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«Die Komfortzone verlassen»

«Als ich eine neue Wohnung gesucht habe, habe ich visua­li­siert: Wie möch­te ich wohnen? Wie soll­te die Wohnung gele­gen sein? Wie soll­ten die einzel­nen Räume ausse­hen?», erin­nert sich Aline Fisch­ba­cher und merkt schmun­zelnd an: «Ich habe dann tatsäch­lich so eine Wohnung gefun­den. Aber ich schrei­be das jetzt nicht der Kraft der Mani­fes­ta­ti­on zu, sondern der akti­ven Ausein­an­der­set­zung mit meinen Wünschen und Bedürf­nis­sen. Dabei ist mir klar gewor­den, was ich wirk­lich will, und das hat bei der Suche nach der passen­den Wohnung geholfen.»

Aline Fisch­ba­cher kann nach­voll­zie­hen, warum das Mani­fes­tie­ren heute auf viele so faszi­nie­rend wirke. Und: «Gegen die Grund­idee des Mani­fes­tie­rens ist nichts einzu­wen­den», sagt die St. Galle­rin. «Gefähr­lich wird es hinge­gen, wenn Mani­fes­tie­ren mit einem Heil­ver­spre­chen gleich­ge­setzt wird im Stil von: Du musst es dir nur ganz genau vorstel­len, dann klappt es auch.»

Posi­ti­ve Visi­on als Antrieb

Aline Fisch­ba­cher ist als Coach, Super­vi­so­rin und Bera­te­rin tätig. Sie unter­stützt unter ande­rem Einzel­per­so­nen sowohl im beruf­li­chen Kontext als auch bei priva­ten Frage­stel­lun­gen und bietet Super­vi­sio­nen, Bera­tun­gen und Coachings für Orga­ni­sa­tio­nen an. «Egal, ob privat oder beruf­lich, es ist wich­tig, sich Ziele zu setzen und sich aktiv damit ausein­an­der­zu­set­zen, wohin man genau möch­te.» So etwas inspi­rie­re und helfe, einen Prozess in Gang zu setzen. «Sowohl als Einzel­per­son als auch als Team braucht man eine posi­ti­ve Visi­on. Ich erle­be immer wieder, wie dies Ener­gie und Moti­va­ti­on in Gang setzt, sodass man auch Lust bekommt, dieses Ziel zu errei­chen.» Gleich­zei­tig führe kein Weg daran vorbei, sich mit dem eige­nen Beitrag ausein­an­der­zu­set­zen: «Egal, um welche Verän­de­rung es geht, es klappt nur, wenn ich bereit bin, die Komfort­zo­ne zu verlas­sen. Das kann Unter­schied­li­ches bedeu­ten: Die Bezie­hungs­pfle­ge spielt eine wich­ti­ge Rolle, also mein Umfeld akti­vie­ren oder mein Netz­werk ausbau­en, viel­leicht muss ich mir neue Kompe­ten­zen aneig­nen.» Gera­de diese Aspek­te blen­den manche «Mani­fes­ta­ti­ons­gu­rus» aus. Wich­tig sei auch, dass die Visi­on dyna­misch blei­be: «Das Leben ist ein Prozess und deshalb gilt es auch, Visio­nen immer wieder zu hinter­fra­gen und weiter­zu­ent­wi­ckeln.» Sich auf eine bestimm­te Visi­on zu fixie­ren, kann blockie­ren, es fehlt die Offen­heit für ande­re Optio­nen. Sie spricht aus eige­ner Erfah­rung: «Zuerst arbei­te­te ich bei der SBB, dann führ­te mich mein Weg zur Poli­zei, bis ich mich schliess­lich selbst­stän­dig mach­te. Wenn ich mich von Anfang an total verbis­sen auf einen Traum­job fixiert hätte, wäre ich wahr­schein­lich nicht dort, wo ich heute bin.»

Viele werden heute auf Insta­gram auf Dinge aufmerk­sam, die sie für erstre­bens­wert halten. Illus­tra­ti­on: Elena Kaeser

Was will ich wirklich?

In ihrer beruf­li­chen Tätig­keit hat Aline Fisch­ba­cher auch schon an einer Berufs­schu­le Jugend­li­che gecoacht: «Eini­ge nann­ten ‹Influen­cer› als Traum­be­ruf. Im Gespräch stell­te sich heraus, dass sie diesen Beruf so erstre­bens­wert finden, weil sie auf Insta­gram und Tiktok stän­dig mit Influen­cern konfron­tiert werden. Das war für sie präsen­ter als die Frage: Was will ich persön­lich wirk­lich? Was tut mir gut? Und wo liegen meine Stär­ken?» Gera­de diese Fragen stehen bei der Posi­ti­ven Psycho­lo­gie im Fokus. Diese rela­tiv junge Wissen­schaft war auch Teil von Aline Fisch­ba­chers Ausbil­dung. Die Posi­ti­ve Psycho­lo­gie wird oft fälsch­li­cher­wei­se mit dem posi­ti­ven Denken verwech­selt: «Die Posi­ti­ve Psycho­lo­gie erforscht wissen­schaft­lich, was uns glück­lich und zufrie­den macht. Ein wesent­li­cher Anteil dabei ist die Ausein­an­der­set­zung sowohl mit den Stär­ken als auch mit den Schwä­chen. Sie zielt darauf ab, das Beste im Leben zu fördern, schlim­me Erfah­run­gen und Erleb­nis­se zu über­win­den und das Leben der Menschen lebens­wer­ter zu machen.» Es gehe darum, den Blick nicht nach aussen, sondern nach innen zu rich­ten und zu lernen, mit sich selbst zufrie­den zu sein – eigent­lich nichts Neues, das Chris­ten­tum und viele ande­re Reli­gio­nen lehren das seit Jahr­tau­sen­den. Gut möglich, dass gera­de Social Media und die stän­di­ge Vergleich­bar­keit – wer hat was, wer erlebt was – das Mani­fes­tie­ren gera­de bei jungen Erwach­se­nen so popu­lär gemacht haben.

Nicht bewer­ten

Menschen, die komplett in der Manifestations-ideologie gefan­gen sind, sind Aline Fisch­ba­cher in ihrem beruf­li­chen und priva­ten Umfeld bis jetzt noch kaum begeg­net. Aber was kann ich tun und sagen, wenn plötz­lich meine beste Freun­din vom Mani­fes­tie­ren als Allheil­mit­tel über­zeugt ist? «Das Wich­tigs­te ist, nicht zu bewer­ten», ist die Super­vi­so­rin über­zeugt, «man kann ja mal nach­fra­gen: Warum ist dir das so wich­tig? Was macht dich wirk­lich glück­lich?» Sinn­vol­ler als endlo­se Diskus­sio­nen zu führen, sei, etwas mit der Person zu unter­neh­men und sie zu Akti­vi­tä­ten einzu­la­den. Das eröff­net für alle Betei­lig­ten eine Perspek­ti­ve. Denn die Posi­ti­ve Psycho­lo­gie zeigt auch: Zufrie­den­heit finden die Menschen vor allem durch geleb­te Beziehungen. 

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg

Veröf­fent­li­chung: 26.07.2024

Leserfrage: Was tut der Kanton gegen Antisemitismus?

Der Kanton St. Gallen enga­giert sich aktiv mit verschie­de­nen Mass­nah­men, um Anti­se­mi­tis­mus vorzu­beu­gen und zu bekämp­fen. Diese Bemü­hun­gen sind Teil einer lang­jährigen Verpflich­tung, das Zusam­men­le­ben in unse­rer viel­fäl­ti­gen Gesell­schaft zu stär­ken. Nebst dem Fokus auf die akti­ve Förde­rung des inter­re­li­giö­sen Dialogs sind die Mass­nah­men im Anti­ras­sis­mus­be­reich in jüngs­ter Zeit weiter inten­si­viert worden.

Ein zentra­les Element ist die «St. Galler Erklä­rung für das Zusam­men­le­ben der Reli­gio­nen und den inter­re­li­giö­sen Dialog». Diese umfasst mehre­re Verpflich­tun­gen, die ein respekt­vol­les Mitein­an­der in reli­giö­ser und welt­an­schau­li­cher Viel­falt fördern und Diskri­mi­nie­rung entge­gen­wir­ken. Unter­zeich­net von vielen Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und Einzel­per­so­nen, zeigt dies die brei­te gesell­schaft­li­che Unter­stüt­zung für die Initia­ti­ve. Die St. Galler Konfe­renz zu Fragen von Reli­gi­on und Staat spielt eben­falls eine wich­ti­ge Rolle. Hier kommen Vertre­te­rin­nen und Vertre­ter verschie­de­ner Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und des Kantons zusam­men, um gemein­sam themen­be­zo­gen Lösun­gen zu entwi­ckeln, die den inter­re­li­giö­sen Dialog weiter stärken.

Anlauf­punk­te für Betroffene

Neben der seit Jahren im Auftrag des Kantons von HEKS betrie­be­nen «Bera­tungs­stel­le gegen Rassis­mus und Diskri­mi­nie­rung» hat der Kanton St. Gallen – ausge­löst durch die seit dem 7. Okto­ber 2023 auch in der Schweiz stei­gen­den Anti­se­mi­tis­mus­fäl­le – zusätz­lich eine Leis­tungs­ver­ein­ba­rung mit dem Schwei­ze­ri­schen Israe­li­ti­schen Gemein­de­bund (SIG) abge­schlos­sen, um die Melde­stel­le für anti­se­mi­ti­sche Vorfäl­le zu unter­stüt­zen. Dies verbes­sert die Exper­ti­se und Bera­tungs­qua­li­tät bei anti­se­mi­ti­schen Vorfäl­len und liefert genaue­re Daten für den Kanton St. Gallen. Die genann­ten Stel­len bieten wich­ti­ge Anlauf­punk­te für Betrof­fe­ne und fördern das Bewusst­sein für die Proble­ma­tik des Anti­se­mi­tis­mus und ande­rer Diskriminierungsformen.

Bevöl­ke­rung sensibilisieren

Zur Sensi­bi­li­sie­rung der Bevöl­ke­rung lanciert der Kanton regel­mäs­sig kantons­wei­te «Akti­ons­ta­ge gegen Rassis­mus» sowie die inter­re­li­giö­se Dialog- und Akti­ons­wo­che «ida». Bei Veran­stal­tun­gen werden auf unter­schied­li­che Art und Weise Vorur­tei­le abge­baut und dadurch das fried­li­che Mitein­an­der in unse­rer Gesell­schaft geför­dert. Darüber hinaus wird die präven­ti­ve Arbeit durch die «Fach­stel­le gegen Radi­ka­li­sie­rung und Extre­mis­mus FAREX» verstärkt. Diese Stel­le ist zentral für die Früh­erken­nung und Bekämp­fung von Extre­mis­mus und arbei­tet eng mit Bildungs­ein­rich­tun­gen und Gemein­schaf­ten zusam­men, um Aufklä­rung zu bieten und poten­zi­ell gefähr­de­te Perso­nen zu unterstützen.

Die genann­ten Akti­vi­tä­ten verdeut­li­chen das proak­ti­ve Enga­ge­ment des Kantons St. Gallen, den Heraus­for­de­run­gen von Anti­se­mi­tis­mus, Rassis­mus und Diskri­mi­nie­rung zu begeg­nen. Der Kampf gegen Anti­se­mi­tis­mus bleibt aber eine konti­nu­ier­li­che Heraus­for­de­rung, die nicht nur als staat­li­che Aufga­be betrach­tet werden darf. Es erfor­dert Enga­ge­ment auf allen Ebenen, von staat­li­chen Insti­tu­tio­nen bis hin zu zivil­ge­sell­schaft­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Bürge­rin­nen und Bürgern.

Text: Clau­di­us Luterba­cher, Leiter Amt für Sozia­les, Kanton St. Gallen

Veröf­fent­li­chung: 16. Juli 2024

Meglisalp ist Herzenssache

Bereits zum 17. Mal beglei­tet Nico­las Senn am 5. August den Gottes­dienst auf der Megli­salp. Für den bekann­tes­ten Hack­brett­spie­ler der Schweiz ist dieser Termin neben Weih­nach­ten der einzi­ge Fixpunkt im Jahr.

Wenn Nico­las Senn das Spitz­li der Meglisalp-Kapelle erblickt, ist es für ihn fast schon ein «Heim­kom­men». Der 34-Jährige liebt den Alpstein. «Wenn immer möglich bin ich in jeder frei­en Minu­ten hier am Wandern.» Nico­las Senn hat sich in den vergan­ge­nen Jahren natio­nal und inter­na­tio­nal einen Namen als Hack­brett­spie­ler gemacht. Mit seinem 125-saitigen Instru­ment hat er bereits den Weg nach Asien oder ins deut­sche Fern­se­hen geschafft. Seit 2012 mode­riert er die SRF-Sendung Potz­mu­sig. Doch trotz des gros­sen Erfolgs ist dem in Gais wohn­haf­ten Nico­las Senn die Heimat wich­tig. Am 5. August wird er den Berg­got­tes­dienst auf der Megli­salp musi­ka­lisch beglei­ten – und das bereits zum 17. Mal.

Teil­nah­me ist Herzenssache

Sein Enga­ge­ment auf der Megli­salp bezeich­net Nico­las Senn als eine Herzens­an­ge­le­gen­heit. «Der Meglisalp-Gottesdienst ist mitt­ler­wei­le zur Tradi­ti­on gewor­den.» Wie wich­tig ihm diese ist, zeigen zwei Anek­do­ten aus den vergan­ge­nen Jahren. Um recht­zei­tig auf der Alp zu sein, reis­te Nico­las Senn einst früher von einem Auftritt aus Thai­land zurück. Der Flie­ger lande­te am Morgen in Kloten, am Nach­mit­tag war er auf der Megli­salp. Ein ande­res Mal muss­te er die Trans­port­bahn nehmen, um am Abend noch recht­zei­tig für einen Auftritt im Wallis zu sein. Den Auto­schlüs­sel für die Fahrt an den Bahn­hof hatte ihm ein anwe­sen­der Senn gege­ben. «Tolle Erin­ne­run­gen», sagt Nico­las Senn. Und sie zeigen: Den Auftritt auf der Megli­salp lässt sich der wohl berühm­tes­te Hack­brett­ler ungern  entge­hen. «Der 5. August ist für mich nebst Weih­nach­ten der einzi­ge Fixpunkt in meiner Agenda.»

Unver­gleich­li­che Naturarena

Beim Hack­brett­spie­len auf der Megli­salp wird es Nico­las Senn warm ums Herz. Er erzählt, wie sein Blick dann auf grasen­de Kühe, herum­schwän­zeln­de Bläs­se und schla­fen­de Geis­sen fällt. «Die Natur­are­na und der wunder­schö­ne Altar sind einzig­ar­tig. Und über­all, wo ich hinbli­cke, sehe ich meine Lieb­lings­rou­ten und ‑plät­ze. Es ist einfach eine ganz beson­de­re Stim­mung dort. Der Berg­got­tes­dienst auf der Megli­salp ist mit keinem ande­ren vergleich­bar. Der Auftritt nimmt mich emotio­nal immer mit.» In Erin­ne­rung geblie­ben sind ihm gera­de auch die verreg­ne­ten, nebel­ver­han­ge­nen Tage. Die Stim­mung habe dann oft etwas Mysti­sches an sich. «Manche Menschen spre­chen von einem Kraft­ort, was ich gut verste­hen kann.»

Predigt mit Humor und Gehalt

Ange­fan­gen hat alles mit der Anfra­ge von Pater Josef Rosen­ast vor bald 20 Jahren. Nico­las Senn war damals 16 Jahre alt und nach der ersten Teil­nah­me sofort Feuer und Flam­me. «Pater Rosen­ast hat eine sehr gute Art, den Gottes­dienst zu leiten. Einer­seits ist die Predigt sehr humor­voll, ande­rer­seits hat sie trotz­dem immer einen gros­sen Gehalt. Er macht das super.» Mit ihm setzt er sich jeweils Anfang Sommer zusam­men, um Predigt und musi­ka­li­sche Beglei­tung aufein­an­der abzu­stim­men. Die inspi­rie­ren­den Worte von Josef Rosen­ast sind mit ein Grund, dass Nico­las Senn jedes Jahr wieder zusagt. «Ansons­ten bin ich kein regel­mäs­si­ger Kirch­gän­ger, darf jedoch regel­mäs­sig als Hack­brett­ler in Kirchen im ganzen Land auftre­ten.» Nico­las Senn ist froh und dank­bar, dass er auch dieses Jahr wieder Teil des Schnee­fes­tes sein kann. «Ich habe es nie als gege­ben betrach­tet und freue mich immer wieder, wenn ich einge­la­den werde.»

Kirchen­fest auf der Megli­salp: 5. August, 14 Uhr.

Über­sicht Berg­got­tes­diens­te 2024: www.pfarreiforum.ch/berggottesdienste

Text: Ales­sia Pagani

Foto: zVG.

Veröf­fent­licht: 09.07.2024

Rückenwind dank Papst

Die Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St.Gallen setzt sich seit 40 Jahren dafür ein, dass viel­fäl­ti­ge Fami­li­en­wel­ten in der Kirche noch selbst­ver­ständ­li­cher werden. Zudem fördert sie gelin­gen­de Part­ner­schaf­ten und unter­stützt bei Tren­nung oder Scheidung.

Über 40 Jahre ist ein Paar heute im Schnitt verhei­ra­tet, bis es durch den Tod getrennt wird und sofern es sich nicht zeit­le­bens trennt. «Vor 100 Jahren waren es wegen der gerin­ge­ren Lebens­er­war­tung im Durch­schnitt ledig­lich 18 Ehejah­re», sagt Matthi­as Koller Filli­ger von der Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St. Gallen. Eine Ehe oder Part­ner­schaft sei also gera­de heut­zu­ta­ge alles ande­re als ein Selbst­läu­fer. Es brau­che viel Enga­ge­ment, damit diese über eine so lange Zeit leben­dig bleibt.

Diver­se­re Gesellschaft

Part­ner­schaft und Ehe ist nebst Fami­lie und Trennung/Scheidung eines der drei Kern­the­men der PEF, wie es auch der Name der Fach­stel­le verrät. In diesem Jahr feiert diese ihr 40-Jahr-Bestehen. In dieser Zeit hat sich viel verän­dert: Die Gesell­schaft und somit auch die Part­ner­schaf­ten und Fami­li­en­for­men sind diver­ser gewor­den. Entspre­chend ist die seel­sor­ge­ri­sche Beglei­tung anspruchs­vol­ler gewor­den. Eine Fach­stel­le wie die PEF sei gera­de darum alles ande­re als über­flüs­sig, sagt Matthi­as Koller Filli­ger in den Büro­räu­men in der St. Galler Altstadt. Auf einem Tisch stapeln sich Bücher, die Stel­len­lei­te­rin Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle bereit­ge­legt hat. «Fami­li­en­viel­falt in der katho­li­schen Kirche»  lautet einer der Titel. «Paare und Fami­li­en: Kirche und Pasto­ral betre­ten Heili­gen Boden» heisst ein ande­res. Und aus dem in Buch­form erschienenen Schrei­ben von Papst Fran­zis­kus «Amoris Laeti­tia – Freu­de der Liebe» sind eini­ge der wich­tigs­ten Aussa­gen des Papstes auf bunte Post­kar­ten gedruckt. So steht dort etwa: «Fami­li­en heute: Eine heraus­for­dern­de Colla­ge aus vielen unter­schied­li­chen Wirk­lich­kei­ten voller Freu­den, Dramen und Träu­men». «Als das Schrei­ben vor rund zehn Jahren erschien, hat uns das in der PEF viel Rücken­wind gege­ben», sagt Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle und erzählt, dass es bei der Fach­stel­le schon immer im Fokus gestan­den habe, den verschie­de­nen Lebens­rea­li­tä­ten mit Respekt zu begeg­nen. «Im Gegen­satz dazu wurde die Fami­lie aus Kirchen­sicht während vieler Jahr­zehn­te als Objekt der Beleh­rung verstanden.»

Fami­li­en vernetzen

Die Kirchen seien fast die einzi­gen öffentlich-rechtlichen Insti­tu­tio­nen, die sich um gelin­gen­de Part­ner­schaf­ten kümmern. Gera­de in jüngs­ter Zeit sind viele neue Projek­te entstan­den wie etwa Paar- und Eheju­bi­lä­ums­fei­ern, Valen­tins­fei­ern, Impuls­aben­de für Paare oder paargeschichten.ch. Die Platt­form beinhal­tet unkom­men­tiert eine stetig wach­sen­de Zahl verschie­dens­ter und bunter Lebens­ge­schich­ten von Perso­nen, die erzäh­len, was ihre Part­ner­schaft ausmacht, wieso sie geschei­tert ist oder welche Ängs­te und Hoff­nun­gen sie haben. Ein weite­res neues Ange­bot, das auf Fami­li­en ausge­rich­tet ist, ist Kirche Kunter­bunt. Es handelt sich dabei um regel­mäs­si­ge Gene­ra­tio­nen­an­läs­se mit spie­le­ri­schen Elemen­ten wie einer Schatz­su­che oder einem Posten­lauf, einer kurzen besinn­li­chen Feier und einem gemein­sa­men Essen. Dabei werden nicht nur Kinder, sondern auch die Erwach­se­nen mit ihren Lebens­fra­gen ange­spro­chen und Fami­li­en vernet­zen sich mit ande­ren Fami­li­en. «Viele Pfar­rei­en haben wenig perso­nel­le Ressour­cen im Fami­li­en­be­reich. Es ist aber wich­tig, junge Fami­li­en anzu­spre­chen und mit fami­li­en­freund­li­chen Ange­bo­ten zu vernet­zen und zu entlas­ten, da Fami­li­en heute enorm unter Druck sind», sagt Matthi­as Koller Filli­ger. Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle ergänzt: «Die verschie­de­nen Paar- und Fami­li­en­rea­li­tä­ten haben prak­tisch mit allen ande­ren Seel­sor­ge­be­rei­chen Schnitt­stel­len. Dazu gehö­ren beispiels­wei­se die Trau­er­be­glei­tung oder die Jugend­ar­beit. Alle soll­ten sich also damit ausein­an­der­set­zen», sagt sie. «Zu unse­ren Aufga­ben gehört es daher, Mitar­bei­ten­de und Ehren­amt­li­che in den Pfar­rei­en für die Arbeit mit Paaren und Fami­li­en zu sensi­bi­li­sie­ren und sie darin zu unterstützen.»

Wert­schät­zend begegnen

Kurse für eine glück­li­che Part­ner­schaft, Semi­na­re für Perso­nen in Tren­nung oder Schei­dung oder Ehevor­be­rei­tun­gen: Das sind eini­ge weite­re Ange­bo­te der PEF, durch die Pfar­rei­en ihre Familien- und Paar­seel­sor­ge stär­ken und fördern können. «Nehmen wir das Beispiel einer Person, die sich in Tren­nung befin­det», sagt Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle. «Die Betrof­fe­nen befin­den sich dabei in einer Krise.» Es sei der Auftrag der Kirche, in solchen Situa­tio­nen zu beglei­ten. Diese Haltung habe sich in 40 Jahren PEF nicht verän­dert, sagt sie und fügt an: «Die Zukunft der Kirche hängt auch davon ab, wie gast­freund­lich und wert­schät­zend man in den Pfar­rei­en mit Fami­li­en und Paaren umgeht.»

Die Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) ist eine Einrich­tung des Bistums St. Gallen und umfasst die Kanto­ne St. Gallen, Appen­zell Inner­rho­den und Appen­zell Ausser­rho­den. Sie bietet kirch­li­chen und nicht­kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen ein brei­tes Bildungs­an­ge­bot an und unter­stützt Enga­gier­te in den Pfar­rei­en in der Paar-und Fami­li­en­seel­sor­ge mit Impul­sen, Mate­ria­li­en, Vernet­zung und Fach­wis­sen. Die Fach­stellt umfasst 160 Stel­len­pro­zen­te.  www.pef-sg.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 5. Juli 2024

Wer wählt den neuen Bischof?

Eine der Aufga­ben des St. Galler Domka­pi­tels ist die Wahl des Bischofs, die in St. Gallen in ­abseh­ba­rer Zeit ansteht. Wer es wird, steht noch in den Ster­nen – doch wie läuft die Wahl ab? Domde­kan Guido Scher­rer, der das Domka­pi­tel leitet, gibt Auskunft.

Guido Scher­rer, was ist Ihre Aufga­be als Domdekan?

Guido Scher­rer: Der Domde­kan leitet das Domka­pi­tel und vertritt es auch nach aussen. Wir tref­fen uns zu zwei ordent­li­chen Sitzun­gen im Früh­jahr und auch aus Anlass des Geden­kens an alle frühe­ren Äbte, Mönche, Bischö­fe und Mitar­bei­te­rIn­nen in der Seelsorge.

Sind Sie als Domde­kan ­Kron­fa­vo­rit fürs Bischofamt?

«Dornen­kron­fa­vo­ri­ten» sind – wenn man auf die letz­ten elf Bischö­fe von St. Gallen schaut – alle Kano­ni­ker. Der erste Bischof war nicht im Domka­pi­tel, weil das Gremi­um erst mit der Grün­dung des Bistums 1847 neu orga­ni­siert wurde und der erste Bischof nicht gewählt wurde. Bischof Otmar Mäder gehör­te eben­falls nicht dem Domka­pi­tel an.

Was sind Kano­ni­ker und wie setzt sich das Domka­pi­tel zusammen?

Das Domka­pi­tel besteht aus fünf soge­nann­ten Residenzial- und acht Rural­ka­no­ni­kern. Resi­die­ren­de Kano­ni­ker beklei­de­ten früher alle wich­ti­gen Aufga­ben in der Bistums­lei­tung. Die acht Rural­ka­no­ni­ker bezie­hen sich auf die acht Deka­na­te, die es zur Zeit der Grün­dung des Bistums St. Gallen gab. Die Frage mit Appen­zell war zur Zeit der Bistums­grün­dung noch nicht gere­gelt. Seit eini­gen Jahren sind auch Pries­ter, die im Deka­nat Appen­zell tätig sind, im Domkapitel.

Wo sind die Vortei­le des dualen Systems?

An unse­rem dualen System (Bistum und Konfes­si­ons­teil, Kirch­ge­mein­den und Pfar­rei­en) schät­ze ich es sehr, dass sich so viele Menschen im weites­ten Sinne für die Kirche und ihre Aufga­ben enga­gie­ren. Ich erin­ne­re daran, dass kein Domherr vom Bischof oder vom Domka­pi­tel allein ernannt werden kann. Bei den Rural­ka­no­ni­kern gehen die Vorschlä­ge immer über den Admi­nis­tra­ti­ons­rat – dieser kann Kandi­da­ten strei­chen. Bei den Resi­die­ren­den werden je zwei vom Bischof und zwei vom Admi­nis­tra­ti­ons­rat gewählt. Der Domde­kan wird aus einem Drei­er­vor­schlag des Bischofs durch den Admi­nis­tra­ti­ons­rat gewählt. Die Kräf­te sind so ausge­wo­gen verteilt.

Wie läuft ein ­Bischofs­wech­sel ab?

Diöze­sen werden vakant, wenn ein Diöze­san­bi­schof stirbt oder wenn der Papst ein Rück­tritts­ge­such annimmt. Konkret: Bischof Markus wird dem Papst mit seinem 75. Geburts­tag einen Brief schrei­ben und seinen Rück­tritt anbie­ten. Dann heisst es warten, bis Papst Fran­zis­kus diesen Rück­tritt auf ein bestimm­tes Datum hin annimmt. Dann beginnt die eigent­li­che Vakanz. Die Beson­der­heit in St. Gallen ist, dass und wie das Domka­pi­tel den Bischof wählen darf.

Domde­kan Guido Scher­rer ist über­zeugt: Bischö­fe müssen gedul­dig zuhö­ren können. «Wenn sie neben Gott­ver­trau­en noch eine gros­se Porti­on Gelas­sen­heit und Humor mitbrin­gen, wird das ihr heraus­for­dern­des Amt erträg­lich machen.»

Wieso gibt es in St. Gallen eine Bischofswahl?

Nach dem Konkor­dat von 1845 und der Reor­ga­ni­sa­ti­ons­bul­le von 1847 erfolgt die Neube­set­zung des St. Galler Bischofs­stuhls durch freie Wahl des Domka­pi­tels innert drei Mona­ten nach einge­tre­te­ner Vakanz. Diese während Jahr­hun­der­ten bewähr­te Form der Bischofs­wahl vermoch­ten die Bistü­mer Basel und St. Gallen als einzi­ge Diöze­sen der west­li­chen Kirche beizubehalten.

Wieso genau nach Konkordat?

Die Bischofs­wahl ist mehr als ein Gentlemen’s Agree­ment. Ein Konkor­dat ist ein Vertrag zwischen dem Heili­gen Stuhl und einem Land. Es hat völker­recht­li­chen Status.

Wer ist als Bischof wählbar?

Nach Kirchen­recht muss ein Pries­ter mindes­tens 35 Jahre alt sein und seit fünf Jahren Pries­ter sein. Was das Kirchen­recht vorschreibt, ist auch Krite­ri­um in den Statu­ten des Kapi­tels. Hinzu kommt, dass ein künf­ti­ger Bischof in Verwal­tung oder Seel­sor­ge inner­halb des Bistums erfah­ren sein und der Diöze­san­g­eist­lich­keit ange­hö­ren soll. Diese Voraus­set­zun­gen erfül­len Stand heute um die 60 Priester.

Wie wird bei der Wahl die katho­li­sche Bevöl­ke­rung einbezogen?

Bei den letz­ten beiden Bischofs­wech­seln gab es beglei­tend zur Listen­er­stel­lung eine soge­nann­te Konsul­ta­ti­on: Wir frag­ten nach Eigen­schaf­ten, die ein künf­ti­ger Bischof haben soll­te, und es durf­ten auch Namen genannt werden. Betei­li­gen durf­te  sich neben Räten und Gremi­en die ganze Bevöl­ke­rung. Niemand muss­te sich auswei­sen, katho­lisch zu sein. Eine Konsul­ta­ti­on wird es sicher wieder geben. In einer Grup­pe mit Vertre­tern aus dem Domka­pi­tel und von «Refor­men jetzt» disku­tie­ren wir geeig­ne­te Mass­nah­men diesbezüglich.

Darf ein gewähl­ter Bischof ­seine Wahl ablehnen?

Nach Statu­ten kann ein Gewähl­ter inner­halb von sieben Tagen Annah­me oder Nicht­an­nah­me der Wahl erklä­ren. Diese Annah­me der Wahl ist Voraus­set­zung für die Ernen­nung durch den Papst.

Inter­view: Isabel­la Awad / ssi

Bild: Clau­dio Bäggli

Veröf­fent­licht: 02.07.2024

Bischofs­wahl

Am 9. August wird Bischof Markus Büchel 75 Jahre alt. Dann bittet er den Papst um Demis­si­on. Das Pfar­rei­fo­rum berich­tet in den nächs­ten Mona­ten mit mehre­ren Beiträ­gen darüber. Das Inter­view mit Gene­ral­vi­kar Guido Scher­rer hat das Bistum der Redak­ti­on zur Verfü­gung gestellt.

Bestsellerautorin hört die Mönche flüstern

Für die deut­sche Best­sel­ler­au­torin Tanja Kinkel ist die Insel Reichen­au Schau­platz myste­riö­ser Verbre­chen und Spie­gel für die Welt­ereig­nis­se der letz­ten Jahr­hun­der­te zugleich. Für das Jubi­lä­um «1300 Jahre Klos­ter Reichen­au» hat sie ein Hörspiel geschrie­ben und eine Samm­lung von histo­ri­schen Kurz­ge­schich­ten herausgegeben.

In dicken Nebel gehüllt, einsam und verlas­sen. So traf Tanja Kinkel die Reichen­au an, als sie diese im Novem­ber 2022 zum aller­ers­ten Mal besuch­te. «Diese myste­riö­se Stim­mung hat mich total ange­spro­chen», erin­nert sich die Autorin und lacht, «ich konn­te mir so noch viel besser vorstel­len, wie das Leben im Mittel­al­ter auf dieser Insel war.» Die gebür­ti­ge Bamber­ge­rin (Bayern), die seit vielen Jahren in München lebt, wurde auf die Insel im Boden­see aufmerk­sam durch die Anfra­ge das Badi­schen Landes­mu­se­ums: «Ich bekam den Auftrag, Texte für eine App für das Jubi­lä­um zu verfas­sen. Bei meinen Recher­chen habe ich sofort gemerkt, wie viel Stoff in der Geschich­te der Reichen­au steckt. Deshalb mach­te ich dem Landes­mu­se­um den Vorschlag, zum Jubi­lä­um einen Band mit histo­ri­schen Kurz­ge­schich­ten zu veröf­fent­li­chen. In der Reichen­au steckt eine Menge Stoff. Zum Beispiel allein die Tatsa­che, dass in der späten Zeit des Klos­ters inner­halb eines Jahres gleich zwei Äbte zu Tode kamen, das schreit gera­de danach, dass sich ein Ermitt­ler darum kümmert.»

Tanja Kinkel war vor zwei Jahren zum ersten Mal auf der Insel Reichenau.

In die Geschich­te eingetaucht

Auch wenn Tanja Kinkel die Reichen­au erst seit zwei Jahren kennt, spürt man im Gespräch mit ihr sofort: Sie ist mitten­drin in der wech­sel­sei­ti­gen Geschich­te der Insel. Die Autorin spru­delt nur so, wenn sie von ehema­li­gen Äbten, Nonnen und Mönchen spricht, und wird zuwei­len sogar emotio­nal, als wäre sie ihnen persön­lich begeg­net. Sie hat sich akri­bisch in die Doku­men­te einge­le­sen und inten­siv auf die Moti­ve und Charak­te­re der prägen­den Perso­nen einge­las­sen. «Das war auch mein Köder für meine Kolle­gin­nen», sagt sie. Für die Geschich­ten­samm­lung hat sie Autorin­nen und Autoren ange­fragt, die wie sie erfolg­rei­che histo­ri­sche Roma­ne schrei­ben. «Alle beka­men von mir ein Dossier zu Perso­nen, die für die Reichen­au prägend waren.» Dass schliess­lich nur Frau­en Geschich­ten beigesteu­ert haben, sei Zufall: «Alle Kolle­gen, die ich ange­fragt habe, sagten aus Zeit­grün­den ab. Nur Ulf Schie­we woll­te mitwir­ken.» Leider erkrank­te er kurz darauf und starb. «Ich habe ihm deshalb das Buch gewidmet.»

Spie­gel der Weltereignisse

Die Geschich­ten in Tanja Kinkels Buch zeigen deut­lich: Die klei­ne Insel im Boden­see war in den vergan­ge­nen Jahr­hun­der­ten oft Schlüs­sel­ort für Welt­ereig­nis­se. In der Blüte­zeit (8. bis 11. Jahr­hun­dert) war sie das Zentrum des christ­li­chen Abend­lan­des. Zum Beispiel stamm­ten viele wich­ti­ge Schrif­ten aus der Schreib­stu­be der Klos­ter­ge­mein­schaft auf der Reichen­au. Adeli­ge und Geist­li­che lies­sen ihre Schrif­ten auf der Insel anfer­ti­gen. «Die Reichen­au ist ein Brenn­glas für die zahl­rei­chen kulturellen und sozia­len Entwick­lun­gen der dama­li­gen Zeit», so Tanja Kinkel. Als Beispiel schil­dert sie den Sturm der Konstan­zer Bürge­rin­nen und Bürger auf die Insel, als sie gegen das Klos­ter aufbegehrten.

Nur noch ein Scherbenhaufen

Tanja Kinkels Geschich­te beschäf­tigt sich mit dem Nieder­gang und nimmt den letz­ten Abt des Klos­ters Reichen­au in den Fokus. Auf der einen Seite der letz­te Reichs­abt, Markus von Knörin­gen – «einer der wider­lichs­ten Menschen, den man sich vorstel­len kann», wie Tanja Kinkel im Gespräch fest­hält, «zu seiner Zeit gibt es noch mehre­re Reform­ver­su­che, um das Klos­ter zu retten. Der Reichs­abt ist schuld, dass diese schei­tern.» Ihm gegen­über steht Prior Georg Dietz. «Mich faszi­niert an diesem Mönch, dass er seiner Beru­fung treu bleibt – das Klos­ter ist nur noch ein Scher­ben­hau­fen, vom Glanz des Mönch­tums auf der Reichen­au ist nichts mehr übrig. Er hätte die Möglich­keit, weiter­zu­zie­hen. Trotz­dem beschliesst er, auf der Insel zu blei­ben, und das, obwohl er dafür alles ande­re als Ruhm und Ehre erhält.»

Drei Kirchen besuchen

Wer die Reichen­au in diesem Jahr besu­chen will, dem steht eine App, die zum Jubi­lä­um entwi­ckelt wurde, zur Verfü­gung. Tanja Kinkel hat dafür Hörtex­te verfasst, die die Geschich­te atmo­sphä­risch dicht erleb­bar machen. Die deut­sche Autorin empfiehlt, die Reichen­au zu Fuss zu erwan­dern, zunächst am Ufer entlang und dann zum Aussichts­punkt Hoch­wart. «Es lohnt sich, die drei Kirchen zu besu­chen. Zum Jubi­lä­um wurde bei jeder Kirche ein klei­nes Muse­um einge­rich­tet. Hier kann man die Geschich­te mit allen Sinnen erle­ben.» Auf ein High­light ist Tanja Kinkel bei ihrem ersten Besuch auf der Insel in der Kirche St. Georg (Ober­zell) gestos­sen: «Ich hatte zuvor Aufnah­men der mittel­al­ter­li­chen Fres­ken gese­hen. Ich war total erstaunt, wie gut erhal­ten die sind.» Tanja Kinkel wird es auch in Zukunft wieder auf die Reichen­au und an den Boden­see ziehen, im Herbst hält sie zum Beispiel eine Lesung in Konstanz.

Bestsellerautorin hört die Mönche flüstern

Die Geschich­ten­samm­lung von Tanja Kinkel enthält u. a. Geschich­ten von Sabi­ne Ebert, Iny Lorentz und Heidi Rehn. In Kurz­ge­schich­ten erzäh­len die Best­sel­ler­au­torin­nen auf Basis wahrer Bege­ben­hei­ten von Menschen auf der Reichen­au. Sie beschrei­ben die Spuren, die Äbte und Mönche, Wein­bau­ern und Fischer, Kaise­rin­nen und Nonnen auf der Insel hinter­las­sen haben, und skiz­zie­ren so das Leben auf der Insel und im Klos­ter durch die Jahr­hun­der­te. Die Antho­lo­gie lässt damit die lange Geschich­te dieses heili­gen Ortes neu leben­dig werden. Die Geschich­ten werden wohl bei Fans von histo­ri­schen Roma­nen beson­ders gut ankom­men. Tanja Kinkel, geb. 1969 in Bamberg, lande­te mit ihren Büchern schon mehr­mals auf der Spiegel-Bestsellerliste und gilt als eine der meist­ver­kauf­ten Autorin­nen in Deutsch­land. Ihr erfolg­reichs­tes Buch «Die Puppen­spie­ler» wurde von der ARD verfilmt. Die Autorin lebt in München und ist u. a. Gast­do­zen­tin an der Univer­si­tät Zürich.

→ Tanja Kinkel (Hg): «Reichen­au – Insel der ­Geheim­nis­se», Bonifatius-Verlag, 224 Seiten

Text: Stephan Sigg

Bilder: SWR / zVG

Veröf­fent­licht: 28.06.2024

Das Quarten hat sich gelohnt

Die öster­rei­chi­sche Kinder­buch­au­to­rin Lena Raubaum aus Wien erin­nert sich für das Pfar­rei­fo­rum an die Jung­schar­la­ger bei den Schön­statt­schwes­tern in Quar­ten über dem Walensee.

Soll­te mich jemals jemand anru­fen, der bei «Wer wird Millio­när?» vor der Frage zittert, welche Masse der Walen­see habe, erhält von mir als Joker prompt die Antwort: «15,5 Kilo­me­ter lang, 150 Meter tief, zwei Kilo­me­ter breit!» Gewiss: Orts­kun­di­ge Menschen wissen das. Aber ich vermu­te mal, vielen Menschen in Öster­reich ist das nicht bewusst, geschwei­ge denn, wie atem­be­rau­bend schön dieser See ist, beschützt von den majes­tä­ti­schen Chur­firs­ten. Die Einzi­gen, die das in Öster­reich wissen könn­ten, sind die Jung­schar­kin­der der Pfar­re Alt-Ottakring des 16. Wiener Gemein­de­be­zirks. Diese Jung­schar­kin­der fuhren über Jahr­zehn­te nach Quar­ten auf Jung­schar­la­ger. Eines davon war ich.

Lena Raubaum verbrach­te mehre­re Jung­schar­la­ger in Quar­ten über dem Walen­see. Heute ist sie eine erfolg­rei­che öster­rei­chi­sche Kinderbuchautorin.

Weil es so schön war

Der Walen­see war das Zeichen dafür, dass es nicht mehr weit war. Rund 80 Mädchen zwischen sechs und 16 Jahren, die stun­den­lang per Bahn oder Bus unter­wegs gewe­sen waren, jubel­ten. Der See rück­te das Ende einer sehr langen Reise in Sicht, einer Reise, auf der Lieder, Vorle­se­zeit, Jausen­tausch­bör­sen, Schläf­chen und Witze­run­den die Zeit verkürzt hatten. Während die Jung­schar­lei­tung Gitti per Busmi­kro­fon die Details erzähl­te, die mich zu einem guten Joker machen, bog der Bus bereits den Berg hinauf. Nach ein paar Kurven waren wir da: in Neu-Schönstatt in Quar­ten. Kaum ange­kom­men – spätes­tens beim Abend­essen –, begrüss­te uns eine der allge­gen­wär­ti­gen Mari­en­schwes­tern  mit der wunder­ba­ren Würze von Schwi­zer­dütsch in ihren Worten. Dadurch, dass wir als Grup­pe für uns waren, hatten wir nicht allzu viel Inter­ak­ti­on mit den Schönstatt-Schwestern. Doch wir begeg­ne­ten ihnen, manche fallen mir jetzt wieder ein. Die eine mit der gros­sen Bril­le, bei der wir an der Rezep­ti­on Karten und Brief­mar­ken kauf­ten. Die ande­re mit der blau­en Schür­ze, die im Garten arbei­te­te. Die Junge, die immer, immer lächelte.

Wieso fuhren Mädchen- und Buben­jung­schar­grup­pen (stets getrennt!) ausge­rech­net von Wien in die Schweiz auf Jung­schar­la­ger? Ehrlich gesagt: Ich weiss es nicht. Aber einer der Grün­de war gewiss: Weil es so schön war! Allein für das Panora­ma zahl­te sich jeder Kilo­me­ter aus. Genau­so für das klei­ne Wald­stück oder die Spiel­wie­se samt Teich vor dem Zentrum, auf der wir das Schwung­tuch schwan­gen, Feld­mes­se feier­ten, Ball spiel­ten. Dabei muss­ten wir übri­gens aufpas­sen, dass der Ball nicht die Böschung runter­rol­len würde. (Heute steht da ein Zaun. Gute Entschei­dung!) Und natür­lich schätz­ten wir das Zentrum an sich. Die Schlaf­sä­le mit je sechs Kojen, in denen morgens Musik erschall­te, um uns zu wecken. Ich weiss auch noch, dass man über die Kästen perfekt von Koje zu Koje klet­tern konn­te (war eigent­lich nicht erlaubt, bitte nicht melden!) und dass man natür­lich jedes Geräusch mitbe­kam. Zum Beispiel auch, wie einmal eine Jung­schar­füh­re­rin während eines Lach­an­falls einschlief.

Eine bunte Gemeinschaft

Dank dieser Wochen lern­ten wir vieles an der Schweiz kennen und lieben. Unzäh­li­ge Orte, manche mit vielen, ande­re mit etwas weni­ger Höhen­me­tern. Ich glau­be, ich muss unbe­dingt mal wieder dem Verkehrs­mu­se­um in Luzern, Knies Kinder­zoo und dem Säntis einen Besuch abstat­ten. Ah, und der Migros in Sargans. Der war das High­light am Ende unse­res Lagers. Dort kauf­ten wir nicht nur haufen­wei­se Appen­zel­ler Biber­li, Scho­ko­stäng­li oder Toblerone-Schoki. Dort gingen wir vor allem liebend gern aufs Klo, weil dessen Ästhe­tik und Hand­creme immense Begeis­te­rung in uns auslösten.

Sicher, vieles, das man auf einem Jung­schar­la­ger erlebt, erlebt man über­all. Eine bunte Gemein­schaft. Morgen­ge­be­te. Abend­lob. Fackel­wan­de­run­gen. Küchen­dienst. Strei­te­rei­en. Spie­le­aben­de. Ein spiri­tu­el­les Wochen­the­ma. Heim­weh. Zusam­men­halt. Und noch mehr. So viel mehr. Doch ich bin zutiefst dank­bar, dass ich all das an einem beson­de­ren Ort in St. Gallen erle­ben durf­te und dass ich mit dem Brust­ton der Über­zeu­gung schrei­ben kann: Dieses Quar­ten, das hat sich gelohnt.

Text: Lena Raubaum

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 27.06.2024

Lena Raubaum

Lena Raubaum, gebo­ren 1984 in Wien, hat für ihre Kinder­bü­cher viele Prei­se erhal­ten. Als Kind verbrach­te sie mehre­re Sommer bei den Schön­statt­schwes­tern in Quar­ten. «Das hat mein Bild von der Schweiz geprägt», sagt sie. Diesen Erin­ne­rungs­text hat sie auf Einla­dung des Pfar­rei­fo­rums verfasst. 

Zuletzt ist ihr Kinder­buch «Ungal­li» über die Kraft der Wieder­ho­lung erschie­nen. Sie erzählt eine afri­ka­ni­sche Legen­de  in neuen Worten: Wie merkt man sich etwas wirk­lich? Was ist beim Lernen von Neuem das Aller­wich­tigs­te? Und was haben ein Baum, seine Früch­te, eine Gazel­le, ein Elefant und eine Schild­krö­te damit zu tun? ­www.lenaraubaum.com

Kinder­buch «Ungal­li» von Lena Raubaum.

Das Zentrum Neu-Schönstatt der katho­li­schen Schön­statt­be­we­gung in Quar­ten ist heute ein moder­nes Bildungs- und Tagungs­haus und steht für Einzel­per­so­nen, Fami­li­en und Grup­pen offen. 

Eine Insel im Ausnahmezustand

Beschau­lich zeigt sich die Insel Reichen­au auf den ersten Blick. Mit der 1300-jährigen Kloster­geschichte hat sie aber eine Vergan­gen­heit, die das benach­bar­te St. Gallen zwischen­zeit­lich neidisch werden lässt. Das Jubi­lä­um ist Anlass für eine klei­ne Insel­tour des Pfarreiforums.

Dieses Jahr ist der Wahn­sinn. So etwas habe ich kaum erlebt. Und ich mache das schon seit 30 Jahren», sagt Brigit­te Ott-Penzkofer, die an diesem Tag in die Schatz­kam­mer im Müns­ter St. Maria und Markus auf der Insel Reichen­au führt. Gegen 60 Perso­nen drän­gen sich vor dem Eingang um die Gäste­füh­re­rin. Gleich wird sie mit den Besu­che­rin­nen und Besu­chern in die Geschich­te des Klos­ters eintau­chen und die Schatz­kam­mer besich­ti­gen. Diese enthält unter ande­rem wert­vol­le Reli­qui­en­schrei­ne wie jenen aus dem Jahr 1305, der Gebei­ne des Evan­ge­lis­ten Markus enthält. «Diesel­be Führung habe ich auch schon mit nur vier bis fünf Perso­nen gemacht», sagt Brigit­te Ott-Penzkofer. In diesem Jahr, in dem die Insel ihr 1300-Jahr-Jubiläum feiert, befin­de sich aber alles im Ausnah­me­zu­stand. Wich­tig ist das Jubi­lä­um, weil der später heilig­ge­spro­che­ne Wander­bi­schof Pirmi­ni­us im Jahr 724 das Klos­ter Reichen­au grün­de­te – und danach auf der Insel so viele histo­risch bedeu­ten­de Dinge gescha­hen, dass man als Nicht­his­to­ri­ke­rin und ‑histo­ri­ker vor Über­ra­schung nur stau­nen kann (siehe Zeitachse).

Split­ter vom Kreuz Christi

Die Recherche-Tour des Pfar­rei­fo­rums fällt nicht auf einen belie­bi­gen Tag im Jubi­lä­ums­jahr, sondern auf den Frei­tag vor dem Wochen­en­de des Heilig-Blut-Fests Ende Mai. Das ist der höchs­te Feier­tag der Insel. Bei der Reichen­au­er Heilig-Blut-Reliquie handelt es sich um ein vergol­de­tes byzan­ti­ni­sches Abts­kreuz, das der Über­lie­fe­rung nach Split­ter vom Kreuz Chris­ti und ein blut­ge­tränk­tes Tuch enthal­ten soll. Die Insel ist heraus­ge­putzt: Gelb-weisse Bänder schmü­cken den Chor­raum im Klos­ter, die Heil­kräu­ter­bee­te sind gepflegt und auf der ganzen Insel sind die Cafés und klei­nen Läden liebe­voll deko­riert. Auch die Gäste­lis­te für das Heilig-Blut-Fest steht fest: Der St. Galler Bischof Markus Büchel wird aus histo­ri­scher Verbun­den­heit als Ehren­gast die Fest­pre­digt im Müns­ter halten. Mit Bildern, Text und einem kurzen Film­bei­trag doku­men­tiert ist das etwa durch den mitt­ler­wei­le erschie­nen SWR-Beitrag «Insel Reichen­au feiert das Heilig-Blut-Fest», in dem Bischof Markus während der Predigt oder der Prozes­si­on zu sehen ist, bei der die Heilig-Blut-Reliquie über die Insel getra­gen wird. 

In Vergan­ge­nes eintauchen

Wie war das noch mal mit Reichen­au und St. Gallen? Auf der Insel stehen weite­re Führun­gen wie jene zur Klos­ter­ge­schich­te zur Auswahl, die etwa darauf eingeht, wie in Reichen­au der berühm­te St. Galler Klos­ter­plan entstan­den ist. Eine ande­re Möglich­keit ist es, sich mit einem der zahl­rei­chen über die Insel Reichen­au erschie­ne­nen Sach­bü­cher oder Krimis auszu­rüs­ten und so in die Vergan­gen­heit der Insel einzu­tau­chen. Wir entschei­den uns für das neus­te Buch «Reichen­au – Insel der Geheim­nis­se», das Erzäh­lun­gen verschie­de­ner Best­stel­ler­au­torin­nen histo­ri­scher Roma­ne enthält. Mit dem Velo geht es entlang der gut ausge­schil­der­ten Velo­rou­te hinauf zur Hoch­wacht, einem Aussichts­punkt, von dem aus sich die 4,5 Kilo­me­ter lange und 1,5 Kilo­me­ter brei­te Insel über­bli­cken lässt. Auf der Hoch­wacht gibt es ein Café, gros­se, Schat­ten spen­den­de Bäume und Sitz­bän­ke. Dort fällt die Wahl auf die Erzäh­lung «Morcheln im Winter und der sehr gros­se Fisch» , die in das Jahr 956 nach Chris­tus führt. Es ist die Zeit, in der Reichen­au eines der wich­tigs­ten Klös­ter des Mittel­al­ters und Zentrum der Buch­ma­le­rei war. Die Reichen­au­er Biblio­thek gehör­te damals zu den gröss­ten im Heili­gen Römi­schen Reich, Schreib­werk­statt und Klos­ter­schu­le waren berühmt. Die Haupt­per­son der Erzäh­lung, Benno, hat nun das Glück, als Knabe in das Klos­ter Reichen­au aufge­nom­men zu werden. Dank seines Talents für die Schreib­kunst und Buch­ma­le­rei darf er später als junger Mann wich­ti­ge Hand­schrif­ten und Bücher kopie­ren. Eines Tages beauf­tragt ihn der Abt, eines der kopier­ten Bücher in das Klos­ter St. Gallen zu brin­gen. Mit dem dort ansäs­si­gen Mönch Notker gerät Benno nach seiner Ankunft in einen Wett­streit darüber, welche Biblio­thek die schö­ne­ren Bücher enthält und welches Klos­ter das bedeu­ten­de­re sei. Nach eini­gen Krügen Bier behaup­tet Notker, dass im St. Galler Klos­ter­gar­ten sogar im Winter Morcheln wach­sen würden. Benno wieder­um erzählt von den gros­sen «Atlant­fi­schen» im Boden­see um die Insel Reichen­au herum, die so lang seien wie zwei Männer.

Durch Sonnen­licht erstrahlt

Was wohl zum Nieder­gang des Klos­ters Reichen­au und dessen Auflö­sung im 1757 führ­te? Und konn­te das Klos­ter tatsäch­lich einzig durch den Streit zwei­er Äbte auf nur zwei Mönche schrump­fen? Auch dazu gäbe es im Buch histo­ri­sche Erzäh­lun­gen oder wahl­wei­se Bilder, Ausstel­lungs­tex­te und Tonauf­nah­men in der extra fürs Jubi­lä­um lancier­ten kosten­lo­sen App «Reichen­au». Diese enthält Infor­ma­tio­nen zu allem, was man über die Insel wissen muss. Die Gedan­ken kehren aber zurück zur Führung durchs Müns­ter von Brigit­te Ott-Penzkofer. Sie erzählt, wie der Kaiser jeweils im West­flü­gel im Müns­ter auf einer Empo­re hinter dem Markus­al­tar Platz genom­men habe und dort durch das Sonnen­licht erstrahl­te, das durch die Fens­ter fiel. «Da waren alle geblen­det», sagt sie mit einem Augen­zwin­kern. Zum Schluss folgt der Besuch der Schatz­kam­mer mit ihren Kunst­wer­ken und Reli­qui­en­schrei­nen. Diese gehö­re zusam­men mit dem Klos­ter­gar­ten und dem klos­ter­ge­schicht­li­chen Teil des Muse­ums Reichen­au im Bereich Einrich­tun­gen zu den Haupt­an­zie­hungs­punk­ten, sagt Karl Wehr­le, Touris­mus­chef von Reichen­au, auf Anfra­ge. Die Insel Reichen­au verzeich­net 250 000 Über­nach­tun­gen pro Jahr. Die Tages­gäs­te werden auf 750 000 bis 1 000 000 jähr­lich geschätzt. Wie viele es im Jubi­lä­ums­jahr sein werden, könne nur gefühlt geschätzt werden. Aber es bestehe der Eindruck, dass es mehr seien als sonst, sagt Wehr­le. Schul­ter an Schul­ter stehen die Besu­che­rin­nen und Besu­cher in der klei­nen Schatz­kam­mer, die früher als Sakris­tei dien­te. Was mehr beein­druckt, ist schwer zu sagen: Die detail­liert gefer­tig­ten Schrei­ne und Kunst­wer­ke selbst oder die zahl­rei­chen Geschich­ten und Über­lie­fe­run­gen, die jeder einzel­ne Schatz birgt.

Text und Bilder: Nina Rudnicki

Veröf­fent­li­chung: 21. Juni 2024

Totalrevision Volksschulgesetz

Mit einer Stel­lung­nah­me reagie­ren die katho­li­sche und evan­ge­li­sche Kirche auf das geplan­te Volks­schul­ge­setz des Kantons St. Gallen. Es geht um die Zukunft des Religionsunterrichts. 

Im Zwischen­be­richt, den die Regie­rung jetzt veröf­fent­licht hat, kommt zum Ausdruck, dass die Rege­lung für den Reli­gi­ons­un­ter­richt beibe­hal­ten werden soll», hält Thomas Schwarz von der Abtei­lung für Reli­gi­ons­päd­ago­gik des Bistums St. Gallen gegen­über dem Pfar­rei­fo­rum fest. «Die Regie­rung aner­kennt die Bedeu­tung des Reli­gi­ons­un­ter­richts der Kirchen. Das ist ein posi­ti­ves Signal.» Konkret: Der kirch­li­che Reli­gi­ons­un­ter­richt hat auch künf­tig seinen Platz auf der Stun­den­ta­fel. Im Zwischen­be­richt wird jedoch auch die Erwar­tung formu­liert, «dass zusam­men mit den Kirchen alter­na­ti­ve Orga­ni­sa­ti­ons­for­men für den Reli­gi­ons­un­ter­richt geprüft werden sollen, um der Kritik verschie­de­ner bildungs­po­li­ti­scher Verbän­de zu begeg­nen». «Die Akzep­tanz des Reli­gi­ons­un­ter­richts hängt sehr stark von der jewei­li­gen Schu­le, der Schul­lei­tung und dem Lehrer­team ab», weiss Thomas Schwarz, «es gibt von Ort zu Ort gros­se Unter­schie­de,  jedoch über­wie­gen die Bezie­hun­gen, die posi­tiv geprägt sind.»

Bischof Markus Büchel
Bischof Markus Büchel reagiert mit Armin Boss­art (Admi­nis­tra­ti­ons­rats­prä­si­dent des Kath. Konfes­si­ons­teils) und Martin Schmidt (Kirchen­rats­prä­si­dent der evang.-ref. Kirche des Kantons St. Gallen) in einem gemein­sa­men Schrei­ben auf die Pläne des St.Galler Bildungsdepartements.

Gemein­sa­mer Auftrag

Ange­sichts wach­sen­den Anti­se­mi­tis­mus und zuneh­men­der Isla­mo­pho­bie sind reli­giö­se Bildung und die Ausein­an­der­set­zung mit der eige­nen und ande­ren Reli­gio­nen wich­ti­ger denn je. «Die reli­giö­se Bildung im öffent­li­chen Raum der Schu­le ist von gros­ser gesell­schaft­li­cher Bedeu­tung», schrei­ben die Kirchen in ihrer Stel­lung­nah­me zum Zwischen­be­richt zur Total­re­vi­si­on des Volks­schul­ge­set­zes. Diese wurde von Bischof Markus Büchel, Armin Boss­art (Admi­nis­tra­ti­ons­rats­prä­si­dent des Kath. Konfes­si­ons­teils) und Martin Schmidt (Kirchen­rats­prä­si­dent der evang.-ref. Kirche des Kantons St. Gallen) unter­zeich­net. «Beispie­le von streng laizis­ti­schen Gesell­schaf­ten wie beispiels­wei­se in Frank­reich zeigen, dass das Ausblen­den von Reli­gi­on als gesell­schaft­li­ches Thema fata­le Folgen hat.» Es sei wich­tig, dass Staat und Gesell­schaft die reli­giö­se Bildung als gemein­sa­men Auftrag erken­nen. Der Reli­gi­ons­un­ter­richt der Kirchen könne einen wich­ti­gen Beitrag leis­ten, nicht zuletzt durch gut ausge­bil­de­te Fach­lehr­per­so­nen, die sich der Bedeu­tung ihrer Aufga­be bewusst seien.

Laut Thomas Schwarz garan­tie­ren kirch­li­che Lehr­per­so­nen dafür, dass das Thema Reli­gi­on im Unter­richt vorkommt.

Fundier­te Ausbildung

Aber könn­ten statt kirch­li­chen nicht auch schu­li­sche Lehr­per­so­nen den Reli­gi­ons­un­ter­richt über­neh­men? «Das ist zum Teil schon Reali­tät», so Thomas Schwarz. «Die Kirchen bieten gemein­sam mit der Pädago­gi­schen Hoch­schu­le St. Gallen für schu­li­sche Lehr­per­so­nen ein Weiter­bil­dungs­mo­dul an.» Dennoch ist Thomas Schwarz über­zeugt, dass kirch­li­che Fach­kräf­te einen Mehr­wert liefern: «Sie verfü­gen über eine fundier­te pädago­gi­sche Ausbil­dung und sind Exper­tin­nen und Exper­ten für Reli­giö­ses – nicht nur in der Theo­rie, sondern auch in der Praxis.» Bei der Einfüh­rung des Fachs ERG Kirchen / ERG Schu­le habe sich gezeigt, dass das «R» oft nur stief­müt­ter­lich behan­delt wurde. «Kirch­li­che Lehr­per­so­nen garan­tie­ren, dass das Thema Reli­gi­on im Unter­richt auch wirk­lich vorkommt.»

Auf Dialog setzen

Das St. Galler Volks­schul­ge­setz ist vier­zig Jahre alt. Anfang Mai 2024 gab die Regie­rung den Start­schuss für die Ausar­bei­tung eines Geset­zes­ent­wur­fes. Dieser soll im Früh­som­mer 2025 vorlie­gen und zur Vernehm­las­sung gestellt werden. Das neue Volks­schul­ge­setz tritt frühes­tens 2027 in Kraft. Die Kirchen wollen nicht untä­tig blei­ben. Zurzeit werde eine Grup­pe gebil­det, die sich des Themas annimmt. «Wir wollen uns aktiv in den Prozess einbrin­gen und auf den Dialog setzen», sagt Thomas Schwarz, «die Kirchen sind grund­sätz­lich auch offen für neue Formen. Wir sehen diesen Prozess als Chan­ce, der Bevöl­ke­rung aufzu­zei­gen, warum es den Reli­gi­ons­un­ter­richt der Kirchen braucht und was ohne ihn fehlen würde.»

Text: Stephan Sigg

Bild: coyot / pixabay.com / Regi­na Kühne / Ana Kontou­lis / zVg

Veröf­fent­licht: 20.06.2024

Flade zeigt sich alarmiert

Barba­ra Häch­ler, Schul­rats­prä­si­den­tin der Flade: Der Sonder­sta­tus sei histo­risch begründet.

Mit «eini­ger Sorge» beob­ach­ten die Kirchen die Haltung der Regie­rung, der katho­li­schen Schu­le Flade den öffentlich-rechtlichen Status zu entzie­hen.

Es sei das erste Mal, «dass der Kanton St. Gallen den öffentlich-rechtlichen Status einer Kirche aktiv infra­ge stellt und die Verban­nung eines wich­ti­gen  kirch­li­chen und bildungs­po­li­ti­schen Wirkungs­felds in den Privat­be­reich anstrebt», so die Kirchen in ihrer Stellungnahme. 

Damit gefähr­de die Regie­rung das bis anhin unbe­strit­te­ne und bewähr­te Verhält­nis zwischen Kirche und Staat. «Beide Kirchen werden den Anfän­gen einer von der Regie­rung dadurch einge­lei­te­ten, schlei­chen­den Tren­nung von Kirche und Staat auf Raten wehren und sich gemein­sam mit allen Mitteln für die Beibe­hal­tung des öffentlichen-rechtlichen Status des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils als eige­ne Schul­ge­mein­de einset­zen.» Barba­ra Häch­ler, Schul­rats­prä­si­den­tin der Flade, zeig­te sich im St. Galler Tagblatt «alar­miert». Der Sonder­sta­tus sei histo­risch begrün­det. Seit 2019 gebe es eine Verein­ba­rung mit der Stadt St. Gallen und diese funk­tio­nie­re gut. Es gebe keinen Grund, dies zu ändern.

Roger Trösch, stell­ver­tre­ten­der Gene­ral­se­kre­tär des kanto­na­len Bildungs­de­par­te­ments und Projekt­lei­ter der Total­re­vi­si­on, sagte gegen­über dem St. Galler Tagblatt, dass noch nichts defin­tiv entschie­den sei, es hand­le sich um eine erste Grund­hal­tung der Projektbeteiligten.

Leserfrage: Wie sensibilisiert man Kinder für Solidarität?

Was versteht man unter Soli­da­ri­tät? Vermut­lich hat jeder seine eige­ne Defi­ni­ti­on dafür. Für mich ist Soli­da­ri­tät ein Grund­prin­zip mensch­li­chen Zusam­men­le­bens. Wir fühlen uns mitein­an­der verbun­den und unter­stüt­zen uns gegenseitig.

Es gibt verschie­de­ne Möglichkeiten, Kinder für Soli­da­ri­tät zu sensi­bi­li­sie­ren: Eine reli­giö­se Erzie­hung bietet eine gute Chan­ce, ihnen Soli­da­ri­tät näher­zu­brin­gen. Dabei können reli­giö­se Geschich­ten ein Beispiel dafür sein. Ich denke dabei an die Geschich­te des barm­her­zi­gen Sama­ri­ters: Ein Mann wird von Räubern über­fal­len und schwer verletzt zurück­ge­las­sen. Zuerst gehen ein Pries­ter und dann ein Levit acht­los an ihm vorbei. Erst ein Sama­ri­ter, also einer aus einer verfein­de­ten Grup­pe, hat Mitleid mit ihm und kümmert sich um ihn. Er fragt nicht nach seiner Herkunft. Er handelt ohne eige­nen Nutzen oder Hintergedanken.

Gemein­nüt­zi­ges tun

Der Reli­gi­ons­un­ter­richt trägt auch dazu bei, die persön­li­che Entwick­lung der Kinder und Jugend­li­chen zu fördern. Viele reli­giö­se Tradi­tio­nen beto­nen die Bedeu­tung von Mitge­fühl, Nächs­ten­lie­be und Soli­da­ri­tät mit den Bedürf­ti­gen. Im Unter­richt wird mit den Schü­le­rin­nen und Schü­lern über Themen wie Unge­rech­tig­keit, Armut und Diskri­mi­nie­rung gespro­chen. Sie können Fragen stel­len und ihre Gedan­ken ausdrü­cken. Sie hören auch aus dem Leben von verschie­de­nen Persön­lich­kei­ten und ihrem Einsatz für die Menschen. Sie werden ermu­tigt, Soli­da­ri­tät im Alltag zu leben, indem sie ande­ren helfen, Mitge­fühl zeigen und ande­ren gegen­über respekt­voll sind.

Eine weite­re Möglich­keit ist es, an gemein­nüt­zi­gen Akti­vi­tä­ten der Pfar­rei wie etwa am Stern­sin­gen oder ande­ren cari­ta­ti­ven Projek­ten mitzu­ma­chen. Dort wird Geld für eine gute Sache gesam­melt. Gleich­zei­tig können die jungen Menschen die Erfah­rung machen, wie sie ande­ren helfen können, beson­ders denen, die weni­ger privi­le­giert sind.

Vorbild sein

Im Gebet für ande­re wird die spiri­tu­el­le Dimen­si­on der Soli­da­ri­tät gestärkt. Durch das gemein­sa­me Beten können wir Soli­da­ri­tät zeigen, Mitge­fühl ausdrü­cken und unse­re Verbin­dung mit ande­ren Menschen und der Welt um uns herum stär­ken. Und zu guter Letzt der wich­tigs­te Punkt: ein Vorbild sein. Unser soli­da­ri­sches Vorle­ben ist die beste Möglich­keit, Kinder und Jugend­li­che zu lehren, wie man sich um ande­re kümmert und soli­da­risch handelt. Durch unser eige­nes Tun können wir einen nach­hal­ti­gen Einfluss auf die Entwick­lung der Werte und Über­zeu­gun­gen haben.

Text: Alex­an­dra Moser, Reli­gi­ons­päd­ago­gin, Reli­gi­ons­päd­ago­gi­sche Medi­en­stel­le Altstätten

Grafik: Cavel­ti

Veröf­fent­li­chung: 11. Juni 2024

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