In die Kirche wie Pippi Langstrumpf

Wild und chao­tisch sowie gast­freund­lich und gene­ra­tio­nen­über­grei­fend: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Das Pfar­rei­fo­rum hat sich auf dieses Erleb­nis einge­las­sen und ist der Frage nach­gegangen, was dieses neue Format bei Fami­li­en im ganzen Bistum St. Gallen so beliebt macht.

Die Finger der Kinder sind von oben bis unten mit Zucker­guss verschmiert. Die Klei­nen sitzen an einem Tisch im Domzen­trum in St. Gallen und bekle­ben ster­nen­för­mi­ge Kekse mit Smar­ties und Zucker­per­len. Aus einem Raum im Erdge­schoss ist ein Laubbläser zu hören. Mit diesem jagen eini­ge Buben Luft­bal­lo­ne um Verkehrs­hüt­chen herum. Und im Flur sitzen eini­ge Fami­li­en um ein Klavier herum und lernen mit einem Musi­ker Weih­nachts­lie­der. Rund 100 Perso­nen sind es, die an diesem Sonn­tag­vor­mit­tag zwischen den verschie­de­nen Posten von Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum hin- und herei­len. Das drei­stö­cki­ge Gebäu­de ist von Lachen und Rufen erfüllt und manche Passan­tin­nen und Passan­ten blei­ben auf dem Gallus­platz bei der Kathe­dra­le erstaunt stehen und schau­en zu dem Gebäu­de herüber. In einer Scha­le auf dem Boden vor dem Eingang zum Domzen­trum brennt ein Feuer, in dem eini­ge Kinder mit Draht umwi­ckel­te Karton­ster­ne verbren­nen. Übrig bleibt eine ster­nen­för­mi­ge Figur zum Aufhängen.

Tisch­fuss­ball und Papiersterne

Wo sollen wir anfan­gen? Meine zwei Buben und ich drücken uns erst einmal an der Haus­wand entlang. Seel­sor­ge­rin Anne-Dominique Wolfers, die zusam­men mit ihrer Kolle­gin Ramo­na Casa­no­va Kirche Kunter­bunt orga­ni­siert, hat uns vorge­warnt: «Kirche Kunter­bunt ist wild und chao­tisch und voller Leben.» Genau­so solle es sein, wie bei Pippi Lang­strumpf in der Villa Kunter­bunt eben. Und dann sind wir mitten­drin: Wir spie­len Tisch­fuss­ball am Tögge­li­kas­ten und basteln Papier­ster­ne. Und gerne schau­en wir den vielen ande­ren Kindern zu. Es gibt viele Babys und Klein­kin­der und noch mehr Kindergarten- und Primar­schul­kin­der. Es gibt Kinder, die wir schon vom Fuss­ball­ver­ein und vom Kinder­tur­nen kennen, und solche, denen wir regel­mäs­sig im Quar­tier begeg­nen. Und dann gibt es ganz viele Eltern, Tanten, Onkel und Gross­el­tern, die an diesem Tag bei Kirche Kunter­bunt mit dabei sind. Eine Mutter, die wir vom Kinder­tur­nen kennen, sagt: «Kirche Kunter­bunt ist einfach so herzig gemacht, dass ich regel­mäs­sig mit meinen Kindern hier­her­kom­me. Weil mein Mann dieses Wochen­en­de weg ist, habe ich meine Eltern als Verstär­kung mitgebracht.»

Von über­all her

Gene­ra­tio­nen­über­grei­fend, gast­freund­lich und krea­tiv: So soll Kirche Kunter­bunt sein. Alle sind will­kom­men. Ziel des Forma­tes ist es, eine Gemein­schaft aufzu­bau­en, in welcher der Glau­be ohne Zwang auspro­biert und gelebt werden kann. Ramo­na Casa­no­va sagt: «Viele Fami­li­en haben bei der Taufe Berüh­rungs­punk­te mit der Kirche und dann erst wieder, wenn ihre Kinder den Reli­gi­ons­un­ter­richt in der Primar­schu­le besu­chen. Mit Kirche Kunter­bunt können wir diese Lücke schlies­sen.» Spezi­ell an Kirche Kunter­bunt im Domzen­trum ist, dass die Fami­li­en nicht nur aus dem Quar­tier kommen, sondern auch von weiter her, wie beispiels­wei­se aus Heris­au oder Mörschwil. Und es sind eini­ge Fami­li­en der eritre­ischen Sprach­ge­mein­schaft mit dabei, die ihren Mittel­punkt in einer benach­bar­ten Pfar­rei hat.

Davon mit dem Jesuskind

Nach einein­halb Stun­den Aktiv­zeit der Kirche Kunter­bunt mit den verschie­de­nen Posten steht jetzt der nächs­te Programm­punkt an: die Feier­zeit. Wir drän­gen uns auf eine Fens­ter­bank in der Nähe des Klaviers im Saal im Erdge­schoss. Dieser füllt sich rasch. «Dieses Mal sind doppelt so viele Fami­li­en gekom­men, wie wir erwar­tet haben. Unser Küchen­team hat das wirk­lich gut gemeis­tert und spon­tan darauf reagiert», sagt Anne-Dominique Wolfers. Für Kirche Kunter­bunt muss man sich nicht anmel­den, sondern kann einfach spon­tan kommen. Das gemein­sa­me Essen ist ein weite­rer Höhe­punkt von Kirche Kunter­bunt. Es ist kosten­los und die Fami­li­en können sich an den Tischen kennen­ler­nen. Zuerst wird an der Feier aber gesun­gen, gehüpft, geklatscht und vieles mehr. Von unse­rem Fens­ter­platz aus  beob­ach­ten wir, wie während der Feier ein Bub stän­dig versucht, heim­lich das Jesus­kind in der Krip­pe aus dem Raum zu schie­ben, um es für sich allei­ne zu haben. «Jetzt schafft er es», sagt mein Sohn und lacht. Aber dann kommt schon seine Mutter dazu und hält ihn auf. Jede Fami­lie bekommt einen Papier­stern und alle dürfen auf diesen ihre Wünsche schrei­ben. Es soll etwas sein, das  man sich in den folgen­den Tagen auch erfül­len kann. «Gemein­sam am Abend basteln», steht auf unse­rem Stern. Zum Abschluss halten alle Fami­li­en­mit­glie­der eine Ecke ihres Sterns und geben ihrem Gegen­über ein Gebet mit auf den Weg. Für weni­ger Albträu­me in der Nacht bittet mein Jünge­rer für seinen älte­ren Bruder.

Schlaf­los vor Vorfreude

Beim Essen­ho­len wird es noch­mals chao­tisch. Wie schafft man es mit einem Drei- und einem Sechs­jäh­ri­gen vom Buffet zurück an den Platz, ohne dass die Nudeln auf dem Boden landen? Während die beiden später am Tisch darüber disku­tie­ren, ob ihnen die Butter­nu­deln nun schme­cken oder nicht, setzt sich ein weite­rer Kinder­gärt­ner mit seiner Mutter zu uns. Sie erzählt, dass sie regel­mäs­sig in die Kirche Kunter­bunt kommt und wie sehr sich ihr Bub jeweils darauf freut. «Heute ist er mitten in der Nacht um drei Uhr aufge­wacht und hat bis sechs Uhr Bücher ange­schaut, weil er vor Vorfreu­de nicht mehr schla­fen konn­te», sagt sie. Er lacht und nickt. Und bei den letz­ten Löffeln Dessert sehen seine Augen müde und zufrie­den aus.

Musik, Thea­ter und krea­ti­ve Verkün­di­gung: Kirche Kunter­bunt hat ihren Ursprung als «Messy Church» in England. Die Initia­ti­ve versteht sich als eine frische Ausdrucks­form von Kirche. Junge Fami­li­en können hier Gemein­de erle­ben, auch wenn sie bisher wenig Bezug zu Glau­ben und Kirche hatten. Kirche Kunter­bunt läuft stets gleich ab und findet regel­mäs­sig alle paar Wochen statt: Während der 30-minütigen Will­kom­mens­zeit tref­fen die Fami­li­en ein. Danach folgt die Aktiv­zeit mit verschie­de­nen Posten, gefolgt von der Feier­zeit mit Musik, Thea­ter und krea­ti­ver Verkün­di­gung. Den Abschluss bildet die Essens­zeit. Jede Kirche Kunter­bunt steht unter einem Thema oder einer bibli­schen Erzäh­lung. Im Bistum St. Gallen findet sie in den Pfar­rei­en oder Seel­sor­ge­ein­hei­ten Gäbris, Widnau/Balgach/Diepolsdau-Schmitter, Berneck/Au/Heerbrugg, Gais, Appen­zell, Rorschach, Buech­berg, Eich- und Blat­ten­berg, Gams, Gaster, Walen­see, Uznach, Ober­zwil und Nieder­uz­wil sowie in der Stadt St. Gallen im DomZen­trum und in der Pfar­rei Heilig­kreuz statt.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 24. Dezem­ber 2024

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