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«Ein Weg, hinter dem wir stehen»

Was braucht es, um in einer Berg­zo­ne zu land­wirt­schaf­ten? Welche Rolle spie­len dabei Ehren­amt­li­che? Kitti und Hans­pe­ter Schl­äp­fer aus Ricken geben Einbli­cke in ihren Betrieb samt Alp. Seit einem Jahr werden sie von Caritas-Bergeinsatz unterstützt.

Der Blick fällt von der Alp Rittmar­ren bei Gommis­wald über Hügel und Wälder bis hinun­ter in die Ebene rund um den Ober- und Zürich­see. Die 7‑jährige Alina läuft aus der alten Scheu­ne, die zum Hasen- und Hühner­stall umfunk­tio­niert ist. «Ihr braucht unbe­dingt ein Foto von den Hasen», ruft sie. Viel­leicht sollen bald ein paar Geis­sen folgen. Ihre Eltern, Kitti und Hans­pe­ter Schl­äp­fer, möch­ten einen klei­nen Strei­chel­zoo für die Tages­gäs­te der Alpwirt­schaft und vor allem für deren Kinder eröff­nen. Vor weni­gen Tagen wurde zudem der Neubau einge­weiht, in dem sich das Restau­rant befin­det. Das alte baufäl­li­ge Gebäu­de soll demnächst abge­ris­sen werden.

Neuer Stall geplant

Die junge Fami­lie hat die Alp Rittmar­ren in diesem Jahr neu gepach­tet. «Es war schon immer mein Traum, meinen Betrieb zu vergrös­sern und eine eige­ne Alp zu haben. Das Restau­rant gehört zu diesem Paket eben dazu», sagt Hans­pe­ter Schl­äp­fer. Sein Bauern­hof, der Schö­nen­berg­hof, befin­det sich zehn Auto­mi­nu­ten entfernt am Ricken­pass. 46 Kühe, Rinder und Kälber leben dort – und fort­an im Sommer auf der Alp – in Mutter­kuh­hal­tung. Hinzu kommen Schwei­ne, Scha­fe und eini­ge Trut­häh­ne. Die Fami­lie bewirt­schaf­tet ihren Betrieb in den Berg­zo­nen I und II auf 840 Metern über Meer. Dies bedeu­tet, dass alles vom eige­nen Hof stammt und kein Tier­fut­ter und Einstreu ausser für die Klein­tie­re hinzu­ge­kauft wird. Die Kühe sind während hundert Tagen im Jahr draus­sen auf der Alp. Das Fleisch, das Hans­pe­ter Schl­äp­fer produ­ziert, trägt das Label «Natura-Veal» oder «Natura-Beef». Diese zeich­nen Betrie­be für ihre artge­rech­te Haltung aus. Auch der WWF Schweiz empfiehlt die Labels. «Aller­dings sind mir diese Labels zu wenig trans­pa­rent. Ich plane einen neuen Stall mit angren­zen­der Metz­ge­rei. So können die Rinder und Kälber während des Fres­sens geschlach­tet werden, ohne dass sie in Stress gera­ten», sagt der 34-Jährige. Aktu­ell würden die Tiere mit dem Last­wa­gen abge­holt und zur Metz­ge­rei in Oensin­gen in Solo­thurn gefah­ren. «Wir möch­ten einen Weg gehen, hinter dem wir von A bis Z stehen können. Meinen Tieren soll es die ganze Zeit gut gehen», sagt er. Die Baube­wil­li­gung für den Stall sei da. In den kommen­den Wochen soll es mit dem Baupro­jekt losgehen.

Ein Hof in drit­ter Generation

Den Bauern­hof im Schö­nen­berg hat Hans­pe­ter Schl­äp­fer zusam­men mit seiner Frau vor elf Jahren in drit­ter Gene­ra­ti­on von seiner Mutter über­nom­men. Dass er Bauer werden wollte, war für ihn immer klar. «Und von meinen Geschwis­tern hatte niemand Inter­es­se am Hof», sagt er. Die Alpwirt­schaft sei für ihn und seine Frau eine Chan­ce, ihre eige­nen Produk­te anzu­bie­ten und zu vermark­ten. Sieben Tage pro Woche hat das Restau­rant in der Sommer­sai­son geöff­net. Für die Menüs und den Service ist Kitti Schl­äp­fer zusam­men mit einer Mitar­bei­te­rin zustän­dig. Am Abend und an den Wochen­en­den oder wenn beson­de­re Anläs­se wie etwa Geburts­ta­ge oder der jähr­li­che Alpgot­tes­dienst Ende August anste­hen, arbei­tet auch Hans­pe­ter Schl­äp­fer im Restau­rant mit. Für grös­se­re Grup­pen mit bis zu hundert Perso­nen hat er den alten Stall gegen­über heraus­ge­putzt und mit langen Bänken und Tischen sowie zwei gros­sen Kanal­grills für Spies­se neu eingerichtet.

Gelas­sen­heit als Ziel

Seit einem Jahr werden Kitti und Hans­pe­ter Schl­äp­fer wochen­wei­se von Frei­wil­li­gen unter­stützt, die ihnen über das Projekt «Bergeinsatz.ch» der Cari­tas vermit­telt werden. Diese helfen ausschliess­lich in der Land­wirt­schaft, nicht im Restau­rant mit. Ein Bekann­ter hatte sie auf das Unter­stüt­zungs­an­ge­bot aufmerk­sam gemacht. Gelas­se­ner zu werden, das sei es, was er aus den Begeg­nun­gen mit den Frei­wil­li­gen mitneh­me, sagt Hans­pe­ter Schl­äp­fer. «Ich bekom­me oft zu hören, ich solle nicht so schnell arbei­ten.» Die Freiwilligen seien eine gros­se Unter­stüt­zung, gera­de wenn sie – wie eine Person im vergan­ge­nen Jahr – gleich ein paar Wochen blei­ben würden. Viele seien oft erstaunt, wie viel Arbeit hinter einem Land­wirt­schafts­be­trieb stecke und was es alles brau­che, um auf diese Weise Fleisch produ­zie­ren zu können.

Zwischen Stier und Pferden

Die Frei­wil­li­ge, die die Fami­lie in dieser Woche hätte unter­stüt­zen sollen, ist krank­heits­hal­ber ausge­fal­len. Und Kitti Schl­äp­fer muss an diesem Vormit­tag ausser­plan­mäs­sig weg zu einem Termin. So sind es Vater und Toch­ter, die über die Alp führen. Es geht vom Restau­rant hinun­ter zur Weide mit den drei Pfer­den. «Passt auf, eines ist frech», warnt Alina. Und einen Stier gebe es hier auch noch irgend­wo. Hans­pe­ter Schl­äp­fer zeigt zum Wald­rand. «Ich bin dabei, all die alten Stachel­dräh­te auf der Alp zu entfer­nen und mit Elek­tro­zäu­nen zu erset­zen», sagt er. Früher seien Stachel­dräh­te auf den Alpen üblich gewe­sen, um die Nutz­tie­re zu schüt­zen. «Aber bei den Wild­tie­ren verur­sa­chen die Stachel­dräh­te schlim­me Verlet­zun­gen», sagt er. Die Arbeits­ta­ge von Hans­pe­ter Schl­äp­fer begin­nen um 6 Uhr morgens auf der Alp. Er füttert die Klein­tie­re, schaut nach den Tieren auf der Alp, mistet die Stäl­le und mäht oder holzt je nach Jahres­zeit. Auf die Frage, wo er Ausgleich finde, sagt er: «Ja, halt gleich hier draus­sen in der Natur. Da hole ich meine Kraft her.»

Stei­le Hänge und Handarbeit

  • Seit über 40 Jahren vermit­telt Caritas-Bergeinsatz Frei­wil­li­ge in der ganzen Schweiz an Bergbauernfamilien.
  • 2024 wurden 873 Frei­wil­li­ge im Alter zwischen 18 und 70 Jahren vermit­telt und 130 Berg­bau­ern­fa­mi­li­en erhiel­ten Unterstützung.
  • Die Höfe erhal­ten Unter­stüt­zung, wenn sie sich in einer Berg­zo­ne befin­den. An den stei­len Hängen kann nicht mit Maschi­nen gear­bei­tet werden und es ist Hand­ar­beit gefragt. Die Fami­lie muss sich in einer Ausnah­me­si­tua­ti­on befin­den wie Krank­heit, Unfall, Schwan­ger­schaft, Baupro­jek­te, Hofüber­nah­men, Unwet­ter oder die inten­si­ven Sommermonate.

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Text: Nina Rudnicki

Bilder: Urs Bucher

Veröf­fent­li­chung: 20. Juni 2025

Mit Kartenspiel den neuen Papst kennenlernen

Plötz­lich ist dieses Karten­spiel total aktu­ell: Vor etwa einem halben Jahr ­veröf­fent­lich­te die KAB Schweiz das «päpst­li­che» Karten­spiel «Leo XIII.» über das Enga­ge­ment für ­sozia­le ­Gerech­tig­keit, faire Löhne und siche­re Arbeits­be­din­gun­gen. Ähnlich wie das Spiel UNO soll es für Unter­hal­tung und Nerven­kit­zel sorgen. Es eignet sich nun perfekt, um das ­theo­lo­gi­sche Programm des neuen Paps­tes spie­le­risch kennenzulernen.

Mit dem neuen Papst rückt ein neues Programm in den Fokus, der Papst­na­me gibt bereits Hinwei­se: Der «Arbei­ter­papst» Leo XIII., an den der neue Papst Leo XIV. anknüpft, mach­te vor über 130 Jahren auf gesell­schaft­li­che Miss­stän­de während der Indus­tria­li­sie­rung aufmerk­sam. Mit seiner legen­dä­ren Arbeiter-Enzyklika «Rerum novarum» setz­te er sich für mehr Gerech­tig­keit zuguns­ten der Arbeit­neh­men­den ein. Eine Enzy­kli­ka, die heute aktu­el­ler denn je erscheint – bedenkt man etwa, wie Menschen um ihre Arbeits­plät­ze und ihre Exis­tenz fürch­ten müssen. Ganz zu schwei­gen von den Heraus­for­de­run­gen durch KI, stän­di­gen Kosten­teue­run­gen und von wirtschaft­lichen Konse­quen­zen des globa­len Kapi­ta­lis­mus, die immer mehr Menschen in die Armut treiben.

«Nie wieder Krieg!», sagte Papst Leo XIV. in einer seiner ersten Anspra­chen. Zugleich forder­te er Pres­se­frei­heit und die Frei­las­sung inhaf­tier­ter Jour­na­lis­tin­nen und Journalisten.

Die Welt retten

Wenn die Worte Ethik oder Moral in einer Diskus­si­on auf den Tisch kommen, wird es meist schwie­rig. Doch ganz ohne Ethik und Moral scheint es auch nicht zu gehen, denn Poli­tik, Menschen und Gesell­schaf­ten brau­chen zumin­dest gewis­se ethi­sche Richt­wer­te. Sonst geht die Welt schon im Ansatz zu Bruch. Im Karten­spiel «Leo XIII» gilt es, solche und ­ande­re Dilem­ma­ta mithil­fe der katho­li­schen Sozi­al­leh­re, die sich auf univer­sel­le Prin­zi­pi­en wie Mensch­lich­keit und Soli­da­ri­tät beruft, zu bekämp­fen. «Mit Leo XIII wollen wir die Spie­len­den für die Prin­zi­pi­en der katho­li­schen Sozial­lehre sowie die Tugen­den ethi­schen Handelns sensi­bi­li­sie­ren», erklärt Thomas Walli­mann, Sozial­ethiker am Insti­tut «Ethik22» in Zürich. Anläss­lich des 125-Jahr-Jubiläums der KAB Schweiz hat Walli­mann 2024 das Karten­spiel «Leo XIII» entwi­ckelt, gemein­sam mit profes­sio­nel­len Spiel­ent­wick­lern des kirch­li­chen Jugend­treffs «Gamers Point», Mitar­bei­ten­den der christ­li­chen Sozi­al­be­we­gung St. Gallen KAB SG sowie dem Insti­tut «Ethik22».

Mensch­lich­keit

«Das Spiel behan­delt zentra­le ethi­sche Fragen unse­rer Zeit», sagt Thomas Walli­mann. «Jede Karte regt zu einer Diskus­si­on über gesell­schaft­li­che Heraus­for­de­run­gen an.» Zu Beginn des Spiels werden Heraus­for­de­rungs­kar­ten ausge­legt, die globa­le Proble­me wie etwa fehlen­de Bildung oder den Zugang zu Trink­was­ser symbo­li­sie­ren. Diese Heraus­for­de­run­gen müssen mithil­fe der fünf Prin­zi­pi­en der katho­li­schen Sozial­lehre gelöst werden: Gerech­tig­keit, Hilfe zur Selbst­hil­fe, Ökolo­gie, Mensch­lich­keit und Soli­da­ri­tät. Die Prin­zi­pi­en sind auf farbi­gen Zahlenkar­ten darge­stellt. Im Spiel­ver­lauf legen die Spie­len­den Zahlenkar­ten ab, um die katho­li­sche Sozi­al­leh­re in die Diskus­si­on einzu­brin­gen. Höhe­re Zahlen reprä­sen­tie­ren stär­ke­re Argu­men­te. Ziel ist es, alle Karten abzu­le­gen und dabei möglichst weni­ge Straf­punk­te zu sammeln.

Wie geht eine gerech­te­re Welt?

«Es macht gros­sen Spass, sich mit den globa­len Heraus­for­de­run­gen zu beschäf­ti­gen und nach einer gerech­te­ren Welt zu stre­ben», sagt Thomas Walli­mann. «Leo XIII» ist ein Spiel für Fami­lie, für den Unter­richt und für die Jugend­ar­beit. Das Ziel des Spiels ist es, Menschen für die Prin­zi­pi­en der katho­li­schen Sozi­al­leh­re und die Tugen­den ethi­schen Handelns zu sensi­bi­li­sie­ren und sie damit vertraut zu machen. Auf unter­halt­sa­me Weise soll gezeigt werden, wie diese Prin­zi­pi­en zu einer gerech­te­ren Welt beitra­gen können.

Thomas Walli­mann leitet das Insti­tut ethik22 in Zürich.

Ein biss­chen wie UNO

«Leo XIII» erin­nert ein wenig an den Kartenspiel-Klassiker UNO. Dabei argu­men­tie­ren die Spie­len­den im Wett­kampf unter­ein­an­der mit Argu­men­ten der katho­li­schen Sozi­al­leh­re und versu­chen mit diesen, die dies­be­züg­lich drän­gen­den Proble­me dieser Welt zu lösen. Auch wenn die Soli­da­ri­tät und gemein­schaft­li­ches Handeln für das Gute im Zentrum stehen, versu­chen sich doch alle Spie­len­den als möglichst erfolg­rei­che Strei­ter für die katho­li­sche Sozi­al­leh­re darzu­stel­len, um den Platz auf dem Sieger­thron zu ergat­tern – nach dem Vorbild von Papst Leo XIII. im roten Gewand auf dem Papst­thron, welcher im Jahr 1891 die Grund­la­gen für die katho­li­sche Sozi­al­leh­re legte.

Das Spiel «LEO XIII» kostet pro Exem­plar 20 Fran­ken plus 8,50 Fran­ken Versand­kos­ten pro Bestel­lung und kann bei der KAB Schweiz geor­dert werden. Website KAB Schweiz

Text: Wolf­gang Holz, kath.ch / Stephan Sigg

Bilder: zVg./ DBK, ­Jessi­ca Krämer

Veröf­fent­licht: 15.05.2025

Spontane Gespräche mit dem Papst

Mittel­al­ter­li­che Flucht­we­ge, eine Touris­ten­at­trak­ti­on als Geheim­tipp und ruhi­ge Ecken, um über Demut und das Leben nach­zu­den­ken: Der Gossau­er Nico­la Damann gibt einen ­Einblick in seinen Alltag als Schwei­zer­gar­dist im Vati­kan und erzählt, welche Orte in Rom ihm am ­besten gefallen.

Manch­mal sind es kurze Begeg­nun­gen, die unser Leben für immer verän­dern. So gesche­hen bei Nico­la Damann. Der heute 24-Jährige war 2014 Teil­neh­mer an einer Minis­tran­ten­rei­se nach Rom. Dazu gehörten ein Besuch im Vati­kan und eine Führung in der Schwei­zer­gar­de. Dieses Erleb­nis präg­te Nico­la Damann nach­hal­tig. «Ich war sehr beein­druckt und seit­her hatte ich den Gedan­ken, Gardist zu werden.» Gesagt, getan. Nach einer KV-Lehre bei der Stadt­ver­wal­tung Gossau und einem Mandat im Gossau­er Stadt­par­la­ment pack­te Nico­la Damann seine Koffer und melde­te sich zum Dienst. «Gardis­ten zeich­nen sich durch viele gute Eigen­schaf­ten aus: Loya­li­tät, Tapfer­keit, Demut. Es ist eine gute Lebens­schu­le. Es sind alles Werte, die für mich privat und beruf­lich viel zählen. Ich bin sehr gerne Schweizergardist.»

In der Basi­li­ka San Barto­lo­meo all’Iso­la auf der Tiber­in­sel findet Nico­la Damann Ruhe und Zeit, um seine Gedan­ken schwei­fen zu lassen und über seine Zukunft nachzudenken.

Inten­si­ve, lehr­rei­che Monate

Nico­la Damann reis­te im Janu­ar 2024 nach Rom und durch­lief wie alle Gardis­ten eine viel­sei­ti­ge Ausbil­dung. Einen Monat davon verbrach­te er in Rom. Danach folg­ten vier Wochen im Ausbil­dungs­zen­trum der Spezi­al­kräf­te der Schwei­zer Armee in Isone im Tessin, die Kantons­po­li­zei bildet die Gardis­ten voll­um­fäng­lich aus. Der Abschluss und die Vorbe­rei­tun­gen für den Dienst fanden wieder­um in Rom statt. «Es war inten­siv, aber wir durf­ten sehr viel erle­ben und lernen.»

Auf der Isola Tibe­ri­na verbrin­gen Nico­la Damann und seine Kolle­gen gerne ihre Frei­zeit: «Es hat dort super Sitz­ge­le­gen­hei­ten und eine herzi­ge klei­ne Kirche.»

Karwo­che als erstes Highlight

Kurz nach dem Dienst­ein­tritt erleb­te Damann schon sein erstes High­light. «Die inten­si­ve Karwo­che und die Ostern mit dem Heili­gen Vater waren sehr eindrück­lich. Am Oster­sonn­tag besuch­ten zirka 50 000 Perso­nen die heili­ge Messe auf dem geschmück­ten Peters­platz und wir als Gardis­ten durf­ten auch dort Dienst leis­ten. Das ist schon spezi­ell und schön.» Im Mai 2024 schliess­lich wurde Damann mit 33 ande­ren Gardis­ten in einer Zere­mo­nie im Vati­kan verei­digt. Die Verei­di­gung war für Helle­bar­dier Damann ein prägen­des Erleb­nis. «Mit dem abge­leg­ten Schwur  bekennt man sich dazu, der Kirche, dem Papst und der Schwei­zer­gar­de aus inners­ter Über­zeu­gung zu dienen. Dies ist eine gros­se Ehre.» Die meis­te Zeit des Tages verbringt Nico­la Damann im Vati­kan. Noch heute staunt er manch­mal über die riesi­gen Menschen­mas­sen auf dem Peters­platz, die an Ostern jeweils ihren Höhe­punkt errei­chen. Täglich strö­men rund 10 000 Menschen in den Vati­kan. Im Hinblick auf die Warte­schlan­gen vor den Vati­ka­ni­schen Muse­en, der Sixti­ni­schen Kapel­le und dem Peters­dom gibt Nico­la Damann einen wich­ti­gen Tipp: «Vorgän­gi­ges Infor­mie­ren lohnt sich.» Für die Röme­rin­nen und Römer sind die zahl­rei­chen Besu­che­rin­nen und Besu­cher nicht immer einfach. «Teil­wei­se leidet die Stadt Rom und der Vati­kan unter den Touris­ten­mas­sen», so Nico­la Damann. Wenn die Gardis­ten während ihres Wach­diens­tes von Menschen für Fotos bedrängt und unge­fragt abge­lich­tet werden, ist das für sie Alltag. «In solchen Situa­tio­nen muss man ruhig und beherrscht reagieren.»

Tref­fen mit dem Papst

In seine Rolle als Gardist hat sich Nico­la Damann einge­lebt. Er wohnt mit den ande­ren Gardis­ten in einer Kaser­ne im Vati­kan. Die Schwei­zer­gar­de ist rund um die Uhr im Einsatz. Hat Nico­la Damann Morgen­dienst, ist er bereits vor fünf Uhr auf den Beinen. Nach dem Früh­stück poliert er Schwert und Gürtel­schnal­le, wech­selt den weis­sen Uniform­kra­gen und die weis­sen Manschet­ten und zieht seine Uniform an. Dann tritt er seinen Dienst an. Mit den ande­ren Gardis­ten, alles prak­ti­zie­ren­de Katho­li­ken, versteht sich Damann gut. «Wir haben alle diesel­be Einstel­lung und densel­ben Berufs­all­tag. Wir sind eine Fami­lie.» Und wie ist das Verhält­nis der Gardis­ten zum katho­li­schen Ober­haupt? «Wir tref­fen den Heili­gen Vater oft im Dienst. Er grüsst uns und nimmt sich oft Zeit für spon­ta­ne Gesprä­che.» Diese Nahbar­keit schätzt Nico­la Damann sehr.

Suche nach Ruhe

Meist sind die Gardis­ten für den ordent­li­chen Wach­dienst einge­teilt. Nico­la Damann macht seinen Dienst am liebs­ten im Apos­to­li­schen Palast, genau­er gesagt in der Sala Regia. «Der Raum ist reich an Kunst mit wunder­schö­nen Fres­ken und Geschich­te. Verbun­den mit der Stil­le, die dort meist herrscht, ist der Ort für mich unver­gleich­lich. Dort kann auch ich zur Ruhe kommen. Rom erschlägt einen manch­mal. Dazu tut Stil­le gut. Sie ist wich­tig, um den Glau­ben zu leben und sich Gedan­ken über die Zukunft zu machen.» Wenn er keinen Dienst hat, verbringt Nico­la Damann seine Zeit gerne in den Vati­ka­ni­schen Gärten, seinem persön­li­chen Rück­zugs­ort mitten in der hekti­schen Stadt. Ein Privi­leg, das nur die Mitar­bei­ten­den des Vati­kans haben. Aber Nico­la Damann beru­higt: «In Rom hat es zahl­rei­che, wunder­schö­ne Pärke. Wer Ruhe sucht, findet sie dort. Und es gibt über­all klei­ne Kapel­len, die wenig besucht sind. Es lohnt sich, die Augen offen zu halten.»

Beson­der­heit Engelsburg

Ange­spro­chen auf einen Tipp für Touris­tin­nen und Touris­ten nennt er mit der Engels­burg erstaun­li­cher­wei­se eine der meist­be­such­ten Touristenattraktionen. Nico­la Damann lacht und erklärt: «Vor der Burg sind immer zahl­rei­che Menschen, drin­nen aller­dings nicht, vor allem morgens. Und von der Dach­ter­ras­se aus hat man einen wunder­schö­nen Blick auf den Peters­dom.» Zur Engels­burg hat Nico­la Damann, wie wahr­schein­lich alle Gardis­ten, eine beson­de­re Bezie­hung: Der Apos­to­li­sche Palast im Vati­kan ist durch den soge­nann­ten Passet­to mit der 800 Meter entfern­ten Engels­burg verbun­den. «Während der Plün­de­rung Roms im Jahr 1527, Sacco di Roma genannt, nutz­te Papst Clemens VII. die Engels­burg als Zufluchts­ort. Die Schwei­zer­gar­de beschütz­te den Papst, 147 Gardis­ten kamen damals ums Leben», so Nico­la Damann. Die alljähr­li­che Verei­di­gung findet noch immer am Jahres­tag dieser Helden­tat statt, am 6. Mai.

Lebens­stil gefällt

Gerne geht Nico­la Damann auch mit seinen Kolle­gen zum Abend­essen in eines der typi­schen italie­ni­schen Restau­rants oder trinkt am Ufer des Tibers ein Glas Wein. «Auf der Isola Tibe­ri­na hat es wunder­ba­re Sitz­ge­le­gen­hei­ten. Da können wir gut verwei­len.» Nico­la Damann mag den italie­ni­schen Lebens­stil und das südlän­di­sche Flair. «Italie­ne­rin­nen und Italie­ner spre­chen viel. Sie haben eine sehr posi­ti­ve Lebens­ein­stel­lung und haben mehr Lebens­freu­de. Sie sind mit wenig zufrie­den. Und darum geht es doch im Leben», so Damann. Im Gespräch kommt er immer wieder auf die Demut zu spre­chen. Sagt Sätze wie: «Geld und Mate­ri­el­les ist nicht das Wich­tigs­te im Leben. Für mich ist beides nicht erstre­bens­wert.» Sein Sprich­wort, passend: Weni­ger ist manch­mal mehr. «Glau­be leben heisst auch, mit einfa­chen Dingen glück­lich sein.»

Dann und wann ein Gela­to oder ein Glas Wein: Nico­la Damann mag den Lebens­stil und die Menta­li­tät der Röme­rin­nen und Römer.

Persön­li­che Tipps von Nico­la Damann

Ristor­an­te «La Vittoria»

Nur weni­ge Gehmi­nu­ten vom Vati­kan entfernt befin­det sich an der Via delle Fornaci 15 im histo­ri­schen Zentrum Roms das Ristor­an­te «La Vitto­ria», eines der Lieb­lings­re­stau­rants von Nico­la Damann. Gerne gönnt er sich hier ein typi­sches italie­ni­sches Abend­essen unter Röme­rin­nen und Römern. «Das Tira­mi­su ist super­le­cker. Und es gibt ein spezi­el­les Garde-Menü und einen Garde-Limoncello.»

Villa Doria Pamphilj

Die Villa Doria Pamphilj (auch Doria Pamphili) ist eine gros­se Park­an­la­ge an der Via Aure­lia Anti­ca west­lich des histo­ri­schen Stadt­teils Tras­te­ve­re, rund 1,5 Kilo­me­ter vom Vati­kan entfernt. Sie wurde im 17. Jahr­hun­dert ange­legt und ist mit einer Fläche von rund 1,8 Quadrat­ki­lo­me­tern eine der gröss­ten Park­an­la­gen Roms. «Es ist ein wunder­schö­ner Park. Hier kann man auch gut ein wenig Sport trei­ben mitten in der Gross­stadt», so Nico­la Damann.

Isola Tibe­ri­na

Die Isola Tibe­ri­na (Tiber­in­sel) ist eine klei­ne Insel im Fluss Tiber. Sie ist etwa 270 Meter lang und bis zu 67 Meter breit. Die Insel wird seit dem späten 19. Jahr­hun­dert von der jüdi­schen Gemein­de Roms genutzt, die dort unter ande­rem ein Kran­ken­haus unter­hält und 1937 eine Synago­ge, den Tempio dei Giova­ni, einrich­te­te. Heute befin­den sich auf der Insel die Basi­li­ka San Barto­lo­meo all’Isola und ein vom Orden der Barm­her­zi­gen Brüder geführ­tes Kran­ken­haus (Ospe­da­le Fatebe­ne­f­ratel­li). «Es gibt eine herzi­ge klei­ne Kirche und in der Nähe gibt es super Sitz­ge­le­gen­hei­ten – ideal für Gesprä­che und Tref­fen mit Freun­den, oder um ein Buch zu lesen. Vor allem am Abend ist es sehr roman­tisch auf der Tiber­in­sel», sagt Nico­la Damann.

Text: Ales­sia Pagani

Bilder: Marti­na Caro­li, Rom

Veröf­fent­li­chung: 24.04.2025

«Hans ist heute mein bester Weber»

Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler aus Degers­heim führen im Klos­ter Magden­au ein ­eige­nes Webate­lier. Als sie mit 60 Jahren plötz­lich ohne Job daste­hen, erfül­len sie sich diesen lang­jäh­ri­gen Wunsch. Weben helfe einem gera­de auch in Krisen­si­tua­tio­nen, sagen sie.

Susan­ne Sutter-Wartenweiler öffnet eine der vielen Türen im Kreuz­gang des Klos­ters Magden­au. Schon steht sie mitten in ihrem Webate­lier, das sie zusam­men mit ihrem Mann Hans betreibt. Garn in allen Farben, Geschirr­tü­cher mit den Namen «Mond­licht», «Tulpen­feld» und «Geburts­tag, alle Freun­de sind gekom­men», selbst gemach­te Hemden, Schals und vieles mehr leuch­ten einem entge­gen. Der Blick fällt durch die Fens­ter in den Klos­ter­gar­ten. «­Jeden Monat gibt’s draus­sen im Garten ande­re Farben, die mich während des Webens inspi­rie­ren», sagt die 77-Jährige. Acht Webstüh­le, darun­ter moder­ne Model­le sowie über hundert­jäh­ri­ge histo­ri­sche Exem­pla­re, stehen in den drei Räumen des Webate­liers. Weben ist für Susan­ne Sutter-Wartenweiler etwas, das sich durch ihr ganzes Leben zieht und das Körper, Seele und Geist in Einklang bringt. Es ist eine Tätig­keit, die sie selbst in schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen geret­tet hat und mit der sie ande­ren durch Krisen hilft. Das Webate­lier in Magden­au besu­chen nebst hand­werk­lich inter­es­sier­ten Perso­nen etwa auch Menschen, die von einem Burn-out betrof­fen sind oder die eine Sucht­er­kran­kung haben. «Wenn man das Gefühl hat, nichts mehr in seinem Leben auf die Reihe zu brin­gen und dass nichts mehr klappt, kann es unge­mein helfen, wenn man auf einmal so etwas Schö­nes wie ein Stück Stoff selbst herstellt», sagt sie.

Weben am Treppengeländer

Susan­ne Sutter-Wartenweiler ist fünf Jahre alt, als ihre Mutter einen klei­nen Webstuhl geschenkt bekommt. «Es war mein gröss­ter Wunsch, diesen zu benut­zen, aber das erlaub­te mir meine Mutter nicht», sagt sie und erzählt, wie sie daher am Trep­pen­ge­län­der Schnü­re spann­te und an diesen webte. Später als junge Frau bringt sie sich das Weben selber bei, macht eine Ausbil­dung zur Sozi­al­päd­ago­gin und anschlies­send zur Logo­therapeutin. Ob in Alters­hei­men, Insti­tu­tio­nen für Menschen mit einer Behin­de­rung oder für Menschen mit einer Sucht­er­kran­kung: Stets merkt sie, dass das Weben eine beru­hi­gen­de ­Wirkung auf die jewei­li­gen Perso­nen hat und diese zufrie­den macht. «Durch meine eige­ne Geschich­te konn­te ich mich immer in Menschen ­hinein­ver­set­zen, die sich in heraus­for­dern­den ­Lebens­si­tua­tio­nen befan­den», sagt sie.

In eine solche Situa­ti­on gerät auch Susan­ne Sutter-­Wartenweiler unver­mit­telt nach der Geburt ihres drit­ten Kindes. Die Plazen­ta löst sich nicht und muss opera­tiv während einer Voll­nar­ko­se entfernt werden. Am Ende der Narko­se beginnt Susan­ne Sutter-Wartenweiler nicht, selbstständig zu atmen. Rund zwei­ein­halb Minu­ten dauert es, bis sie wieder mit Sauer­stoff versorgt ist. «In diesem Moment hatte ich eine Nahtod­erfah­rung. Ich schweb­te über mir und sah mich selbst. Dann erblick­te ich die Buch­sta­ben des Wortes «Jesus» in falscher Reihen­fol­ge vor mir und konn­te sie nicht ordnen. Und eine Stim­me frag­te mich stän­dig nach dem Sinn. Aber ich konn­te keinen Sinn sehen, in nichts», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler, die in Degers­heim in einer evangelisch-reformierten ­Fami­lie aufge­wach­sen ist und in deren Leben der Glau­be immer eine gros­se Rolle gespielt hat.

Den Sinn wiederfinden

Das Gefühl der Sinn­lo­sig­keit zieht sich durch die Wochen nach der Geburt und wird stär­ker. «­Wickeln, kochen, essen, putzen und das pausen­los», sagt sie. Eines Nachts steht sie auf dem Balkon und möch­te sich hinun­ter­stür­zen. «Da bat ich Gott um ein Zeichen, dass alles bald besser wird.» Am nächs­ten Morgen klin­gelt es. Vor der Haus­tü­re steht ein Mitglie­der der Heils­ar­mee. «Ich erzähl­te ihm alles, etwa wie schlecht es mir ging und dass ich den Sinn im Leben verlo­ren ­hätte», sagt sie. Der Mann habe sich aber kaum für ihre Geschich­te inter­es­siert. Er habe bloss gesagt, wenn es ihr so schlecht gehe, solle sie doch einfach mal ans Kreuz schau­en. Dort sei einer, der genau der Sinn­fra­ge wegen gestor­ben sei. «Danach ging es mir immer besser. Und nach 14 Tagen frag­te mich mein Mann, was nur passiert sei. Ich sei wie ausge­wech­selt. Der Grund dafür war, dass Gott mich klei­nen Menschen mit meiner Not tatsäch­lich gese­hen hatte.»

Ein gemein­sa­mes Projekt

Als beide 55 Jahre alt sind, bekom­men Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler die Leitung des Hotels Pensi­on Heime­li in Hemberg des Verban­des für christ­li­che Hotels in der Schweiz ange­bo­ten. «Wir haben das einfach gewagt, weil wir uns schon immer nach einem gemein­sa­men Projekt gesehnt haben», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler. Einer­seits sei es ein klas­si­sches Semi­nar­ho­tel gewe­sen. Ande­rer­seits ein Ort, an dem etwa Menschen mit einer Behin­de­rung gemein­sam die Feier­ta­ge über Weih­nach­ten und Ostern verbrin­gen konnten.

Mit 60 Jahren ohne Arbeit

Nach fünf Jahren, an Weih­nach­ten 2007, muss­ten Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler ihren Gästen mittei­len, dass das Hotel verkauft worden sei und in Kürze geschlos­sen werde. «Das war ein sehr schwe­rer Moment. Die Gäste, die teils seit Jahren dort hinka­men, waren betrof­fen und trau­rig. Und ich und mein Mann stan­den mit 60 Jahren ohne Arbeit da», sagt sie. «Ich fand dann, es sei viel­leicht einfach der passen­de Moment, einen Traum wahr werden zu lassen und ein eige­nes Webate­lier zu grün­den.» Dieses rich­ten sie zunächst in Degers­heim ein. Bald spricht sie eine Bekann­te darauf an, dass die Schwes­tern im Klos­ter Magden­au seit Langem nach jeman­dem suchen, der den histo­ri­schen Webstuhl flicken und betrei­ben kann, und ob sie das nicht tun wolle. «Ich woll­te nicht. Aber ich ging dann des Frie­dens willen im Klos­ter Magden­au vorbei», sagt sie.

Der Ort, die Räume und der Blick in den blühen­den Klos­ter­gar­ten: Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler sind sofort begeis­tert und ziehen 2017 mit ihrem Webate­lier ins Klos­ter. «Schwes­ter Rafae­la erzähl­te mir, dass sie acht Jahre lang ­gebe­tet habe, um jeman­den für den histo­ri­schen Webstuhl zu finden», sagt sie. Seit­her ist das Webate­lier jeden Mitt­woch oder nach Abspra­che auch an ande­ren Tagen für alle Inter­es­sier­ten geöff­net. Ein Halb­tag kostet 25 Fran­ken, hinzu kommen die Mate­ri­al­kos­ten wie etwa für Garn. Bevor die Teil­neh­men­den eintref­fen, rich­ten Susan­ne und Hans Sutter-Wartenweiler die Webstüh­le jeweils ein und ziehen die Fäden auf. «Ich liebe diese Vorbe­rei­tun­gen, denn alles muss perfekt sein», sagt sie.

Das Leben so nehmen

Ihren Mann Hans bezeich­net Susan­ne Sutter-Wartenweiler als ihren besten Weber. Auch an diesem Morgen sitzt er konzen­triert an einem Stück Stoff oder behebt tech­ni­sche Proble­me an den Webstüh­len. Einmal löst sich ein Gewicht an einem der Rahmen und muss wieder einge­hängt werden. Ein ande­res Mal hilft er einer Teil­neh­me­rin beim Umspan­nen. Diese erzählt, wie sie die Visi­ten­kar­te des Webate­liers zwei Jahre lang aufbe­wahrt habe, bis sie sich endlich die Mitt­woch­mor­gen fürs Weben habe frei­schaf­fen können. Am Nach­mit­tag hat sich zudem noch eine Ärztin aus München ange­kün­digt, die gleich an vier aufein­an­der­fol­gen­den Tagen in Magden­au weben möch­te. «Wir sind 77 Jahre alt. Unse­re Produk­te laufen im Klos­ter­la­den so gut, dass wir mit Weben kaum nach­kom­men», sagt Susan­ne Sutter-Wartenweiler. «Wir machen das, was uns glück­lich macht. Dafür muss man das Leben so nehmen, wie es kommt, und Vertrau­en haben», sagt sie und nennt zum Abschied einen gros­sen Wunsch: dass sich bald eine Nach­fol­ge fürs Webate­lier findet. «Denn das ist in der heuti­gen Zeit gar nicht so einfach.»

www.kloster-magdenau.ch/Magdenau-besuchen/Webatelier/

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. März 2025

Giftgrün, mit ­Linsen und viel Geschmack

Wie haben unse­re Gross­el­tern gekocht und wie tun wir das heute? Und wer hat über­haupt noch Zeit, stun­den­lang Toma­ten­sauce einzu­ko­chen? Ein Besuch bei Köchin und Ernäh­rungs­exper­tin Marti­na Enderlin in Bühler zeigt, wie wir auch mit knap­per Zeit, gesun­de Gerich­te zube­rei­ten können. Das geht mit weni­gen Zuta­ten und passt als Vorsatz in die Fastenzeit.

Schon im Trep­pen­haus riecht es fein nach Essen. Es geht die Stufen hinauf, vorbei an einem Blumen­la­den und einem Kosme­tik­stu­dio. Im Dach­stock des alten Gebäu­des an der Dorf­stras­se 108 mitten in Bühler hat Marti­na Enderlin ihr Küchen­stu­dio einge­rich­tet. Die gar gekoch­ten roten Linsen hat sie gera­de abge­tropft. In einer Brat­pfan­ne brut­zeln Poulet­strei­fen mit fein geschnit­te­nen Lauch­strei­fen. «Im Fokus stehen bei mir immer die Prote­ine, die wir anstel­le von Zucker und Weizen viel häufi­ger essen soll­ten», sagt die 38-Jährige. Sie ist ausge­bil­de­te Köchin, Ernäh­rungs­coach sowie Musi­ke­rin und Mitglied der Enderlin Chicks. Diese sind hier­zu­lan­de für ihre Mundart-Lieder und ihren Coun­try-Folk aus dem Appen­zel­ler­land bekannt.

In ihrem Studio «Küchen­freun­de» gibt sie norma­ler­wei­se Koch­kur­se rund um das Thema gesun­de Ernäh­rung sowie Coachings zu inne­ren Ess- und Verhal­tens­mus­tern. An diesem Vormit­tag hat sie für das Pfar­rei­fo­rum aller­dings ein Gericht entwor­fen. Dieses soll in die Fasten­zeit passen, so der Wunsch der Redak­ti­on. Denn wer nicht gleich rich­tig fasten möch­te, könn­te die kommen­den Wochen bis Ostern auch einmal zum Anlass nehmen, bewuss­ter zu kochen, sich auf weni­ger Zuta­ten zu beschrän­ken und sich dafür mehr auf die einzel­nen Geschmä­cker einzulassen.

Ernäh­rungs­lu­xus mit Donuts

Eine Prote­in­bowl soll es sein. Nebst Linsen, Poulet- und Lauch­strei­fen ergänzt Marti­na Enderlin diese mit Feta und gerös­te­ten Sonnenblumen- und Kürbis­ker­nen, etwas Öl, Essig, Salz und Pfef­fer. «Ich neige schon seit Länge­rem dazu, ausser mit frischen Kräu­tern nur wenig zu würzen. So schmeckt man die einzel­nen Zuta­ten eines Gerich­tes besser heraus», sagt sie und fügt an: «Weni­ger ist meis­tens mehr und eine gute Küche muss nicht unbe­dingt zeitaufwendig sein.» Gerös­te­te Kerne etwa könne man in grös­se­ren Mengen als Reser­ve vorbe­rei­ten. Eine Bowl lasse sich kalt oder warm servie­ren, so spare man je nach­dem Zeit ein und könne Spei­sen auch schon im Vorfeld zube­rei­ten. «Unser Alltag heute ist schnell­le­big. Kaum jemand hat Zeit, stun­den­lang Toma­ten­sauce einzu­ko­chen. Dieser häus­li­che Aspekt von Kochen ist verlo­ren gegan­gen», sagt sie. Hinzu komme, dass wir von einem Ernäh­rungs­lu­xus umge­ben seien. Wer in einen Super­markt gehe, finde dort ein so gros­ses Ange­bot an Nahrungs­mit­teln, dass der eigent­li­che Aspekt von Kochen und Essen, nämlich sich gesund und bewusst zu ernäh­ren, schnell in den Hinter­grund rücke. «Dabei gibt es eine einfa­che Faust­re­gel, die uns helfen würde: Alles, was schnell gemacht und weich ist, soll­ten wir weglas­sen», sagt sie und nennt als Beispiel die Donuts, die sich bereits am Morgen im Super­markt neben­an neben den Gipfeli im Regal stapeln würden.

Mit Stan­gen­sel­le­rie in den Tag

Apro­pos Gipfeli: Während die Bowl noch etwas abkühlt und zieht, schnappt sich Marti­na Enderlin den Stan­gen­sel­le­rie, einen Apfel und den Entsaf­ter. «Idea­ler­wei­se wäre ein Glas davon unser Gipfeli am Morgen», sagt sie. Schon spru­delt der gift­grü­ne, super­ge­sun­de Saft in den Auffang­be­häl­ter. In Wein­glä­sern serviert, erin­nert er beina­he an einen Cock­tail. Der Stan­gen­sel­le­rie­saft schmeckt gesund und gar nicht so schlecht wie erwar­tet. Im Gegen­teil: Mit jedem Schluck wird er besser und ist am Ende rich­tig gut. Einmal im Jahr zu fasten oder sich bewusst zu ernäh­ren, kann Marti­na Enderlin allen empfeh­len, weil es helfe, seine eige­nen Muster zu reflek­tie­ren. Sie selbst hat einmal an einer beglei­te­ten Fasten­wo­che mitge­macht. «Ich fand es eine inter­es­san­te und harte Erfah­rung zugleich», sagt sie und erwähnt zum einen das Körper­li­che wie das Gefühl fürs Kauen, das sie verlo­ren habe, sowie das gestei­ger­te Verlan­gen zu trin­ken. «Zum ande­ren wurde ich emotio­nal durch­läs­si­ger. Die Zeit, die ich sonst zum Essen brauch­te, muss­te ich auf einmal anders füllen», sagt sie.

Wie in Gross­mutters Küche

Das Thema gesun­de Ernäh­rung beglei­tet Marti­na Enderlin, seit sie als junge Frau eine Lehre als Köchin im Appen­zel­ler­hof in Spei­cher mach­te. «Ich war die Einzi­ge in meiner Klas­se, die in einem Biore­stau­rant arbei­te­te. Das ganze Jahr Lattich zube­rei­ten zu müssen, fand ich damals zwar nicht so cool. Ich habe dadurch aber viel Wert­vol­les gelernt, das mich geprägt hat.» Später arbei­te­te sie in einem Gault-Millau-Sternerestaurant, bevor sie sich zu einer Ausbil­dung als Coach entschloss. Heute biete sie verschie­dens­te Koch- und Gesund­heits­kur­se an, die vom Fermen­tie­ren über die Darm­ge­sund­heit und ganz­heit­li­che gesun­de Ernäh­rung bis zu Gross­mutters Küche reichen. In Bezug auf letz­te­ren Kurs sagt sie: «Würden wir uns so ernäh­ren wie unse­re Vorfah­ren, wären wir gesünder.»

Freu­de und Neugier teilen

Marti­na Enderlin füllt die Bowl in klei­ne Gläser um. Für alle gibt es eines zum Probie­ren. Aufs Hunger­ge­fühl achten und sich fragen, «wie, wie viel und warum esse ich» ist einer der Tipps, den sie ihren Kurs­be­su­che­rin­nen und Kurs­be­su­chern mit auf den Weg gibt. «Auch in der Gemein­schaft essen, kann dabei helfen», sagt sie: «Etwa dann, wenn man die Neugier und Freu­de am Auspro­bie­ren mitein­an­der teilt.»

Infos auf www.kuechenfreunde.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 20. Febru­ar 2025

Kirche erklären in 80 Sekunden

Brot teilen statt in einer Schla­ger­show zu tanzen: «Früher haben wir das Meer geteilt, heute verbin­den wir Welten», sagt Carme­la Bono­mi (25), Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, in einem neuen Info­film des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Video soll aufzei­gen, was Kirchen­steu­ern in der Ostschweiz ermög­li­chen. Im Inter­view sagt Carme­la Bono­mi, was sie am Video über­rascht hat und warum der Glau­be gera­de in ihrem Beruf wich­tig ist.

Came­la Bono­mi, Sie sind Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, wie reagiert man, wenn man die Anfra­ge bekommt, in einem Video über die Kirchen­steu­ern mitzuwirken?

Came­la Bono­mi: Wenn ich von kirch­li­chen Insti­tu­tio­nen ange­fragt werde, freue ich mich und bin auch immer gleich posi­tiv gestimmt. Das war auch bei dieser Anfra­ge des Kath. Konfes­si­ons­teils der Fall. Ich habe schon in mehre­ren kirch­li­chen Produk­tio­nen mitge­wirkt. Aber natür­lich schaue ich dann schon genau­er hin, worum es inhalt­lich geht und ob ich dahin­ter­ste­hen kann. Und gera­de bei kirch­li­chen und reli­giö­sen Themen ist es mir wich­tig, dass ich mich mit den Formu­lie­run­gen im Text, den ich spre­che, iden­ti­fi­zie­ren kann.

Ist ein Video über die Verwen­dung der Kirchen­steu­ern nicht ein viel zu theo­re­ti­sches Thema?

Ich habe gleich gemerkt, dass die Produktions­firma einen coolen Ansatz gewählt hat. Das hat mich persön­lich sofort ange­spro­chen. Zudem: Ich habe die Diskus­sio­nen auch schon in meinem priva­ten Umfeld erlebt: Warum braucht es die Kirchen­steu­ern? Wie werden sie einge­setzt? Oft wird auch vieles für selbst­ver­ständ­lich genom­men und man über­legt sich nicht, was fehlen würde, wenn es dieses oder jenes Ange­bot nicht mehr geben würde. Deshalb finde ich es sinn­voll, dass man versucht, mit einem Video Aufklä­rungs­ar­beit zu leisten.

Das Video ist seit eini­gen ­Wochen online. Wie gefällt ­Ihnen das Ergebnis?

Ich habe die Texte ja vor einer Greenscreen-Wand im Studio einge­spro­chen und konn­te mir deshalb kaum vorstel­len, wie das dann zusam­men­schnit­ten wurde. Es ist sehr dyna­misch gewor­den, es ist witzig, und obwohl es ein kurzes Video ist, kommen so viele Beispie­le vor, die Kirchen­steu­ern ermög­li­chen. Deshalb ist es aus meiner Sicht sehr gelungen.

Was ist Ihnen durch dieses ­Video neu über die Kirchen ­bewusst geworden?

Es ist erfreu­lich, dass im Video gleich zu Beginn die Bibel thema­ti­siert wird, sie ist die Grund­la­ge des christ­li­chen Glau­bens und der Kirchen. Alles geht auf sie zurück. Es werden verschie­de­ne Aufga­ben im sozia­len Bereich gezeigt, aber auch die Bedeu­tung der Kirchen­mu­sik, die nicht nur Kultur, sondern auch Gemein­schaft ermög­licht. Es wird auch erwähnt, dass die Kirche Orien­tie­rungs­hil­fe im Leben bieten kann. Auf mich hat auch die Stifts­bi­blio­thek gros­sen Eindruck gemacht, ein wich­ti­ges Kultur­gut und wohl eine Beson­der­heit in St. Gallen, auf die man stolz sein kann. Dass auch hier Kirchen­steu­ern invol­viert sind, war für mich neu. Mir ist aber noch ein ganz ande­rer Aspekt bewusst gewor­den, dem ich bisher nicht so viel Beach­tung geschenkt habe: Die Kirchen als Gebäu­de prägen unser Land, sie sind im ganzen Land sicht­bar. Sie stehen für unse­re Geschich­te und unse­re Kultur. Auch die Erhal­tung dieser Gebäu­de muss finan­ziert werden.

Gab es Beispie­le, die Sie vermissen?

Mir fällt nichts ein. Eines kann dieses Video natür­lich nicht leis­ten: Aus meiner Sicht ist unse­re Gesell­schaft zu sehr von einem Kosten-Nutzen-Denken geprägt. Das prägt auch die Ausein­an­der­set­zung mit den Kirchen­steu­ern. Oft hat man persön­lich viel­leicht keinen direk­ten Nutzen, aber man unter­stützt ja die Gemein­schaft, die ganze Gesellschaft.

Welchen Bezug haben Sie zu den Kirchen und zum christ­li­chen Glauben?

Der Glau­be hat schon immer eine Rolle in meinem Leben gespielt, ich bin in einer Frei­kir­che aufge­wach­sen. Das Vertrau­en auf Gott ist mein Funda­ment, er trägt mich durch das Leben und gib mir immer wieder Kraft. Mein Glau­be ist für mich auch ein Wegwei­ser, wie ich mit mir selbst und mit ande­ren umgehe.

Sie treten in Musik­shows im Fern­se­hen auf, spie­len in Spiel­fil­men und Seri­en mit. Was sind da die Reak­tio­nen auf eine Schau­spie­le­rin und Tänze­rin, die so selbst­be­wusst zu ihrem Glau­ben steht?

Wer im Show­busi­ness tätig ist, weiss, wie wich­tig das Vertrau­en ist. Man weiss oft nicht, wie es weiter­geht, was die Zukunft für einen bereit­hält. Ich persön­lich könn­te mir gar nicht vorstel­len, ohne meinen Glau­ben im Show­busi­ness zu bestehen. Du brauchst das Vertrau­en, dass alles gut kommt und dass sich immer wieder eine Tür öffnet. Du kannst oft nur abwar­ten, bis die Anfra­gen kommen. Wer seine Prin­zi­pi­en hat, der eckt manch­mal natür­lich auch an und hat es nicht immer leicht. Aber ich mache die Erfah­rung, dass die Akzep­tanz für gläu­bi­ge Menschen gewach­sen ist. Nur ein Beispiel: Mein Glau­ben schlägt sich auch nieder in der Art und Weise, wie ich mit ande­ren Menschen umge­he, das betrifft Liebes- und Sexsze­nen auf eine beson­de­re Weise. In den letz­ten Jahren hat das Bewusst­sein für mehr Sensi­bi­li­tät und einen acht­sa­me­ren, sorg­sa­me­ren Umgang mitein­an­der in diesem Bereich zuge­nom­men. Es wäre zu hoffen, dass im Show­busi­ness, aber auch in allen Berei­chen mehr der einzel­ne Mensch in den Fokus gerät.

Viele junge Menschen sehen das nicht so wie Sie: Sie werfen der Kirche vor, zu konser­va­tiv zu sein und nicht mit der Zeit zu gehen.

Der christ­li­che Glau­be  ist von vielen Tradi­tio­nen geprägt. Ich kann nach­voll­zie­hen, dass manche Gläu­bi­ge oder Verant­wort­li­che in der Kirche  Angst haben, dass diese Tradi­tio­nen verlo­ren gehen. Gleich­zei­tig braucht es die Weiter­ent­wick­lung. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, dass der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil mit seinem Video Mut bewies, neue Wege zu gehen. Dieses Projekt zeigt ja auch, dass die Kirche den Jungen etwas zutraut und sie ernst nimmt. Auch bei der Produk­ti­ons­fir­ma waren mehr­heit­lich junge Menschen dabei. Auf meine Ideen haben alle offen und inter­es­siert reagiert. Ich sehe das auch als ein Beispiel, dass es sich lohnt, Inno­va­ti­ves auszuprobieren.

Zum Video des Kath. Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen

Flori­an Silber­ei­sen, Kino, Model

Carme­la Bono­mi wirkt seit 2011 in unzäh­li­gen Shows, Filmen und Seri­en mit. Sie war Tänze­rin bei DJ Bobo und in den TV-Shows von Flori­an Silber­ei­sen, war mit mehre­ren Bühnen-Produktionen unter­wegs und jüngst in der ZDF-Serie «Der Palast» zu sehen. Für das katho­li­sche News­por­tal kath.ch mode­rier­te sie ein Video­for­mat für Jugend­li­che. Vor ihrer Karrie­re studier­te sie ein paar Semes­ter evangelisch-reformierte Theo­lo­gie. Carme­la Bono­mis Eltern sind beide katho­lisch aufge­wach­sen. Der Vater stammt aus Nord­ita­li­en, die Mutter aus Mada­gas­kar. Leider sei Mada­gas­kar so weit weg, dass sie ihre Verwand­ten viel zu selten sehe.

Inter­view: Stephan Sigg

Bilder: Kath. Konfessionsteil

Veröf­fent­li­chung: 23. Janu­ar 2025

In die Kirche wie Pippi Langstrumpf

Wild und chao­tisch sowie gast­freund­lich und gene­ra­tio­nen­über­grei­fend: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Das Pfar­rei­fo­rum hat sich auf dieses Erleb­nis einge­las­sen und ist der Frage nach­gegangen, was dieses neue Format bei Fami­li­en im ganzen Bistum St. Gallen so beliebt macht.

Die Finger der Kinder sind von oben bis unten mit Zucker­guss verschmiert. Die Klei­nen sitzen an einem Tisch im Domzen­trum in St. Gallen und bekle­ben ster­nen­för­mi­ge Kekse mit Smar­ties und Zucker­per­len. Aus einem Raum im Erdge­schoss ist ein Laubbläser zu hören. Mit diesem jagen eini­ge Buben Luft­bal­lo­ne um Verkehrs­hüt­chen herum. Und im Flur sitzen eini­ge Fami­li­en um ein Klavier herum und lernen mit einem Musi­ker Weih­nachts­lie­der. Rund 100 Perso­nen sind es, die an diesem Sonn­tag­vor­mit­tag zwischen den verschie­de­nen Posten von Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum hin- und herei­len. Das drei­stö­cki­ge Gebäu­de ist von Lachen und Rufen erfüllt und manche Passan­tin­nen und Passan­ten blei­ben auf dem Gallus­platz bei der Kathe­dra­le erstaunt stehen und schau­en zu dem Gebäu­de herüber. In einer Scha­le auf dem Boden vor dem Eingang zum Domzen­trum brennt ein Feuer, in dem eini­ge Kinder mit Draht umwi­ckel­te Karton­ster­ne verbren­nen. Übrig bleibt eine ster­nen­för­mi­ge Figur zum Aufhängen.

Tisch­fuss­ball und Papiersterne

Wo sollen wir anfan­gen? Meine zwei Buben und ich drücken uns erst einmal an der Haus­wand entlang. Seel­sor­ge­rin Anne-Dominique Wolfers, die zusam­men mit ihrer Kolle­gin Ramo­na Casa­no­va Kirche Kunter­bunt orga­ni­siert, hat uns vorge­warnt: «Kirche Kunter­bunt ist wild und chao­tisch und voller Leben.» Genau­so solle es sein, wie bei Pippi Lang­strumpf in der Villa Kunter­bunt eben. Und dann sind wir mitten­drin: Wir spie­len Tisch­fuss­ball am Tögge­li­kas­ten und basteln Papier­ster­ne. Und gerne schau­en wir den vielen ande­ren Kindern zu. Es gibt viele Babys und Klein­kin­der und noch mehr Kindergarten- und Primar­schul­kin­der. Es gibt Kinder, die wir schon vom Fuss­ball­ver­ein und vom Kinder­tur­nen kennen, und solche, denen wir regel­mäs­sig im Quar­tier begeg­nen. Und dann gibt es ganz viele Eltern, Tanten, Onkel und Gross­el­tern, die an diesem Tag bei Kirche Kunter­bunt mit dabei sind. Eine Mutter, die wir vom Kinder­tur­nen kennen, sagt: «Kirche Kunter­bunt ist einfach so herzig gemacht, dass ich regel­mäs­sig mit meinen Kindern hier­her­kom­me. Weil mein Mann dieses Wochen­en­de weg ist, habe ich meine Eltern als Verstär­kung mitgebracht.»

Von über­all her

Gene­ra­tio­nen­über­grei­fend, gast­freund­lich und krea­tiv: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Alle sind will­kom­men. Ziel des Forma­tes ist es, eine Gemein­schaft aufzu­bau­en, in welcher der Glau­be ohne Zwang auspro­biert und gelebt werden kann. Ramo­na Casa­no­va sagt: «Viele Fami­li­en haben bei der Taufe Berüh­rungs­punk­te mit der Kirche und dann erst wieder, wenn ihre Kinder den Reli­gi­ons­un­ter­richt in der Primar­schu­le besu­chen. Mit Kirche Kunter­bunt können wir diese Lücke schlies­sen.» Spezi­ell an Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum ist, dass die Fami­li­en nicht nur aus dem Quar­tier kommen, sondern auch von weiter her, wie beispiels­wei­se aus Heris­au oder Mörschwil. Und es sind eini­ge Fami­li­en der eritre­ischen Sprach­ge­mein­schaft mit dabei, die ihren Mittel­punkt in einer benach­bar­ten Pfar­rei hat.

Davon mit dem Jesuskind

Nach einein­halb Stun­den Aktiv­zeit der Kirche Kunter­bunt mit den verschie­de­nen Posten steht jetzt der nächs­te Programm­punkt an: die Feier­zeit. Wir drän­gen uns auf eine Fens­ter­bank in der Nähe des Klaviers im Saal im Erdge­schoss. Dieser füllt sich rasch. «Dieses Mal sind doppelt so viele Fami­li­en gekom­men, wie wir erwar­tet haben. Unser Küchen­team hat das wirk­lich gut gemeis­tert und spon­tan darauf reagiert», sagt Anne-Dominique Wolfers. Für Kirche Kunter­bunt muss man sich nicht anmel­den, sondern kann einfach spon­tan kommen. Das gemein­sa­me Essen ist ein weite­rer Höhe­punkt von Kirche Kunter­bunt. Es ist kosten­los und die Fami­li­en können sich an den Tischen kennen­ler­nen. Zuerst wird an der Feier aber gesun­gen, gehüpft, geklatscht und vieles mehr. Von unse­rem Fens­ter­platz aus  beob­ach­ten wir, wie während der Feier ein Bub stän­dig versucht, heim­lich das Jesus­kind in der Krip­pe aus dem Raum zu schie­ben, um es für sich allei­ne zu haben. «Jetzt schafft er es», sagt mein Sohn und lacht. Aber dann kommt schon seine Mutter dazu und hält ihn auf. Jede Fami­lie bekommt einen Papier­stern und alle dürfen auf diesen ihre Wünsche schrei­ben. Es soll etwas sein, das  man sich in den folgen­den Tagen auch erfül­len kann. «Gemein­sam am Abend basteln», steht auf unse­rem Stern. Zum Abschluss halten alle Fami­li­en­mit­glie­der eine Ecke ihres Sterns und geben ihrem Gegen­über ein Gebet mit auf den Weg. Für weni­ger Albträu­me in der Nacht bittet mein Jünge­rer für seinen älte­ren Bruder.

Schlaf­los vor Vorfreude

Beim Essen­ho­len wird es noch­mals chao­tisch. Wie schafft man es mit einem Drei- und einem Sechs­jäh­ri­gen vom Buffet zurück an den Platz, ohne dass die Nudeln auf dem Boden landen? Während die beiden später am Tisch darüber disku­tie­ren, ob ihnen die Butter­nu­deln nun schme­cken oder nicht, setzt sich ein weite­rer Kinder­gärt­ner mit seiner Mutter zu uns. Sie erzählt, dass sie regel­mäs­sig in die Kirche Kunter­bunt kommt und wie sehr sich ihr Bub jeweils darauf freut. «Heute ist er mitten in der Nacht um drei Uhr aufge­wacht und hat bis sechs Uhr Bücher ange­schaut, weil er vor Vorfreu­de nicht mehr schla­fen konn­te», sagt sie. Er lacht und nickt. Und bei den letz­ten Löffeln Dessert sehen seine Augen müde und zufrie­den aus.

Musik, Thea­ter und krea­ti­ve Verkün­di­gung: Kirche Kunter­bunt hat ihren Ursprung als «Messy Church» in England. Die Initia­ti­ve versteht sich als eine frische Ausdrucks­form von Kirche. Junge Fami­li­en können hier Gemein­de erle­ben, auch wenn sie bisher wenig Bezug zu Glau­ben und Kirche hatten. Kirche Kunter­bunt läuft stets gleich ab und findet regel­mäs­sig alle paar Wochen statt: Während der 30-minütigen Will­kom­mens­zeit tref­fen die Fami­li­en ein. Danach folgt die Aktiv­zeit mit verschie­de­nen Posten, gefolgt von der Feier­zeit mit Musik, Thea­ter und krea­ti­ver Verkün­di­gung. Den Abschluss bildet die Essens­zeit. Jede Kirche Kunter­bunt steht unter einem Thema oder einer bibli­schen Erzäh­lung. Im Bistum St. Gallen findet sie in den Pfar­rei­en oder Seel­sor­ge­ein­hei­ten Gäbris, Widnau/Balgach/Diepolsdau-Schmitter, Berneck/Au/Heerbrugg, Gais, Appen­zell, Rorschach, Buech­berg, Eich- und Blat­ten­berg, Gams, Gaster, Walen­see, Uznach, Ober­zwil und Nieder­uz­wil sowie in der Stadt St. Gallen im DomZen­trum und in der Pfar­rei Heilig­kreuz statt.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. Dezem­ber 2024

Wenn alle die Krippe bestaunen

Die Katho­li­kin Sarah Soos­ai­pil­lai aus Rorschach erzählt, wie sie als Kind in ihrer südin­di­schen Heimat Weih­nach­ten feier­te und welche Bräu­che sie bis heute beibe­hal­ten hat.

«Zu Weih­nach­ten in Südin­di­en gehört auf alle Fälle ein Kreuz aus frit­tier­tem Teig», sagt die Rorscha­ch­e­rin Sarah Soos­ai­pil­lai. Und schon steckt die 51-Jährige mitten in ihren Kind­heits­er­in­ne­run­gen an die Advents- und Weih­nachts­zeit. Schon eine Woche vor Heilig­abend ging es mit den Weih­nachts­vor­be­rei­tun­gen jeweils los. Als Erstes form­te ihre Gross­mutter das erwähn­te Kreuz aus frischem Teig und frit­tier­te dieses. «Dann folg­ten frit­tier­te Süssig­kei­ten und herz­haf­te Spei­sen wie Kall­al, Ladoo und Muru­ku», sagt sie. Sarah Soos­ai­pil­lai lebt seit über 20 Jahren in der Ostschweiz. Sie ist Katho­li­kin. In Indi­en gehö­ren 2,3 Prozent aller Menschen dem Chris­ten­tum an. Das frit­tier­te Teig­kreuz ist auch hier Teil jedes Weih­nachts­fests mit ihrem Mann und ihren zwei Töch­tern. «Meine Gross­mutter brach das Kreuz nach der Mitter­nachts­mes­se in klei­ne Stücke und jedes Fami­li­en­mit­glied bekam eines davon», sagt sie.

Als Chor von Tür zu Tür

Die Tage vor Weih­nach­ten sind für Sarah Soos­ai­pil­lai die Zeit, in der man sich auf die Geburt von Jesus vorbe­rei­tet. Es ist ein Ereig­nis, das Hoff­nung auf Frie­den verspricht. «Diese Vorfreu­de teilt man in Indi­en mit der Gemein­schaft und der Nach­bar­schaft», sagt sie und nennt als Beispiel «Carol Singing». Dabei gehen Chöre von Tür zu Tür der katho­li­schen Fami­li­en, um Spen­den für einen guten Zweck zu sammeln. Die Fami­li­en bedan­ken sich mit klei­nen Geschen­ken oder Süssig­kei­ten. «Süsses oder Gebäck schenk­ten wir auch unse­ren hindu­is­ti­schen Nach­barn in meiner Heimat­stadt Erode im Bundes­staat Tamil Nadu. Im Gegen­zug beka­men wir von ihnen etwas, wenn sie das Lich­ter­fest Diwa­li feier­ten.» Auch Krip­pen spie­len in Sarah Soos­ai­pil­lais Weih­nachts­er­in­ne­run­gen eine wich­ti­ge Rolle. Sie lacht und erzählt, wie die Fami­li­en in ihrer Nach­bar­schaft in den Tagen vor Weih­nach­ten wirk­lich gros­se Krip­pen zu Hause aufbau­ten. Nach Weih­nach­ten besuch­te der Seel­sor­ger jeweils alle Fami­li­en und zeich­ne­te die drei schöns­ten Krip­pen aus. «Danach kamen alle Nach­barn vorbei, um die Krip­pen anzuschauen.»

Gewür­ze für den Advent

Gera­de im Advent vermisst Sarah Soos­ai­pil­lai vieles aus ihrer Heimat, etwa die Gewür­ze und Gerü­che. Während des Dezem­bers verkauft sie daher an ihrem Stand auf dem Markt­platz in Rorschach sams­tags nebst Mittags­me­nüs auch Gewürz­mi­schun­gen, deren Zube­rei­tung sie von ihrer Mutter und Gross­mutter gelernt hat. In die Schweiz kam Sarah Soos­ai­pil­lai wegen ihres Mannes, der ursprüng­lich aus Sr. Lanka stammt. Hier arbei­tet sie aktu­ell als Betreue­rin in der Tages­be­treu­ung Rorschach. Zudem enga­gier­te sie sich im Pfar­rei­rat sowie im Eltern­rat an der Primar­schu­le ihrer Töch­ter, orga­ni­sier­te frei­wil­li­ge Turn­stun­den für Kinder und gab Koch­kur­se für Erwach­se­ne. Seit sechs Jahren führt sie den Cate­ring­dienst und den Take-away-Imbiss «Sarahs Indi­an Kitchen».

Karten als Christbaumschmuck

Nach Indi­en ist Sarah Soos­ai­pil­lai über die Weih­nachts­ta­ge mit ihrer Fami­lie noch nie gereist. «Die Feri­en sind zu kurz für so eine lange Reise», sagt sie. Dafür besucht sie mit ihrer Fami­lie jeweils die Mitter­nachts­mes­se in der katho­li­schen Kirche in Rorschach. «Die Mitter­nachts­mes­se gehör­te auch in Indi­en zum Heilig­abend. Der Unter­schied ist aber, dass sie in Indi­en wirk­lich um Mitter­nacht und nicht schon um 22 Uhr, wie vieler­orts hier, gefei­ert wird», sagt sie. Eine Krip­pe gehört für Sarah Soos­ai­pil­lai heute noch zu Weih­nach­ten dazu sowie Gebe­te vor der Krip­pe. «Und wir haben natür­lich einen Weih­nachts­baum mit der übli­chen Deko­ra­ti­on», sagt sie und fügt an: «Das fand ich früher fast schö­ner: Meine Mutter und Gross­mutter schmück­ten den Weih­nachts­baum jeweils mit Post­kar­ten, die uns Verwand­te und Freun­de in der Advents­zeit geschickt hatten. Das war defi­ni­tiv eine ande­re Zeit.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. Novem­ber 2024

Den Erinnerungen ihren Platz geben

Ein Lieb­lings­es­sen oder eine Zufalls­be­geg­nung, die einen an jemand Verstor­be­nen denken lassen: Solche Erin­ne­run­gen finden sich über­all im Alltag. Die St. Galler Seel­sor­ge­rin Pris­ka ­Filli­ger Koller sagt, wie Ritua­le dabei helfen können, sich bewuss­ter zu erin­nern, und wieso Aller­hei­li­gen heute wich­ti­ger ist denn je.

Pris­ka Filli­ger Koller, wie ­wich­tig ist es für Sie, sich an Verstor­be­ne zu erinnern?

Für mich ist das sehr wich­tig. Meine Mutter starb vor 19 Jahren. Davor war sie bereits viele Jahre an Krebs erkrankt. Auf einer Kommo­de in meinem Zuhau­se stell­te ich ein Foto von ihr auf, dane­ben legte ich eini­ge Stei­ne aus ihrer Samm­lung und stell­te eine Kerze auf. Über die Jahre kamen weite­re Fotos von Verstor­be­nen dazu. Morgens und abends zünde ich die Kerze an und trete mit meiner Mutter in einen inne­ren Dialog. Ich wünsche ihr zum Beispiel einen guten Tag.

Tod und Vergäng­lich­keit sind dadurch in Ihrem Zuhau­se sehr präsent.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die ich seit meiner Kind­heit kenne. Ich bin in Nidwal­den aufge­wach­sen. Dort verteil­te man an Ange­hö­ri­ge und Bekann­te die soge­nann­ten Helge­li als Erin­ne­rung. Das sind Fotos der Verstor­be­nen mit den Lebens­da­ten und einem Gedan­ken. Genau­so wich­tig ist es mir, zusam­men mit meinem Vater in Nidwal­den das Grab meiner Mutter und meiner Gross­el­tern zu bepflan­zen und mich so vor Ort an diese Perso­nen erin­nern zu können.

Was macht das mit Ihnen, sich an einem bestimm­ten Ort an Verstor­be­ne zu erinnern?

Dadurch wird mir bewusst, dass ich Teil von etwas Ganzem bin. Reise ich beispiels­wei­se ans ­Fami­li­en­grab, ist es immer auch eine Reise zurück in meine Kind­heit. Ich bin einge­bun­den in eine Fami­li­en­ge­schich­te und das spüre ich in solchen Momen­ten deut­lich. Es gibt aber auch eine spon­ta­ne Form des Erin­nerns, die ich als Erin­ne­rungs­blit­ze bezeich­ne. Kürz­lich fuhr ich Zug. Als dieser an einem Bahn­hof anhielt, sah ich auf dem Perron einen Mann stehen, der mich an einen verstor­be­nen Seel­sor­ger erin­ner­te, den ich sehr schätz­te und mit dem ich zusam­men­ge­ar­bei­tet hatte. In diesem Moment wurde ich einer­seits trau­rig und ande­rer­seits fühl­te ich eine Dank­bar­keit und inne­re Verbun­den­heit mit ihm.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die Pris­ka Filli­ger Koller seit ihrer Kind­heit kennt.

Es gibt also Ritua­le, durch die wir uns bewusst erin­nern können, sowie alltäg­li­che Ereig­nis­se, die uns spon­tan erin­nern lassen?

Ja, so unter­tei­le ich es. Ein Ritu­al kann etwa ein Besuch am Grab sein oder Aller­hei­li­gen selbst, an dem wir der Verstor­be­nen geden­ken. In meiner Pfar­rei St. Fiden schrei­ben wir während eines Jahres beispiels­wei­se die Namen aller in diesem Jahr Verstor­be­nen auf weis­se Stei­ne und legen sie auf einen Seiten­al­tar. An der Gedenk­fei­er an Aller­hei­li­gen können die Ange­hö­ri­gen die Stei­ne zusam­men mit einer Kerze und einer Rose auf der Trep­pe vor dem Altar plat­zie­ren und diese nach der Feier mit nach Hause nehmen. Ritua­le mit Stil­le, Gebet und Kerzen können Steig­bü­gel für eine Erin­ne­rungs­kul­tur sein.

Und was sind alltäg­li­che Ereignisse?

Zu den alltäg­li­chen Ereig­nis­sen zähle ich zum Beispiel ein Essen, das jemand kocht, im Wissen, dass dies das Lieb­lings­ge­richt einer verstor­be­nen Person war. Auch der Besuch eines Plat­zes oder Ortes, den die Verstor­be­nen beson­ders lieb­ten, lässt Erin­ne­run­gen entste­hen. Genau­so kann uns ein Duft an jeman­den denken lassen oder ein Hobby, das man mit dieser Person geteilt hat. Flicke ich etwa ein Klei­dungs­stück, lässt mich das immer an meine Mutter erin­nern und daran, wie wir als Kinder unter dem Tisch mit einem Kinder­last­wa­gen die Faden­res­te ihrer Nähar­beit aufsammelten.

In der Pfar­rei St. Fiden, in der Pris­ka Filli­ger Koller arbei­tet, werden die Namen aller in einem Jahr verstor­be­nen Perso­nen auf weis­se Stei­ne geschrie­ben und auf einen Seiten­al­tar gelegt.

Wie haben sich die kirch­li­chen Ange­bo­te rund um Aller­hei­li­gen verändert?

Sie sind viel­fäl­ti­ger und indi­vi­du­el­ler gewor­den. Es gibt heute ganz­jäh­rig vieler­orts Trau­er­ca­fés. Um Aller­hei­li­gen herum ist in der Schutz­en­gel­ka­pel­le in St. Gallen ein Trau­er­raum einge­rich­tet. In diesem können sich Ange­hö­ri­ge an verschie­de­nen Statio­nen mit der persön­li­chen Trau­er ausein­an­der­set­zen. Auch sind Seel­sor­gen­de an Aller­hei­li­gen auf den beiden St. Galler Fried­hö­fen Ost und Feld­li präsent. Wer möch­te, bekommt von ihnen eine Anlei­tung, wie man selbst ein Grab segnen kann. Weih­was­ser und Kerze gibt es dazu. Ich selbst werde gemein­sam mit dem St. Galler Männer­chor eine Gedenk­fei­er auf dem Ostfried­hof gestal­ten. Das sind nur eini­ge Beispie­le. In den verschie­de­nen Pfar­rei­en gibt es zahl­rei­che weite­re Angebote.

Ist Aller­hei­li­gen als Feier­tag heute noch zeitgemäss?

Ich bin sehr froh darüber, dass Aller­hei­li­gen bei uns ein Feier­tag ist. Um uns erin­nern zu können, brau­chen wir Ruhe. Aller­hei­li­gen ist ein ganzer frei­er Tag, den wir gestal­ten können und der uns Zeit fürs Inne­hal­ten, Erin­nern und Trau­ern lässt. Durch gemein­sa­me Gedenk­fei­ern erfah­ren wir beispiels­wei­se, dass Trau­ern etwas Urmensch­li­ches ist. An Aller­hei­li­gen können wir uns auch bewusst machen, dass Ster­ben und der Tod zum Leben dazu­ge­hö­ren. Tod, Abschied­neh­men und Erin­nern sind zudem immer etwas, das Platz in der Gesell­schaft und in einer Gemein­schaft haben soll­te. Entschei­det sich etwa jemand für eine Trau­er­fei­er nur im engs­ten Fami­li­en­kreis, nimmt er ande­ren Menschen die Möglich­keit, sich in Gemein­schaft verab­schie­den zu können.

Erin­ne­run­gen aufschrei­ben oder viel­leicht ein Foto­al­bum anle­gen: Wie könn­ten wir Erin­ne­run­gen besser bewahren?

Da gibt es viele Möglich­kei­ten. Ich persön­lich habe mir vorge­nom­men, biogra­fi­sche Erin­ne­rungs­ar­beit mit meinem 85-jährigen Vater zu machen. Ich besu­che ihn alle 14 Tage. Oft erzählt er dann von früher, etwa davon, wie er als einfa­cher Bauern­sohn aufge­wach­sen ist und wie es war, in einem Haus mit mehre­ren Gene­ra­tio­nen zu leben. Diese Gesprä­che möch­te ich aufneh­men und ihm bei jedem Besuch eini­ge Fragen mitbrin­gen. Seine Erzäh­lun­gen von früher berüh­ren mich und auch meine Kinder. Ich finde es span­nend und es entspricht meinem Geschichts­be­wusst­sein, dass wir einge­bun­den sind in etwas Ganzes mit Menschen, die vor uns gelebt haben und die auch nach uns leben werden. Dank dem ritua­li­sier­ten und alltäg­li­chen Erin­nern lerne ich zudem, mich mit meiner eige­nen Endlich­keit ausein­an­der­zu­set­zen, nicht nur an Allerheiligen.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontou­lis, zVg

Veröf­fent­li­chung: 23. Okto­ber 2024

Ein ­Lagerfeuer auf dem Olma-Wagen

Von der Anfra­ge bis zur Olma waren es nur ein paar Mona­te, die Zeit dräng­te: «Trotz­dem stand für mich sofort fest: Die Chan­ce, am Olma-Umzug teil­zu­neh­men, darf sich Jubla nicht entge­hen lassen», sagt Andrea Zünd (29) aus Widnau, OK-Präsidentin Jubla am Olma-Umzug und Mitglied der Jung­wacht Blauring-Kantonsleitung. Wider­stän­de und diver­se Heraus­for­de­run­gen bewäl­tig­te sie mit einer gros­sen Porti­on ­«Jubla-Grundvertrauen».

In den ersten Tagen nach dem «Go» für das Projekt Jubla am Olma-Umzug lief bei Andrea Zünd das Tele­fon heiss. «Ich war sofort voller Taten­drang», sagt sie und lacht. «Eine Woche lang habe ich alle mögli­chen Leute kontak­tiert und sie moti­viert, beim Projekt mitzu­ma­chen.» Zu diesem Zeit­punkt waren noch viele Fragen offen: Lassen sich genü­gend Frei­wil­li­ge finden, die mitma­chen? Was genau kommt auf sie zu? Wie sieht der Wagen aus – und wo findet man so einen? Gehol­fen habe ihr dabei ihr Grund­ver­trau­en. «Ich bin seit zwan­zig Jahren bei der Jubla. In Grup­pen­stun­den und Lagern kann es immer wieder einmal passie­ren, dass etwas nicht so läuft wie geplant. Man lernt zu impro­vi­sie­ren und weiss, dass es schliess­lich mit ein biss­chen Einsatz immer doch gut kommt. Die Jubla ist die beste Lebens­schu­le.» Schon nach der ersten OK-Sitzung habe sich die anfäng­li­che Nervo­si­tät beru­higt. In den letz­ten Mona­ten sei ihr eines neu bewusst gewor­den: «Auf das Netz­werk, das man in der Jubla knüpft, kannst du dich verlas­sen.» Sie sagt: «Die Jubla schweisst so viele verschie­de­ne Menschen mit viel­fäl­ti­gem Know-how zusam­men. Wenn man etwas braucht oder sucht, reichen oft ein paar WhatsApp-Nachrichten oder Anru­fe und man landet bei einer Person, die weiter­hel­fen kann. Das war zum Beispiel auch so bei der Heraus­for­de­rung, einen Wagen zu orga­ni­sie­ren – und das möglichst kosten­los. Das Jubla-Motto ‹Lebens­freu­de und Lebens­freun­de› hält, was es verspricht.»

Ein beson­de­rer Schar-Nachmittag: Die Jung­wacht Heilig­kreuz bemalt die Wagen­rä­der für den Olma-Umzug.

Olma-Wagen bauen

Nebst der Suche nach einem Wagen muss­ten sich die zwölf OK-Mitglieder diesen Sommer eini­gen weite­ren Heraus­for­de­run­gen stel­len – und das alles in ihrer Frei­zeit. «Am Anfang wurde in unse­rem Gremi­um schon der eine oder ande­re Zwei­fel laut: Schaf­fen wir das in dieser kurzen Zeit? Bringt das was?» Finan­zi­el­le Fragen muss­ten geklärt und auch mit den Verant­wort­li­chen des Olma-Umzugs verhan­delt werden. «Zunächst hiess es, dass nur 25 Perso­nen auf dem Wagen mitfah­ren dürfen. Aber in der Ostschweiz gibt es so viele Jubla-Kinder und ‑Jugend­li­che. Eigent­lich hätten es alle verdient, mitzu­fah­ren.» Man habe sich schliess­lich auf einen Kompro­miss von 35 Teil­neh­men­den geei­nigt. Ausge­wählt wurden für diesen promi­nen­ten Auftritt die Blauring- und Jungwacht-Scharen St. Gallen-Heiligkreuz. In Sachen Wagen wurde das OK in Andwil-Arn­egg fündig: Die dorti­ge Jung­wacht gestal­tet jeweils einen Fasnachts­wa­gen und hat auch eini­ge Umzugs­er­fah­rung. Ein paar Mona­te später ist das Projekt auf Kurs: Mehre­re Jungwacht- und Blauring-Scharen sind beim Bau des Wagens, dem Bema­len der Radde­ckel und dem Basteln der Deko­ra­ti­on beteiligt.

… und drin­nen basteln die Jung­wächt­ler die Deko­ra­ti­on für den Wagen.

Lager­stim­mung vermitteln

Die Jubla bringt Lager­stim­mung an den Olma-Umzug: Auf ihrem Wagen wird ein echtes Lager­feu­er bren­nen. Zudem werden Jubla-Lieder zu hören sein. Das wird bei vielen Umzugs­be­su­che­rin­nen und ‑besu­chern eige­ne Lage­r­erin­ne­run­gen wach­ru­fen. «Hoffent­lich macht es aber auch bei vielen Eltern und Kindern, die selbst noch nicht teil­ge­nom­men haben, Lust auf Jubla-Lager», so Andrea Zünd. Die Jubla wird mit ihrem Umzugs­wa­gen auch das aktu­el­le schweiz­wei­te Jubla-Jahresthema «Öko? Logisch!» sicht­bar machen. «Das Thema Ökolo­gie und Nach­hal­tig­keit ist in der Jubla schon lange ein wich­ti­ges Anlie­gen. Wir achten zum Beispiel darauf, bei Grup­pen­stun­den möglichst wenig Mate­ria­li­en einzu­set­zen, und viele Grup­pen­an­läs­se finden sowie­so draus­sen in der Natur statt.»

«Wir machen sicht­bar, wie wich­tig und wert­voll die Kinder- und Jugend­ar­beit in der Kirche ist und dass unglaub­lich viel Frei­wil­li­gen­ar­beit geleis­tet wird.»

Andrea Zünd

Wich­ti­ger Teil der Kirche

«Uf Bsuech dihei» lautet das dies­jäh­ri­ge Olma-Motto – für einmal ist St. Gallen selbst der Gast­kan­ton. Über 50 Grup­pie­run­gen mit rund 1300 Mitglie­dern aus allen Regio­nen des Kantons werden am 12. Okto­ber am Umzug durch die St.Galler Altstadt mitwir­ken. Der Kanton St.Gallen hat dafür verschie­de­ne Orga­ni­sa­tio­nen und Insti­tu­tio­nen ange­fragt, die für den Kanton St. Gallen stehen, darun­ter auch die evangelisch-reformierte Kirche des Kantons St.Gallen und die katho­li­sche Kirche. Die Wahl der katho­li­schen Kirche fiel auf die Jubla: «Die Jubla ist ein wich­ti­ger Teil der Kirche», betont Andrea Zünd. «Wir machen sicht­bar, wie wich­tig und wert­voll die Kinder- und Jugend­ar­beit in der Kirche ist und dass unglaub­lich viel Frei­wil­li­gen­ar­beit geleis­tet wird. In den Jubla-Scharen werden christ­li­che Werte wie Nächs­ten­lie­be, Respekt und Verant­wor­tung gegen­über der Schöp­fung gelebt und das alles sehr konkret und lebens­nah.» Deshalb war sich das OK schnell einig, das Thema Nach­hal­tig­keit auch beim Olma-Wagen in den Fokus zu rücken.

Frei­wil­li­ges Engagement

Nur ein paar weni­ge Fragen sind noch offen. «Wir wollen an die Zuschaue­rin­nen und Zuschau­er beim Umzug etwas vertei­len», sagt Andrea Zünd. Sie hätten mehre­re Ideen, aber die defi­ni­ti­ve Entschei­dung ist noch nicht gefal­len. «Momen­tan sind wir noch in der Abklä­rung, wie gross unser Budget und die Beiträ­ge vom katho­li­schen Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen und der Stif­tung der Jubla sind. Zudem soll­ten die Give-aways umwelt­freund­lich sein – also plas­tik­frei.» Das Projekt Jubla am Olma-Umzug wird vor allem durch frei­wil­li­ges Enga­ge­ment der Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen reali­siert – und das nebst dem übli­chen Jubla-Jahresprogramm, das mit vielen Anläs­sen in den Scha­ren vor Ort und über­re­gio­nal gefüllt ist.

Andrea Zünd fühlt sich bestä­tigt: In der Jubla findet man tatsäch­lich Freund*innen fürs Leben.

Als Erwach­se­ne ein Kind sein

Andrea Zünd sieht in der Teil­nah­me am Olma-Umzug die Chan­ce, die Jubla bekann­ter zu machen: «Wir sind die gröss­te Kinder- und Jugend­be­we­gung in der Ostschweiz. Trotz­dem klickt es nicht gleich bei allen, wenn man sie mit dem Begriff Jubla konfron­tiert.» Oft höre man dann: Ah, ihr seid wie die Pfadi? Andrea Zünd hofft, dass es in Zukunft heisst: «Ah klar, Jung­wacht Blau­ring – kenn ich natür­lich!» Sie ist sich sicher, dass auch für die mitwir­ken­den Kinder und Jugend­li­chen die Teil­nah­me am Umzug eine prägen­de Erfah­rung sein wird. «Für einmal selbst beim Umzug mitfah­ren zu können, das ist ein Erleb­nis, an das man sich ein Leben lang erin­nert.» Andrea Zünd war 2003 zum ersten Mal mit dem Blau­ring Altstät­ten in einem Lager, seit 2010 ist sie Leite­rin. Inzwi­schen wohnt sie in Widnau und ist studier­te Sozi­al­päd­ago­gin. «Die Jubla-Erfahrungen haben sicher­lich meine Berufs­wahl mitbe­ein­flusst.» Bis heute ist sie ein begeis­ter­tes «Blauring-Kind». «Wo sonst als bei der Jubla kannst du auch als Erwach­se­ne noch­mals Kind sein?»

Das Jubla-Moto «Lebensfreu(n)de» passt auch perfekt zur Olma.

Jubla in der ­Ostschweiz boomt

Trotz oder gera­de wegen der Digi­ta­li­sie­rung: Die Ange­bo­te der Jubla stos­sen in der Ostschweiz auf gros­se Nach­fra­ge. Vergleicht man die Mitglie­der­zahl von 2014 mit den aktu­el­len von 2024, so ist sie von 4445 Kindern und Leitungs­per­so­nen auf 4637 gewach­sen – und der Zuwachs hält auch in diesem Jahr an. Hinzu kommen noch um die 110 Enga­gier­te in Regio­nal­lei­tun­gen, Kantons­lei­tung sowie Coaches und Kurs­lei­ten­de. Den Höchst­stand in den vergan­ge­nen zehn Jahren verzeich­ne­te die Jubla Ost im Jahr 2020 mit 4953 Leiten­den und Kindern.

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontou­lis / Clau­dio Bäggli

Veröf­fent­li­chung: 23.09.2024

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