Eine der Aufgaben des St. Galler Domkapitels ist die Wahl des Bischofs, die in St. Gallen in absehbarer Zeit ansteht. Wer es wird, steht noch in den Sternen – doch wie läuft die Wahl ab? Domdekan Guido Scherrer, der das Domkapitel leitet, gibt Auskunft.
Guido Scherrer, was ist Ihre Aufgabe als Domdekan?
Guido Scherrer: Der Domdekan leitet das Domkapitel und vertritt es auch nach aussen. Wir treffen uns zu zwei ordentlichen Sitzungen im Frühjahr und auch aus Anlass des Gedenkens an alle früheren Äbte, Mönche, Bischöfe und MitarbeiterInnen in der Seelsorge.
Sind Sie als Domdekan Kronfavorit fürs Bischofamt?
«Dornenkronfavoriten» sind – wenn man auf die letzten elf Bischöfe von St. Gallen schaut – alle Kanoniker. Der erste Bischof war nicht im Domkapitel, weil das Gremium erst mit der Gründung des Bistums 1847 neu organisiert wurde und der erste Bischof nicht gewählt wurde. Bischof Otmar Mäder gehörte ebenfalls nicht dem Domkapitel an.
Was sind Kanoniker und wie setzt sich das Domkapitel zusammen?
Das Domkapitel besteht aus fünf sogenannten Residenzial- und acht Ruralkanonikern. Residierende Kanoniker bekleideten früher alle wichtigen Aufgaben in der Bistumsleitung. Die acht Ruralkanoniker beziehen sich auf die acht Dekanate, die es zur Zeit der Gründung des Bistums St. Gallen gab. Die Frage mit Appenzell war zur Zeit der Bistumsgründung noch nicht geregelt. Seit einigen Jahren sind auch Priester, die im Dekanat Appenzell tätig sind, im Domkapitel.
Wo sind die Vorteile des dualen Systems?
An unserem dualen System (Bistum und Konfessionsteil, Kirchgemeinden und Pfarreien) schätze ich es sehr, dass sich so viele Menschen im weitesten Sinne für die Kirche und ihre Aufgaben engagieren. Ich erinnere daran, dass kein Domherr vom Bischof oder vom Domkapitel allein ernannt werden kann. Bei den Ruralkanonikern gehen die Vorschläge immer über den Administrationsrat – dieser kann Kandidaten streichen. Bei den Residierenden werden je zwei vom Bischof und zwei vom Administrationsrat gewählt. Der Domdekan wird aus einem Dreiervorschlag des Bischofs durch den Administrationsrat gewählt. Die Kräfte sind so ausgewogen verteilt.
Wie läuft ein Bischofswechsel ab?
Diözesen werden vakant, wenn ein Diözesanbischof stirbt oder wenn der Papst ein Rücktrittsgesuch annimmt. Konkret: Bischof Markus wird dem Papst mit seinem 75. Geburtstag einen Brief schreiben und seinen Rücktritt anbieten. Dann heisst es warten, bis Papst Franziskus diesen Rücktritt auf ein bestimmtes Datum hin annimmt. Dann beginnt die eigentliche Vakanz. Die Besonderheit in St. Gallen ist, dass und wie das Domkapitel den Bischof wählen darf.
Wieso gibt es in St. Gallen eine Bischofswahl?
Nach dem Konkordat von 1845 und der Reorganisationsbulle von 1847 erfolgt die Neubesetzung des St. Galler Bischofsstuhls durch freie Wahl des Domkapitels innert drei Monaten nach eingetretener Vakanz. Diese während Jahrhunderten bewährte Form der Bischofswahl vermochten die Bistümer Basel und St. Gallen als einzige Diözesen der westlichen Kirche beizubehalten.
Wieso genau nach Konkordat?
Die Bischofswahl ist mehr als ein Gentlemen’s Agreement. Ein Konkordat ist ein Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und einem Land. Es hat völkerrechtlichen Status.
Wer ist als Bischof wählbar?
Nach Kirchenrecht muss ein Priester mindestens 35 Jahre alt sein und seit fünf Jahren Priester sein. Was das Kirchenrecht vorschreibt, ist auch Kriterium in den Statuten des Kapitels. Hinzu kommt, dass ein künftiger Bischof in Verwaltung oder Seelsorge innerhalb des Bistums erfahren sein und der Diözesangeistlichkeit angehören soll. Diese Voraussetzungen erfüllen Stand heute um die 60 Priester.
Wie wird bei der Wahl die katholische Bevölkerung einbezogen?
Bei den letzten beiden Bischofswechseln gab es begleitend zur Listenerstellung eine sogenannte Konsultation: Wir fragten nach Eigenschaften, die ein künftiger Bischof haben sollte, und es durften auch Namen genannt werden. Beteiligen durfte sich neben Räten und Gremien die ganze Bevölkerung. Niemand musste sich ausweisen, katholisch zu sein. Eine Konsultation wird es sicher wieder geben. In einer Gruppe mit Vertretern aus dem Domkapitel und von «Reformen jetzt» diskutieren wir geeignete Massnahmen diesbezüglich.
Darf ein gewählter Bischof seine Wahl ablehnen?
Nach Statuten kann ein Gewählter innerhalb von sieben Tagen Annahme oder Nichtannahme der Wahl erklären. Diese Annahme der Wahl ist Voraussetzung für die Ernennung durch den Papst.
Interview: Isabella Awad / ssi
Bild: Claudio Bäggli
Veröffentlicht: 02.07.2024
Bischofswahl
Am 9. August wird Bischof Markus Büchel 75 Jahre alt. Dann bittet er den Papst um Demission. Das Pfarreiforum berichtet in den nächsten Monaten mit mehreren Beiträgen darüber. Das Interview mit Generalvikar Guido Scherrer hat das Bistum der Redaktion zur Verfügung gestellt.