News

Fake News oder Wahrheit

Eine eige­ne Repor­ta­ge machen, einmal selber Fake News verbrei­ten sowie die Medi­en­stadt St. Gallen entde­cken: Das ermög­licht die neue Ausstel­lung im Kultur­mu­se­um St. Gallen – und möch­te dabei die Medi­en­kom­pe­tenz der Besu­che­rin­nen und Besu­cher stärken.

Das Klos­ter St. Gallen, das Rathaus, die Sticke­rei­bör­se, der Markt­platz, die Fürst­ab­tei und das Home­of­fice: Per Projek­tor erschei­nen auf der Wand der «St. Galler Arena» im Kultur­mu­se­um St. Gallen eins­ti­ge und aktu­el­le Orte, die für die Medi­en­stadt St. Gallen wich­tig waren und sind. Durch Pilger, die ins Klos­ter kamen, gelang­ten etwa Neuig­kei­ten aus ganz Euro­pa nach St. Gallen. Noch heute ist der Stifts­be­zirk als Unesco-Welterbe Treff­punkt für Gläu­bi­ge aus aller Welt. Die Sticke­rei­bör­se um 1900 wurde auch als Schwatz­bör­se bezeich­net, da sie Raum für Klatsch und Stadt­ge­sprä­che bot. Heute geht, wer sich infor­mie­ren möch­te, viel­leicht in ein Café mit Zeitungs­aus­wahl oder tut dies gleich von zu Hause aus via Home­of­fice im Internet.

Rück­zug in die St. Galler Arena

Nach einer Stun­de Rund­gang durch die neue Ausstel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus» im Kultur­mu­se­um  ist die «St. Galler Arena» der idea­le Ruheort, um sich das Gese­he­ne noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und mit Eindrü­cken aus St. Gallen abzu­schlies­sen. In dunk­ler, ruhi­ger Atmo­sphä­re laden Stüh­le zum Hinset­zen ein. Bei eini­gen handelt es sich um soge­nann­te Ereig­nis­stüh­le. Wer sich dort nieder­lässt, findet seit­lich befes­tig­te Tafeln, die jeweils eines von neun St. Galler Ereig­nis­sen aufgrei­fen. Dazu gehö­ren etwa die Oster­kra­wal­le 2021 in St. Gallen. Thema­ti­siert wird, wie Social Media und Pande­mie inein­an­der­grif­fen. Ein weite­rer Ereig­nis­stuhl erzählt die Geschich­te der Kinds­mör­de­rin Frie­da Keller, die Empö­rung über das Todes­ur­teil sowie das Medi­en­echo um 1900 zur sozia­len Benach­tei­li­gung der Frau. Das frühs­te thema­ti­sier­te Ereig­nis in der Medi­en­stadt St. Gallen fand aber vor der Erfin­dung des Buch­drucks statt. Es ist das Schick­sal der Stadt­hei­li­gen Wibora­da, die einge­schlos­sen in eine Zelle als Inklu­sin lebte. 926 wurde sie bei einem Über­fall der Ungarn auf die Stadt erschla­gen. Die Menschen und die Schät­ze des Klos­ters konn­ten dank ihrer Warnung aber in Sicher­heit gebracht werden. Ihre Geschich­te ist hand­schrift­lich fest­ge­hal­ten und beinhal­tet wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen zu jener Zeit.

Sich in Quel­len­kri­tik üben

Doch wieso sind diese St. Galler Ereig­nis­se exem­pla­risch für die Medi­en­ge­schich­te und die Ausstel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus»? «Derzeit erle­ben wir die histo­ri­sche Verän­de­rung im Jour­na­lis­mus sehr stark mit», sagte dazu Muse­ums­di­rek­tor Peter Fux an der Medi­en­ori­en­tie­rung im März. Medi­en­kom­pe­tenz und Quel­len­kri­tik würden immer wich­ti­ger, um sich in der Flut aus Nach­rich­ten zurecht­zu­fin­den. Genau dies sei das Ziel der Ausstel­lung: Sie soll aufzei­gen, wie Medi­en­schaf­fen­de arbei­ten und die Besu­che­rin­nen und Besu­cher und gera­de auch Jugend­li­che dafür sensi­bi­li­sie­ren, wie und wo sie sich infor­mie­ren und mit Infor­ma­tio­nen umge­hen. Die Ausstel­lung funk­tio­niert stark inter­ak­tiv. Die Besu­che­rin­nen und Besu­cher checken sich mittels Badge ein und schlüp­fen während ihres Muse­ums­auf­ent­halts in verschie­de­ne Rollen. Im Burger-Spiel können sie beispiels­wei­se Fake News verbrei­ten und versu­chen, mittels übler Gerüch­te ein Burger-Restaurant in den Ruin zu trei­ben. Je besser sie das tun, desto mehr Punk­te gibt es. Eine weite­re Stati­on ist etwa der News­room. Dieser ist als Escape-Room gestal­tet. Man lässt sich dort als Team einschlies­sen und kommt erst wieder frei, wenn man verschie­de­ne Rätsel gelöst, eine jour­na­lis­ti­sche Geschich­te recher­chiert und diese veröf­fent­licht hat. Das Spiel dauert rund 20 Minuten.

Die Holocaust-­Debatte im Fall Jagmetti und die Enthül­lung der ­Pana­ma Papers sind zwei von ­vielen Medien­ereignissen, die an der ­Ausstel­lung thema­ti­siert werden.

Die Wunder­kam­mer entdecken

Ergänzt wird die Ausstel­lung durch verschie­de­ne Medi­en­er­eig­nis­se wie das Frau­en­stimm­recht, die Pande­mie und den Ukraine-Krieg. Zu sehen sind auch Inter­views mit Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten, die über ihre Arbeit berich­ten. Span­nend wird es zudem in der Wunder­kam­mer. Dort sind verschie­de­ne tech­ni­sche Entwick­lun­gen zu sehen, von den ersten Tonta­feln mit Keil­schrift  über alte Tele­fo­ne, Kame­ras und Compu­ter bis hin zu einem Tisch voller verschie­dens­ter St. Galler Zeitungen, wie es sie um 1900 gab. Zum Schluss, beim Check-out nach dem Museumsbesuch, folgt eine Über­ra­schung: Wer seinen Badge einwirft, bekommt einen Pres­se­aus­weis ausgedruckt. Je nach Punk­te­stand hat man den Status Prak­ti­kum, freie Mitar­beit, Redak­ti­on oder Chef­re­dak­ti­on erreicht.

→ Infos zu Ausstel­lung und Rahmen­pro­gramm: www.kulturmuseumsg.ch

Das Projekt hinter der Ausstel­lung: Hinter der Wander­aus­stel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus» steht der ­Verein ­journalistory.ch. Dieser entstand 2017 durch das gleich­na­mi­ge Oral-­History-Projekt. Initi­iert wurde es vom West­schwei­zer Filme­ma­cher Frédé­ric Gons­eth. Anlass der Vereins­grün­dung war die bevor­ste­hen­de Abstim­mung über die «No Billag»-Initiative. Diese woll­te die Empfangs­ge­bühr für Radio und ­Fern­se­hen abschaf­fen. → www.suchewahrheit.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Regi­na Kühne

Veröf­fent­li­chung: 30. März 2023

Madagaskar per Bauchentscheid

Vom Glar­ner­land nach Mada­gas­kar: Mit einem frei­wil­li­gen Ausland­ein­satz holte Elisa­beth Keller aus Teufen nach, wovon sie schon als junge Frau träumte.

Dass sie gleich zehn Schwes­tern nachts am Flug­ha­fen abho­len würden, damit hatte Elisa­beth Keller nach ihrer Landung in Mada­gas­kar im vergan­ge­nen Okto­ber nicht gerech­net. «Aber ich fühl­te mich sofort will­kom­men und aufge­nom­men und wuss­te, dass mein frei­wil­li­ger Einsatz in diesem Land die rich­ti­ge Entschei­dung war», sagt die 58-Jährige. Drei Mona­te lang würde die Teufe­ne­rin Teil der Missi­ons- und Anbe­tungs­schwes­tern der Heili­gen Fami­lie sein und in deren Schu­le und Inter­nat im Dorf Andra­no­vo­ry mitar­bei­ten. «Einmal ein solches Volon­ta­ri­at zu machen, war mein Herzens­wunsch», sagt Elisa­beth Keller und erzählt, wie sie dies schon als Anfang 20-Jährige tun woll­te. «Damals soll­te es für ein Jahr nach Ango­la gehen. Aber ich bekam kalte Füsse und sagte ab. Das habe ich mein Leben lang bereut.»

Über­ra­schung bis zuletzt

Vor eini­ger Zeit stiess Elisa­beth Keller im Pfar­rei­fo­rum per Zufall auf einen Bericht über eine junge Frau, die über die Orga­ni­sa­ti­on Voyage-Partage ein Volon­ta­ri­at in Sri Lanka gemacht hatte. «Das war für mich wie ein Zeichen und ich melde­te mich bei der Orga­ni­sa­ti­on an. Auch mein Mann bestärk­te mich, das zu wagen», sagt sie. Fran­zö­sisch spre­chen zu können und nach Afri­ka zu gehen, seien ihre Wünsche gewe­sen. Voyage-Partage habe ihr verschie­de­ne Einsatz­mög­lich­kei­ten in Benin, Kame­run und Mada­gas­kar vorge­schla­gen. Auch hier war es ein Bauch­ent­scheid, der sie schluss­end­lich nach Andra­no­vo­ry führ­te. «Bis zu meiner Ankunft wuss­te ich nicht, an welchem Stand­ort in Mada­gas­kar ich sein und was ich dort tun würde», sagt sie, die insge­heim hoff­te, als gelern­te Medi­zi­ni­sche Praxis­as­sis­ten­tin in einem Ambu­la­to­ri­um mitzuhelfen.

Es kam anders. Als Klas­sen­as­sis­tenz unter­stütz­te sie die Schwächs­ten der rund 600 Schul­kin­der im Unter­richt. Nach der Schu­le half sie beim Kochen und in der Kanti­ne. «Obwohl ich am Anfang Respekt hatte, einfach in eine Klas­se zu gehen, gehört die Zeit mit den Kindern zu meinen schöns­ten Erleb­nis­sen», sagt sie. Die Lebens­freu­de und das Vertrau­en in das Leben hat sie von den Kindern und Schwes­tern zurück in die Schweiz genom­men. «Und natür­lich sind es die vielen gegen­sätz­li­chen Eindrücke, wie die extre­me Armut auf der einen Seite und die Schön­heit des Landes auf der ande­ren Seite», sagt sie.

Mitten im Leben

In der Ordens­ge­mein­schaft fühl­te sich Elisa­beth Keller aufge­ho­ben. «Ich kann die Schwes­tern nicht anders beschrei­ben als cool und mitten im Leben», sagt sie und erin­nert sich an ihre eige­ne Kind­heit mit sieben Geschwis­tern auf einem Bauern­hof im Glar­ner­land. «Meine Mutter erzog uns streng katho­lisch. Obwohl ich heute keine typi­sche Kirchen­gän­ge­rin bin, habe ich gros­sen Respekt für alle, die im Glau­ben diese Kraft finden, um schwie­ri­ge Situa­tio­nen zu meistern, wie es eben auch meine Mutter tat», sagt sie. Sie selbst habe dieses Vertrau­en das gros­se Aben­teu­er wagen lassen.

→ Volon­ta­ri­at im Globa­len Süden:www.voyage-partage.ch

Text: Nina Rudnicki 

Bilder: zVg.

Veröf­fent­li­chung: 27. März 2023

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs

Im Park Madonna entdecken

In der Natur unter­wegs sein, den Blick auf den Boden­see und histo­ri­sche Schlös­ser ­genies­sen und an 24 Bild­stöck­li und Wegkreu­zen Zwischen­hal­te einle­gen. «Hinter den Bild­stöck­li stehen span­nen­de Geschich­ten», sagt Elisa­beth Lüthard-Fuchs, Projekt­lei­te­rin des Bild­stöck­li­wegs in der Regi­on Rorschach.

Vom Park­platz des Schlos­ses Wart­egg  sind es nur ein paar Schrit­te durch den Park und schon steht man vor einer beson­de­ren Trou­vail­le: Im Stamm eines 150 Jahre alten Mammut­baums, der 2019 den zuneh­mend trocke­nen Früh­lin­gen zum Opfer fiel, ist ein schwar­zes Marmor­re­li­ef mit einer Madon­na und dem Jesus­kind zu finden. Mathi­as Thal­mann, der Schloss­gärt­ner, hat mit diesem Reli­ef einen Ort der Besin­nung als Dank für die Frucht­bar­keit der Erde geschaf­fen. Das Beson­de­re: Es handelt sich um eine Kopie des welt­be­kann­ten Reli­efs von Michel­an­ge­lo. Dieses Bild­stöck­li ist das jüngs­te, dem man auf dem Bild­stöck­li­weg der Katho­li­schen Kirche Regi­on Rorschach begeg­net. «Hinter den Bild­stöck­li stehen meis­tens persön­li­che Glau­bens­ge­schich­ten», so Elisa­beth Lüthard. Die Rorscha­cher­berg­le­rin ist Projekt­lei­te­rin des Bild­stöck­li­wegs. «Oft wurden Bild­stö­cke errich­tet, weil sich Gläu­bi­ge bei Gott für eine Heilung oder ein ande­res posi­ti­ves Ereig­nis bedan­ken woll­ten. Dank­bar­keit mit ande­ren teilen – ich finde, das ist ein schö­nes Zeichen.» Oft waren es schick­sal­haf­te Ereig­nis­se, die die Menschen dazu brach­ten, ein Mahn­mal zu erstel­len. «Als Aufruf, sich immer wieder zu besin­nen – inne­zu­hal­ten. Es wurden alle Facet­ten des mensch­li­chen Daseins berücksichtigt.»

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs
Elisa­beth Lüthard-Fuchs vor dem Bild­stöck­li im Schloss­park Wart­egg Rorschach.
Mathi­as Thal­mann, der Schloss­gärt­ner, hat das Reli­ef geschaf­fen — eine Kopie eines Reli­efs von Michaelangelo.

Kultur- und Glaubensgut

Die Katho­li­sche Kirche Regi­on Rorschach hat mit dem Bild­stöck­li­weg eine uralte katho­li­sche Tradi­ti­on fit für die Gegen­wart gemacht. «Es ist in der Regi­on Rorschach schon lange Brauch, dass frei­wi­lig Enga­gier­te Bild­stö­cke und Wegkreu­ze schmü­cken», so Elisa­beth Lüthard, «doch dieses Kultur- und Glau­bens­gut verschwin­det immer mehr aus dem Bewusst­sein. Im Austausch zwischen den Frei­wil­li­gen und Seel­sor­gen­den kam die Idee auf, diese Bild­stö­cke mit einem Weg aufzu­wer­ten.» Elisa­beth Lüthard, eine enga­gier­te Frei­wil­li­ge in der Kirche, über­nahm die Projekt­lei­tung. Akri­bisch hat sie sich in die Bedeu­tung der Bild­stöck­li in der katho­li­schen Spiri­tua­li­tät einge­le­sen. Der Rorscha­cher Lokal­his­to­ri­ker Otmar Else­ner bekam den Auftrag, die histo­ri­schen Hinter­grün­de zu recher­chie­ren und aufzu­ar­bei­ten. «Uns war es wich­tig, dass die Menschen an jeder Stati­on einen spiri­tu­el­len Gedan­ken mitneh­men können», sagt Elisa­beth Lüthard. Dafür mach­te sie sich auf die Suche nach spiri­tu­el­len Texten. «Für Statio­nen, für die ich nichts Passen­des gefun­den habe, habe ich selber etwas geschrieben.»

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs

Auch mit dem Velo

Im Septem­ber 2021 war es so weit: Die Wegta­feln wurden instal­liert, eine Karte zum Mitneh­men wurde gedruckt und eine Website ging online. Die Wegta­feln enthal­ten neben Infos zum Bild­stock und einem spiri­tu­el­len Impuls einen QR-Code, der zu weite­ren Infos zum Weg und zu den Bild­stö­cken führt. Der Weg erstreckt sich über das Gebiet der Gemein­den Gold­ach, Rorschach, Rorscha­cher­berg und Unter­eg­gen. «Die Stre­cke mit Zwischen­hal­ten bei allen 24 Statio­nen wäre zu lang, deshalb haben wir sie in zwei Etap­pen aufge­teilt: in einen Rorscha­cher Weg und einen Goldach­er Weg», erklärt Elisa­beth Lüthard. Wie viele inzwi­schen schon von Bild­stock zu Bild­stock unter­wegs waren, weiss sie nicht. «Es gibt Grup­pen, die sich gemein­sam auf den Weg gemacht haben. Aber ich habe auch schon beob­ach­tet, dass manche – darun­ter auch junge Erwach­se­ne – einen Bild­stock per Zufall entde­cken, neugie­rig werden und dann die Texte auf den Tafeln lesen», so Elisa­beth Lüthard. «Das Schö­ne an dieser Glau­bens­tra­di­ti­on: sie ist ein Ange­bot – eine Einla­dung, sich auf Spiri­tua­li­tät einzu­las­sen. Wer nichts damit anfan­gen kann, kann es einfach igno­rie­ren.» Ihr war wich­tig, den Weg möglichst für alle zugäng­lich zu machen. So gibt es Routen, die auch mit dem Velo oder dem Kinder­wa­gen absol­viert werden können. Ein «Lieblings-Bildstöckli» hat Elisa­beth Lüthard nicht. «Es kommt jeweils auf meine aktu­el­le Verfas­sung an, welche Stati­on mich gera­de am meis­ten anspricht. Aber immer wieder beein­druckt mich das Bild­stöck­li mit dem schlich­ten Holz­kreuz nahe beim Schloss Warten­see. Wer dort das Kreuz betrach­tet, blickt dahin­ter direkt auf den Boden­see – ein atem­be­rau­ben­des Panora­ma.» Die gedruck­te Karte liegt in den Kirchen der Regi­on Rorschach auf und steht als PDF auf der Website zur Verfügung.

→ www.bildstoeckliweg.ch

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 24.03.2023

Eine Osterkerze von der Jubla

Jedes Jahr fertigt die Stadt­s­ankt­gal­ler Jubla St. Martin Brug­gen Oster­ker­zen von Hand.Wieso das noch zeit­ge­mäss ist und die medi­ta­ti­ve Arbeit gut fürs Lachen und Erin­nern ist, ­erzäh­len die Jubla-Leiterinnen in ihrer Werk­statt im Keller des Pfar­rei­heims Bruggen.

Wann die Jubla St. Martin Brug­gen die erste Oster­ker­ze selbst mach­te, daran kann sich Nadia Macia­ri­el­lo nicht erin­nern. Eini­ge Exem­pla­re der vergan­ge­nen zwan­zig Jahre stehen aber im Keller des Pfarr­heims im St. Galler Stadt­teil Brug­gen aufge­reiht. «Das sind aber lange nicht alle», sagt Nadia Macia­ri­el­lo und legt das klei­ne Messer beisei­te, mit dem sie eben noch Formen aus einem grünen Wachs­pa­pier ausge­schnit­ten hat. Macia­ri­el­lo ist Mitte vier­zig, Präses bei Jung­wacht Blau­ring und trifft sich an diesem Abend mit den Leite­rin­nen und eini­gen Frei­wil­li­gen, um bis Ostern 300 Kerzen fertigzustellen.

Die Produk­ti­on der Oster­ker­zen dauert mehre­re Aben­de — die Jugend­li­chen arbei­ten und plau­dern mitein­an­der über alles, was sie gera­de beschäftigt.

Abküh­len an der kalten Luft

Auf Wachs­pa­pier wird klei­nen Karton­vor­la­gen entlang geschnit­ten, die klei­nen Einzel­tei­le werden vorsich­tig in der Mitte des Tisches ausge­legt und anschlies­send mit Finger­spit­zen­ge­fühl und Hand­schu­hen an die Kerzen ange­drückt. Zwei Jugend­li­che nehmen eini­ge Wachs­bö­gen und brin­gen sie hinaus in die kalte Febru­ar­luft. Nicht zu warm und nicht zu kalt dürfen sie werden, um sich opti­mal bear­bei­ten zu lassen. Aus dem Keller dringt Lachen. Die Leite­rin­nen erin­nern sich an verschie­de­ne Lager und erzäh­len von Schnee im Sommer, aben­teu­er­li­chen und selbst gebau­ten WC-Anlagen im Wald und langen Näch­ten am Lager­feu­er. «Gera­de wegen solcher Erin­ne­run­gen und Gesprä­che sind die Aben­de so schön, an denen wir gemein­sam Oster­ker­zen machen», sagt die 25-jährige Belin­da Bautis­ta, die zu den ­Ältes­ten in der Runde gehört. Sie vertritt den ­«Grau­ring», wie bei der Jubla die Ehema­li­gen heis­sen. Die übri­gen Leite­rin­nen sind an diesem Abend zwischen 13 und 22 Jahre alt. Im Keller des Pfar­rei­heims tref­fen sie sich von Febru­ar bis April für die Oster­ker­zen­pro­duk­ti­on einmal wöchentlich.

Gemein­sam Oster­ker­zen zu machen, ist immer auch Anlass, zu lachen und sich an ­Erleb­nis­se und Ausflü­ge mit der Jubla zu erin­nern. Es braucht aber auch Ausdau­er: Fast wöchent­lich tref­fen sich die Leite­rin­nen und Frei­wil­li­gen von Febru­ar bis April, bis die 300 Kerzen gefer­tigt sind.

Medi­ta­ti­ver Ausgleich

Verkauft werden die Kerzen im Claro-Laden gleich im Erdge­schoss des Pfar­rei­heims, nach der Oster­mes­se in der Kirche sowie über die Website der Jubla St. Martin Brug­gen je nach Modell für acht bis zehn Fran­ken. «Ich habe mich natür­lich gefragt, ob es noch zeit­ge­mäss ist, dass sich junge Leute abends zum Kerzen­ma­chen tref­fen. Vor allem, da wir wohl eine von sehr weni­gen Jublas sind, die das in einer Pfar­rei über­haupt noch machen», sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Doch alle seien moti­viert gewe­sen. «Ich finde es einfach eine schö­ne Tradi­ti­on. Wir tref­fen uns, es ist medi­ta­tiv und dann ist da zusätz­lich noch der Ansporn, möglichst viele Kerzen zu verkau­fen», sagt etwa die 14-jährige Elena Brun­ner. Und die 22-jährige Alena Macia­ri­el­lo fügt an: «Ausser­dem ist es ein gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­des Projekt, an dem alle zusam­men­kom­men können, die auf irgend­ei­ne Weise mit der Jubla verbun­den sind.»

Blau­ring Brug­gen entschei­det sich jedes Jahr für ein ande­res Motiv.
Das Symbol in diesem Jahr: der Regenbogen

Fotos und Osterkulissen

Die Einnah­men aus dem Kerzen­ver­kauf flies­sen in die Jubla-Kasse und werden für Lager oder beson­de­re Projek­te gebraucht. Vor eini­gen Jahren stell­te die Jubla St. Martin Brug­gen noch bis zu 500 Oster­ker­zen her. «Da es aber weni­ger Kirchen­be­su­che­rin­nen und ‑besu­cher gibt als früher, verkau­fen wir auch weni­ger Kerzen und müssen mehr auf unse­re Online-Kanäle setzen», sagt Nadia Macia­ri­el­lo und erzählt von Bestel­lun­gen, die sie beson­ders freu­en. Darun­ter sind zum Beispiel jene von Perso­nen, die schon länger aus der Stadt oder dem Quar­tier wegge­zo­gen sind, jedes Jahr aber eine Oster­ker­ze aus Brug­gen bestel­len. «Manch­mal bekom­men wir sogar Fotos der aufge­stell­ten und ange­zün­de­ten Kerzen vor einer Oster­ku­lis­se zuge­schickt. Es ist schön zu sehen, wie ande­re Perso­nen mit unse­ren Kerzen Ostern feiern», sagt sie.

Jede Kerze — ein Unikat.

Ein abstrak­tes Kreuz, aus dem Neues entsteht

Auch die jewei­li­gen Symbo­le auf den Kerzen entwirft die Jubla St. Martin Brug­gen im Team. In diesem Jahr ist das Symbol abstrakt und besteht aus einem dünnen, golde­nen und schräg ausein­an­der­ge­hen­den Kreuz. Dessen eine Hälf­te ist in den Farben des Regen­bo­gens als Zeichen des Frie­dens gestal­tet, die ande­re Hälf­te mündet in einen Baum mit jungen, hell­grü­nen Blät­tern. Diese symbo­li­sie­ren, dass stän­dig Neues entsteht. «Alle Perso­nen sollen in den Oster­ker­zen etwas entde­cken können, das ihnen Kraft gibt und auch optisch gefällt», sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Rund 30 Minu­ten dauert es, bis eine Kerze von Hand gefer­tigt und verpackt ist. Die Aben­de im Keller werden sich bis Ostern also noch etwas ziehen – oder auch dank der vielen lusti­gen Anek­do­ten und Erin­ne­run­gen an gemein­sa­me Jubla-Erlebnisse wie im Flug vergehen.

Kerzen bestel­len: bruggen.blauring@gmail.com

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 23. März 2023

Leserfrage

Warum kommt Gott in so vielen Redens­ar­ten vor?

Immer, wenn ich als Kind bei einer Tante zu Besuch war und etwas ange­stellt hatte, rief sie: «Herr­gott von ­Bent­heim!» – Der «Herr­gott von Bent­heim» ist in der nord­west­deut­schen Graf­schaft Bent­heim kein Unbe­kann­ter. Auf dem Schloss des Fürs­ten zu Bentheim-Steinfurt steht ein Kreuz, das diesen Namen trägt. Es gilt als eines der ­ältes­ten Glau­bens­zeug­nis­se Nordwestdeutschlands.

Und der «Herr­gott von Bent­heim» wurde im wahrs­ten Sinne des Wortes sprich­wört­lich. Ging ich mit der glei­chen Tante auf Besuch bei Bekann­ten oder Verwand­ten, dann hiess es manch­mal: «Wir leben wie Gott in Frankreich!»

Von Stoss­ge­be­ten zu Floskeln

Warum verwen­den wir bei vielen Ausru­fen, wenn wir uns ärgern, wundern oder unse­re Betrof­fen­heit ausdrü­cken wollen, den Namen Gottes? Eine genaue Antwort lässt sich ­darauf nicht geben. Von ihrer ursprüng­li­chen Bedeu­tung her handelt es sich um Stoss­ge­be­te, die sich im Laufe der Jahr­hun­der­te zu Flos­keln entwi­ckelt haben. Deshalb waren diese Rede­wen­dun­gen schon immer in Gebrauch und wurden auch nicht als Verstoss gegen das ­zwei­te Gebot verstan­den. Schon die Bibel kennt solche Formu­lie­run­gen. Im Buch Ijob reagiert Ijob auf die schreck­li­chen Nach­rich­ten mit dem Gebet: «Der Herr hat gege­ben, der Herr hat ­genom­men, gelobt sei der Name des Herrn. (Ijob 1,21)» Auch der Apos­tel Paulus kennt den Gebrauch der Formel «So Gott will» (Apg 18,21 und 1 Kor 4,19).

Gott in Frankreich

Doch wie kommt Gott nach Frank­reich? Der Germa­nist Lutz Röhrig hält dazu in seinem «Lexi­kon der sprich­wört­li­chen Redens­ar­ten» eine inter­es­san­te Auskunft bereit: Demnach soll Kaiser Maxi­mi­li­an I. (1459–1519) einmal in einem priva­ten Gespräch geäus­sert haben, dass, wenn er Gott sein könn­te, zwei Söhne haben müsse. Der eine Sohn wäre sein Nach­fol­ger als Gott, der ande­re müsse König von Frank­reich werden. Eine ande­re Spur weist ins ­Mittel­al­ter: Hier sollen die Mönche in Frank­reich ein gera­de­zu «para­die­si­sches» Leben ­geführt haben.

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Text: Peter Legnow­ski, Kaplan Seel­sor­ge­ein­heit Altstätten

Veröf­fent­li­chung: 10. März 2023

«Auf etwas bewusst zu ­verzichten, beeindruckt mich»

Fasten mache krea­tiv und helfe, sich aufs Wesent­li­che zu konzen­trie­ren, sagt Karin Rein­li. Seit eini­gen Jahren ist die Flawi­le­rin in einer Fasten­grup­pe dabei. Auch viele ande­re Pfar­rei­en bieten Fasten­wo­chen während der 40-tägigen Fasten­zeit an, die am Ascher­mitt­woch beginnt.

Karin Rein­li kann sich gut an den Moment erin­nern, als sie zum ersten Mal jeman­den kennen­lern­te, der faste­te. Sie war damals – 20-jährig – für einen Sprach­auf­ent­halt in London. «In meiner Klas­se gab es einen etwas älte­ren Mann, der uns erzähl­te, dass er jeden Monat einen Fasten­tag einle­ge. Dass jemand regel­mäs­sig bewusst auf etwas verzich­tet, bein­druck­te mich total», sagt Karin Rein­li. Sie verzich­te­te eben­falls versuchs­wei­se einen Tag lang auf alles ausser auf Wasser und Tee. «Das zu schaf­fen, löste Stolz in mir aus und ich beschloss, eines Tages einmal eine ganze Fasten­wo­che einzu­le­gen», sagt sie.

Kochen ohne abzuschmecken

Aller­dings soll­ten viele Jahre verge­hen, bis es soweit war. «Ich lern­te meinen Mann kennen und bekam drei Kinder. Ich hatte immer das Gefühl, mit Fami­lie Fasten geht nicht», sagt die 55-Jährige. Schliess­lich hörte die Flawi­le­rin von einer Bekann­ten, die trotz Fami­lie faste­te und beschloss vor rund fünf Jahren, eben­falls einen einwö­chi­gen Versuch zu wagen. «Da in unse­rer Fami­lie prak­tisch alle jeden Tag zum Mittag­essen nach Hause kommen, koch­te ich für sie, während es für mich nur eine Bouil­lon gab, die aus etwas Salz und wenig Gemü­se bestand», sagt sie. Was Karin Rein­li am meis­ten über­rasch­te: Das Fasten löste bei ihr eine gros­se Krea­ti­vi­tät aus. «Ich merk­te, wie mein Geist frei wurde und es Platz für ande­re und neue Dinge gab. Für meine Fami­lie probier­te ich beispiels­wei­se neue Menus aus, ohne diese zu probie­ren oder abzu­schme­cken», sagt sie.

Sich vor- und nachbereiten

Wer fastet, braucht aber auch Ruhe und Zeit, um sich aufs Wesent­li­che konzen­trie­ren zu können. Hinzu kommen spezi­el­le Körper­übun­gen, die den Kreis­lauf ankur­beln, ohne dem Körper allzu viel Ener­gie zu rauben. Wich­tig sind laut Karin Rein­li zudem eine Vor- und Nach­be­rei­tungs­zeit auf die Fasten­wo­che. «In den Tagen vor dem Fasten soll­te man weni­ger essen und auf eiweiss­hal­ti­ge tieri­sche Produk­te verzich­ten, so dass der Körper sich lang­sam umstel­len kann», sagt sie. Dassel­be gelte für die Zeit danach, in der man lang­sam zuneh­mend wieder mehr essen kann. «Allen, die zum ersten Mal länger fasten, empfeh­le ich, das unter fach­li­cher Beglei­tung etwa von einem Arzt oder in einer Grup­pe zu machen. Denn beim Fasten isst man wirk­lich nichts, ausser viel­leicht mal eine Dattel oder eine Bouil­lon», sagt Karin Rein­li. Sie selbst fastet jeweils gemein­sam mit der ökume­ni­schen Fasten­grup­pe Flawil, die aus rund 25 Perso­nen besteht. In diesem Jahr findet die Woche vom 19. bis 24. März statt, also etwa in der Mitte der 40-tägigen Fasten­zeit, die in der katho­li­schen Kirche als Vorbe­rei­tung auf Ostern dient. In vielen Pfar­rei­en gibt es ähnli­che Fasten­grup­pen. Jene in Flawil trifft sich jeweils täglich abends. Die Teil­neh­men­den tauschen sich aus, spre­chen über Aufs und Abs und medi­tie­ren gemein­sam. Karin Rein­li leitet dabei die Körper­übun­gen, die aus sanf­ten, dehnen­den Bewe­gun­gen bestehen.

Seele nähren

Mit den Körper­übun­gen und Yoga star­tet Karin Rein­li auch zuhau­se in den Tag – nicht nur in der Fasten­wo­che. Eine Stun­de nimmt sie sich für sich Zeit, bevor ihr Alltag mit Fami­lie, Teil­zeit­ar­beit im Verkauf, als Klas­sen­as­sis­tenz und Enga­ge­ment im Pfar­rei­gre­mi­um und als Dele­gier­te im Seel­sor­ge­rat des Bistums beginnt. Dafür hat sie eine Ecke im Dach­ge­schoss ihres Hauses einge­rich­tet. An der Wand hängt eine Colla­ge aus Blumen‑, Tier- und Natur­bil­dern, die zeigt, was Karin Rein­li in diesem Jahr wich­tig ist. Auf dem Boden liegt ein Teppich. Und in einer Ecke stapeln sich Bücher neben Räucher­stäb­chen, Kerzen, einem Schutz­en­gel, einem Kreuz und einem Buddha. «Das Kreuz steht für den Austausch zwischen Himmel und Erde. Der Buddha ist das Sinn­bild für die inne­re Gelas­sen­heit und das Räucher­stäb­chen reinigt mich», sagt sie und fügt an: «Meine Moti­va­ti­on zum Fasten ist, dass wir nicht nur aus Körper und Geist geschaf­fen sind, sondern auch eine Seele haben, die genährt werden soll.» Beim Fasten sowie beim Inne­hal­ten oder im Gebet setze man sich auto­ma­tisch mit dem Sinn des Lebens auseinander.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Benja­min Manser

Veröf­fent­li­chung: 21.02.2023

Ein Café wird zum Haus für alle

In einem ehema­li­gen Watt­wi­ler Café haben die katho­li­sche und die evangelisch-­reformierte Kirche vor knapp einem Jahr einen inno­va­ti­ven Begeg­nungs­ort eröff­net. «Der b’treff füllt eine Nische», sagt Marlis Kauf­mann, die Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de ­Watt­wil, «er bringt verschie­de­ne sozia­le Ange­bo­te zusam­men. So können wir und ande­re ­Betei­lig­te Menschen noch viel besser helfen.»

Im ersten Stock findet an diesem Montag­mor­gen gera­de Deutsch­un­ter­richt (siehe Titel­bild) statt, im Erdge­schoss bespricht eine Hand­voll Frei­wil­li­ge ihren nächs­ten Einsatz­plan und sich­tet die Spie­le, die für die Café-Gäste zur Verfü­gung stehen. «Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret», sagt Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil. Seit knapp einem Jahr ist der b’treff in Betrieb. Initi­iert wurde er von der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de und der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de. «Es war ein gros­ses Glück, dass dieses Haus gefun­den werden konn­te», so Marlis Kauf­mann. Das ehema­li­ge Café, zentral gele­gen in der Nähe von Bahn­hof Watt­wil und Manor, sei schon eini­ge Zeit leer gestan­den. «Das Gebäu­de hat verschie­de­ne Räum­lich­kei­ten, verteilt auf drei Etagen. So ist es möglich, mehre­re Ange­bo­te gleich­zei­tig durch­zu­füh­ren.» Das Herz des Hauses ist der Café-Bereich im Erdge­schoss. Es wurden nur weni­ge bauli­che Anpas­sun­gen vorge­nom­men, der Café-Charme blieb erhal­ten. Im Sommer stehen sogar Sitz­plät­ze draus­sen auf der Terras­se zur Verfü­gung. Selbst die ehema­li­ge Verkaufs­the­ke wurde umfunk­tio­niert: hier stehen zahl­rei­che «Second-Hand»-Gegenstände zum Mitneh­men bereit – kosten­los oder gegen eine klei­ne Spende.

Geschirr, Deko­ma­te­ri­al und ande­res kann gratis oder gegen eine klei­ne Spen­de mitge­nom­men werden.

Betrof­fe­nen besser helfen

Mittags­tisch, Lebens­mit­tel­ab­ga­be, Sozial- und Schul­den­be­ra­tung, Deutsch­kurs oder einfach nur bei einer Tasse Kaffee über Freu­den und Nöte spre­chen oder zusam­men mit ande­ren lismen – im b’treff Watt­wil haben viele verschie­de­ne Ange­bo­te ein neues Zuhau­se gefun­den. Sven Keller, Sozi­al­ar­bei­ter der katho­li­schen Seel­sor­ge­ein­heit Neutog­gen­burg, und Remo Schwei­zer, Diakon der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg, teilen sich die Leitung des b’treffs. «Uns ging es primär nicht darum, mit dem b’treff sofort eine Palet­te an neuen Ange­bo­ten zu lancie­ren. Viel­mehr ist es die Idee, dass der neue Begeg­nungs­ort eine Vernet­zung zwischen den bestehen­den Ange­bo­ten ermög­licht», sagt Sven Keller. «Viele der Ange­bo­te waren bisher an unter­schied­li­chen Stand­or­ten behei­ma­tet, jetzt ist alles am glei­chen Ort. Die Chan­ce dabei ist, dass Betrof­fe­ne schnel­ler einen Über­blick bekom­men. Sie sehen, was es alles gibt. Alles ist viel nieder­schwel­li­ger zugäng­lich. Aber auch die Frei­wil­li­gen, die sich bei uns enga­gie­ren, wissen besser Bescheid und können Betrof­fe­nen zeigen, welche Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten es gibt.»

Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil: «Der b’treff füllt eine Nische.»

Mitein­an­der lismen

Die Verant­wort­li­chen sind mit der bishe­ri­gen Reso­nanz zufrie­den. «Dank dem b’treff konn­te ich neue Kontak­te knüp­fen», zitiert Sven Keller die Rück­mel­dung eines b’treff-Besuchers. Die Dienst­leis­tun­gen werden genutzt von Armuts­be­trof­fe­nen, Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, aber auch von Pensio­nier­ten. «Unter den Gästen sind auch viele Allein­ste­hen­de», weiss Marlis Kauf­mann, «oft tun sie sich zu klei­nen Grüpp­chen zusam­men und kommen gemein­sam zu uns.» Auch eine Lisme-Gruppe, die sich früher im Pfar­rei­zen­trum traf, habe im b’treff ein neues Zuhau­se gefun­den. Als ein High­light erwähnt Sven Keller die Weih­nachts­fei­er, bei der sich 35 Perso­nen zum Raclette trafen. 50 bis 60 Perso­nen nutzen die Lebens­mit­tel­ab­ga­be, zum Mittags­tisch kommen etwa fünf­zehn. «Aber es braucht sicher noch etwas Zeit, dass sich unser Ange­bot herum­spricht.» Hinter den Ange­bo­ten im b’treff stehen verschie­de­ne kirch­li­che und nicht­kirch­li­che Organsia­tio­nen wie Cari­tas, Heks oder die Lebens­mit­tel­ab­ga­be «Tisch­lein deck dich». «Jede Orga­ni­sa­ti­on hat eine eige­ne Struk­tur und ande­re Bedürf­nis­se», sagt Sven Keller. Er bezeich­net es als alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich, dass das Mitein­an­der der betei­lig­ten Orga­ni­sa­tio­nen im Haus so gut ange­lau­fen ist.

«Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret.»

Marlis Kauf­mann

Ökume­ne intensivieren

«Uns war es wich­tig einen Ort zu schaf­fen, der für alle offen ist, unab­hän­gig von ihrem reli­giö­sen oder kultu­rel­len Hinter­grund», erklärt Brigit­te Horn. Sie ist in der katho­li­schen Kirchen­ver­wal­tung für die Ressorts Ökume­ne, Reli­gi­on und Kate­che­se zustän­dig, «Der Begeg­nungs­ort soll­te nicht abseits, sondern inmit­ten des Gesche­hens zu finden sein.» Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die allge­mei­ne Teue­rung haben die Zahl der Armuts­be­trof­fe­nen in der Schweiz erhöht. «Als wir das Konzept für den b’treff entwi­ckelt haben, war das alles noch weit weg», so Brigit­te Horn, «aber auch unab­hän­gig von der neuen Entwick­lung war die Not in der Gesell­schaft schon gross genug.» Zu Beginn erar­bei­te­ten fünf Studie­ren­de der Fach­hoch­schu­le Ost als Praxis­pro­jekt eine Mach­bar­keits­stu­die. «Diese Arbeit brach­te klar zum Ausdruck, dass ein Ange­bot wie der b’treff in Watt­wil und Umge­bung fehlt», so Sven Keller. Die katho­li­sche Kirch­ge­mein­de entschied sich schnell für eine Mitwir­kung. «Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller (links) und Remo Schwei­zer leiten den b’treff gemeinsam.

Von Frei­wil­li­gen getragen

«Ohne frei­wil­li­ges Enga­ge­ment wäre unser b’treff nicht denk­bar», sagt Sven Keller. Die beiden Co-Stellenleiter sind jeweils zehn Prozent ange­stellt. Es sei erfreu­lich, wie viele sich von Anfang an für eine frei­wil­li­ge Mitar­beit zur Verfü­gung gestellt haben. «Die Mitwir­kung der Frei­wil­li­gen ist sehr posi­tiv ange­lau­fen. Mein refor­mier­ter Kolle­ge Remo verfügt über ein gros­ses Netz­werk», so Keller. Rund sech­zig Frei­wil­li­ge sind im b’treff aktiv. Viele von ihnen hätten einen kirch­li­chen Bezug. Neben Pensio­nier­ten seien auch erstaun­lich viele dabei, die im Berufs­le­ben stehen.

«Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller

Gemein­de Lich­ten­steig als Partnerin

Der b’treff Watt­wil wird von den Katho­li­schen Kirch­ge­mein­den Watt­wil und Lich­ten­steig, der Evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg sowie der Cari­tas St. Gallen-Appenzell getra­gen. Ein gros­ser Teil der Betriebs­kos­ten sowie die Perso­nal­kos­ten werden durch Kirchen­steu­ern finan­ziert. Als Gönner und Spon­so­ren sind die Gemein­de Lich­ten­steig, die Stif­tung Fondia, die Inte­gra­ti­ons­för­de­rung des Kantons St. Gallen sowie der EVDA (Evang.-ref. Verein für diako­ni­sche Aufga­ben) mit im Boot.

Seit Febru­ar 2023 gibt es im b’treff auch eine Kleiderabgabe. 

Vorerst bis 2025

Ist der b’treff auch eine Chan­ce, um Menschen zu errei­chen, die sonst Berüh­rungs­ängs­te mit Kirche haben? «Das katho­li­sche Pfar­rei­zen­trum war auch bisher ein Ort, der für alle offen stand und in dem die unter­schied­lichs­ten Ange­bo­te und Ziel­grup­pen will­kom­men sind», sagt Brigit­te Horn. Aber mit dem b’treff sei die Diako­nie der Kirchen noch etwas deut­li­cher sicht­bar. Das Projekt ist vorerst bis 2025 gesi­chert – bis dann läuft der Miet­ver­trag. Dann werde – so der Plan – das Haus für einen Neubau abge­ris­sen. «Dann werden wir das Projekt evalu­ie­ren und über­le­gen, ob und wie es weiter­ge­führt werden kann», so Marlis Kauf­mann. «Entschei­dend wird sein, ob wir mit unse­rem Ange­bot den Menschen helfen können. Auch stehen wir dann vor der Heraus­for­de­rung, geeig­ne­te Räum­lich­kei­ten zu finden, die zudem auch noch finan­zier­bar sind.»

Bis es soweit ist, hat Sven Keller noch eine Menge vor. Seit Febru­ar gibt es neu eine Klei­der­ab­ga­be. Aus der Sicht des Sozi­al­ar­bei­ters gibt es durch­aus Poten­zi­al für mehr: «In unse­ren Räum­lich­kei­ten sollen even­tu­ell auch Kunst­aus­stel­lun­gen ange­bo­ten werden mit Werken, die in Mal- oder Gestal­tungs­the­ra­pien entstan­den sind. Zudem kann ich mir ganz alltags­prak­ti­sche Work­shops zu Haus­halts­the­men vorstel­len wie zum Beispiel: wie kann ich Heiz­kos­ten sparen?» Denk­bar sei auch ein Repair-Café. So könne die Grund­idee ganz konse­quent umge­setzt werden: der b’treff als Begeg­nungs­ort für alle.

Website b’treff Wattwil

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 21. Febru­ar 2023

Mehre­re b’treffs

Neben dem b’treff in Watt­wil gibt es auch b’treffs in Ebnat-Kappel, Bütschwil und Flawil. Sie haben unter­schied­li­che Konzep­te und Finan­zie­rungs­mo­del­le, doch bei allen sind die Kirch­ge­mein­den mitbe­tei­ligt. Zudem werden alle b’treffs mass­geb­lich durch das Enga­ge­ment Frei­wil­li­ger ermöglicht.

Leserfrage: Warum braucht es den kirchlichen Sozialdienst?

Sabi­ne F. betritt das Büro des kirch­li­chen Sozi­al­diens­tes (KSD) der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg. Ihr Mann ist kürz­lich an Krebs gestor­ben, nach­dem die 53-Jährige ihn drei Jahre gepflegt hatte.

Das Paar lebte von seinem Einkom­men, zuletzt von Kran­ken­tag­gel­dern und Erspar­nis­sen. Zeit für Freund­schaf­ten gab es kaum und die fami­liä­ren Kontak­te waren spannungs­geladen. Nun ist sie mit der Admi­nis­tra­ti­on über­for­dert, aktu­ell hat sie wenig Geld, sein Konto ist gesperrt. Sabi­ne F. sehnt sich nach Ruhe, Trost und Sicher­heit. Der Seel­sor­ger über­weist sie an den KSD.

Zusatz­ein­kom­men nötig

Hier verschaf­fen wir uns gemein­sam einen Über­blick. Wir klären Fragen bezüg­lich des Nach­lass­in­ven­tars und der Witwen­ren­te, erhal­ten vom Pfarr­amt finan­zi­el­le Hilfe, um eine Miete zu bezah­len und erstel­len Budgets für verschie­de­ne Zukunfts­sze­na­ri­en. Daraus wird ersicht­lich, dass Sabi­ne F. ein Zusatz­ein­kom­men benö­ti­gen wird. Immer wieder nehmen wir uns Zeit für die wider­sprüch­li­che Gefühls­welt von Sabi­ne F., für ihre biogra­phi­schen Rück­bli­cke und Zukunfts­fra­gen. Nach eini­gen Mona­ten sind die Finan­zen gesi­chert. Sabi­ne F. besucht regel­mäs­sig einen Trau­er­treff und kann sich bei Bewer­bungs­ge­sprä­chen vorstel­len. Sie fühlt sich nun siche­rer und ist zuver­sicht­lich, den weite­ren Weg selbst­stän­dig zu bewältigen.

Scham und Angst

Wenn sich Menschen mit persön­li­chen, fami­liä­ren oder finan­zi­el­len Proble­men an die Kirche wenden, braucht es sowohl seel­sor­ger­li­che Beglei­tung und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung als auch sozi­al­ar­bei­te­ri­sches Fach­wis­sen. Denn obwohl unser Sozi­al­sys­tem grund­sätz­lich gut ist, fallen Menschen durch die Maschen. Und nicht weni­gen fällt es schwer, sich im Sozi­al­sys­tem zurecht­zu­fin­den. Auf welche Leis­tun­gen habe ich Anspruch? An wen kann ich mich wenden? Hinzu kommen Scham und Angst vor Behör­den. Für manche Klien­ten und Klien­tin­nen ist es darum einfa­cher, mit einem KSD Kontakt aufzu­neh­men. Hier ist es möglich, flexi­bel und schnell zu reagie­ren sowie genü­gend Zeit zu haben für umfas­sen­de Bera­tun­gen. Dank lösungs­ori­en­tier­ter Zusam­men­ar­beit ist ein KSD oft ein Brücken­bau­er zu den staat­li­chen Stellen.

Vor allem für Working Poor

Mit der Grün­dung eines KSD veran­kert die Seel­sor­ge­ein­heit ihr sozia­les Enga­ge­ment auch struk­tu­rell. Dabei muss sie stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen fällen: Welche Bedürf­nis­se bestehen vor Ort, welche Ange­bo­te gibt es bereits und welche Leis­tun­gen und Projek­te soll der KSD erbrin­gen. In der Regi­on Werden­berg erhal­ten vor allem Working Poor (d. h. Menschen, deren Lohn kaum zum Leben reicht) finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Zudem hat der kirch­li­che Sozi­al­dienst Werden­berg etwa eine Lebens­mit­tel­ab­ga­be­stel­le eröff­net, eine Diako­nie­wo­che orga­ni­siert sowie Compu­ter­kur­se für Menschen mit klei­nem Budget ange­bo­ten. Dies wurde nur möglich dank einer inten­si­ven Zusam­men­ar­beit mit dem Pasto­ral­team, den Sozi­al­fach­stel­len vor Ort und vielen Freiwilligen.

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Text: Snje­z­a­na Gajski, Sozi­al­ar­bei­te­rin, KSD Werden­berg, Cari­tas St. Gallen-Appenzell

Veröf­fent­li­chung: 15.2.2023

Diplomat und Zuhörer

Vor über 30 Jahren zog Peter Burk­hard von St. Gallen nach Ebnat-Kappel. Die «tief verwur­zel­ten» Tradi­tio­nen im Toggen­burg faszi­nie­ren den neuen höchs­ten St. Galler Katho­li­ken bis ­heute. Er wünscht sich eine libe­ra­le­re Kirche.

Was es bedeu­tet, wenn eine Dorf­ge­mein­schaft eine einzel­ne Person oder eine Fami­lie mitträgt und wie viele Tradi­tio­nen ein Kirchen­le­ben mit sich bringt, das gepflegt wird: Peter Burk­hard, neuer höchs­ter St. Galler Katho­lik, erzählt, wie er vor vielen Jahren durch seine Frau der Kirche näher kam. Bis dahin hatte er zwar die katho­li­sche Sekun­dar­schu­le flade in St. Gallen und vor allem an Weih­nach­ten und Ostern die Gottes­diens­te besucht. «Ansons­ten nahm ich aber nicht gross am kirch­li­chen Leben teil», sagt der neue Parla­ments­prä­si­dent des katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Amt wird er bis Ende Novem­ber 2024 inne­ha­ben. Durch seine Frau, eine Walli­se­rin, änder­te sich seine Bezie­hung zur Kirche. «Als ich meine Frau als junger Mann in ihrem Heimat­dorf im Lötschen­tal besuch­te, war gera­de der Pfar­rer gestor­ben und ich wurde in die Toten­wa­che einge­teilt. Es war die Aufga­be des ganzen Dorfes, mehre­re Tage neben dem Leich­nam zu wachen», sagt er. «Auf diese Weise kommst du auto­ma­tisch ins Kirchen­le­ben rein und wirst Teil davon.»

Peter Burk­hard aus Ebnat-Kappel arbei­tet als Unter­neh­mens­be­ra­ter bei der Würth Finan­cial Services AG in Rorschach. Aufge­wach­sen ist der neue Parla­ments­prä­si­dent des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils in St. Gallen.

Ans Dorf­le­ben anschliessen

Seit über 30 Jahren lebt Peter Burk­hard, der in der Stadt St. Gallen aufge­wach­sen ist, mit seiner Fami­lie nun schon in Ebnat-Kappel. Und wie im Wallis sind es auch im Toggen­burg die «tief verwur­zel­ten Tradi­tio­nen» und die Kultur, die ihn faszi­nie­ren und vor denen er gros­sen Respekt hat. Als Beispiel nennt der 59-Jährige das «Einschel­len», die Vieh­schau­en oder den Toggen­bur­ger Natur­jo­del. Es sei ein wunder­ba­res und viel­fäl­ti­ges Tal und durch den Umzug nach Ebnat-Kappel als junge Fami­lie – die Kinder waren damals fünf und drei Jahre, das Jüngs­te kam im Toggen­burg zur Welt – sei auch der Anschluss ans Dorf­le­ben nicht schwer gefal­len. Nach Ebnat-Kappel zu ziehen, dafür hatte sich Peter Burk­hard wegen seines Beru­fes entschie­den. Bei seinem dama­li­gen Arbeit­ge­ber, der Winter­thur Versi­che­run­gen, wurde ein neuer Innen­dienst­lei­ter für die Gene­ral­agen­tur Watt­wil gesucht. «Ich woll­te den Job und so zogen wir um», sagt er.

Das Gegen­über einschätzen

In Ebnat-Kappel war Peter Burk­hard ab dem Jahr 2000 während 18 Jahren in der Kirchen­ver­wal­tung – für das Amt wurde er ange­fragt. Seit 2007 poli­ti­siert er zudem im Kolle­gi­um, dem Parla­ment des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. «Ich fand damals, dass unse­re Kirchen­ver­wal­tung eine Verbin­dung ins Parla­ment haben soll­te, da es immer von gegen­sei­ti­gem Vorteil ist, wenn man die Perso­nen hinter den Verwal­tun­gen kennt», sagt er über seine Moti­va­ti­on, sich ins Kolle­gi­um wählen zu lassen. Sich selbst beschreibt Peter Burk­hard als Zuhö­rer, Realist und Diplo­mat. Ihm sei es wich­tig, sein Gegen­über einschät­zen zu können und dessen Meinung zu kennen. In seinen zwei Jahren als Präsi­dent wird er vier Kolle­gi­ums­sit­zun­gen leiten und dabei die Eröff­nungs­re­den halten. «Die Kirche kann ich in diesem Amt nicht verän­dern. Aber ich kann in den Reden meine Gedan­ken kund­tun. Ich bin höchst libe­ral. Meiner Meinung nach wäre es Zeit für das Frau­en­pries­ter­tum und die Aufhe­bung des Zöli­bats», sagt er.

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 10.2.2023

Eine neue Zukunft für unsere Enkelkinder gestalten

Was würde sich verän­dern, wenn all die in unse­rer Gesell­schaft geleis­te­te unbe­zahl­te Care-Arbeit fort­an entlöhnt würde? Diesen und weite­ren Fragen geht die Toggen­bur­ger ­Theo­lo­gin Ina Prae­to­ri­us in ihrem neuen Buch nach.

«Es liegt in der Natur der Frau­en, für ande­re zu sorgen und sie zu pfle­gen. Sie machen das gerne und daher brau­chen sie nicht mehr Lohn»: Mit diesem und vielen weite­ren Mythen möch­te die Toggen­bur­ger Theo­lo­gin Ina Prae­to­ri­us mit ihrem neuen Buch «Um-Care» aufräu­men. Zusam­men mit der deut­schen Ökono­mie­pro­fes­so­rin Uta Meier-Gräwe hat Ina Prae­to­ri­us im Buch 61 Text­bau­stei­ne zusam­men­ge­stellt, die zum kriti­schen Denken anre­gen und zum eigen­sin­ni­gen Handeln einla­den sollen. Die Texte können einzeln für sich oder in belie­bi­ger Reihen­fol­ge gele­sen werden.

Prio­ri­tä­ten in der Gesellschaft

Das Buch greift mit dem Krieg in der Ukrai­ne, der Krise in der Pfle­ge und der Coro­na­pan­de­mie auch aktu­el­le Themen auf, die in den letz­ten Jahren in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung stark präsent waren oder sind. Coro­na habe etwa gezeigt, dass es besse­re Arbeits­be­din­gun­gen und Löhne braucht, um dem Perso­nal­man­gel in den Pfle­ge­be­ru­fen entge­gen­zu­wir­ken. «Den Menschen ist das zwar bewusst und die Pfle­ge­initia­ti­ve befin­det sich in der Umset­zungs­pha­se», sagt Ina Prae­to­ri­us. «Aber es gibt star­ke Gegen­kräf­te im Parla­ment, die daran inter­es­siert sind, dass sich möglichst nichts ändert.» Besse­re Löhne für Pfle­ge­be­ru­fe sowie wirt­schaft­li­che Wert­schät­zung und beispiels­wei­se Entlöh­nung der unbe­zahl­ten Care-Arbeit, die Ange­hö­ri­ge – meist Frau­en – für Fami­li­en­mit­glie­der leis­ten: Das hätte laut Ina Prae­to­ri­us massi­ve Verschie­bun­gen zur Folge, die die Prio­ri­tä­ten in unse­rer Gesell­schaft verän­dern würden. «Und das macht gera­de den Befür­wor­tern der gängi­gen patri­ar­chal gepräg­ten Ökono­mie Angst.»

«Bullshit-Jobs» aufspü­ren

Ina Prae­to­ri­us bezeich­net sich selbst als post­pa­tri­ar­cha­le Denke­rin. Als solche setzt sie sich etwa mit ihren Büchern oder dem Verein «Wirt­schaft ist Care» für eine Fürsorge-zentrierte Wirt­schaft ein. In ihrem neuen Buch schreibt sie dazu: Ziel müsse es sein, sich aus dem post­pa­tri­ar­cha­len Durch­ein­an­der in eine lebens­freund­lich orga­ni­sier­te Zukunft zu bewe­gen. Es brau­che eine Wirt­schaft und eine Poli­tik, die nicht den Profit weni­ger Menschen, sondern das Wohl­erge­hen aller in die Mitte stel­le. Entspre­chend ist das Buch in die vier Teile «Altlas­ten entsor­gen», «Unter­wegs im post­pa­tri­ar­cha­len Durch­ein­an­der», «Anders sehen, anders spre­chen» und «Handeln für eine gute Zukunft» unter­teilt. Die Autorin­nen bege­ben sich beispiels­wei­se auf die Spuren­su­che nach «Bullshit-Jobs» – also Jobs, die zwar gut bezahlt, aber von den Menschen, die sie ausüben, als über­flüs­sig empfun­den werden. Sie gehen der Frage nach, wie es sein kann, dass manche gutver­die­nen­den Eltern es befür­wor­ten, dass Kita-Betreuerinnen wenig verdie­nen. Und sie beschrei­ben, welches Verständ­nis von Wirt­schaft sie sich für ihre Enkel­kin­der wünschen.

Kolum­nen in Handelszeitung

Den Anstoss, dieses Buch zu schrei­ben, kam vom Patmos-Verlag. Dieser war auf die Kolum­nen von Ina Prae­to­ri­us und Uta Meier-Gräwe aufmerk­sam gewor­den, die die beiden regel­mäs­sig für die deut­sche Tages­zei­tung Handels­blatt schrie­ben. Die Kolum­nen beleuch­te­ten laut der Buch­ein­lei­tung «die Zusam­men­hän­ge zwischen den an den Rand gedräng­ten Berei­chen der Wirt­schaft und den vermeint­lich höhe­ren Sphä­ren aus Geld, Gewinn und Geopo­li­tik». Die Autorin­nen erwei­ter­ten für das Buch ihre Kolum­nen und ordne­ten sie thematisch.

Globa­le Bewegung

«Unser Buch ist ein Element einer schnell und global wach­sen­den Bewe­gung», sagt Ina Prae­to­ri­us und nennt als Beispie­le das Buch «Die Erschöp­fung der Frau­en» der Geschlech­ter­for­sche­rin Fran­zis­ka Schutz­bach oder die Bücher zum Thema Care-Arbeit und einer neuen Zeit­kul­tur der deut­schen Jour­na­lis­tin Tere­sa Bücker. Ende Febru­ar wird zudem der Sammel­band «Wirt­schaft neu ausrich­ten» erschei­nen, an dem Ina Prae­to­ri­us mitge­wirkt hat. In dem Band werden Beweg­grün­de und Perspek­ti­ven care-politischer Initia­ti­ven vorge­stellt, die seit der Covid-19-Pandemie an Bedeu­tung gewin­nen. Gemein­sam ist den 25 Initia­ti­ven in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz, dass sie sich mit viel­sei­ti­gen Akti­ons­for­ma­ten dafür einset­zen, Care-Arbeit sicht­ba­rer zu machen und zu einer gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Aner­ken­nung zu verhel­fen. Im Juni ist zudem eine Tagung in Bayern geplant, an der sich die unter­schied­lich gela­ger­ten Initia­ti­ven als einheit­li­che Bewe­gung neu verste­hen können. Ina Prae­to­ri­us spricht von einer «gros­sen Trans­for­ma­ti­on», deren Ziel das Wohl­be­fin­den aller statt der Profit einzel­ner sei. Das Buch rich­tet sich derweil an all jene, die wegen Doppel­be­las­tun­gen im Alltag wenig Zeit zum Lesen haben, sich aber auf kurze Denk­an­stös­se einlas­sen möchten.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: pixabay.com / zVg.

Veröf­fent­li­chung: 3.2.2023

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch