tisch legt. Ein guter Gast­ge­ber ist aber beispiels­wei­se auch immer als erster vor Ort. Man kann seine Klas­se nicht ins Schul­zim­mer rennen lassen, selbst erst fünf Minu­ten später hinzu­kom­men und erwar­ten, dass das funk­tio­niert. Dann ist die Präsenz nicht da, eine der wich­tigs­ten Grund­la­gen der Verbin­den­den Autorität.

Haben Sie ein weite­res ­Beispiel, wie man Konflik­te mit Kindern und Jugend­li­chen löst?

Stefan Gander: Nehmen wir das Beispiel eines Kindes, das sich weigert, in die Schu­le zu gehen. Das ist ein Problem, das nicht selten vorkommt. In erster Linie bestär­ken wir die Eltern dann darin, eine klare Haltung einzu­neh­men und sich selbst zu kontrol­lie­ren. Das sind eben­falls Elemen­te der Verbin­den­den Auto­ri­tät. In einem zwei­ten Schritt geht es darum, das Netz­werk zu akti­vie­ren. Dazu können beispiels­wei­se die Gross­el­tern, Freun­de oder Lehr­per­so­nen gehö­ren. Einmal mach­ten wir in einem solchen Fall einen Plan, wer an welchem Tag morgens das Kind abholt und dabei klar und liebe­voll beharrt, dass es mitkommt. Zehn Tage funk­tio­nier­te das nicht. Am elften Tag ging das Kind mit dem Gross­va­ter mit zur Schule.

Es geht also darum, bei einer klaren Haltung zu blei­ben und die Last auf verschie­de­nen Schul­tern zu tragen?

Stefan Gander: Ja. Es ist aber immer wich­tig, zwischen dem Verhal­ten und dem Kind als Person zu unter­schei­den: «Dich als Toch­ter lieben wir. Dein Verhal­ten können wir aber nicht akzep­tie­ren.» Das trifft gera­de auch bei respekt­lo­sem Verhal­ten zu. Hilf­reich ist, sich zunächst auf einen einzi­gen Punkt zu konzen­trie­ren, den man ändern möch­te und dass man dabei beharr­lich bei seinem Stand­punkt bleibt. Verhal­tens­än­de­run­gen brau­chen Zeit. Es nützt nichts, wenn man sagt, wenn du jetzt nicht das oder das machst, darfst du nicht in den Ausgang. Und man muss immer in der Bezie­hung zum Kind blei­ben. Als Erwach­se­ne sind wir dafür verant­wort­lich, immer wieder Bezie­hungs­an­ge­bo­te zu machen. Darin liegt die Kunst: Man muss in der Bezie­hung zum Kind blei­ben und Präsenz zeigen, gleich­zei­tig aber das stören­de Verhal­ten klar benen­nen. Indem man als Erwach­se­ner in seiner Haltung deut­li­cher wird, verän­dert sich das Verhal­ten eines Kindes.

Ist das Bewusst­sein für diese Erzie­hungs­me­tho­de nicht schon längst Alltag?

Stefan Gander: Das Bewusst­sein für diese Metho­de ist defi­ni­tiv vorhan­den. Manch­mal fehlen einem aber Hand­lungs­in­stru­men­te. Ich werde häufig von unter­schied­lichs­ten Schu­len ange­fragt, Refe­ra­te zu halten oder Weiter­bil­dun­gen zu geben. Eini­ge Schu­len beglei­te ich mit einem Team während eines ganzen Jahres, um den Ansatz der Verbin­den­den Auto­ri­tät umzu­set­zen. Im Zentrum steht immer die Frage, wie ich meine Haltung aufzei­gen kann, ohne den ande­ren zu besie­gen. Eines der wich­tigs­ten Bücher von Haim Omer heisst «Stär­ke statt Macht». Das trifft, worum es geht.

Vortrag an flade

Am 15. Novem­ber sind alle Inter­es­sier­ten zu einem Vortrags­abend der flade, der ­katho­li­schen Kantons­se­kun­dar­schu­le St. Gallen, einge­la­den. An dem tradi­tio­nel­len Bildungs­an­lass mit anschlies­sen­dem Apéro spricht Stefan Gander, ­Bereichs­lei­ter Förder­an­ge­bo­te Verein ­tipi­ti, zum Thema «Verbin­den­de Auto­ri­tät – durch Präsenz und Bezie­hung». Im Fokus steht, wie Eltern und Lehr­personen regel­mäs­sig mit unge­wöhn­li­chen oder destruk­ti­ven Verhal­tens­wei­sen von ­Jugend­li­chen konfron­tiert sind und welche Art von Auto­ri­tät dies erfor­dert.

→ 15. Novem­ber, 19 Uhr, Schutzengel­kapelle, Klos­ter­hof 2, St. Gallen

Text: Nina Rudnicki

Bilder: zVg.

Veröf­fen­li­chung: 7. Novem­ber 2022

Durch Gallus weltweit vernetzt

Jakob Kurat­li Hüeb­lin hat es sich zum Ziel gemacht, welt­weit alle Gallus­ka­pel­len ­aufzu­spü­ren. Dafür betreibt er eine Websei­te. Seine Faszi­na­ti­on für Gallus endet auch nach Feier­abend als stell­ver­tre­ten­der Leiter des Stifts­ar­chivs nicht.

Eine verlot­ter­te Gallus­kir­che, womög­lich ohne Dach, irgend­wo abge­le­gen in Tsche­chi­en: Findet Jakob Kurat­li Hüeb­lin ein solches Objekt, ist jeweils ein Ziel seiner Feri­en erreicht. Der 45-jährige St. Galler betreibt die Websei­te sanktgallus.net mit der Absicht, welt­weit alle Gallus­ka­pel­len und ‑kirchen aufzu­spü­ren, zu doku­men­tie­ren und im histo­ri­schen, kultu­rel­len und spiri­tu­el­len Kontext einzu­bet­ten. «Das schöns­te an diesem Hobby ist, dass ich nicht an den typi­schen touris­ti­schen Orten mit ihren bekann­ten Sehens­wür­dig­kei­ten lande, sondern durch wunder­schö­ne Land­schaf­ten wie zum Beispiel in Mähren und Böhmen reise, die ich sonst nie sehen würde», sagt er. Nebst Tsche­chi­en hat er auf diese Weise unter ande­rem auch Deutsch­land, Irland und Frank­reich erkun­det. Befin­det sich eine Gallus­kir­che oder ‑kapel­le weiter entfernt wie etwa in den USA, Südame­ri­ka oder Afri­ka, ist er zudem auf Zuschrif­ten wie Lite­ra­tur­tipps oder zuge­sand­tes Bild­ma­te­ri­al angewiesen.

Eine Zufalls­lei­den­schaft

Auf die Idee, eine solche Websei­te zu betrei­ben, kam Jakob Kurat­li Hüeb­lin durch Zufall. In St. Gallen arbei­tet er als stell­ver­tre­ten­der Leiter des Stifts­ar­chivs. 2012 stand das 1400-Jahre-Gallus-Jubiläum an. Zu diesem Anlass veröf­fent­lich­te das Stifts­ar­chiv die Publi­ka­ti­on «1400 x Gallus». Diese enthält 1400 Orte, die mit dem Grün­der des Klos­ters St. Gallen zu tun haben. Jakob Kurat­li Hüeb­lin griff dafür auf eine Arbeit des Stifts­ar­chi­vars Paul Staerk­le aus dem Jahr 1951 zurück, der sich bereits inten­siv mit Gallus­pa­tro­zi­ni­en ausein­an­der­ge­setzt hatte. «Ich fand seine Recher­che eindrück­lich und das Ganze ein abwechs­lungs­rei­ches Hobby», sagt er, den die Faszi­na­ti­on für Gallus und dessen Wirken seit­her nicht mehr los liess.

Nur noch ein Schienbein

Einer der span­nends­ten Punk­te ist für Jakob Kurat­li Hüeb­lin, wie sich der Kult des Heili­gen Gallus von St. Gallen aus ausge­brei­tet hat. Dadurch könne aufge­zeigt werden, wie vernetzt die Kirche und wie gross der Einfluss des Klos­ters St. Gallen war. «Um eine Gallus­kir­che zu grün­den, muss­te man über Reli­qui­en verfü­gen. Ohne Über­res­te wie Knochen oder Stücke vom Buss­gür­tel des Heili­gen war das grund­sätz­lich nicht möglich», sagt er. Dass es heute welt­weit rund 450 Gallus­ka­pel­len und ‑kirchen gebe, bedeu­te also auch, dass im Mittel­al­ter mit den Gallus-Reliquien gross­zü­gig umge­gan­gen worden sei. «Später, während des refor­ma­to­ri­schen Bilder­sturms im 16. Jahr­hun­dert, in dem reli­giö­se Bilder und Gegen­stän­de in Kirchen zerstört und die Reli­qui­en entfernt wurden, wurden Witze über das Grab des heili­gen Gallus gemacht. Es fand sich darin nämlich nur noch ein Schien­bein», sagt er.

Jakob Kurat­li Hüeb­lin vor den baro­cken Statu­en der beiden St.Galler Grün­der­hei­li­gen Gallus und Otmar im Ostflü­gel des ehema­li­gen Klostergebäudes.

Auch Schutz­pa­tron des Viehs

«Sankt Gallus verbin­det uns», schreibt Jakob Kurat­li Hüeb­lin auf seiner Websei­te. Worin diese Verbin­dung liegen mag, kann heraus­fin­den, wer sich dort auf der Welt­kar­te zu einer der Gallus­ka­pel­len und ‑kirchen klickt. Nebst Fotos und Infor­ma­tio­nen gibt es auch die Möglich­keit, eini­ge der Kirchen mit einer 3D-Brille virtu­ell zu besu­chen. Eine Über­ra­schung sind die vielen refor­mier­ten Gallus­ka­pel­len und ‑kirchen. «Das war auch für mich der gröss­te Erkennt­nis­ge­winn – und dass refor­miert nicht gleich refor­miert ist», sagt Jakob Kurat­li Hüeb­lin. «Gallus ist ein ökume­ni­scher Heili­ger, der in refor­mier­ten Gegen­den als Missio­nar und vorbild­li­cher Predi­ger gilt.» Je nach Land­schaft verän­de­re sich auch die Bedeu­tung von Gallus als Patron. «Er ist nicht nur ein Klos­ter­pa­tron, sondern wird mancher­orts beispiels­wei­se ganz volks­tüm­lich als Schutz­pa­tron des Viehs verehrt.»

Einfach an Haus­tü­ren klingeln

Ein Mittag­essen bei einem Ehepaar auf einem abge­le­ge­nen Bauern­hof und vor allem viele Begeg­nun­gen: Auch das gehört zu den Dingen, die Jakob Kurat­li Hüeb­lin erlebt, wenn er sich auf die Spuren­su­che von Gallus­ka­pel­len und ‑kirchen begibt. Oftmals sind diese abge­schlos­sen. «Mir bleibt dann nichts ande­res übrig, als einfach bei Häusern in der Nähe zu klin­geln, um zu erfah­ren, wer für die Kirche oder Kapel­le zustän­dig ist», sagt er. «Die Menschen freu­en sich dann oft. Sie tref­fen jeman­den, der aus einer ganz ande­ren Gegend kommt, wo es mit Gallus aber etwas stark Verbin­den­des gibt.»

www.sanktgallus.net, dort finden sich auch Infos zu den jewei­li­gen Gottes­diens­te in den verschie­de­nen Galluskapellen.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 1. Novem­ber 2022

«Nicht ­motzen, sondern machen»

Der St. Galler Banker Fabio de Deus (24) enga­giert sich bei «Churching», dem ­Reform- und Innova­ti­ons­pro­jekt des ­Bistums St. Gallen. «In der Kirche ­beschäf­tigt man sich oft viel zu sehr mit Brain­stor­men und Disku­tie­ren», sagt er, «viel wich­ti­ger wäre es, ins ­Machen und Auspro­bie­ren zu kommen.»

«Auf meinen Nach­na­men werde ich sehr oft ange­spro­chen – im Beruf, aber auch privat», sagt Fabio de Deus und lacht. Doch der Schwei­zer mit brasi­lia­ni­schen Wurzeln habe kein Problem damit, Gott (Deus) in seinem Namen zu tragen: «Ich bin ein gläu­bi­ger Mensch, der Glau­be und die Kirche sind mir wich­tig.» Aber ihm gehe es wie vielen ande­ren: «Die Struk­tu­ren der Kirche müssen über­dacht werden. Es muss wieder mehr um das Eigent­li­che gehen wie zum Beispiel um die Ausein­an­der­set­zung mit Jesus.» Deshalb betei­ligt er sich in seiner Frei­zeit beim Projekt «Churching».

Fabio de Deus wünscht sich von der Kirche mehr Mut am Ausprobieren.

Wich­ti­ge Plattform

Das kirch­li­che Inno­va­ti­ons­pro­jekt ist im Früh­ling gestar­tet. Das Bistum St. Gallen will damit jungen Erwach­se­nen ermög­li­chen, die Zukunft der Kirche aktiv mitzu­ge­stal­ten. «Die Mitwir­ken­den sind zwischen 17 und 30 Jahre alt», so Fabio de Deus, der beruf­lich in der Vermö­gens­ver­wal­tung bei einer Schwei­zer Gross­bank tätig ist. Zwei Churching-Treffen haben bereits statt­ge­fun­den, im Novem­ber geht es weiter (siehe Kasten). «Ich finde es toll, dass das Bistum diese Platt­form gegrün­det hat. Nach meinem Geschmack lag bei eini­gen Teil­neh­mern an den bishe­ri­gen Tref­fen der Fokus zu stark auf dem Kriti­sie­ren und Brain­stor­men. Kriti­sie­ren kann jeder, aber konkre­te Ideen kommen nur von weni­gen. Ich würde mir wünschen, dass die Kirche viel mehr Mut hat am Auspro­bie­ren und Expe­ri­men­tie­ren. Erst so findet man heraus, was funktioniert.»

Der 24-jährige Banker sieht Chan­cen in Gemeinschaftserlebnissen.

Gemein­schafts­er­leb­nis­se

Fabio de Deus besucht regel­mäs­sig den Gottes­dienst. Offen über den Glau­ben zu spre­chen, fällt ihm nicht schwer. Seit eini­gen Jahren enga­giert er sich zudem als Firm­be­glei­ter. Dort bekommt er mit, dass auch heute viele junge Menschen an Glau­bens­fra­gen inter­es­siert sind. «Um sie zu errei­chen, muss die Kirche aber unbe­dingt an der Spra­che und der Kommu­ni­ka­ti­on arbei­ten», sagt der 24-Jährige. Eine gros­se Chan­ce sieht er in der Gemein­schaft: «Zusam­men­sein, mitein­an­der etwas erle­ben – gera­de das ist doch Kirche. Die Kirche soll­te noch mehr auf Gemein­schafts­er­leb­nis­se setzen und diese nach aussen sicht­bar machen.» Das sei aus seiner Sicht viel wich­ti­ger als Poli­tik zu betrei­ben. «Wenn ande­re mitbe­kom­men: Da fühlen sich Menschen wohl, da erlebt man mitein­an­der etwas, dann bekom­men auch Kirchen­fer­ne Lust, dabei zu sein.» Diese Erfah­rung mache er auch als Firm­be­glei­ter bei den Firm­we­gen. «Junge Menschen knüp­fen hier Kontak­te, die oft über die Firmung hinaus bestehen.» Auch die Ideen, die er bei «Churching» einge­bracht hat, gehen in diese Rich­tung: «Ich fände es cool, wenn die Pfar­rei­en mehr Treff­punk­te für junge Menschen anbie­ten.» Er ist gespannt auf den drit­ten Churching-Anlass und hofft, dass auch eini­ge neue Leute dabei sind, die seine Philo­so­phie teilen: «Nicht motzen, sondern machen».

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Churching mit dem Bischof

Das 3. «Churching»-Netzwerktreffen findet am 26. ­Novem­ber 2022, 14 bis 18 Uhr in St. Gallen statt. An diesem Tref­fen werden sich auch Bischof Markus Büchel und weite­re kirch­li­che Entscheidungs­träger:innen betei­li­gen. Infos: www.churching.ch

Sommernächte im Alpstein

Stern­schnup­pen, Mond und Milch­stras­se – wann haben Sie sich zuletzt beim Blick in den Ster­nen­him­mel von Gottes Schöp­fung zum Stau­nen brin­gen lassen? Das Pfar­rei­fo­rum gibt Tipps für (spiri­tu­el­le) Entde­ckun­gen in wolken­lo­sen Sommernächten.

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