Eine neue Zukunft für unsere Enkelkinder gestalten

Was würde sich verän­dern, wenn all die in unse­rer Gesell­schaft geleis­te­te unbe­zahl­te Care-Arbeit fort­an entlöhnt würde? Diesen und weite­ren Fragen geht die Toggen­bur­ger ­Theo­lo­gin Ina Prae­to­ri­us in ihrem neuen Buch nach.

«Es liegt in der Natur der Frau­en, für ande­re zu sorgen und sie zu pfle­gen. Sie machen das gerne und daher brau­chen sie nicht mehr Lohn»: Mit diesem und vielen weite­ren Mythen möch­te die Toggen­bur­ger Theo­lo­gin Ina Prae­to­ri­us mit ihrem neuen Buch «Um-Care» aufräu­men. Zusam­men mit der deut­schen Ökono­mie­pro­fes­so­rin Uta Meier-Gräwe hat Ina Prae­to­ri­us im Buch 61 Text­bau­stei­ne zusam­men­ge­stellt, die zum kriti­schen Denken anre­gen und zum eigen­sin­ni­gen Handeln einla­den sollen. Die Texte können einzeln für sich oder in belie­bi­ger Reihen­fol­ge gele­sen werden.

Prio­ri­tä­ten in der Gesellschaft

Das Buch greift mit dem Krieg in der Ukrai­ne, der Krise in der Pfle­ge und der Coro­na­pan­de­mie auch aktu­el­le Themen auf, die in den letz­ten Jahren in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung stark präsent waren oder sind. Coro­na habe etwa gezeigt, dass es besse­re Arbeits­be­din­gun­gen und Löhne braucht, um dem Perso­nal­man­gel in den Pfle­ge­be­ru­fen entge­gen­zu­wir­ken. «Den Menschen ist das zwar bewusst und die Pfle­ge­initia­ti­ve befin­det sich in der Umset­zungs­pha­se», sagt Ina Prae­to­ri­us. «Aber es gibt star­ke Gegen­kräf­te im Parla­ment, die daran inter­es­siert sind, dass sich möglichst nichts ändert.» Besse­re Löhne für Pfle­ge­be­ru­fe sowie wirt­schaft­li­che Wert­schät­zung und beispiels­wei­se Entlöh­nung der unbe­zahl­ten Care-Arbeit, die Ange­hö­ri­ge – meist Frau­en – für Fami­li­en­mit­glie­der leis­ten: Das hätte laut Ina Prae­to­ri­us massi­ve Verschie­bun­gen zur Folge, die die Prio­ri­tä­ten in unse­rer Gesell­schaft verän­dern würden. «Und das macht gera­de den Befür­wor­tern der gängi­gen patri­ar­chal gepräg­ten Ökono­mie Angst.»

«Bullshit-Jobs» aufspü­ren

Ina Prae­to­ri­us bezeich­net sich selbst als post­pa­tri­ar­cha­le Denke­rin. Als solche setzt sie sich etwa mit ihren Büchern oder dem Verein «Wirt­schaft ist Care» für eine Fürsorge-zentrierte Wirt­schaft ein. In ihrem neuen Buch schreibt sie dazu: Ziel müsse es sein, sich aus dem post­pa­tri­ar­cha­len Durch­ein­an­der in eine lebens­freund­lich orga­ni­sier­te Zukunft zu bewe­gen. Es brau­che eine Wirt­schaft und eine Poli­tik, die nicht den Profit weni­ger Menschen, sondern das Wohl­erge­hen aller in die Mitte stel­le. Entspre­chend ist das Buch in die vier Teile «Altlas­ten entsor­gen», «Unter­wegs im post­pa­tri­ar­cha­len Durch­ein­an­der», «Anders sehen, anders spre­chen» und «Handeln für eine gute Zukunft» unter­teilt. Die Autorin­nen bege­ben sich beispiels­wei­se auf die Spuren­su­che nach «Bullshit-Jobs» – also Jobs, die zwar gut bezahlt, aber von den Menschen, die sie ausüben, als über­flüs­sig empfun­den werden. Sie gehen der Frage nach, wie es sein kann, dass manche gutver­die­nen­den Eltern es befür­wor­ten, dass Kita-Betreuerinnen wenig verdie­nen. Und sie beschrei­ben, welches Verständ­nis von Wirt­schaft sie sich für ihre Enkel­kin­der wünschen.

Kolum­nen in Handelszeitung

Den Anstoss, dieses Buch zu schrei­ben, kam vom Patmos-Verlag. Dieser war auf die Kolum­nen von Ina Prae­to­ri­us und Uta Meier-Gräwe aufmerk­sam gewor­den, die die beiden regel­mäs­sig für die deut­sche Tages­zei­tung Handels­blatt schrie­ben. Die Kolum­nen beleuch­te­ten laut der Buch­ein­lei­tung «die Zusam­men­hän­ge zwischen den an den Rand gedräng­ten Berei­chen der Wirt­schaft und den vermeint­lich höhe­ren Sphä­ren aus Geld, Gewinn und Geopo­li­tik». Die Autorin­nen erwei­ter­ten für das Buch ihre Kolum­nen und ordne­ten sie thematisch.

Globa­le Bewegung

«Unser Buch ist ein Element einer schnell und global wach­sen­den Bewe­gung», sagt Ina Prae­to­ri­us und nennt als Beispie­le das Buch «Die Erschöp­fung der Frau­en» der Geschlech­ter­for­sche­rin Fran­zis­ka Schutz­bach oder die Bücher zum Thema Care-Arbeit und einer neuen Zeit­kul­tur der deut­schen Jour­na­lis­tin Tere­sa Bücker. Ende Febru­ar wird zudem der Sammel­band «Wirt­schaft neu ausrich­ten» erschei­nen, an dem Ina Prae­to­ri­us mitge­wirkt hat. In dem Band werden Beweg­grün­de und Perspek­ti­ven care-politischer Initia­ti­ven vorge­stellt, die seit der Covid-19-Pandemie an Bedeu­tung gewin­nen. Gemein­sam ist den 25 Initia­ti­ven in Deutsch­land, Öster­reich und der Schweiz, dass sie sich mit viel­sei­ti­gen Akti­ons­for­ma­ten dafür einset­zen, Care-Arbeit sicht­ba­rer zu machen und zu einer gesell­schaft­li­chen und wirt­schaft­li­chen Aner­ken­nung zu verhel­fen. Im Juni ist zudem eine Tagung in Bayern geplant, an der sich die unter­schied­lich gela­ger­ten Initia­ti­ven als einheit­li­che Bewe­gung neu verste­hen können. Ina Prae­to­ri­us spricht von einer «gros­sen Trans­for­ma­ti­on», deren Ziel das Wohl­be­fin­den aller statt der Profit einzel­ner sei. Das Buch rich­tet sich derweil an all jene, die wegen Doppel­be­las­tun­gen im Alltag wenig Zeit zum Lesen haben, sich aber auf kurze Denk­an­stös­se einlas­sen möchten.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: pixabay.com / zVg.

Veröf­fent­li­chung: 3.2.2023

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