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Podcast Fadegrad

Leserfrage: Warum machen die Kirchen jetzt auch einen Podcast?

Das Hörver­hal­ten hat sich in den letz­ten Jahren massiv ­geän­dert: Menschen hören vermehrt «on demand», also ­digi­tal, mobil und zeit­un­ab­hän­gig. Sie stel­len sich ihr ­eige­nes Radio­pro­gramm zum Beispiel via Spoti­fy zusam­men – für den Weg ins Büro, beim Bügeln oder Joggen.

Weil Kirche da sein will, wo Menschen sind, hat sich der Verein Ökume­ni­sche Medi­en­ar­beit im Bistum St. Gallen dazu entschie­den, einen Podcast zu produ­zie­ren – anstatt wie bisher einen klas­si­schen einein­halb­mi­nü­ti­gen ­Radio­bei­trag am Sonntagmorgen.

Persön­li­che Gespräche

Eine «fadegrad»-Podcastfolge dauert rund eine halbe Stun­de und kann jeder­zeit über die Website www.fadegrad-podcast.ch sowie über die Audio­platt­for­men Spoti­fy oder Apple Podcasts gehört werden. Mein Anspruch als Gast­ge­be­rin des Podcasts ist es, Themen diffe­ren­ziert zu behan­deln und Gesprä­che mit Tief­gang zu führen – was umso wich­ti­ger ist, je gespal­te­ner eine Gesell­schaft ist und je mehr Fake News und verkürz­te Botschaf­ten Schlag­zei­len machen. «Fade­grad» kennt keine Tabus und fragt unver­blümt nach, warum Menschen tun, was sie tun und wie sie gewor­den sind, wer sie sind. Wir wollen wissen, warum Menschen Sexarbeiter:innen werden, wie sie mit dem eige­nen Ster­ben umge­hen oder wie sie nach dem Suizid eines Ange­hö­ri­gen weiter­le­ben. Die rund 4700 Hörer:innen im ersten Jahr konn­ten bei den teils sehr persön­li­chen Gesprä­chen «mitlau­schen» und sich so inspi­rie­ren lassen.

Wo Kirche drinsteckt

Die Ökume­ni­sche Medi­en­ar­beit macht den Podcast auch um zu zeigen, «wo Kirche drin­steckt», wo man es viel­leicht nicht erwar­tet. Denn Kirche beglei­tet Menschen in unter­schied­li­chen Lebens­la­gen: beispiels­wei­se im Hospiz, in der Paar­be­ra­tung oder in der Abschie­be­haft. Es gibt viele gross­ar­ti­ge Kirchen-Podcasts da draus­sen. Meine persön­li­chen Favo­ri­ten aus dem deutsch­spra­chi­gen Raum sind «Ausge­glaubt», «Unter Pfar­rers­töch­tern» sowie «Secta». «Fade­grad» ist übri­gens mehr als nur ein Podcast: Auf Insta­gram @fadegrad_podcast erschei­nen Stories, Reels und Umfra­gen zum jewei­li­gen Wochen­thema. Mehr als die Hälf­te unse­rer Follower:innen sind zwischen 18 und 35 Jahren alt, ­wöchent­lich sehen mehr als 2000 Perso­nen die Instagram-Beiträge. Neu gibt es uns auch auf YouTube. «Warum muss die Kirche jetzt auch noch Vide­os machen?» fragen Sie sich viel­leicht jetzt. Das ist aber ein Thema für eine ande­re Leserfrage …

Ines Scha­ber­ger, Gast­ge­be­rin und Produ­zen­tin des fadegrad-Podcasts

Website Podcast Fadegrad

Weltjugendtag in St.Gallen: Junge Gläubige feiern

Julia Pfis­ter (25), Sozi­al­päd­ago­gin aus Kalt­brunn, und Valen­tin Kölbe­ner (27), Student an der Uni St. Gallen, haben momen­tan in ihrer Frei­zeit viel zu tun: Sie sind Teil des OKs des Welt­jugendtags, der Ende April bis zu 800 Jugend­li­che in die Gallus­stadt locken soll.

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Wenn die Geburt des Kindes geheim bleiben soll

In Schwei­zer Spitä­lern finden jähr­lich etwa 20 Gebur­ten in einem vertrau­li­chen Rahmen statt. Meis­tens sind die werden­den Mütter dermas­sen in Not, dass ihr Umfeld nichts von der Schwan­ger­schaft erfah­ren darf. Noch ist die vertrau­li­che Geburt aber wenig bekannt.

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Rabbiner Tovia Ben Chorin

Rabbi­ner Tovia Ben Chorin, Rabbi­ner der Jüdi­schen Gemein­de St.Gallen, ist im Alter von 86 Jahren verstor­ben. Er hat den inter­re­li­giö­sen Dialog in der Ostschweiz geprägt, war geschätzt für sein gros­ses Wissen und seinen Humor. 

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«Ich spüre viel Solidarität»

Für tausen­de Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne muss innert kurzer Zeit Unter­stüt­zung
orga­ni­siert werden. Phil­ipp Holder­eg­ger, Geschäfts­lei­ter der Cari­tas St.Gallen-Appenzell,
erklärt, wie man diesen Menschen helfen kann. In abseh­ba­rer Zeit werde es etwa viele
Frei­wil­li­ge brau­chen, die den Geflüch­te­ten bei der Inte­gra­ti­on in den Alltag helfen.

Bild: zVg./ Caritas.ch

Täglich kommen hunder­te aus der Ukrai­ne geflüch­te­te Perso­nen in der Schweiz an. Was bedeu­tet das für die Cari­tas St.Gallen-Appenzell?

Phil­ipp Holder­eg­ger: Wir, die Hilfs­wer­ke auf dem Platz St. Gallen, sind sieben Tage die Woche mit fünf Perso­nen im Asyl­zen­trum Altstät­ten im Einsatz. Wir haben dort ein Büro bezo­gen und helfen, für die geflüch­te­ten Perso­nen passen­de Gast­fa­mi­li­en zu finden. Viele der Geflüch­te­ten kommen direkt vom Bahn­hof oder per Car von der Empfangs­stel­le am Zürcher Haupt­bahn­hof bei uns an. Sie sind per Bahn einge­reist und durch die direk­ten Zugver­bin­dun­gen in Zürich gelan­det. Von dort aus werden sie dann in die weni­ger ausge­las­te­ten Zentren wie eben in Altstät­ten gefahren.


Was brau­chen die geflüch­te­ten Personen?

Holder­eg­ger: Nebst der Klärung des Schutz­sta­tus S steht schnell die Wohn­si­tua­ti­on im Vorder­grund, zum Beispiel durch die Vermitt­lung in Gast­fa­mi­li­en. Die Geflüch­te­ten sollen dort zur Ruhe kommen können, sich sicher fühlen, und beispiels­wei­se erst einmal wieder zwei, drei Näch­te durch­schla­fen, um dann in eine Tages­struk­tur zurück­zu­fin­den. Dann gibt es auch Perso­nen, für die eine Gast­fa­mi­lie nicht in Frage kommt, wie etwa allein reisen­de Kinder. Für sie stehen fach­lich betreu­te Plät­ze bereit.

Auch viele Pfar­rei­en orga­ni­sie­ren Hilfs­an­ge­bo­te. Wie läuft dabei die Zusam­men­ar­beit mit der Caritas?

Holder­eg­ger: Es gibt Pfar­rei­en, die derzeit ihre Pfarr­hei­me bereit­stel­len respek­ti­ve für die Unter­brin­gun­gen geflüch­te­ter Perso­nen vorbe­rei­ten. Verei­ne, die dort ihren Treff­punkt haben, ziehen vorüber­ge­hend aus. So kann Platz für Schlaf­räu­me und sani­tä­re Anla­gen geschaf­fen werden. Wert­voll ist das vor allem, wenn Platz für grös­se­re Grup­pen von 40 Perso­nen benö­tigt wird. Wir sind über­zeugt, dass die Kirchen zu einem späte­ren Zeit­punkt eine wich­ti­ge Rolle über­neh­men können. Sei es als beglei­te­te Treff­punk­te, wo gemein­sam
gekocht wird in den Pfar­rei­zen­tren, als Bera­tungs­or­te oder Raum, wo Frei­zeit gestal­tet wird.

Wie kann man als Privat­per­son am besten helfen?

Holder­eg­ger: Wer genü­gend Platz bei sich hat und ein Zimmer oder eine Wohnung anbie­ten möch­te, kann sich auf www.fluechtlingshilfe.ch als Gast­fa­mi­lie regis­trie­ren. Abge­se­hen davon helfen Geld­spen­den am meis­ten. Die können wir an die Cari­tas in Polen und Bulga­ri­en über­wei­sen und ermög­li­chen diesen so, hand­lungs­fä­hig zu sein. Wir werden in abseh­ba­rer Zeit auch Frei­wil­li­ge brau­chen, die die Geflüch­te­ten bei der Inte­gra­ti­on in den Alltag unter­stüt­zen. Perso­nen, die helfen möch­ten, rate ich daher, Augen und Ohren offen zu halten. Wir werden die Aufru­fe zur Unter­stüt­zung bei Bedarf publi­zie­ren. Nicht hilf­reich sind hinge­gen Sachspenden.

Worauf berei­tet sich die Cari­tas derzeit vor? Was sind die nächs­ten Heraus­for­de­run­gen und Aufga­ben?
Holder­eg­ger: Ein nächs­ter Schritt wird sein, die Situa­ti­on zuhau­se bei den Gast­fa­mi­li­en zu über­prü­fen und zu beglei­ten. Eine Gast­fa­mi­lie verpflich­tet sich für mindes­tens drei Mona­te. Die geflüch­te­ten Perso­nen werden derzeit rasch plat­ziert, sodass die Nach­be­treu­ung von Gast­fa­mi­li­en und Geflüch­te­ten in einem zwei­ten Schritt umso wich­ti­ger sein wird. Diese Nach­be­treu­ung durch Fach­per­so­nen orga­ni­sie­ren die Kanto­ne. Wir werden seitens der Cari­tas für diese Aufga­be unse­re Unter­stüt­zung anbieten.

Welche Eindrü­cke nehmen Sie persön­lich aus den vergan­ge­nen Tagen mit?

Holder­eg­ger: Mich beein­druckt die Soli­da­ri­tät. Um die Aufga­be im Asyl­zen­trum Altstät­ten über­neh­men zu können, müssen wir Ange­bo­te wie einzel­ne Firm­grup­pen­be­glei­tun­gen um eini­ge Mona­te verschie­ben. Für die Jugend­li­chen und jungen Erwach­se­nen ist das selbst­ver­ständ­lich. Dann moti­vie­ren mich jene Geschich­ten, die trotz der aktu­el­len Situa­ti­on Hoff­nung mit sich brin­gen. Da ist etwa eine Fami­lie, die nebst ihrer Mutter­spra­che nur Italie­nisch spricht. Für sie konn­te ein Platz in einem Tessi­ner Dorf gefun­den werden. Noch bevor die Fami­lie in Altstät­ten abreis­te, war das Kind nach einem Tele­fon­ge­spräch mit der Schul­lei­te­rin prak­tisch schon einge­schult. Handeln zu können und den Betrof­fe­nen in alltäg­li­chen Dingen zu helfen, empfin­de ich in der aktu­el­len Situa­ti­on als abso­lu­tes Privileg

Phil­ipp Holder­eg­ger
Geschäfts­lei­ter Cari­tas St.Gallen-Appenzell

Pius Süess

Bodensee-Friedensweg für die Ukraine und das Klima

Am Oster­mon­tag setzen Menschen aus der Schweiz, Deutsch­land und Öster­reich beim ­Inter­na­tio­na­len Bodensee-Friedensweg ein Zeichen: «Für Frie­den, die Schöpfungs­verantwortung, aber auch für die Gemeinwohl-Ökonomie», sagt Pius Süess aus Wolf­hal­den AR, der dieses Jahr zum ersten Mal die Schweiz im OK vertritt.

Der Krieg in der Ukrai­ne macht auch Pius Süess betrof­fen. «So etwas löst Ohnmachts­ge­füh­le aus», sagt er beim Spazier­gang zum Frie­dens­tisch in Wolf­hal­den AR. Seit über vier­zig Jahren enga­giert sich der pensio­nier­te Reli­gi­ons­leh­rer in der Frie­dens­be­we­gung. Stellt man ange­sichts der momen­ta­nen Ereig­nis­se dieses Enga­ge­ment nicht komplett in Frage? Pius Süess schüt­telt den Kopf: «Selbst­ver­ständ­lich drängt sich die Frage auf: Was kann ich schon bewir­ken? Gera­de heute beim Früh­stück haben meine Frau und ich uns darüber unter­hal­ten», erzählt er. Doch sie beide seien nach wie vor über­zeugt: «Wenn jeder einen klei­nen Beitrag leis­tet, kann etwas Gros­ses entste­hen. Auch wenn ich mich in meiner Fami­lie oder in meinem Umfeld für Frie­den einset­ze, leis­te ich Friedensarbeit.»

Pius Süess, pensio­nier­ter Reli­gi­ons­leh­rer, ist seit vielen Jahr­zehn­ten in der Frie­dens­ar­beit engagiert.

Gemein­sam etwas erreichen

Am Anfang von seinem Enga­ge­ment für Frie­den und Versöh­nung stand eine eige­ne Gewalt­er­fah­rung: In den 80er-Jahren verbrach­te Pius Süess ein paar Jahre mit seiner Frau und seinen klei­nen Kindern in der Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit in Kolum­bi­en. Dort erleb­te er haut­nah mit, wie sich Krieg und Gewalt lang­fris­tig auf Land und Gesell­schaft auswir­ken. «Diese Zeit hat mich geprägt und moti­viert, mich in verschie­de­nen Projek­ten und Initia­ti­ven einzu­set­zen.» Im Appen­zel­ler­land war Pius Süess unter ande­rem Mitin­iti­ant der Frie­dens­sta­tio­nen, einem Wander­weg von Walzen­hau­sen nach Heiden, heute präsi­diert er dessen Träger­ver­ein. Kraft fand er immer wieder bei seinen Teil­nah­men an Kund­ge­bun­gen für Frie­den und Gerech­tig­keit. «Ähnli­che Erfah­run­gen schil­dern mir Menschen, die in den letz­ten Tagen an Frie­dens­de­mons­tra­tio­nen waren, man spürt: Ich bin nicht allein, wir können gemein­sam etwas erreichen.»

Folgen des Klimawandels

Beim Inter­na­tio­na­len Bodensee-Friedensweg stand in den letz­ten Jahren die Klima-Verantwortung im Fokus. Das soll auch in diesem Jahr so sein. «Wir werden auf den Krieg in der Ukrai­ne Bezug nehmen», erklärt Pius Süess, «aber gleich­zei­tig ist es uns wich­tig, das Ganze im Blick zu haben.» Zum Einsatz für den Frie­den gehö­ren nicht nur das Aufste­hen gegen Waffen und Gewalt. «Wir dürfen auch die Klima­ka­ta­stro­phe nicht verges­sen.» Auch der Klima­wan­del sei ein Krieg, der Leid und Unge­rech­tig­kei­ten auslö­se: «Die Dürre nimmt in vielen Regio­nen der Welt zu, immer mehr Menschen sind von Hunger­ka­ta­stro­phen betroffen.»

Kirch­li­che Friedensarbeit

Der Bodensee-Friedensweg ist eine nicht­kon­fes­sio­nel­le Bewe­gung, doch im Vorstand enga­gie­ren sich zahl­rei­che Menschen mit kirch­li­chem Hinter­grund. «Das Enga­ge­ment für den Frie­den ist in vielen Pfar­rei­en und Kirch­ge­mein­den verwur­zelt – schon lange vor dem Ukraine-Krieg», weiss Pius Süess, «Die Kirchen rund um den Boden­see leis­ten einen wich­ti­gen Beitrag für eine fried­li­che und gerech­te Welt.» Manche mögen gegen­wär­tig zwei­feln, ob das Frie­dens­en­ga­ge­ment etwas bewirkt, doch der Zeit­punkt des Bodensee-Friedenswegs hat eine klare Botschaft: Der Frie­dens­weg findet am Oster­mon­tag statt – und ist damit auch Ausdruck der christ­li­chen Oster-Hoffnung: Das Leid und der Tod haben nicht das letz­te Wort, es siegt das Leben.

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Bodensee-Friedensweg in Bregenz

Am 18. April spre­chen Vertre­te­rin­nen und Vertre­ter der Fridays for Future-Bewegung und der Gemeinwohl-Ökonomie. Haupt­red­ne­rin ist Lea Suter, die nach dem Germanistik- und Russis­tik­stu­di­um ihren Master in inter­kul­tu­rel­len Trans­fer­stu­di­en in Frei­burg (D) und in Moskau mach­te. Sie ist heute Präsi­den­tin des «Forums für Frie­dens­kul­tur» und Geschäfts­lei­te­rin der Gesell­schaft Schweiz-UNO. Über hundert Orga­ni­sa­tio­nen und Grup­pen aus der Friedens- und Umwelt­ar­beit und dem kirch­li­chen Umfeld sind mitbe­tei­ligt. Der Weg star­tet um 14 Uhr am Korn­markt Bregenz.

→ www.bodensee-friedensweg.org

21. März 2022

«Gott, schau hin»

Wie mit den Schre­ckens­mel­dun­gen aus der Ukrai­ne umge­hen? Was tun? Und wie beten? Der Kapu­zi­ner Niklaus Kuster aus dem Klos­ter Rappers­wil SG über die Wirkung von klei­nen Zeichen, Gebets­hil­fen und die Kraft der Gemeinschaft.

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Ukrainische Ikone in der Kathedrale

In der Kathe­dra­le St. Gallen ist seit Ausbruch des Krie­ges von Russ­land gegen die Ukrai­ne eine Christus-Ikone des Ukrai­ni­schen Künst­lers Oleg Pona aufgestellt. 

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Susan Boos

«Präventive Strafen dürfen nicht sein»

«Auge um Auge – Die Gren­zen des präven­ti­ven Stra­fens» heisst das neue Buch von Susan Boos. Was mit Brie­fen adres­siert an die St. Galler Jour­na­lis­tin begann, endet mit einer Reise durch die Straf­sys­te­me verschie­de­ner Länder. Wie hat das ihre Sicht verändert?

Susan Boos, Jour­na­lis­tin bei der Wochen­zei­tung WOZ in Zürich, taucht mit ihrem neus­ten Werk tief ein in das Schwei­zer Straf­recht mit dem beson­de­ren Blick auf verwahr­te Perso­nen. «Viele der Verwahr­ten aus den Nuller­jah­ren kommen nun in ein pfle­ge­be­dürf­ti­ges Alter. Es braucht Orte und Insti­tu­tio­nen für sie», gibt die 58-Jährige zu beden­ken. Die Schweiz habe kein sehr gutes Modell. Und dabei spricht Boos nicht nur von den älter werden­den wegge­sperr­ten Perso­nen, sondern auch von der Verwah­rung im Allge­mei­nen. «Verwahr­te Perso­nen haben ihre eigent­li­che Stra­fe irgend­wann einmal abge­ses­sen. Danach ergibt es eigent­lich keinen Sinn mehr, sie im norma­len Straf­voll­zug zu lassen.»

Stra­fe als Wegbegleiterin

Bereits in jungen Jahren wurde Boos mit dem Straf­ge­setz konfron­tiert. Nach einer ersten Stati­on am Lehrer­se­mi­nar in Rorschach stieg sie in den Jour­na­lis­mus ein. Dane­ben studier­te die damals gut 20-Jährige auch kurze Zeit Jura. «Die Debat­ten zur Straf­re­form, die die 68er-Bewegung ange­stos­sen hatte, waren immer noch präsent.» Als Susan Boos mit gut 40 Jahren die Redak­ti­ons­lei­tung bei der WOZ über­nahm, bekam sie etli­che Brie­fe von verwahr­ten Perso­nen aus dem Gefäng­nis. Es soll­ten noch­mals ein paar Jahre ins Land ziehen, bis sie 2015 mit ihrer Reise – wie Susan Boos ihr Buch­pro­jekt gerne selbst bezeich­net – star­te­te. «Ich woll­te mit Menschen spre­chen, die in der Proble­ma­tik drin sind», so Boos. Die Publi­zis­tin hat sich aus diesem Grund nicht nur mit Anwäl­ten und Exper­ten in Sachen Straf­recht getrof­fen, sondern auch Gesprä­che mit heute noch verwahr­ten Perso­nen – oder auch solchen, die es mal waren – und deren Familien-angehörigen geführt. Entstan­den ist eine eindrück­li­che Samm­lung von verschie­de­nen Geschich­ten und Ansichten.

Besuch von Schulklassen

Ihre Reise führ­te Susan Boos auch ins Ausland. So besuch­te sie unter­schied­li­che Orte und Statio­nen in den Nieder­lan­den und Deutsch­land, um heraus­zu­fin­den, wie dort mit verwahr­ten Perso­nen umge­gan­gen wird. Die Unter­schie­de könn­ten nicht grös­ser sein. Während es in Deutsch­land eige­ne Abtei­lun­gen für Verwahr­te gibt, setzt Holland auf eine Art «eige­nes Dorf». «Die Insas­sen heis­sen dort Bewoh­ner und können ihr Leben selbst­be­stimm­ter gestal­ten», erzählt Boos. Teil­wei­se kommen sogar Schul­klas­sen zu Besuch. «Das ist ein völlig ande­rer Umgang mit Leuten, die nur noch wegge­sperrt sind, weil sie als gefähr­lich gelten und die Öffent­lich­keit vor ihnen geschützt werden soll – und nicht, weil sie ihre Stra­fe zu verbüs­sen haben.» Im Vergleich: In der Schweiz blei­ben verwahr­te Perso­nen je nach­dem ein ganzes Leben im Straf­voll­zug. Das heisst so viel wie, es wird ihnen gesagt, wann sie aufste­hen und zu Bett gehen sollen, wie viele Tele­fo­na­te sie am Tag führen dürfen, wen sie als Besuch wöchent­lich empfan­gen dürfen und wann es was zu essen gibt.

Susan Boos
Das neue Buch von Susan Boos erscheint Mitte März 2022.

Es braucht eine Perspektive

Mit ihrem Buch möch­te die amtie­ren­de Präsi­den­tin des Schwei­zer Pres­se­ra­tes weder die Gefäng­nis­se noch die Stra­fen abschaf­fen. «Die Stra­fe braucht es für den gesell­schaft­li­chen Frie­den.» Aber dass Männer und Frau­en im Gefäng­nis zu besse­ren Menschen werden, glaubt Susan Boos schon lange nicht mehr. «Vor allem für junge Perso­nen – von 15 bis 25 Jahren – ist es enorm schwer, sich im Gefäng­nis zu sozia­li­sie­ren.» Diese möch­ten alle irgend­wann eine Fami­lie, ein Haus und ein Auto. Sie haben somit eine Perspek­ti­ve, eine Art Antriebs­kraft. Und diese braucht es aus Sicht der Autorin. «Präven­ti­ve Stra­fen dürfen nicht sein.»

Text: Nina Frau­en­fel­der­Bild: zVg.

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