News

Bei Konflikten beraten

15 bis 20 Fälle bear­bei­tet die Ombuds­stel­le des Bistums St. Gallen im Jahr. ­«Ursa­chen für ­Konflik­te sind oft unge­klär­te Rollen oder Ziel­vor­ga­ben», sagt Ombuds­per­son Kath­rin Hilber. Das Ange­bot steht kirch­li­chen Mitar­bei­ten­den und frei­wil­lig Enga­gier­ten zur Verfügung.

«Viele, die mit uns Kontakt aufneh­men, melden sich rela­tiv spät», sagt Kath­rin Hilber, «die Konflikt­dy­na­mik ist schon weit voran­ge­schrit­ten und die Not deshalb gross. Wenn möglich, versu­chen wir, in solchen Fällen auch den Erst­kon­takt inner­halb 24 Stun­den zu reali­sie­ren.» Für die Betrof­fe­nen sei es zunächst mal wich­tig, dass ihnen jemand zuhört. «Als Ombuds­per­son können wir keine Wunder voll­brin­gen. Wir unter­stüt­zen als Coach. Unse­re Rolle besteht darin, zu bera­ten und Mut zu machen. Wir möch­ten die Ratsu­chen­den befä­hi­gen, wenn immer möglich ihren Konflikt selber zu lösen. Vorge­setz­te haben meist keine Freu­de dran, wenn Ombuds­per­so­nen auftre­ten.» So probie­ren sie zum Beispiel verschie­de­ne Verhal­tens­mög­lich­kei­ten aus und bespre­chen, welche unter­schied­li­che Dyna­mi­ken damit ausge­löst werden.

Tino Bente­le, Kath­rin Hilber und Alex­an­dra Gloor (v. links) haben ein offe­nes Ohr für kirch­li­che Mitar­bei­ten­de und Freiwillige.

Unge­klär­te Fragen

«Bis jetzt haben sich prak­tisch alle Berufs­gruppen, die im kirch­li­chen Umfeld tätig sind, gemel­det: Pries­ter, Seel­sor­ge­rin­nen und Seel­sorger, Mess­me­rin­nen und Mesmer, Reini­gungs­kräf­te …», so Kath­rin Hilber. Die Ombuds­stel­le steht auch für frei­wil­lig Enga­gier­te offen. «Von diesen hat sich bis jetzt kaum jemand gemel­det», sagt Kath­rin Hilber, «denn frei­wil­lig Enga­gier­te legen meist ihr Ehren­amt nieder, wenn sie unter einem Konflikt leiden.» Etwas beob­ach­tet Kath­rin Hilber bei ihren Ratsu­chen­den immer wieder: «Die Menschen, die zu mir kommen, bren­nen für die Kirche. Trotz der Konflik­te stel­len sie ihre Beru­fung nicht infra­ge.» Oft komme es zu Konflik­ten, weil eini­ges zu wenig genau geklärt ist: Wer hat welche Kompe­ten­zen? Was steht genau im Stel­len­be­schrieb? «Immer wieder geht es auch um die Erfah­rung, nicht gehört zu werden, oder es fehlt an echter Wert­schät­zung.» Manch­mal umfasst ein Fall einfach nur ein Bera­tungs­ge­spräch am Tele­fon, manch­mal trifft man sich zu mehre­ren Termi­nen. Was auf der Ombudsstelle bespro­chen wird, ist vertrau­lich. «Jeder Schritt passiert nur mit dem Einver­ständ­nis des Klien­ten. Wir bera­ten unab­hän­gig und neutral. Die Ombuds­stelle ist nieman­dem gegen­über zu einer Auskunft verpflich­tet und entschei­det selbst, ob und in welcher Form sie tätig sein will.» Wird es gewünscht, leitet die Ombuds­per­son ein Gespräch mit allen Betrof­fe­nen ein. Durch ihre Arbeit als Ombuds­frau sei ihr bewusst gewor­den, was für ein beson­de­res System das duale Kirchen­mo­dell sei: «Dass das Mitein­an­der von kirch­li­chen und staats­kir­chen­recht­li­chen Gremi­en funk­tio­niert, hängt von den konkre­ten Perso­nen ab.» Kirch­li­che Mitar­bei­ten­de haben meist zwei Vorge­setz­te – den Bischof und die Kirchenverwaltung.

Inno­va­ti­ver Schritt

2017 haben das Bistum St. Gallen und der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil die Ombuds­stel­le einge­rich­tet. «Das war im kirch­li­chen Bereich ein inno­va­ti­ver Schritt», sagt Kath­rin Hilber. Die ehema­li­ge St. Galler Regie­rungs­rä­tin ist seit Anfang an dabei. Sie wird unter­stützt von Tino Bente­le, Wittenbach, und Alex­an­dra Gloor, Buchs. «Die Betrof­fe­nen sollen auswäh­len können und zudem sind mit der Juris­tin Alex­an­dra Gloor noch weite­re Kompe­ten­zen vertre­ten. Oft sind bei unse­ren Fällen schnell juris­ti­sche Fragen im Spiel.» Fünf­zehn bis zwan­zig Fälle bear­bei­tet die Ombuds­stel­le im Jahr. Laut Kath­rin Hilber, die auch Erfah­rung als Ombuds­frau von ande­ren Insti­tu­tio­nen mitbringt, ist das über­ra­schend wenig. «Woran das liegt, lässt sich schwer sagen. Ich vermu­te, dass die Hemm­schwel­le, sich zu melden, bei vielen noch gross ist.» Sie ermu­tigt alle, die Ombuds­stel­le auch präven­tiv in Anspruch zu nehmen. «Oft lassen sich Konflik­te für alle Betei­lig­ten viel einfa­cher lösen, wenn man sich profes­sio­nell bera­ten und beglei­ten lässt, bevor sich eine nega­ti­ve Dyna­mik in Gang gesetzt hat.»

Anlie­gen werden gehört

Alle zwei Jahre tref­fen sich die Ombuds­per­so­nen mit ihren Auftrag­ge­bern, dem Bistum und dem Katho­li­schen Konfes­si­ons­teil. «Beob­ach­ten wir, dass gewis­se Themen immer wieder vorkom­men, dann machen wir unse­re Auftrag­ge­ber darauf aufmerk­sam, wo Hand­lungs­be­darf besteht.» Das können zum Beispiel das Ange­bot von Weiter­bil­dun­gen oder Anpas­sun­gen bei den Anstel­lungs­be­din­gun­gen sein. «Auch bei diesen Gesprä­chen erle­be ich die kirch­li­chen Verant­wor­tungs­trä­ger als offen und konstruk­tiv. Wir werden mit unse­ren Anlie­gen gehört.» Die Ombuds­stel­le des Bistums St. Gallen wird schweiz­weit wahr­ge­nom­men: Jüngst hat Kath­rin Hilber von einem ande­ren Bistum den Auftrag erhal­ten, das Konzept für eine Ombuds­stel­le zu entwickeln.

Kontakt­auf­nah­me mit Kath­rin Hilber

Text: Stephan Sigg

Bild: Regi­na Kühne

Veröf­fent­licht: 12. 04. 2023

Fake News oder Wahrheit

Eine eige­ne Repor­ta­ge machen, einmal selber Fake News verbrei­ten sowie die Medi­en­stadt St. Gallen entde­cken: Das ermög­licht die neue Ausstel­lung im Kultur­mu­se­um St. Gallen – und möch­te dabei die Medi­en­kom­pe­tenz der Besu­che­rin­nen und Besu­cher stärken.

Das Klos­ter St. Gallen, das Rathaus, die Sticke­rei­bör­se, der Markt­platz, die Fürst­ab­tei und das Home­of­fice: Per Projek­tor erschei­nen auf der Wand der «St. Galler Arena» im Kultur­mu­se­um St. Gallen eins­ti­ge und aktu­el­le Orte, die für die Medi­en­stadt St. Gallen wich­tig waren und sind. Durch Pilger, die ins Klos­ter kamen, gelang­ten etwa Neuig­kei­ten aus ganz Euro­pa nach St. Gallen. Noch heute ist der Stifts­be­zirk als Unesco-Welterbe Treff­punkt für Gläu­bi­ge aus aller Welt. Die Sticke­rei­bör­se um 1900 wurde auch als Schwatz­bör­se bezeich­net, da sie Raum für Klatsch und Stadt­ge­sprä­che bot. Heute geht, wer sich infor­mie­ren möch­te, viel­leicht in ein Café mit Zeitungs­aus­wahl oder tut dies gleich von zu Hause aus via Home­of­fice im Internet.

Rück­zug in die St. Galler Arena

Nach einer Stun­de Rund­gang durch die neue Ausstel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus» im Kultur­mu­se­um  ist die «St. Galler Arena» der idea­le Ruheort, um sich das Gese­he­ne noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen und mit Eindrü­cken aus St. Gallen abzu­schlies­sen. In dunk­ler, ruhi­ger Atmo­sphä­re laden Stüh­le zum Hinset­zen ein. Bei eini­gen handelt es sich um soge­nann­te Ereig­nis­stüh­le. Wer sich dort nieder­lässt, findet seit­lich befes­tig­te Tafeln, die jeweils eines von neun St. Galler Ereig­nis­sen aufgrei­fen. Dazu gehö­ren etwa die Oster­kra­wal­le 2021 in St. Gallen. Thema­ti­siert wird, wie Social Media und Pande­mie inein­an­der­grif­fen. Ein weite­rer Ereig­nis­stuhl erzählt die Geschich­te der Kinds­mör­de­rin Frie­da Keller, die Empö­rung über das Todes­ur­teil sowie das Medi­en­echo um 1900 zur sozia­len Benach­tei­li­gung der Frau. Das frühs­te thema­ti­sier­te Ereig­nis in der Medi­en­stadt St. Gallen fand aber vor der Erfin­dung des Buch­drucks statt. Es ist das Schick­sal der Stadt­hei­li­gen Wibora­da, die einge­schlos­sen in eine Zelle als Inklu­sin lebte. 926 wurde sie bei einem Über­fall der Ungarn auf die Stadt erschla­gen. Die Menschen und die Schät­ze des Klos­ters konn­ten dank ihrer Warnung aber in Sicher­heit gebracht werden. Ihre Geschich­te ist hand­schrift­lich fest­ge­hal­ten und beinhal­tet wich­ti­ge Infor­ma­tio­nen zu jener Zeit.

Sich in Quel­len­kri­tik üben

Doch wieso sind diese St. Galler Ereig­nis­se exem­pla­risch für die Medi­en­ge­schich­te und die Ausstel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus»? «Derzeit erle­ben wir die histo­ri­sche Verän­de­rung im Jour­na­lis­mus sehr stark mit», sagte dazu Muse­ums­di­rek­tor Peter Fux an der Medi­en­ori­en­tie­rung im März. Medi­en­kom­pe­tenz und Quel­len­kri­tik würden immer wich­ti­ger, um sich in der Flut aus Nach­rich­ten zurecht­zu­fin­den. Genau dies sei das Ziel der Ausstel­lung: Sie soll aufzei­gen, wie Medi­en­schaf­fen­de arbei­ten und die Besu­che­rin­nen und Besu­cher und gera­de auch Jugend­li­che dafür sensi­bi­li­sie­ren, wie und wo sie sich infor­mie­ren und mit Infor­ma­tio­nen umge­hen. Die Ausstel­lung funk­tio­niert stark inter­ak­tiv. Die Besu­che­rin­nen und Besu­cher checken sich mittels Badge ein und schlüp­fen während ihres Muse­ums­auf­ent­halts in verschie­de­ne Rollen. Im Burger-Spiel können sie beispiels­wei­se Fake News verbrei­ten und versu­chen, mittels übler Gerüch­te ein Burger-Restaurant in den Ruin zu trei­ben. Je besser sie das tun, desto mehr Punk­te gibt es. Eine weite­re Stati­on ist etwa der News­room. Dieser ist als Escape-Room gestal­tet. Man lässt sich dort als Team einschlies­sen und kommt erst wieder frei, wenn man verschie­de­ne Rätsel gelöst, eine jour­na­lis­ti­sche Geschich­te recher­chiert und diese veröf­fent­licht hat. Das Spiel dauert rund 20 Minuten.

Die Holocaust-­Debatte im Fall Jagmetti und die Enthül­lung der ­Pana­ma Papers sind zwei von ­vielen Medien­ereignissen, die an der ­Ausstel­lung thema­ti­siert werden.

Die Wunder­kam­mer entdecken

Ergänzt wird die Ausstel­lung durch verschie­de­ne Medi­en­er­eig­nis­se wie das Frau­en­stimm­recht, die Pande­mie und den Ukraine-Krieg. Zu sehen sind auch Inter­views mit Jour­na­lis­tin­nen und Jour­na­lis­ten, die über ihre Arbeit berich­ten. Span­nend wird es zudem in der Wunder­kam­mer. Dort sind verschie­de­ne tech­ni­sche Entwick­lun­gen zu sehen, von den ersten Tonta­feln mit Keil­schrift  über alte Tele­fo­ne, Kame­ras und Compu­ter bis hin zu einem Tisch voller verschie­dens­ter St. Galler Zeitungen, wie es sie um 1900 gab. Zum Schluss, beim Check-out nach dem Museumsbesuch, folgt eine Über­ra­schung: Wer seinen Badge einwirft, bekommt einen Pres­se­aus­weis ausgedruckt. Je nach Punk­te­stand hat man den Status Prak­ti­kum, freie Mitar­beit, Redak­ti­on oder Chef­re­dak­ti­on erreicht.

→ Infos zu Ausstel­lung und Rahmen­pro­gramm: www.kulturmuseumsg.ch

Das Projekt hinter der Ausstel­lung: Hinter der Wander­aus­stel­lung «Auf der Suche nach der Wahr­heit – Wir und der Jour­na­lis­mus» steht der ­Verein ­journalistory.ch. Dieser entstand 2017 durch das gleich­na­mi­ge Oral-­History-Projekt. Initi­iert wurde es vom West­schwei­zer Filme­ma­cher Frédé­ric Gons­eth. Anlass der Vereins­grün­dung war die bevor­ste­hen­de Abstim­mung über die «No Billag»-Initiative. Diese woll­te die Empfangs­ge­bühr für Radio und ­Fern­se­hen abschaf­fen. → www.suchewahrheit.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Regi­na Kühne

Veröf­fent­li­chung: 30. März 2023

Madagaskar per Bauchentscheid

Vom Glar­ner­land nach Mada­gas­kar: Mit einem frei­wil­li­gen Ausland­ein­satz holte Elisa­beth Keller aus Teufen nach, wovon sie schon als junge Frau träumte.

Dass sie gleich zehn Schwes­tern nachts am Flug­ha­fen abho­len würden, damit hatte Elisa­beth Keller nach ihrer Landung in Mada­gas­kar im vergan­ge­nen Okto­ber nicht gerech­net. «Aber ich fühl­te mich sofort will­kom­men und aufge­nom­men und wuss­te, dass mein frei­wil­li­ger Einsatz in diesem Land die rich­ti­ge Entschei­dung war», sagt die 58-Jährige. Drei Mona­te lang würde die Teufe­ne­rin Teil der Missi­ons- und Anbe­tungs­schwes­tern der Heili­gen Fami­lie sein und in deren Schu­le und Inter­nat im Dorf Andra­no­vo­ry mitar­bei­ten. «Einmal ein solches Volon­ta­ri­at zu machen, war mein Herzens­wunsch», sagt Elisa­beth Keller und erzählt, wie sie dies schon als Anfang 20-Jährige tun woll­te. «Damals soll­te es für ein Jahr nach Ango­la gehen. Aber ich bekam kalte Füsse und sagte ab. Das habe ich mein Leben lang bereut.»

Über­ra­schung bis zuletzt

Vor eini­ger Zeit stiess Elisa­beth Keller im Pfar­rei­fo­rum per Zufall auf einen Bericht über eine junge Frau, die über die Orga­ni­sa­ti­on Voyage-Partage ein Volon­ta­ri­at in Sri Lanka gemacht hatte. «Das war für mich wie ein Zeichen und ich melde­te mich bei der Orga­ni­sa­ti­on an. Auch mein Mann bestärk­te mich, das zu wagen», sagt sie. Fran­zö­sisch spre­chen zu können und nach Afri­ka zu gehen, seien ihre Wünsche gewe­sen. Voyage-Partage habe ihr verschie­de­ne Einsatz­mög­lich­kei­ten in Benin, Kame­run und Mada­gas­kar vorge­schla­gen. Auch hier war es ein Bauch­ent­scheid, der sie schluss­end­lich nach Andra­no­vo­ry führ­te. «Bis zu meiner Ankunft wuss­te ich nicht, an welchem Stand­ort in Mada­gas­kar ich sein und was ich dort tun würde», sagt sie, die insge­heim hoff­te, als gelern­te Medi­zi­ni­sche Praxis­as­sis­ten­tin in einem Ambu­la­to­ri­um mitzuhelfen.

Es kam anders. Als Klas­sen­as­sis­tenz unter­stütz­te sie die Schwächs­ten der rund 600 Schul­kin­der im Unter­richt. Nach der Schu­le half sie beim Kochen und in der Kanti­ne. «Obwohl ich am Anfang Respekt hatte, einfach in eine Klas­se zu gehen, gehört die Zeit mit den Kindern zu meinen schöns­ten Erleb­nis­sen», sagt sie. Die Lebens­freu­de und das Vertrau­en in das Leben hat sie von den Kindern und Schwes­tern zurück in die Schweiz genom­men. «Und natür­lich sind es die vielen gegen­sätz­li­chen Eindrücke, wie die extre­me Armut auf der einen Seite und die Schön­heit des Landes auf der ande­ren Seite», sagt sie.

Mitten im Leben

In der Ordens­ge­mein­schaft fühl­te sich Elisa­beth Keller aufge­ho­ben. «Ich kann die Schwes­tern nicht anders beschrei­ben als cool und mitten im Leben», sagt sie und erin­nert sich an ihre eige­ne Kind­heit mit sieben Geschwis­tern auf einem Bauern­hof im Glar­ner­land. «Meine Mutter erzog uns streng katho­lisch. Obwohl ich heute keine typi­sche Kirchen­gän­ge­rin bin, habe ich gros­sen Respekt für alle, die im Glau­ben diese Kraft finden, um schwie­ri­ge Situa­tio­nen zu meistern, wie es eben auch meine Mutter tat», sagt sie. Sie selbst habe dieses Vertrau­en das gros­se Aben­teu­er wagen lassen.

→ Volon­ta­ri­at im Globa­len Süden:www.voyage-partage.ch

Text: Nina Rudnicki 

Bilder: zVg.

Veröf­fent­li­chung: 27. März 2023

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs

Im Park Madonna entdecken

In der Natur unter­wegs sein, den Blick auf den Boden­see und histo­ri­sche Schlös­ser ­genies­sen und an 24 Bild­stöck­li und Wegkreu­zen Zwischen­hal­te einle­gen. «Hinter den Bild­stöck­li stehen span­nen­de Geschich­ten», sagt Elisa­beth Lüthard-Fuchs, Projekt­lei­te­rin des Bild­stöck­li­wegs in der Regi­on Rorschach.

Vom Park­platz des Schlos­ses Wart­egg  sind es nur ein paar Schrit­te durch den Park und schon steht man vor einer beson­de­ren Trou­vail­le: Im Stamm eines 150 Jahre alten Mammut­baums, der 2019 den zuneh­mend trocke­nen Früh­lin­gen zum Opfer fiel, ist ein schwar­zes Marmor­re­li­ef mit einer Madon­na und dem Jesus­kind zu finden. Mathi­as Thal­mann, der Schloss­gärt­ner, hat mit diesem Reli­ef einen Ort der Besin­nung als Dank für die Frucht­bar­keit der Erde geschaf­fen. Das Beson­de­re: Es handelt sich um eine Kopie des welt­be­kann­ten Reli­efs von Michel­an­ge­lo. Dieses Bild­stöck­li ist das jüngs­te, dem man auf dem Bild­stöck­li­weg der Katho­li­schen Kirche Regi­on Rorschach begeg­net. «Hinter den Bild­stöck­li stehen meis­tens persön­li­che Glau­bens­ge­schich­ten», so Elisa­beth Lüthard. Die Rorscha­cher­berg­le­rin ist Projekt­lei­te­rin des Bild­stöck­li­wegs. «Oft wurden Bild­stö­cke errich­tet, weil sich Gläu­bi­ge bei Gott für eine Heilung oder ein ande­res posi­ti­ves Ereig­nis bedan­ken woll­ten. Dank­bar­keit mit ande­ren teilen – ich finde, das ist ein schö­nes Zeichen.» Oft waren es schick­sal­haf­te Ereig­nis­se, die die Menschen dazu brach­ten, ein Mahn­mal zu erstel­len. «Als Aufruf, sich immer wieder zu besin­nen – inne­zu­hal­ten. Es wurden alle Facet­ten des mensch­li­chen Daseins berücksichtigt.»

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs
Elisa­beth Lüthard-Fuchs vor dem Bild­stöck­li im Schloss­park Wart­egg Rorschach.
Mathi­as Thal­mann, der Schloss­gärt­ner, hat das Reli­ef geschaf­fen — eine Kopie eines Reli­efs von Michaelangelo.

Kultur- und Glaubensgut

Die Katho­li­sche Kirche Regi­on Rorschach hat mit dem Bild­stöck­li­weg eine uralte katho­li­sche Tradi­ti­on fit für die Gegen­wart gemacht. «Es ist in der Regi­on Rorschach schon lange Brauch, dass frei­wi­lig Enga­gier­te Bild­stö­cke und Wegkreu­ze schmü­cken», so Elisa­beth Lüthard, «doch dieses Kultur- und Glau­bens­gut verschwin­det immer mehr aus dem Bewusst­sein. Im Austausch zwischen den Frei­wil­li­gen und Seel­sor­gen­den kam die Idee auf, diese Bild­stö­cke mit einem Weg aufzu­wer­ten.» Elisa­beth Lüthard, eine enga­gier­te Frei­wil­li­ge in der Kirche, über­nahm die Projekt­lei­tung. Akri­bisch hat sie sich in die Bedeu­tung der Bild­stöck­li in der katho­li­schen Spiri­tua­li­tät einge­le­sen. Der Rorscha­cher Lokal­his­to­ri­ker Otmar Else­ner bekam den Auftrag, die histo­ri­schen Hinter­grün­de zu recher­chie­ren und aufzu­ar­bei­ten. «Uns war es wich­tig, dass die Menschen an jeder Stati­on einen spiri­tu­el­len Gedan­ken mitneh­men können», sagt Elisa­beth Lüthard. Dafür mach­te sie sich auf die Suche nach spiri­tu­el­len Texten. «Für Statio­nen, für die ich nichts Passen­des gefun­den habe, habe ich selber etwas geschrieben.»

Bildstöckliweg Rorschach, Elisabeth Lüthard-Fuchs

Auch mit dem Velo

Im Septem­ber 2021 war es so weit: Die Wegta­feln wurden instal­liert, eine Karte zum Mitneh­men wurde gedruckt und eine Website ging online. Die Wegta­feln enthal­ten neben Infos zum Bild­stock und einem spiri­tu­el­len Impuls einen QR-Code, der zu weite­ren Infos zum Weg und zu den Bild­stö­cken führt. Der Weg erstreckt sich über das Gebiet der Gemein­den Gold­ach, Rorschach, Rorscha­cher­berg und Unter­eg­gen. «Die Stre­cke mit Zwischen­hal­ten bei allen 24 Statio­nen wäre zu lang, deshalb haben wir sie in zwei Etap­pen aufge­teilt: in einen Rorscha­cher Weg und einen Goldach­er Weg», erklärt Elisa­beth Lüthard. Wie viele inzwi­schen schon von Bild­stock zu Bild­stock unter­wegs waren, weiss sie nicht. «Es gibt Grup­pen, die sich gemein­sam auf den Weg gemacht haben. Aber ich habe auch schon beob­ach­tet, dass manche – darun­ter auch junge Erwach­se­ne – einen Bild­stock per Zufall entde­cken, neugie­rig werden und dann die Texte auf den Tafeln lesen», so Elisa­beth Lüthard. «Das Schö­ne an dieser Glau­bens­tra­di­ti­on: sie ist ein Ange­bot – eine Einla­dung, sich auf Spiri­tua­li­tät einzu­las­sen. Wer nichts damit anfan­gen kann, kann es einfach igno­rie­ren.» Ihr war wich­tig, den Weg möglichst für alle zugäng­lich zu machen. So gibt es Routen, die auch mit dem Velo oder dem Kinder­wa­gen absol­viert werden können. Ein «Lieblings-Bildstöckli» hat Elisa­beth Lüthard nicht. «Es kommt jeweils auf meine aktu­el­le Verfas­sung an, welche Stati­on mich gera­de am meis­ten anspricht. Aber immer wieder beein­druckt mich das Bild­stöck­li mit dem schlich­ten Holz­kreuz nahe beim Schloss Warten­see. Wer dort das Kreuz betrach­tet, blickt dahin­ter direkt auf den Boden­see – ein atem­be­rau­ben­des Panora­ma.» Die gedruck­te Karte liegt in den Kirchen der Regi­on Rorschach auf und steht als PDF auf der Website zur Verfügung.

→ www.bildstoeckliweg.ch

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 24.03.2023

Eine Osterkerze von der Jubla

Jedes Jahr fertigt die Stadt­s­ankt­gal­ler Jubla St. Martin Brug­gen Oster­ker­zen von Hand.Wieso das noch zeit­ge­mäss ist und die medi­ta­ti­ve Arbeit gut fürs Lachen und Erin­nern ist, ­erzäh­len die Jubla-Leiterinnen in ihrer Werk­statt im Keller des Pfar­rei­heims Bruggen.

Wann die Jubla St. Martin Brug­gen die erste Oster­ker­ze selbst mach­te, daran kann sich Nadia Macia­ri­el­lo nicht erin­nern. Eini­ge Exem­pla­re der vergan­ge­nen zwan­zig Jahre stehen aber im Keller des Pfarr­heims im St. Galler Stadt­teil Brug­gen aufge­reiht. «Das sind aber lange nicht alle», sagt Nadia Macia­ri­el­lo und legt das klei­ne Messer beisei­te, mit dem sie eben noch Formen aus einem grünen Wachs­pa­pier ausge­schnit­ten hat. Macia­ri­el­lo ist Mitte vier­zig, Präses bei Jung­wacht Blau­ring und trifft sich an diesem Abend mit den Leite­rin­nen und eini­gen Frei­wil­li­gen, um bis Ostern 300 Kerzen fertigzustellen.

Die Produk­ti­on der Oster­ker­zen dauert mehre­re Aben­de — die Jugend­li­chen arbei­ten und plau­dern mitein­an­der über alles, was sie gera­de beschäftigt.

Abküh­len an der kalten Luft

Auf Wachs­pa­pier wird klei­nen Karton­vor­la­gen entlang geschnit­ten, die klei­nen Einzel­tei­le werden vorsich­tig in der Mitte des Tisches ausge­legt und anschlies­send mit Finger­spit­zen­ge­fühl und Hand­schu­hen an die Kerzen ange­drückt. Zwei Jugend­li­che nehmen eini­ge Wachs­bö­gen und brin­gen sie hinaus in die kalte Febru­ar­luft. Nicht zu warm und nicht zu kalt dürfen sie werden, um sich opti­mal bear­bei­ten zu lassen. Aus dem Keller dringt Lachen. Die Leite­rin­nen erin­nern sich an verschie­de­ne Lager und erzäh­len von Schnee im Sommer, aben­teu­er­li­chen und selbst gebau­ten WC-Anlagen im Wald und langen Näch­ten am Lager­feu­er. «Gera­de wegen solcher Erin­ne­run­gen und Gesprä­che sind die Aben­de so schön, an denen wir gemein­sam Oster­ker­zen machen», sagt die 25-jährige Belin­da Bautis­ta, die zu den ­Ältes­ten in der Runde gehört. Sie vertritt den ­«Grau­ring», wie bei der Jubla die Ehema­li­gen heis­sen. Die übri­gen Leite­rin­nen sind an diesem Abend zwischen 13 und 22 Jahre alt. Im Keller des Pfar­rei­heims tref­fen sie sich von Febru­ar bis April für die Oster­ker­zen­pro­duk­ti­on einmal wöchentlich.

Gemein­sam Oster­ker­zen zu machen, ist immer auch Anlass, zu lachen und sich an ­Erleb­nis­se und Ausflü­ge mit der Jubla zu erin­nern. Es braucht aber auch Ausdau­er: Fast wöchent­lich tref­fen sich die Leite­rin­nen und Frei­wil­li­gen von Febru­ar bis April, bis die 300 Kerzen gefer­tigt sind.

Medi­ta­ti­ver Ausgleich

Verkauft werden die Kerzen im Claro-Laden gleich im Erdge­schoss des Pfar­rei­heims, nach der Oster­mes­se in der Kirche sowie über die Website der Jubla St. Martin Brug­gen je nach Modell für acht bis zehn Fran­ken. «Ich habe mich natür­lich gefragt, ob es noch zeit­ge­mäss ist, dass sich junge Leute abends zum Kerzen­ma­chen tref­fen. Vor allem, da wir wohl eine von sehr weni­gen Jublas sind, die das in einer Pfar­rei über­haupt noch machen», sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Doch alle seien moti­viert gewe­sen. «Ich finde es einfach eine schö­ne Tradi­ti­on. Wir tref­fen uns, es ist medi­ta­tiv und dann ist da zusätz­lich noch der Ansporn, möglichst viele Kerzen zu verkau­fen», sagt etwa die 14-jährige Elena Brun­ner. Und die 22-jährige Alena Macia­ri­el­lo fügt an: «Ausser­dem ist es ein gene­ra­tio­nen­über­grei­fen­des Projekt, an dem alle zusam­men­kom­men können, die auf irgend­ei­ne Weise mit der Jubla verbun­den sind.»

Blau­ring Brug­gen entschei­det sich jedes Jahr für ein ande­res Motiv.
Das Symbol in diesem Jahr: der Regenbogen

Fotos und Osterkulissen

Die Einnah­men aus dem Kerzen­ver­kauf flies­sen in die Jubla-Kasse und werden für Lager oder beson­de­re Projek­te gebraucht. Vor eini­gen Jahren stell­te die Jubla St. Martin Brug­gen noch bis zu 500 Oster­ker­zen her. «Da es aber weni­ger Kirchen­be­su­che­rin­nen und ‑besu­cher gibt als früher, verkau­fen wir auch weni­ger Kerzen und müssen mehr auf unse­re Online-Kanäle setzen», sagt Nadia Macia­ri­el­lo und erzählt von Bestel­lun­gen, die sie beson­ders freu­en. Darun­ter sind zum Beispiel jene von Perso­nen, die schon länger aus der Stadt oder dem Quar­tier wegge­zo­gen sind, jedes Jahr aber eine Oster­ker­ze aus Brug­gen bestel­len. «Manch­mal bekom­men wir sogar Fotos der aufge­stell­ten und ange­zün­de­ten Kerzen vor einer Oster­ku­lis­se zuge­schickt. Es ist schön zu sehen, wie ande­re Perso­nen mit unse­ren Kerzen Ostern feiern», sagt sie.

Jede Kerze — ein Unikat.

Ein abstrak­tes Kreuz, aus dem Neues entsteht

Auch die jewei­li­gen Symbo­le auf den Kerzen entwirft die Jubla St. Martin Brug­gen im Team. In diesem Jahr ist das Symbol abstrakt und besteht aus einem dünnen, golde­nen und schräg ausein­an­der­ge­hen­den Kreuz. Dessen eine Hälf­te ist in den Farben des Regen­bo­gens als Zeichen des Frie­dens gestal­tet, die ande­re Hälf­te mündet in einen Baum mit jungen, hell­grü­nen Blät­tern. Diese symbo­li­sie­ren, dass stän­dig Neues entsteht. «Alle Perso­nen sollen in den Oster­ker­zen etwas entde­cken können, das ihnen Kraft gibt und auch optisch gefällt», sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Rund 30 Minu­ten dauert es, bis eine Kerze von Hand gefer­tigt und verpackt ist. Die Aben­de im Keller werden sich bis Ostern also noch etwas ziehen – oder auch dank der vielen lusti­gen Anek­do­ten und Erin­ne­run­gen an gemein­sa­me Jubla-Erlebnisse wie im Flug vergehen.

Kerzen bestel­len: bruggen.blauring@gmail.com

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 23. März 2023

Ein Café wird zum Haus für alle

In einem ehema­li­gen Watt­wi­ler Café haben die katho­li­sche und die evangelisch-­reformierte Kirche vor knapp einem Jahr einen inno­va­ti­ven Begeg­nungs­ort eröff­net. «Der b’treff füllt eine Nische», sagt Marlis Kauf­mann, die Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de ­Watt­wil, «er bringt verschie­de­ne sozia­le Ange­bo­te zusam­men. So können wir und ande­re ­Betei­lig­te Menschen noch viel besser helfen.»

Im ersten Stock findet an diesem Montag­mor­gen gera­de Deutsch­un­ter­richt (siehe Titel­bild) statt, im Erdge­schoss bespricht eine Hand­voll Frei­wil­li­ge ihren nächs­ten Einsatz­plan und sich­tet die Spie­le, die für die Café-Gäste zur Verfü­gung stehen. «Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret», sagt Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil. Seit knapp einem Jahr ist der b’treff in Betrieb. Initi­iert wurde er von der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de und der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de. «Es war ein gros­ses Glück, dass dieses Haus gefun­den werden konn­te», so Marlis Kauf­mann. Das ehema­li­ge Café, zentral gele­gen in der Nähe von Bahn­hof Watt­wil und Manor, sei schon eini­ge Zeit leer gestan­den. «Das Gebäu­de hat verschie­de­ne Räum­lich­kei­ten, verteilt auf drei Etagen. So ist es möglich, mehre­re Ange­bo­te gleich­zei­tig durch­zu­füh­ren.» Das Herz des Hauses ist der Café-Bereich im Erdge­schoss. Es wurden nur weni­ge bauli­che Anpas­sun­gen vorge­nom­men, der Café-Charme blieb erhal­ten. Im Sommer stehen sogar Sitz­plät­ze draus­sen auf der Terras­se zur Verfü­gung. Selbst die ehema­li­ge Verkaufs­the­ke wurde umfunk­tio­niert: hier stehen zahl­rei­che «Second-Hand»-Gegenstände zum Mitneh­men bereit – kosten­los oder gegen eine klei­ne Spende.

Geschirr, Deko­ma­te­ri­al und ande­res kann gratis oder gegen eine klei­ne Spen­de mitge­nom­men werden.

Betrof­fe­nen besser helfen

Mittags­tisch, Lebens­mit­tel­ab­ga­be, Sozial- und Schul­den­be­ra­tung, Deutsch­kurs oder einfach nur bei einer Tasse Kaffee über Freu­den und Nöte spre­chen oder zusam­men mit ande­ren lismen – im b’treff Watt­wil haben viele verschie­de­ne Ange­bo­te ein neues Zuhau­se gefun­den. Sven Keller, Sozi­al­ar­bei­ter der katho­li­schen Seel­sor­ge­ein­heit Neutog­gen­burg, und Remo Schwei­zer, Diakon der evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg, teilen sich die Leitung des b’treffs. «Uns ging es primär nicht darum, mit dem b’treff sofort eine Palet­te an neuen Ange­bo­ten zu lancie­ren. Viel­mehr ist es die Idee, dass der neue Begeg­nungs­ort eine Vernet­zung zwischen den bestehen­den Ange­bo­ten ermög­licht», sagt Sven Keller. «Viele der Ange­bo­te waren bisher an unter­schied­li­chen Stand­or­ten behei­ma­tet, jetzt ist alles am glei­chen Ort. Die Chan­ce dabei ist, dass Betrof­fe­ne schnel­ler einen Über­blick bekom­men. Sie sehen, was es alles gibt. Alles ist viel nieder­schwel­li­ger zugäng­lich. Aber auch die Frei­wil­li­gen, die sich bei uns enga­gie­ren, wissen besser Bescheid und können Betrof­fe­nen zeigen, welche Unter­stüt­zungs­mög­lich­kei­ten es gibt.»

Marlis Kauf­mann, Präsi­den­tin der katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Watt­wil: «Der b’treff füllt eine Nische.»

Mitein­an­der lismen

Die Verant­wort­li­chen sind mit der bishe­ri­gen Reso­nanz zufrie­den. «Dank dem b’treff konn­te ich neue Kontak­te knüp­fen», zitiert Sven Keller die Rück­mel­dung eines b’treff-Besuchers. Die Dienst­leis­tun­gen werden genutzt von Armuts­be­trof­fe­nen, Menschen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, aber auch von Pensio­nier­ten. «Unter den Gästen sind auch viele Allein­ste­hen­de», weiss Marlis Kauf­mann, «oft tun sie sich zu klei­nen Grüpp­chen zusam­men und kommen gemein­sam zu uns.» Auch eine Lisme-Gruppe, die sich früher im Pfar­rei­zen­trum traf, habe im b’treff ein neues Zuhau­se gefun­den. Als ein High­light erwähnt Sven Keller die Weih­nachts­fei­er, bei der sich 35 Perso­nen zum Raclette trafen. 50 bis 60 Perso­nen nutzen die Lebens­mit­tel­ab­ga­be, zum Mittags­tisch kommen etwa fünf­zehn. «Aber es braucht sicher noch etwas Zeit, dass sich unser Ange­bot herum­spricht.» Hinter den Ange­bo­ten im b’treff stehen verschie­de­ne kirch­li­che und nicht­kirch­li­che Organsia­tio­nen wie Cari­tas, Heks oder die Lebens­mit­tel­ab­ga­be «Tisch­lein deck dich». «Jede Orga­ni­sa­ti­on hat eine eige­ne Struk­tur und ande­re Bedürf­nis­se», sagt Sven Keller. Er bezeich­net es als alles ande­re als selbst­ver­ständ­lich, dass das Mitein­an­der der betei­lig­ten Orga­ni­sa­tio­nen im Haus so gut ange­lau­fen ist.

«Als Kirch­ge­mein­de helfen wir vor Ort Menschen ganz konkret.»

Marlis Kauf­mann

Ökume­ne intensivieren

«Uns war es wich­tig einen Ort zu schaf­fen, der für alle offen ist, unab­hän­gig von ihrem reli­giö­sen oder kultu­rel­len Hinter­grund», erklärt Brigit­te Horn. Sie ist in der katho­li­schen Kirchen­ver­wal­tung für die Ressorts Ökume­ne, Reli­gi­on und Kate­che­se zustän­dig, «Der Begeg­nungs­ort soll­te nicht abseits, sondern inmit­ten des Gesche­hens zu finden sein.» Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg und die allge­mei­ne Teue­rung haben die Zahl der Armuts­be­trof­fe­nen in der Schweiz erhöht. «Als wir das Konzept für den b’treff entwi­ckelt haben, war das alles noch weit weg», so Brigit­te Horn, «aber auch unab­hän­gig von der neuen Entwick­lung war die Not in der Gesell­schaft schon gross genug.» Zu Beginn erar­bei­te­ten fünf Studie­ren­de der Fach­hoch­schu­le Ost als Praxis­pro­jekt eine Mach­bar­keits­stu­die. «Diese Arbeit brach­te klar zum Ausdruck, dass ein Ange­bot wie der b’treff in Watt­wil und Umge­bung fehlt», so Sven Keller. Die katho­li­sche Kirch­ge­mein­de entschied sich schnell für eine Mitwir­kung. «Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller (links) und Remo Schwei­zer leiten den b’treff gemeinsam.

Von Frei­wil­li­gen getragen

«Ohne frei­wil­li­ges Enga­ge­ment wäre unser b’treff nicht denk­bar», sagt Sven Keller. Die beiden Co-Stellenleiter sind jeweils zehn Prozent ange­stellt. Es sei erfreu­lich, wie viele sich von Anfang an für eine frei­wil­li­ge Mitar­beit zur Verfü­gung gestellt haben. «Die Mitwir­kung der Frei­wil­li­gen ist sehr posi­tiv ange­lau­fen. Mein refor­mier­ter Kolle­ge Remo verfügt über ein gros­ses Netz­werk», so Keller. Rund sech­zig Frei­wil­li­ge sind im b’treff aktiv. Viele von ihnen hätten einen kirch­li­chen Bezug. Neben Pensio­nier­ten seien auch erstaun­lich viele dabei, die im Berufs­le­ben stehen.

«Wir sahen in diesem Projekt von Anfang an auch eine Chan­ce, die ökume­ni­sche Zusam­men­ar­beit auszu­bau­en und die Mittel effi­zi­en­ter einzusetzen.»

Sven Keller

Gemein­de Lich­ten­steig als Partnerin

Der b’treff Watt­wil wird von den Katho­li­schen Kirch­ge­mein­den Watt­wil und Lich­ten­steig, der Evangelisch-reformierten Kirch­ge­mein­de Mitt­le­res Toggen­burg sowie der Cari­tas St. Gallen-Appenzell getra­gen. Ein gros­ser Teil der Betriebs­kos­ten sowie die Perso­nal­kos­ten werden durch Kirchen­steu­ern finan­ziert. Als Gönner und Spon­so­ren sind die Gemein­de Lich­ten­steig, die Stif­tung Fondia, die Inte­gra­ti­ons­för­de­rung des Kantons St. Gallen sowie der EVDA (Evang.-ref. Verein für diako­ni­sche Aufga­ben) mit im Boot.

Seit Febru­ar 2023 gibt es im b’treff auch eine Kleiderabgabe. 

Vorerst bis 2025

Ist der b’treff auch eine Chan­ce, um Menschen zu errei­chen, die sonst Berüh­rungs­ängs­te mit Kirche haben? «Das katho­li­sche Pfar­rei­zen­trum war auch bisher ein Ort, der für alle offen stand und in dem die unter­schied­lichs­ten Ange­bo­te und Ziel­grup­pen will­kom­men sind», sagt Brigit­te Horn. Aber mit dem b’treff sei die Diako­nie der Kirchen noch etwas deut­li­cher sicht­bar. Das Projekt ist vorerst bis 2025 gesi­chert – bis dann läuft der Miet­ver­trag. Dann werde – so der Plan – das Haus für einen Neubau abge­ris­sen. «Dann werden wir das Projekt evalu­ie­ren und über­le­gen, ob und wie es weiter­ge­führt werden kann», so Marlis Kauf­mann. «Entschei­dend wird sein, ob wir mit unse­rem Ange­bot den Menschen helfen können. Auch stehen wir dann vor der Heraus­for­de­rung, geeig­ne­te Räum­lich­kei­ten zu finden, die zudem auch noch finan­zier­bar sind.»

Bis es soweit ist, hat Sven Keller noch eine Menge vor. Seit Febru­ar gibt es neu eine Klei­der­ab­ga­be. Aus der Sicht des Sozi­al­ar­bei­ters gibt es durch­aus Poten­zi­al für mehr: «In unse­ren Räum­lich­kei­ten sollen even­tu­ell auch Kunst­aus­stel­lun­gen ange­bo­ten werden mit Werken, die in Mal- oder Gestal­tungs­the­ra­pien entstan­den sind. Zudem kann ich mir ganz alltags­prak­ti­sche Work­shops zu Haus­halts­the­men vorstel­len wie zum Beispiel: wie kann ich Heiz­kos­ten sparen?» Denk­bar sei auch ein Repair-Café. So könne die Grund­idee ganz konse­quent umge­setzt werden: der b’treff als Begeg­nungs­ort für alle.

Website b’treff Wattwil

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 21. Febru­ar 2023

Mehre­re b’treffs

Neben dem b’treff in Watt­wil gibt es auch b’treffs in Ebnat-Kappel, Bütschwil und Flawil. Sie haben unter­schied­li­che Konzep­te und Finan­zie­rungs­mo­del­le, doch bei allen sind die Kirch­ge­mein­den mitbe­tei­ligt. Zudem werden alle b’treffs mass­geb­lich durch das Enga­ge­ment Frei­wil­li­ger ermöglicht.

Leserfrage: Warum braucht es den kirchlichen Sozialdienst?

Sabi­ne F. betritt das Büro des kirch­li­chen Sozi­al­diens­tes (KSD) der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg. Ihr Mann ist kürz­lich an Krebs gestor­ben, nach­dem die 53-Jährige ihn drei Jahre gepflegt hatte.

Das Paar lebte von seinem Einkom­men, zuletzt von Kran­ken­tag­gel­dern und Erspar­nis­sen. Zeit für Freund­schaf­ten gab es kaum und die fami­liä­ren Kontak­te waren spannungs­geladen. Nun ist sie mit der Admi­nis­tra­ti­on über­for­dert, aktu­ell hat sie wenig Geld, sein Konto ist gesperrt. Sabi­ne F. sehnt sich nach Ruhe, Trost und Sicher­heit. Der Seel­sor­ger über­weist sie an den KSD.

Zusatz­ein­kom­men nötig

Hier verschaf­fen wir uns gemein­sam einen Über­blick. Wir klären Fragen bezüg­lich des Nach­lass­in­ven­tars und der Witwen­ren­te, erhal­ten vom Pfarr­amt finan­zi­el­le Hilfe, um eine Miete zu bezah­len und erstel­len Budgets für verschie­de­ne Zukunfts­sze­na­ri­en. Daraus wird ersicht­lich, dass Sabi­ne F. ein Zusatz­ein­kom­men benö­ti­gen wird. Immer wieder nehmen wir uns Zeit für die wider­sprüch­li­che Gefühls­welt von Sabi­ne F., für ihre biogra­phi­schen Rück­bli­cke und Zukunfts­fra­gen. Nach eini­gen Mona­ten sind die Finan­zen gesi­chert. Sabi­ne F. besucht regel­mäs­sig einen Trau­er­treff und kann sich bei Bewer­bungs­ge­sprä­chen vorstel­len. Sie fühlt sich nun siche­rer und ist zuver­sicht­lich, den weite­ren Weg selbst­stän­dig zu bewältigen.

Scham und Angst

Wenn sich Menschen mit persön­li­chen, fami­liä­ren oder finan­zi­el­len Proble­men an die Kirche wenden, braucht es sowohl seel­sor­ger­li­che Beglei­tung und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung als auch sozi­al­ar­bei­te­ri­sches Fach­wis­sen. Denn obwohl unser Sozi­al­sys­tem grund­sätz­lich gut ist, fallen Menschen durch die Maschen. Und nicht weni­gen fällt es schwer, sich im Sozi­al­sys­tem zurecht­zu­fin­den. Auf welche Leis­tun­gen habe ich Anspruch? An wen kann ich mich wenden? Hinzu kommen Scham und Angst vor Behör­den. Für manche Klien­ten und Klien­tin­nen ist es darum einfa­cher, mit einem KSD Kontakt aufzu­neh­men. Hier ist es möglich, flexi­bel und schnell zu reagie­ren sowie genü­gend Zeit zu haben für umfas­sen­de Bera­tun­gen. Dank lösungs­ori­en­tier­ter Zusam­men­ar­beit ist ein KSD oft ein Brücken­bau­er zu den staat­li­chen Stellen.

Vor allem für Working Poor

Mit der Grün­dung eines KSD veran­kert die Seel­sor­ge­ein­heit ihr sozia­les Enga­ge­ment auch struk­tu­rell. Dabei muss sie stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen fällen: Welche Bedürf­nis­se bestehen vor Ort, welche Ange­bo­te gibt es bereits und welche Leis­tun­gen und Projek­te soll der KSD erbrin­gen. In der Regi­on Werden­berg erhal­ten vor allem Working Poor (d. h. Menschen, deren Lohn kaum zum Leben reicht) finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Zudem hat der kirch­li­che Sozi­al­dienst Werden­berg etwa eine Lebens­mit­tel­ab­ga­be­stel­le eröff­net, eine Diako­nie­wo­che orga­ni­siert sowie Compu­ter­kur­se für Menschen mit klei­nem Budget ange­bo­ten. Dies wurde nur möglich dank einer inten­si­ven Zusam­men­ar­beit mit dem Pasto­ral­team, den Sozi­al­fach­stel­len vor Ort und vielen Freiwilligen.

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Text: Snje­z­a­na Gajski, Sozi­al­ar­bei­te­rin, KSD Werden­berg, Cari­tas St. Gallen-Appenzell

Veröf­fent­li­chung: 15.2.2023

Diplomat und Zuhörer

Vor über 30 Jahren zog Peter Burk­hard von St. Gallen nach Ebnat-Kappel. Die «tief verwur­zel­ten» Tradi­tio­nen im Toggen­burg faszi­nie­ren den neuen höchs­ten St. Galler Katho­li­ken bis ­heute. Er wünscht sich eine libe­ra­le­re Kirche.

Was es bedeu­tet, wenn eine Dorf­ge­mein­schaft eine einzel­ne Person oder eine Fami­lie mitträgt und wie viele Tradi­tio­nen ein Kirchen­le­ben mit sich bringt, das gepflegt wird: Peter Burk­hard, neuer höchs­ter St. Galler Katho­lik, erzählt, wie er vor vielen Jahren durch seine Frau der Kirche näher kam. Bis dahin hatte er zwar die katho­li­sche Sekun­dar­schu­le flade in St. Gallen und vor allem an Weih­nach­ten und Ostern die Gottes­diens­te besucht. «Ansons­ten nahm ich aber nicht gross am kirch­li­chen Leben teil», sagt der neue Parla­ments­prä­si­dent des katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Amt wird er bis Ende Novem­ber 2024 inne­ha­ben. Durch seine Frau, eine Walli­se­rin, änder­te sich seine Bezie­hung zur Kirche. «Als ich meine Frau als junger Mann in ihrem Heimat­dorf im Lötschen­tal besuch­te, war gera­de der Pfar­rer gestor­ben und ich wurde in die Toten­wa­che einge­teilt. Es war die Aufga­be des ganzen Dorfes, mehre­re Tage neben dem Leich­nam zu wachen», sagt er. «Auf diese Weise kommst du auto­ma­tisch ins Kirchen­le­ben rein und wirst Teil davon.»

Peter Burk­hard aus Ebnat-Kappel arbei­tet als Unter­neh­mens­be­ra­ter bei der Würth Finan­cial Services AG in Rorschach. Aufge­wach­sen ist der neue Parla­ments­prä­si­dent des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils in St. Gallen.

Ans Dorf­le­ben anschliessen

Seit über 30 Jahren lebt Peter Burk­hard, der in der Stadt St. Gallen aufge­wach­sen ist, mit seiner Fami­lie nun schon in Ebnat-Kappel. Und wie im Wallis sind es auch im Toggen­burg die «tief verwur­zel­ten Tradi­tio­nen» und die Kultur, die ihn faszi­nie­ren und vor denen er gros­sen Respekt hat. Als Beispiel nennt der 59-Jährige das «Einschel­len», die Vieh­schau­en oder den Toggen­bur­ger Natur­jo­del. Es sei ein wunder­ba­res und viel­fäl­ti­ges Tal und durch den Umzug nach Ebnat-Kappel als junge Fami­lie – die Kinder waren damals fünf und drei Jahre, das Jüngs­te kam im Toggen­burg zur Welt – sei auch der Anschluss ans Dorf­le­ben nicht schwer gefal­len. Nach Ebnat-Kappel zu ziehen, dafür hatte sich Peter Burk­hard wegen seines Beru­fes entschie­den. Bei seinem dama­li­gen Arbeit­ge­ber, der Winter­thur Versi­che­run­gen, wurde ein neuer Innen­dienst­lei­ter für die Gene­ral­agen­tur Watt­wil gesucht. «Ich woll­te den Job und so zogen wir um», sagt er.

Das Gegen­über einschätzen

In Ebnat-Kappel war Peter Burk­hard ab dem Jahr 2000 während 18 Jahren in der Kirchen­ver­wal­tung – für das Amt wurde er ange­fragt. Seit 2007 poli­ti­siert er zudem im Kolle­gi­um, dem Parla­ment des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. «Ich fand damals, dass unse­re Kirchen­ver­wal­tung eine Verbin­dung ins Parla­ment haben soll­te, da es immer von gegen­sei­ti­gem Vorteil ist, wenn man die Perso­nen hinter den Verwal­tun­gen kennt», sagt er über seine Moti­va­ti­on, sich ins Kolle­gi­um wählen zu lassen. Sich selbst beschreibt Peter Burk­hard als Zuhö­rer, Realist und Diplo­mat. Ihm sei es wich­tig, sein Gegen­über einschät­zen zu können und dessen Meinung zu kennen. In seinen zwei Jahren als Präsi­dent wird er vier Kolle­gi­ums­sit­zun­gen leiten und dabei die Eröff­nungs­re­den halten. «Die Kirche kann ich in diesem Amt nicht verän­dern. Aber ich kann in den Reden meine Gedan­ken kund­tun. Ich bin höchst libe­ral. Meiner Meinung nach wäre es Zeit für das Frau­en­pries­ter­tum und die Aufhe­bung des Zöli­bats», sagt er.

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 10.2.2023

Eine familiäre Hochschule

Der St. Galler Lukas Gemein­der (27) arbei­te­te bisher im Kauf­män­ni­schen Bereich und s­uchte ­einen Beruf, der ihn mehr erfüllt. Jetzt studiert er an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Wie er haben viele der Studie­ren­den vor dem Theo­lo­gie­stu­di­um in ande­ren Beru­fen gearbeitet.

«Ich enga­gie­re mich schon seit länge­rem frei­wil­lig in der Kirche», erzählt Lukas Gemein­der (27) aus St. Gallen, «dabei habe ich immer mehr gespürt, dass mich diese Arbeit mehr erfüllt als meine beruf­li­che Tätig­keit im Kauf­män­ni­schen. Zudem habe ich in den letz­ten Jahren wieder stär­ker zum Glau­ben zurück­ge­fun­den und mich schliess­lich für das Theo­lo­gie­stu­di­um entschie­den mit dem kirch­li­chen Dienst als Ziel.» Das Studi­um gefal­le ihm: «Die unter­schied­li­chen Fächer wie etwa Musik, Liturgie-Wissenschaft, Kirchen­ge­schich­te und Spra­chen machen das Studi­um sehr span­nend und viel­sei­tig. Dank des brei­ten Spek­trums kann man persön­li­che Stär­ken und Schwä­chen in einzel­nen Fächern gut kompen­sie­ren. Auch wenn es manch­mal sehr theo­re­tisch ist, wird immer auch ein prak­ti­scher Bezug hergestellt.»

Lukas Gemein­der (rechts) in der Kaffee-Pause mit ande­ren Studie­ren­den aus dem Bistum St.Gallen.

Umfeld reagiert erstaunt

Einer der Studie­ren­den aus dem Bistum St. Gallen ist auch Simon Sigg (32), Reli­gi­ons­päd­ago­ge und Jugend­seel­sor­ger in Gossau. Er absol­viert ein berufs­be­glei­ten­des Studi­um im bischöf­li­chen Studi­en­pro­gramm. «Mein Umfeld reagiert manch­mal ein biss­chen erstaunt, dass ich als junger Mensch Theo­lo­gie studie­re und ich spüre auch eine gewis­se Span­nung in Bezug auf die Kirche», sagt er. «Auch wenn mich die Skan­da­le oder die vielen Kirchen­aus­trit­te trau­rig und nach­denk­lich stim­men, denke ich, dass die Kirche eine Zukunft hat.» Ihn moti­vie­re die Arbeit mit Jugend­li­chen. «Ich spüre eine Offen­heit gegen­über Reli­gi­on und auch ein Bedürf­nis nach Spiri­tua­li­tät. Ich bin über­zeugt von der frohen Botschaft der Kirche und möch­te diese weiter­tra­gen.» Mit Anfang 30 verspür­te er die Moti­va­ti­on, sich persön­lich vermehrt mit exis­ten­zi­el­len und philo­so­phi­schen Fragen ausein­an­der­zu­set­zen und den Glau­ben zu hinter­fra­gen und zu begrün­den. «Ich arbei­te schon seit eini­gen Jahren in der Pfar­rei­seel­sor­ge und woll­te mein Wissen erwei­tern und vertie­fen.» Für Chur hat er sich entschie­den, weil die Hoch­schu­le dort klein und fami­li­är sei. «Man kennt sich persön­lich, isst und disku­tiert zusam­men am Mittags­tisch. Ich habe bereits Reli­gi­ons­päd­ago­gik studiert und zwar in Luzern. Ich woll­te noch eine ande­re Hoch­schu­le kennen lernen und entschied mich auch deshalb für Chur.»

Viele der Studie­ren­den an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur kommen aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich.

50 bis 60 Studierende

«Das gros­se Plus der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur ist die Nähe von Hoch­schu­le und Semi­nar», hält René Scha­ber­ger, Rekto­rat­s­as­sis­tent an der Hoch­schu­le, fest. «Es wird nicht nur Theo­lo­gie gelehrt, sondern wir ermög­li­chen den Studie­ren­den auch eine ganz­heit­li­che Persön­lich­keits­bil­dung.» Auch bezeich­net René Scha­ber­ger die gute Betreu­ung der Studie­ren­den als einen Mehr­wert. «Wir können auch indi­vi­du­el­le Studi­en­pro­gram­me anbie­ten für Studie­ren­de, die berufs­tä­tig sind.» Etwa fünf­zig bis sech­zig Perso­nen studie­ren an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Diese Zahl sei seit Jahren stabil. «Heute begin­nen die wenigs­ten direkt nach der Matu­ra mit dem Theo­lo­gie­stu­di­um. Die meis­ten haben schon eine Berufs­aus­bil­dung absol­viert und zum Teil auch mehre­re Jahre im Beruf gear­bei­tet.» Viele der Studie­ren­den kommen laut René Scha­ber­ger aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich. Es gebe auch verein­zel­te Gast­hö­rer im Renten­al­ter, die die eine oder ande­re Vorle­sung besuchen.

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 31.01.2023

Online-­Infoveranstaltungen

Inter­es­sier­te erhal­ten bei den Online-­Informationsveranstaltungen am 13. und 21. Febru­ar, jeweils 19.30 Uhr, kompakt die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen zum ­Studi­um der Theo­lo­gie an der TH Chur sowie einen Einblick in die Insti­tu­ti­on. Es werden auch Fragen beantwortet.

→ Anmel­dung: www.thchur.ch/info

Paargeschichten sammeln, ohne sie zu bewerten

Wieso uns Bezie­hungs­ge­schich­ten ande­rer Paare gut tun, erzäh­len Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle und Matthi­as Koller Filli­ger von der Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St. Gallen im Inter­view. Kürz­lich haben sie das Projekt paargeschichten.ch lanciert.

Die Platt­form paargeschichten.ch sammelt Geschich­ten unter ­ande­rem von Liebes­an­fän­gen, Tren­nun­gen und Abschie­den, vom Heira­ten und Allei­ne sein: Welches ist Ihre Lieblingsgeschichte?

Matthi­as Koller Filli­ger: Persön­lich mag ich die Geschich­ten gerne, die von Liebes­an­fän­gen handeln. Oft erzäh­len sie vom Krib­beln am Anfang einer Bezie­hung. Gera­de auch in der Paar­be­ra­tung sind Liebes­an­fän­ge ein wich­ti­ges Element. Wenn man beispiels­wei­se in einer Krise der Frage nach­geht, wie alles begon­nen hat und warum sich das Paar einmal fürein­an­der entschie­den hat.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Fragt man Perso­nen nach ihren Liebes­an­fän­gen, erin­nern sich diese zunächst oft nicht an ein bestimm­tes Ereig­nis, sondern an viele verschie­de­ne Bilder. Die verschie­de­nen Bilder erge­ben dann zusam­men einen Liebes­an­fang. Das Span­nen­de dabei ist, dass zwei Perso­nen, die von ihrem Bezie­hungs­an­fang erzäh­len, oft ganz unter­schied­li­che Erin­ne­run­gen und Bilder haben. Das ist es, was mich fasziniert.

Mitt­ler­wei­le sind rund 70 ­Geschich­ten zusammen­gekommen. Wer erzählt Ihnen diese Geschich­ten und wieso?

Matthi­as Koller Filli­ger: Nehmen wir die Geschich­te mit dem Velo­ku­rier. In dieser betre­ten zwei Frau­en einen Velo­ku­rier­la­den, um ihre Velos zu pumpen. Sie blei­ben den ganzen Nach­mit­tag dort. Einer der Velo­ku­rie­re und eine der Frau­en küssen sich noch am selben Abend. Heute sind sie seit 22 Jahren verhei­ra­tet. Diese Geschich­te erzähl­te mir ein Arbeits­kol­le­ge, als wir zusam­men im Zug an eine Tagung fuhren. Weil paargeschichten.ch gera­de lanciert worden war, hatte ich ihn spon­tan gefragt, wie er denn eigent­lich seine Frau kennen­ge­lernt hatte. Am nächs­ten Tag frag­te ich ihn, ob ich ihre eindrück­li­che Geschich­te aufschrei­ben und veröf­fent­li­chen dürfe.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Wenn wir an einer Tagung oder einem Anlass mit den bereits gesam­mel­ten Geschich­ten arbei­ten, dann wirkt das oft wie ein Kata­ly­sa­tor. Viele Perso­nen erin­nern sich dann an ihre eige­nen Geschich­ten und erzäh­len diese. Das ist es auch, was die Stär­ke dieses Projek­tes ausmacht: Die Geschich­ten sind oft so alltäg­lich und gewöhn­lich und doch zeigen sie einem sofort auf, was eine Bezie­hung ausmacht und was deren Essenz ist. Eine meiner liebs­ten Geschich­ten ist «Die Bett­fla­sche». Jeden Abend bringt Floras Part­ner ihr eine Bett­fla­sche ins Bett. Das wird zu einem gemein­sa­men Ritu­al, das dabei hilft, die Enttäu­schung zu über­win­den, dass Flora gerne früh und ihr Part­ner stets spät ins Bett geht. Nur weil ich aber diese Geschich­te mag, heisst das nicht, dass sie auch ande­ren gefal­len muss und dass sie auf die Geschich­te genau­so posi­tiv reagie­ren wie ich.

Als Projekt­lei­ter von paargeschichten.ch wird Matthi­as Koller Filli­ger auch selbst zum Autor und zeich­net auf, was ande­re ihm erzählen.

Wie geht man damit um, wenn jeman­dem eine Geschich­te nicht gefällt, die einem selbst viel bedeutet?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Es ist gera­de das Ziel von paargeschichten.ch nicht zu bewer­ten oder zu inter­pre­tie­ren. Es ist zentral, Menschen nach ihren Geschich­ten zu fragen und sie erzäh­len zu lassen. Die Geschich­ten können verschie­de­nes auslö­sen: Faszi­na­ti­on und Befrem­den, Fragen und Wieder­erken­nen. Sie handeln von vielen Höhe­punk­ten, aber auch von schwie­ri­gen Momen­ten wie Tren­nung und Abschied. Diese Brei­te an Geschich­ten ist ein Schatz, der aufzeigt, dass Paar­be­zie­hun­gen ganz unter­schied­lich ablau­fen und gestal­tet werden können.

Matthi­as Koller Filli­ger: Und gera­de deshalb ist es ein Projekt, in dessen Mittel­punkt die Wert­schät­zung steht. Etwa die Wert­schät­zung dessen, was die gemein­sa­me Geschich­te eines Paares ausmacht.

Die Geschich­ten können nicht nur auf paargeschichten.ch ­gele­sen werden, sondern sind auch im Kultur­ma­ga­zin Ernst erschie­nen. Wie ist es zu dieser Zusam­men­ar­beit gekommen?

Matthi­as Koller Filli­ger: Die Idee zum Projekt Paar­ge­schich­ten kam 2020 vom St. Galler Jour­na­lis­ten und drama­tur­gi­schen Bera­ter Mark Riklin. Durch ihn ist auch die Zusam­men­ar­beit mit dem Kultur­ma­ga­zin ERNST und dem Burg­dor­fer Biogra­fi­schen Insti­tut entstanden.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Gera­de durch diese Zusam­men­ar­beit mit ausser­kirch­li­chen Part­nern ist das Projekt unglaub­lich viel­fäl­tig und damit anschluss­fä­hig für verschie­de­ne Menschen gewor­den. Die Redak­ti­on vom Maga­zin ERNST zum Beispiel mach­te ganz verschie­de­ne Beiträ­ge, auf die wir als kirch­li­che Arbeits­grup­pe nicht gekom­men wären, wie beispiels­wei­se eine Repor­ta­ge mit einem Kell­ner, der über zwei­hun­dert Hoch­zei­ten beglei­tet hat oder ein Gespräch mit einer Schei­dungs­an­wäl­tin. Erwäh­nen möch­te ich auch die Repor­ta­ge über eine Seel­sor­ge­rin im Trau­er­ca­fé in Gossau, die dort mit den Paar­ge­schich­ten gear­bei­tet hat und auf diese Weise viele weite­re berüh­ren­de Erzäh­lun­gen der Teil­neh­men­den über ihre Bezie­hun­gen zu hören bekam.

Stich­wort Trau­er­ca­fé: Ist das ein Beispiel dafür, wie die ­Paar­ge­schich­ten in der Praxis zum Einsatz kommen sollen?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Genau. Mit den Paar­ge­schich­ten kann man in bestehen­den Grup­pen arbei­ten, einen Anlass zum Thema Paar­ge­schich­ten entwi­ckeln oder diese als Türöff­ner in die Einzel­seel­sor­ge einflies­sen lassen. Wie bereits erwähnt, löst es bei allen Perso­nen eige­ne Emotio­nen und Erin­ne­run­gen aus, wenn sie eine der Paar­ge­schich­ten hören. Wir beto­nen dabei immer, wie wich­tig es ist, nicht über ande­re Geschich­ten zu werten und zu urtei­len. Nicht alle Geschich­ten sind eingän­gig oder roman­tisch. Es gibt Geschich­ten, die von Drei­ecks­be­zie­hun­gen erzäh­len oder von der Unfä­hig­keit, sich auf eine Part­ner­schaft einzulassen.

Matthi­as Koller Filli­ger: Kirche und Pasto­ral betre­ten «Heili­gen Boden», wenn sie mit Paaren und Fami­li­en arbei­ten: So heisst ein neuer Leit­fa­den für die Seel­sor­ge, der nach der letz­ten Bischofs­syn­ode von den Bistü­mern Basel und St. Gallen zur Ehe- und Fami­li­en­pas­to­ral heraus­ge­ge­ben wurde. Dieser betont, wie wich­tig es ist, sich vorbe­halt­los auf die heut­zu­ta­ge viel­fäl­ti­gen Paar- und Fami­li­en­rea­li­tä­ten einzu­las­sen. Genau diesem seel­sor­ge­ri­schen Ansatz entspricht auch das Projekt paargeschichten.ch.

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle und Matthi­as Koller Filli­ger such­ten nach einem Projekt, das sich weiter­ent­wi­ckeln lässt und wurde mit paargeschichten.ch fündig.

Von wegen viel­fäl­ti­gen ­Paar- und Fami­li­en­rea­li­tä­ten: Welche Rolle spielt der inter­kul­tu­rel­le Aspekt? Was können wir etwa von bina­tio­na­len Paaren oder von Paaren aus einer ande­ren Kultur lernen?

Made­lei­ne Winterhalter-Häuptle: Das Wich­tigs­te ist wohl, zu verste­hen, dass wir nicht in einer Blase leben. So wie wir und viel­leicht unser Bekann­ten­kreis leben, das muss nicht zwangs­läu­fig auch für ande­re so stim­men. Das soll auch in den Paar­ge­schich­ten wider­ge­spie­gelt werden. Gera­de planen wir eine Zusam­men­ar­beit mit dem St. Galler Verein Aida, der sich im Bereich Bildung und Begeg­nung fremd­spra­chi­ger Frau­en enga­giert. Die Bezie­hungs­ge­schich­ten dieser Frau­en werden in paargeschichten.ch aufge­nom­men und berei­chern so das Projekt.

→ www.paargeschichten.ch

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 25.01.2023

Stets neue Geschichten

Das Projekt paargeschichten.ch wird von IG PEF-Pastoral Deutsch­schweiz verant­wor­tet und von der Inlän­di­schen Missi­on sowie den röm.-kath. Kanto­nal­kir­chen Aargau, Luzern, Deutsch­frei­burg und Zürich und den Bistü­mern Sitten ­(Ober­wal­lis) und St. Gallen finan­ziert. Die Websei­te paargeschichten.ch wird fort­lau­fend mit neuen Geschich­ten ­erwei­tert. Die Fach­stel­le Partnerschaft-Ehe-Familie (PEF) des Bistums St. Gallen ist Mitglied bei der IG PEF und setzt das Projekt Paar­ge­schich­ten im Bistum St. Gallen um.

→ Weite­re Infos unter www.pef-sg.ch

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch