
Durch Gallus weltweit vernetzt
Jakob Kuratli Hüeblin hat es sich zum Ziel gemacht, weltweit alle Galluskapellen aufzuspüren. Dafür betreibt er eine Webseite. Seine Faszination für Gallus endet auch nach Feierabend als stellvertretender Leiter des Stiftsarchivs nicht.
Eine verlotterte Galluskirche, womöglich ohne Dach, irgendwo abgelegen in Tschechien: Findet Jakob Kuratli Hüeblin ein solches Objekt, ist jeweils ein Ziel seiner Ferien erreicht. Der 45-jährige St. Galler betreibt die Webseite sanktgallus.net mit der Absicht, weltweit alle Galluskapellen und ‑kirchen aufzuspüren, zu dokumentieren und im historischen, kulturellen und spirituellen Kontext einzubetten. «Das schönste an diesem Hobby ist, dass ich nicht an den typischen touristischen Orten mit ihren bekannten Sehenswürdigkeiten lande, sondern durch wunderschöne Landschaften wie zum Beispiel in Mähren und Böhmen reise, die ich sonst nie sehen würde», sagt er. Nebst Tschechien hat er auf diese Weise unter anderem auch Deutschland, Irland und Frankreich erkundet. Befindet sich eine Galluskirche oder ‑kapelle weiter entfernt wie etwa in den USA, Südamerika oder Afrika, ist er zudem auf Zuschriften wie Literaturtipps oder zugesandtes Bildmaterial angewiesen.
Eine Zufallsleidenschaft
Auf die Idee, eine solche Webseite zu betreiben, kam Jakob Kuratli Hüeblin durch Zufall. In St. Gallen arbeitet er als stellvertretender Leiter des Stiftsarchivs. 2012 stand das 1400-Jahre-Gallus-Jubiläum an. Zu diesem Anlass veröffentlichte das Stiftsarchiv die Publikation «1400 x Gallus». Diese enthält 1400 Orte, die mit dem Gründer des Klosters St. Gallen zu tun haben. Jakob Kuratli Hüeblin griff dafür auf eine Arbeit des Stiftsarchivars Paul Staerkle aus dem Jahr 1951 zurück, der sich bereits intensiv mit Galluspatrozinien auseinandergesetzt hatte. «Ich fand seine Recherche eindrücklich und das Ganze ein abwechslungsreiches Hobby», sagt er, den die Faszination für Gallus und dessen Wirken seither nicht mehr los liess.
Nur noch ein Schienbein
Einer der spannendsten Punkte ist für Jakob Kuratli Hüeblin, wie sich der Kult des Heiligen Gallus von St. Gallen aus ausgebreitet hat. Dadurch könne aufgezeigt werden, wie vernetzt die Kirche und wie gross der Einfluss des Klosters St. Gallen war. «Um eine Galluskirche zu gründen, musste man über Reliquien verfügen. Ohne Überreste wie Knochen oder Stücke vom Bussgürtel des Heiligen war das grundsätzlich nicht möglich», sagt er. Dass es heute weltweit rund 450 Galluskapellen und ‑kirchen gebe, bedeute also auch, dass im Mittelalter mit den Gallus-Reliquien grosszügig umgegangen worden sei. «Später, während des reformatorischen Bildersturms im 16. Jahrhundert, in dem religiöse Bilder und Gegenstände in Kirchen zerstört und die Reliquien entfernt wurden, wurden Witze über das Grab des heiligen Gallus gemacht. Es fand sich darin nämlich nur noch ein Schienbein», sagt er.

Auch Schutzpatron des Viehs
«Sankt Gallus verbindet uns», schreibt Jakob Kuratli Hüeblin auf seiner Webseite. Worin diese Verbindung liegen mag, kann herausfinden, wer sich dort auf der Weltkarte zu einer der Galluskapellen und ‑kirchen klickt. Nebst Fotos und Informationen gibt es auch die Möglichkeit, einige der Kirchen mit einer 3D-Brille virtuell zu besuchen. Eine Überraschung sind die vielen reformierten Galluskapellen und ‑kirchen. «Das war auch für mich der grösste Erkenntnisgewinn – und dass reformiert nicht gleich reformiert ist», sagt Jakob Kuratli Hüeblin. «Gallus ist ein ökumenischer Heiliger, der in reformierten Gegenden als Missionar und vorbildlicher Prediger gilt.» Je nach Landschaft verändere sich auch die Bedeutung von Gallus als Patron. «Er ist nicht nur ein Klosterpatron, sondern wird mancherorts beispielsweise ganz volkstümlich als Schutzpatron des Viehs verehrt.»
Einfach an Haustüren klingeln
Ein Mittagessen bei einem Ehepaar auf einem abgelegenen Bauernhof und vor allem viele Begegnungen: Auch das gehört zu den Dingen, die Jakob Kuratli Hüeblin erlebt, wenn er sich auf die Spurensuche von Galluskapellen und ‑kirchen begibt. Oftmals sind diese abgeschlossen. «Mir bleibt dann nichts anderes übrig, als einfach bei Häusern in der Nähe zu klingeln, um zu erfahren, wer für die Kirche oder Kapelle zuständig ist», sagt er. «Die Menschen freuen sich dann oft. Sie treffen jemanden, der aus einer ganz anderen Gegend kommt, wo es mit Gallus aber etwas stark Verbindendes gibt.»
www.sanktgallus.net, dort finden sich auch Infos zu den jeweiligen Gottesdienste in den verschiedenen Galluskapellen.
Text: Nina Rudnicki
Bilder: Ana Kontoulis
Veröffentlichung: 1. November 2022