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Geschenke von den Sternen

Zu tradi­tio­nell polni­schen Weih­nach­ten gehö­ren zwölf Gerich­te. Geschen­ke kann nebst dem Christ­kind auch ein Stern brin­gen. Und wie in Polen üblich, lässt Magda­le­na Jenek zusam­men mit ihrer Fami­lie am Weih­nachts­tisch immer einen Platz für einen uner­war­te­ten Gast frei.

«Weih­nach­ten war für mich als Kind immer wie ein Märchen», sagt Magda­le­na Jenek. «All die Vorbe­rei­tun­gen, der Schnee und die Mitter­nachts­mes­se in der Kirche, zu der das ganze Dorf mit Later­nen unter­wegs war.» Die 39-jährige gebür­ti­ge Polin sitzt an ihrem Esstisch im Thur­gaui­schen Stein­ebrunn. Sie zeigt auf ihren Arm und sagt: «Wenn ich nur schon an Weih­nach­ten denke, bekom­me ich Gänse­haut.» In der Ostschweiz lebt Magda­le­na Jenek seit 20 Jahren. Sie enga­giert sich im Bistum St. Gallen als polni­sche Vertre­tung im Missi­ons­rat St. Gallen-Thurgau und besucht in der Kapel­le Unte­re Waid in Mörsch­wil die polni­schen Gottes­diens­te. In die Ostschweiz gezo­gen ist sie, weil sie sich während eines Besuchs bei ihrem Onkel, der Pries­ter in Flums ist, in ihren späte­ren Mann verlieb­te. «Und weil mein Mann eben­falls ursprüng­lich aus Polen ist, teilen wir all die vielen polni­schen Weih­nachts­tra­di­tio­nen», sagt sie.

Versöh­nung, Liebe und Frieden

Obwohl es noch ein paar Wochen bis Weih­nach­ten dauert, hat Magda­le­na Jenek extra für das Inter­view eini­ge polni­sche Obla­te besorgt. Die dünnen Teig­plätt­chen, auf denen Maria, Josef und das Jesus­kind in der Krip­pe abge­bil­det sind, dürf­ten an Weih­nach­ten auf keinen Fall fehlen. «Es ist eine der wich­tigs­ten Tradi­tio­nen», sagt sie und erzählt, wie sich an Heilig­abend die ganze Fami­lie am Tisch versam­melt. Es wird eine Caritas-Kerze ange­zün­det, gebe­tet und im Evan­ge­li­um gele­sen. Danach verteilt das Fami­li­en­ober­haupt an alle Anwe­sen­den Obla­te. «Alle gehen mit ihrer Obla­te zu den ande­ren Fami­li­en­mit­glie­dern, brechen ein Stück ab und wünschen ihrem Gegen­über etwas. Das ist ein Zeichen von Versöh­nung, Liebe und Frie­den», sagt sie. Anschlies­send beginnt das Weih­nacht­es­sen, das aus zwölf verschie­de­nen Gerich­ten besteht. «Und dieses Essen hat man sich verdient», sagt Magda­le­na Jenek und erzählt, wie man in Polen am 24. Dezem­ber tags­über fastet und schon früh am Morgen mit der Zube­rei­tung der Spei­sen beginnt. Der Baum muss geschmückt und der Tisch spezi­ell gedeckt werden: Die weis­se Tisch­de­cke liegt auf Heu, das daran erin­nern soll, dass Jesus arm in einem Stall zur Welt kam. Zudem bleibt immer ein Platz für einen uner­war­te­ten Gast frei. «Niemand soll an Weih­nach­ten allei­ne sein. Ausser­dem erin­nert uns der freie Platz einer­seits an jene Perso­nen, die verstor­ben sind. Ande­rer­seits lässt er uns an Maria und Josef denken, die nirgendwo einen Unter­schlupf fanden», sagt sie.

Für jeden Apos­tel ein Gericht

Auf die zwölf Gerich­te ange­spro­chen, lacht Magda­le­na Jenek und sagt: «Ja, zwölf Gerich­te müssen es sein, denn sie symbo­li­sie­ren die zwölf Apos­tel.» Nach Suppen, Teig­ta­schen, Sauer­kraut, Hering­salat, Knödel, Trocken­früch­te­kom­pott und vielem mehr werden Weih­nachts­lie­der gesun­gen und Geschen­ke verteilt. «Bei uns können entwe­der Engel, das Christ­kind, ein Stern oder ein Weih­nachts­mann Geschen­ke brin­gen. In meiner Fami­lie war es immer der Stern», sagt sie. Wird es Zeit für die Mitter­nachts­mes­se, macht sich die Fami­lie gemein­sam auf den Weg. «In meinem Heimat­ort Nosow waren das immer zwei Kilo­me­ter, die wir durch Dunkel­heit und Kälte liefen. Aber unse­re Herzen waren voller Freu­de und Wärme, weil Gott so nah bei uns war. Das war immer ein wunder­schö­nes Erlebnis.»

Einen Platz freihalten

Der erste und zwei­te Weih­nachts­tag werden in der Fami­lie verbracht und an jedem Tag wird eine Messe besucht. «Wir Kinder führ­ten dann jeweils jedes Jahr ein Krip­pen­spiel auf», sagt Magda­le­na Jenek. Nach Weih­nach­ten habe der Pries­ter alle Fami­li­en besucht. «Es wurde gere­det, gebe­tet und das Haus geseg­net. Man lern­te sich besser kennen, was die Gemein­schaft stärk­te.» Dann erin­nert sie sich spon­tan daran, wie der Pries­ter jeweils die Hefte der Kinder aus dem Religions­unterricht anschau­te und lobte. In Polen ist der Gross­teil der Bevöl­ke­rung katho­lisch. «Und in meinem Dorf waren wohl prak­tisch alle katho­lisch und die Weih­nachts­tra­di­tio­nen stark veran­kert. Weih­nach­ten ist das Fest, das uns daran erin­nert, dass Gott Mensch wurde und für uns gebo­ren, gestor­ben und aufer­stan­den ist», sagt Magda­le­na ­Jenek. Viele Weih­nachts­tra­di­tio­nen versucht sie auch heute in der Ostschweiz zusam­men mit ihrem Mann und Sohn weiter­zu­füh­ren. «Wir haben auch immer einen Platz für einen uner­war­te­ten Gast und vor zwei Jahren kam tatsäch­lich ein Nach­bar vorbei», sagt sie. Und natür­lich begin­nen wir das Weih­nachts­fest, wie in Polen üblich, dann, wenn am Himmel der erste Stern erscheint.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 23. Novem­ber 2024

Wenn alle die Krippe bestaunen

Die Katho­li­kin Sarah Soos­ai­pil­lai aus Rorschach erzählt, wie sie als Kind in ihrer südin­di­schen Heimat Weih­nach­ten feier­te und welche Bräu­che sie bis heute beibe­hal­ten hat.

«Zu Weih­nach­ten in Südin­di­en gehört auf alle Fälle ein Kreuz aus frit­tier­tem Teig», sagt die Rorscha­ch­e­rin Sarah Soos­ai­pil­lai. Und schon steckt die 51-Jährige mitten in ihren Kind­heits­er­in­ne­run­gen an die Advents- und Weih­nachts­zeit. Schon eine Woche vor Heilig­abend ging es mit den Weih­nachts­vor­be­rei­tun­gen jeweils los. Als Erstes form­te ihre Gross­mutter das erwähn­te Kreuz aus frischem Teig und frit­tier­te dieses. «Dann folg­ten frit­tier­te Süssig­kei­ten und herz­haf­te Spei­sen wie Kall­al, Ladoo und Muru­ku», sagt sie. Sarah Soos­ai­pil­lai lebt seit über 20 Jahren in der Ostschweiz. Sie ist Katho­li­kin. In Indi­en gehö­ren 2,3 Prozent aller Menschen dem Chris­ten­tum an. Das frit­tier­te Teig­kreuz ist auch hier Teil jedes Weih­nachts­fests mit ihrem Mann und ihren zwei Töch­tern. «Meine Gross­mutter brach das Kreuz nach der Mitter­nachts­mes­se in klei­ne Stücke und jedes Fami­li­en­mit­glied bekam eines davon», sagt sie.

Als Chor von Tür zu Tür

Die Tage vor Weih­nach­ten sind für Sarah Soos­ai­pil­lai die Zeit, in der man sich auf die Geburt von Jesus vorbe­rei­tet. Es ist ein Ereig­nis, das Hoff­nung auf Frie­den verspricht. «Diese Vorfreu­de teilt man in Indi­en mit der Gemein­schaft und der Nach­bar­schaft», sagt sie und nennt als Beispiel «Carol Singing». Dabei gehen Chöre von Tür zu Tür der katho­li­schen Fami­li­en, um Spen­den für einen guten Zweck zu sammeln. Die Fami­li­en bedan­ken sich mit klei­nen Geschen­ken oder Süssig­kei­ten. «Süsses oder Gebäck schenk­ten wir auch unse­ren hindu­is­ti­schen Nach­barn in meiner Heimat­stadt Erode im Bundes­staat Tamil Nadu. Im Gegen­zug beka­men wir von ihnen etwas, wenn sie das Lich­ter­fest Diwa­li feier­ten.» Auch Krip­pen spie­len in Sarah Soos­ai­pil­lais Weih­nachts­er­in­ne­run­gen eine wich­ti­ge Rolle. Sie lacht und erzählt, wie die Fami­li­en in ihrer Nach­bar­schaft in den Tagen vor Weih­nach­ten wirk­lich gros­se Krip­pen zu Hause aufbau­ten. Nach Weih­nach­ten besuch­te der Seel­sor­ger jeweils alle Fami­li­en und zeich­ne­te die drei schöns­ten Krip­pen aus. «Danach kamen alle Nach­barn vorbei, um die Krip­pen anzuschauen.»

Gewür­ze für den Advent

Gera­de im Advent vermisst Sarah Soos­ai­pil­lai vieles aus ihrer Heimat, etwa die Gewür­ze und Gerü­che. Während des Dezem­bers verkauft sie daher an ihrem Stand auf dem Markt­platz in Rorschach sams­tags nebst Mittags­me­nüs auch Gewürz­mi­schun­gen, deren Zube­rei­tung sie von ihrer Mutter und Gross­mutter gelernt hat. In die Schweiz kam Sarah Soos­ai­pil­lai wegen ihres Mannes, der ursprüng­lich aus Sr. Lanka stammt. Hier arbei­tet sie aktu­ell als Betreue­rin in der Tages­be­treu­ung Rorschach. Zudem enga­gier­te sie sich im Pfar­rei­rat sowie im Eltern­rat an der Primar­schu­le ihrer Töch­ter, orga­ni­sier­te frei­wil­li­ge Turn­stun­den für Kinder und gab Koch­kur­se für Erwach­se­ne. Seit sechs Jahren führt sie den Cate­ring­dienst und den Take-away-Imbiss «Sarahs Indi­an Kitchen».

Karten als Christbaumschmuck

Nach Indi­en ist Sarah Soos­ai­pil­lai über die Weih­nachts­ta­ge mit ihrer Fami­lie noch nie gereist. «Die Feri­en sind zu kurz für so eine lange Reise», sagt sie. Dafür besucht sie mit ihrer Fami­lie jeweils die Mitter­nachts­mes­se in der katho­li­schen Kirche in Rorschach. «Die Mitter­nachts­mes­se gehör­te auch in Indi­en zum Heilig­abend. Der Unter­schied ist aber, dass sie in Indi­en wirk­lich um Mitter­nacht und nicht schon um 22 Uhr, wie vieler­orts hier, gefei­ert wird», sagt sie. Eine Krip­pe gehört für Sarah Soos­ai­pil­lai heute noch zu Weih­nach­ten dazu sowie Gebe­te vor der Krip­pe. «Und wir haben natür­lich einen Weih­nachts­baum mit der übli­chen Deko­ra­ti­on», sagt sie und fügt an: «Das fand ich früher fast schö­ner: Meine Mutter und Gross­mutter schmück­ten den Weih­nachts­baum jeweils mit Post­kar­ten, die uns Verwand­te und Freun­de in der Advents­zeit geschickt hatten. Das war defi­ni­tiv eine ande­re Zeit.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. Novem­ber 2024

Laternen, Kettenhemd und Pferd

Martin Diet­rich wirkt in diesem Jahr schon zum drit­ten Mal als heili­ger Martin mit seinem Pferd beim Martins­um­zug durch Walen­stadt mit. Warum ist er Fan vom heili­gen Martin?

«Viele Kinder freu­en sich beim Umzug beson­ders über das Pferd. Wenn das Wetter gut ist, dann nehmen wir uns auch Zeit, damit sie Fotos mit dem Pferd machen können. Der Umzug ist für unser Pferd ein gutes Trai­ning: Es lernt, sich besser zu konzen­trie­ren und sich nicht so schnell ablen­ken zu lassen. Ich heis­se selbst Martin, es ist ein beson­de­res Gefühl, am Umzug als heili­ger Martin ­dabei zu sein. Der heili­ge Martin war ein Soldat, ich trage als Kostüm ein Ketten­hemd, das ist zehn Kilo­gramm schwer. Es ist etwas Beson­de­res, mit meinem Pferd den Umzug anzu­füh­ren und mit den vielen Kindern und Erwach­se­nen durch das Städt­chen von Walen­stadt unter­wegs zu sein. Der heili­ge Martin hat die Menschen zum Teilen moti­viert. Diese schö­ne Botschaft wäre auch für die heuti­ge Zeit echt wichtig.»

In vielen Orten gibt es Räbeliechtli-Umzüge, in Walen­stadt orien­tiert er sich am heili­gen Martin. Der Umzug star­tet beim Primar­schul­haus. Wer mag, kann seine eige­ne Later­ne mitbrin­gen. Mit Trom­pe­ten­mu­sik ziehen alle zur katho­li­schen Kirche. Dort hören sie am Feuer die Geschich­te vom heili­gen Martin. Anschlies­send gibt es Wiener­li und Punsch. Die Kinder erhal­ten von Martin und seinen Helfern ein klei­nes Geschenk.

Der heili­ge Martin lebte vor mehre­ren Jahr­hun­der­ten. An einem kalten Tag begeg­ne­te er einem frie­ren­den Bett­ler. Er hatte Mitleid, deshalb teil­te er seinen Mantel und gab ihm ein Stück davon. Am 11. Novem­ber erin­nern sich die Menschen an ihn. Bastel­vor­la­gen, Lieder, Rezep­te für Gebäck und Geträn­ke rund um den heili­gen ­Martin kannst du hier down­loa­den: www.martin-von-tours.de

Sonn­tag, 10. Novem­ber, 17 Uhr, ­Walen­stadt, Primarschule

Text: Stephan Sigg

Bilder: Kath­rin Wetzig

Veröf­fent­li­chung: 9. Novem­ber 2024

Künftig abends in die Kirche?

In vielen Pfar­rei­en wird die Gottes­dienst­ge­mein­de zuneh­mend klei­ner. Gefragt sind neue Gottes­dienstformen und ‑zeiten. Pfar­rei­en im Bistum St. Gallen wagen deshalb jetzt neue Wege.

Es ist längst kein Geheim­nis mehr: In vielen Pfar­rei­en wird die Gottes­dienst­ge­mein­de immer klei­ner. Hinzu kommen nicht selten perso­nel­le Engpäs­se. Vor allem Pries­ter fehlen. Wie künf­tig genü­gend Eucha­ris­tie feiern? Dies stellt die Pfar­rei­en zuneh­mend vor ein Problem. «Wir alle merken, dass es so nicht weiter­ge­hen kann. Einfach zuse­hen und abwar­ten ist für uns keine Alter­na­ti­ve mehr», sagt Phil­ipp Wirth, Pfar­rei­be­auf­trag­ter der Seel­sor­ge­ein­heit (SE) Stei­ner­burg. Diese hat auf das aktu­el­le Kirchen­jahr hin die Gottes­dienst­ord­nung ange­passt. Die Eucha­ris­tie­fei­er am Sams­tag­abend in Stein­ach wurde gestri­chen. «Wir konn­ten nicht mehr alle Gottes­diens­te aufrecht­erhal­ten», erklärt Wirth. Genau­so tönt es aus der Stadt St. Gallen. In den Pfar­rei­en St. Geor­gen, Riet­hüs­li und St. Otmar, die räum­lich nahe beiein­an­der liegen, wurde die Gottes­dienst­ord­nung eben­falls ange­passt. Seit diesem Jahr finden pro Wochen­en­de nur noch zwei statt drei klas­si­sche Sonntagsgottesdienste statt. Eine direk­te Auswir­kung des Pries­ter­man­gels und der immer klei­ner werden­den Fest­ge­mein­de, wie die Pfar­rei­be­auf­trag­te Barba­ra Walser sagt.

Anpas­sun­gen bedür­fen Mutes

Gottes­dienst strei­chen und gut ist? Ganz so einfach ist es nicht. Wenn Zeiten ange­passt oder gewohn­te Feiern gestri­chen werden, ist das immer auch mit Kritik verbun­den. Erich Gunt­li, Pfar­rer in der SE Werden­berg, spricht von einem Span­nungs­feld. «Viele Gläu­bi­ge redu­zie­ren das kirch­li­che Leben auf Gottes­dienst­be­su­che. Und der Gross­teil will, wenn über­haupt, am Sonn­tag um 10 Uhr in die Kirche.» Anpas­sun­gen bedürf­ten Mutes, so Gunt­li. Auch Barba­ra Walser hat ähnli­che Erfah­run­gen gemacht. Der Sonn­tags­got­tes­dienst sei vor allem für tradi­tio­nel­le Gläu­bi­ge noch heilig, so Walser. Sie verschweigt aber auch nicht, dass die Kirchen in ihrem Gebiet häufig ziem­lich leer sind. «Manch­mal predi­gen wir vor 20 Gläu­bi­gen. Wie soll da noch eine feier­li­che Stim­mung aufkom­men?» Walser fragt dies rheto­risch. «Es gibt eben auch viele, die ande­re Formen der Gemein­schaft suchen», sagt sie. Dompfar­rer Beat Grög­li ist in einer komfor­ta­ble­ren Situa­ti­on. Die Kathe­dra­le St. Gallen ist eine Zentrums­kir­che, die Gläu­bi­ge aus der ganzen Regi­on anzieht. Trotz­dem gab es auch hier Anpas­sun­gen. Nach den Sommer­fe­ri­en wurde die Früh­mes­se vom Mitt­woch auf den Abend um 17.30 Uhr verlegt. Die Früh­mes­se vom Diens­tag ist neu in der Gallus-Krypta. «Wir müssen inno­va­tiv blei­ben – in den Zeiten und in den Orten. Wenn wir während der norma­len Arbeits­zeit Gottes­diens­te anbie­ten, schlies­sen wir einen gros­sen Teil der Gläu­bi­gen grund­sätz­lich und bereits von Beginn an aus. Und das wollen wir nicht», erklärt der Dompfar­rer. «Die Gottes­dienst­zeit ist ziem­lich entscheidend.»

Wieder mehr Nähe schaffen

Die Pfar­rei­en, und mit ihnen die Gläu­bi­gen, müssen sich der verän­der­ten Reali­tät stel­len. Die Lösung sind unter andem neue Gottes­dienst­for­men. Wirth sieht in der notwen­di­gen Anpas­sung denn auch eine Chan­ce: «Wo etwas verschwin­det, wird immer Platz geschaf­fen für Neues. Wir versu­chen, trotz weni­ger Gottes­diens­te, näher an die Menschen heran­zu­kom­men. Mit neuen Ange­bo­ten können wir viel­leicht auch jenen Gläu­bi­gen gerecht werden, die keine klas­si­schen Kirch­gän­ger sind.» Die Haupt­fra­ge für ihn sei nicht, ob es künf­tig genü­gend Pries­ter gebe, sondern: «Wie wollen wir künf­tig mit den Gläu­bi­gen unter­wegs sein und die Gemein­schaft pfle­gen?» Die Menschen würden heute oft spezi­el­le und auf sie zuge­schnit­te­ne Ange­bo­te suchen, sagt auch Barba­ra Walser und nennt als Beispiel die Kirche Kunter­bunt. Das aus England stam­men­de, über­kon­fes­sio­nel­le Konzept zieht in der Stadt St. Gallen die Fami­li­en in Scha­ren an. «Durch die Strei­chung der Gottes­diens­te haben wir Raum geschaf­fen für etwas, dem mehr Ausdruck und Kraft zugrun­de liegt», sagt Walser. Und genau hier liegt auch für Beat Grög­li der Punkt. «Die Feiern müssen kraft­voll, sorg­fäl­tig gestal­tet und von einer Gemein­de getra­gen werden. Dort, wo kraft­voll gefei­ert wird, kommen auch die Gläu­bi­gen.» Das gelte für alle Arten von Feiern, so Grög­li. Er weiss, dass dies für klei­ne­re Pfar­rei­en nicht immer einfach ist. «Wir müssen wohl unse­re Kräf­te konzen­trie­ren und uns gut über­le­gen, wie wir was machen.»

Alle sollen mithelfen

Die SE Stei­ner­burg fasst die neuen Ange­bo­te unter dem Schlag­wort «Krea­tiv­fei­ern» zusam­men, wobei diese ganz unter­schied­lich sind: Eine Hunger­tuch­me­di­ta­ti­on während der Fasten­zeit, eine «Zeuerle»-Feier, in der die Verbin­dung von Klang, Gemein­schaft und Gott hör- und erfahr­bar wurde, eine Oster-Lager-Feuer-Feier, eine Krea­tiv­fei­er mit Austausch über den Glau­ben und eine mit Bibel­tei­len. Dabei setzt die Pfar­rei auf die Mithil­fe vieler – alle Gläu­bi­gen dürfen Feiern vorbe­rei­ten und ihnen vorste­hen. In den Pfar­rei­en Riet­hüs­li, St. Geor­gen und St. Otmar werden nun unter ande­rem mehr Wort­got­tes­fei­ern abge­hal­ten. Zudem hat sich eine ökume­ni­sche Feier­grup­pe formiert. «Völlig selbstständig, ohne unser Zutun. Das freut uns sehr und zeigt, dass es ein Bedürf­nis ist, Gemein­schaft auch ausser­halb des gängi­gen Gottes­diens­tes zu erfah­ren», sagt Walser. Für alle Befrag­ten ist aber klar: Gottes­diens­te ersatz­los zu strei­chen, ist keine Opti­on. «Es geht nicht um ein Konkur­renz­den­ken. Es geht darum, die Kirche zu ergän­zen», sagt Erich Guntli.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Pixa­bay
Veröf­fent­li­chung: 1. Novem­ber 2024

Trauernde begleiten

Buch­tipp:

Wie Trau­ern­de in schwe­ren Zeiten beglei­ten? Was soll ich tun? Was lass ich besser blei­ben? Trau­ern­de Menschen im Bekannten- oder Fami­li­en­kreis können verun­si­chern. Natür­lich gibt es kein Patent­re­zept, aber Hinwei­se für einen sorg­sa­men und ange­mes­se­nen Umgang schon. 

Chris­ti­ne Hubka, evan­ge­li­sche Pfar­re­rin in Wien, gibt Rat – persön­lich, fein­sin­nig und lebens­nah. Sie erklärt die Trau­er­pha­sen und räumt dem Thema Kinder und Trau­er einen beson­de­ren Platz ein. Sie gibt auch Tipps für die rich­ti­gen Worte beim Beileids­schrei­ben und geht der Frage nach, ob man über Tote nur Gutes reden darf. Kurze Berich­te von Betrof­fe­nen veran­schau­li­chen das höchst indi­vi­du­el­le Erle­ben dieser schwie­ri­gen Zeit. 

Chris­ti­ne Hubka war nach ihrem Studi­um der evan­ge­li­schen Theo­lo­gie Reli­gi­ons­leh­re­rin, später Pfar­re­rin in Trais­kir­chen, wo sie den evan­ge­li­schen Flücht­lings­dienst grün­de­te. Sie hatte Lehr­auf­trä­ge an der Pädago­gi­schen Akade­mie sowie an der Univer­si­tät Wien und bis zu ihrer Pensio­nie­rung Pfar­re­rin in Wien, wo sie auch Ster­ben­de und deren Fami­li­en im Hospiz am Renn­weg beglei­te­te. In der Pensi­on ist sie als Gefäng­nis­seel­sor­ge­rin tätig. Hubka hat mehre­re Kinder­bü­cher verfasst und ist Preis­trä­ge­rin des Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreises.

Chris­ti­ne Hubka: Mehr als Beileid — so können wir Trau­ern­de in schwe­ren Zeiten begleiten

Tyro­lia, ISBN 978–3‑7022–4212‑1, 160 S., im Buch­han­del erhältlich

Text: Stephan Sigg

Bild: zVG

Veröf­fent­li­chung: 31. Okto­ber 2024

Und plötzlich ist Schluss

29 Jahre lang hat Mari­an­ne Baro­ni Krip­pen aus aller Welt gesam­melt. Rund 200 Stück ­besass die Rhein­ta­le­rin zuletzt. Nun möch­te sie sich von ihren Figu­ren ­tren­nen – und verspürt dabei keine Wehmut mehr.

Bei Mari­an­ne Baro­ni herrscht Chaos. Die Stube der 66-Jährigen ist voll mit Plas­tik­bo­xen, Verpa­ckungs­ma­te­ri­al und klei­nen Figür­chen. Vorsich­tig wickelt Baro­ni ein Stück nach dem ande­ren ein und legt sie behut­sam in die Boxen. Vor sieben Jahren hat das Pfar­rei­fo­rum über Baro­ni und ihre Krip­pen­samm­lung berich­tet. Heute macht sie diese parat zum Verkauf. Mari­an­ne Baro­ni gibt ihre Sammel­lei­den­schaft auf. «Es war mir mit zuneh­men­dem Alter einfach zu viel Aufwand», sagt die Rheintalerin.

Mari­an­ne Baro­ni macht ihre rund 200 Krip­pen zum Verkauf fertig. 

«Es war immer schwie­rig, einen geeig­ne­ten Ausstel­lungs­ort zu finden.» Eini­ge Sammel­stü­cke konn­te Mari­an­ne Baro­ni bereits dem Krip­pen­mu­se­um Dorn­birn abge­ben. Darun­ter auch ihre wert­volls­te Krip­pe, eine Sonder­an­fer­ti­gung aus Taiwan. Die Krip­pen­fi­gu­ren sind aus Ton gefer­tigt und wiegen je ein Kilo. Die verblie­be­nen über 100 Krip­pen versucht sie nun in den kommen­den Wochen an den Mann und die Frau zu brin­gen. «Mein Traum wäre natür­lich, dass sich jemand der ganzen übri­gen Samm­lung anneh­men würde. Aber ich weiss, dass dies unrea­lis­tisch ist.»

Erin­ne­rung an Vergangenheit

Mari­an­ne Baro­ni ist prag­ma­tisch. Jetzt, beim Verpa­cken, über­kommt sie kein Gefühl der Wehmut mehr. Sie hat sich mit der Situa­ti­on arran­giert. «Wehmut bedeu­tet für mich, ein Gefühl von zarter Trau­rig­keit und vor allem die Sehn­sucht nach einer schö­nen Vergan­gen­heit, und diese war bei jeder Ausstel­lung vorhanden.» 

Die Rhein­ta­le­rin besitzt Krip­pen aus aller Welt. Diese hat sie oft von Missi­ons­or­den erhalten.

Den Entschluss, ihre Samm­ler­stü­cke weiter­zu­ge­ben, hat Mari­an­ne Baro­ni bereits vor rund einem Jahr getrof­fen. Wie sie die Zeit füllen wird, wird sich noch zeigen müssen. Sie wolle es nun einfach ein «wenig ruhi­ger ange­hen lassen» und genies­sen, dass sie nun mehr Zeit für sich habe.

Authen­ti­zi­tät wichtig

Mari­an­ne Baro­nis Sammel­fie­ber begann vor nunmehr 29 Jahren mit einer Krip­pe aus Chile. Zuletzt umfass­te die Samm­lung rund 200 Krip­pen aus der ganzen Welt. Diese füllen ein ganzes Zimmer in ihrem Haus in Marbach. 

Ordnung muss sein: Mari­an­ne Baro­ni hat ihre Krip­pen in beschrif­te­ten Boxen gelagert.

Mari­an­ne Baro­ni besitzt Figu­ren aus asia­ti­schen Ländern wie Japan oder Bangla­desch, aus afri­ka­ni­schen Ländern wie Benin, Tschad oder Mala­wi oder aus latein­ame­ri­ka­ni­schen Ländern wie Boli­vi­en, Urugu­ay oder Kolum­bi­en. Ihre Krip­pen hatte sie oft von Mis­sionsorden erhal­ten. «Ich habe einfach ange­fragt. Meist per Brief. Manch­mal kam direkt ein Päck­chen mit Krip­pen­fi­gu­ren, manch­mal nicht mal eine Antwort», sagt sie. Mari­an­ne Baro­ni hat immer gros­sen Wert auf die Authen­ti­zi­tät gelegt. Inter­es­sant waren für sie vor allem Stücke, die aus tradi­tio­nel­len Mate­ria­li­en bestehen und auf die Eigen­hei­ten der Länder einge­hen. Wie etwa jene aus Togo, die als einzi­ge eine Löwen­fi­gur umfasst.

Eine Bestimm­te fehlte

Ein Exem­plar hätte Mari­an­ne Baro­ni immer gerne gehabt, aber in all den Jahren nie finden können: eine Krip­pe aus Austra­li­en. «Eine solche hat mir immer gefehlt. Es gibt sehr weni­ge davon», so Mari­an­ne Baroni. 

Mari­an­ne Baro­ni hat alle ihre Krip­pen in einem Ordner foto­gra­fisch festgehalten.

Sie hat ihre Boxen fast voll­stän­dig gepackt und ist parat. Bald heisst es, sich von der Sammel­lei­den­schaft zu tren­nen. Ganz von den Krip­pen ablas­sen kann Mari­an­ne Baro­ni aber auch künf­tig nicht. Sie wird drei Stücke behal­ten: eine Krip­pe, die ihr Sohn aus Grie­chen­land heim­brach­te, ein Erbstück von den Eltern und jene Krip­pe aus Chile, die das Sammel­fie­ber dereinst ausge­löst hat – jene drei Krip­pen, die für Mari­an­ne Baro­ni auch einen emotio­na­len Wert haben.

Hinweis:
Mari­an­ne Baro­ni orga­ni­siert eine Ausstel­lun­gen mit Verkauf: 24.11., Novem­ber­märt­li in Diepold­sau. Inter­es­sen­ten dürfen sich auch direkt melden: m_baroni@bluewin.ch

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 28. Okto­ber 2024

Matroschkas, Kaffeetassen und Spaziergänge in Bregenz

Die Redak­ti­on des Pfar­rei­fo­rums hat sich auf die Suche nach eige­nen Erin­ne­run­gen gemacht. Welche Situa­tio­nen, Gegen­stän­de und Momen­te lassen uns an Verstor­be­ne denken und was löst das in uns aus?

Fried­hö­fe und Gräber besu­che ich selten. Wenn ich vor dem Grab verstor­be­ner Verwandter stehe, kommt es mir jedes Mal komisch vor: Ich bin hier, die Person ist weg. Zudem habe ich in diesen Momen­ten selten Erin­ne­run­gen und studie­re daher eher die Grab­bepflan­zung oder die Schrift­art auf den Grab­stei­nen. Dann gehe ich lieber schnell weiter. Viel­leicht gehö­re ich zu jenen Menschen, die den Tod verdrän­gen. Oder viel­leicht ist es einfach zu schmerz­haft, daran zu denken, dass jemand, der einmal so selbst­ver­ständ­lich da war, es nicht mehr ist.

Da sind viele Erin­ne­run­gen an die unbe­schwer­te Kind­heit und all diese mitt­ler­wei­le verstor­be­nen Menschen, die mir wich­tig waren. Ich frage mich, ob diese Perso­nen heute in meinem Alltag noch eine Rolle spie­len. Ich habe keine Ritua­le, mit denen ich mich bewusst an sie erin­ne­re. Viel eher ist es umge­kehrt: Es gibt bestimm­te Momen­te und Phasen in meinem Leben, die Raum für Erin­ne­run­gen lassen. Ein Sonnen­un­ter­gang in der Natur lässt mich jedes Mal an meine Tante denken, die kurz vor ihrem Tod zu mir sagte: «Schau dir diesen Sonnen­un­ter­gang an mit all seinen Farben!» Auch habe ich gelernt, dass ein leerer Kopf und Auszei­ten neue Begeg­nun­gen mit Verstor­be­nen zulas­sen. Als ich einst mit dem Velo mehre­re Wochen Rich­tung Süden fuhr und täglich acht Stun­den auf dem Sattel sass, träum­te ich in vielen Näch­ten von meinen Gross­el­tern. Wir rede­ten, lach­ten und ich sah ihre Gesich­ter sehr deut­lich vor mir. Wenn ich erwachte, verblass­te die Erin­ne­rung auch nicht. Ich träum­te während dieser Velo­tour übri­gens auch von «Gspän­li» aus der Primar­schul­zeit, an die ich mindes­tens 20 Jahre nicht mehr gedacht hatte. Ich weiss nun, dass ich Platz in meinem Kopf und Ruhe brau­che, um mich an Menschen zu erin­nern und daran, wer sie für mich waren.

Manch­mal lassen mich auch Gegen­stän­de im Alltag inne­hal­ten. Kürz­lich fand ich etwa eine Matroschka-Puppe wieder, als ich einen Umzugs­kar­ton auspack­te. Matrosch­kas sind bunte und aus Holz gefer­tig­te Puppen, die viele weite­re klei­ne Puppen in sich verste­cken, die sich inein­an­der schach­teln lassen. Nach dem Tod meiner Gross­mutter vor vielen Jahren hatte ich sie als Erin­ne­rung ausge­wählt. Wenn ich die Puppe in der Hand halte, werde ich wieder zu dem Mädchen, das bei jedem Besuch bei seiner Oma auf dem Sofa sass und die Matrosch­ka im Regal bewun­der­te. Manch­mal durf­te ich sie ausein­an­der­neh­men und wieder zusam­men­set­zen. Das tue ich auch heute noch, wenn mir die Puppe zum Beispiel beim Abstau­ben einmal in die Finger gerät. Ich setz­te mich hin und nehme Püpp­chen um Püpp­chen heraus. Die Figu­ren lassen mich zufäl­lig an Vergan­ge­nes denken. Ich weiss im Vorfeld nicht, welche Erin­ne­rung ich haben werde. Gerne wüss­te ich, ob man es trai­nie­ren kann, sich in bestimm­ten Momen­ten an jeman­den zu erin­nern. Zumin­dest nehme ich mir das seit vielen Jahren vor: Ich möch­te an Aller­hei­li­gen auf einen Fried­hof gehen und eine Kerze anzün­den, um in Gedan­ken bei dieser Person zu sein. Die Vergäng­lich­keit würde mir in diesem Moment wohl sehr bewusst. Und ich müss­te mir wahr­schein­lich die Frage stel­len, was nach dem Tod von uns bleibt. Wie einfach ist es im Vergleich dazu, mit dem Alltag davonzurauschen. 

Nina Rudni­cki

Meine Gross­el­tern wohn­ten in Bregenz, ich verbrach­te als Kind und auch als Jugend­li­cher viel Zeit bei ihnen am Boden­see, Oma und Opa waren für mich sehr prägend. Vor ein paar Jahren sind sie mit Mitte bzw. Ende acht­zig gestorben.

Bregenz hat ein wunder­schö­nes Seeufer, kultu­rell eini­ges zu bieten, zum Beispiel die Fest­spie­le, und auch die Altstadt hat ihren Reiz, abge­se­hen davon ist die Vorarl­ber­ger Klein­stadt eine Stadt wie viele ande­re. Für mich ist es aber DIE Stadt – Bregenz ist meine «Oma-und-Opa-Stadt». Sie ist zwar nicht weit weg von St. Gallen, aber wenn ich dort bin, bin ich doch gleich ganz woan­ders. Ich bin heute immer noch regel­mäs­sig in Bregenz und jedes Mal sind sofort alle Erin­ne­run­gen an meine verstor­be­nen Gross­el­tern da. Ich kann selbst in ganz unspek­ta­ku­lä­ren Gassen oder sogar auf dem Park­platz vor einem Einkaufs­zen­trum Kraft tanken. Hier sind Oma und Opa mir viel näher als auf dem Fried­hof. Auch das eine oder ande­re Erin­ne­rungs­stück wie eine Karaf­fe oder ein Spie­gel, die ich von ihnen aufbe­wahrt habe, sind nichts gegen die Vor-Ort-Atmosphäre. Wenn ich irgend­wo etwas von Bregenz höre oder mir jemand erzählt, dass sie oder er aus Bregenz kommt, löst das immer sofort posi­ti­ve Gefüh­le aus. 

Stephan Sigg

Ich kann gut verdrän­gen – ich gebe es zu. Ich verban­ne unlieb­sa­me Gedan­ken manch­mal gerne in die hinters­te Ecke meines Gedächt­nis­ses. Viel­leicht ist es ein Schutz­me­cha­nis­mus, dass ich nicht zu lange um Sachen herum­stu­die­re, die zu ändern ich nicht mehr in der Lage bin. Denn Erin­nern heisst auch Akzep­tie­ren. Es heisst, Vergan­ge­nes vergan­gen sein lassen. Aber es gibt auch Momen­te, da hole ich Erin­ne­run­gen gerne wieder aus eben­die­ser hinters­ten Ecke hervor. Dabei helfen mir unter ande­rem Gegen­stän­de. Etwa die Kaffee­täss­chen meiner italie­ni­schen Urgross­mutter. Sie sind bestimmt schon 80 Jahre alt und abge­grif­fen. Sie sind nichts Beson­de­res, aber ich hüte sie wie einen Gold­schatz. Wenn immer ich sie zur Hand nehme, denke ich an unse­re gemein­sa­me Zeit in Itali­en zurück. Ich habe nur schö­ne Erin­ne­run­gen daran – an die Gesprä­che mit fürsorg­li­chen Menschen, an die ausge­las­se­nen Stun­den am Holz­tisch in der gros­sen Wohn­kü­che, an den alten wärmen­den Holz­ofen. Der Kaffee schmeckt mir aus diesen Täss­chen einfach besser – und das morgend­li­che Aufste­hen fällt einfach leichter.

Gegen­stän­de vermö­gen Erin­ne­run­gen zu wecken. Genau­so auch Orte. Das beste Beispiel ist wohl der Fried­hof. Ich gehe oft auf den Fried­hof. Ich mag es, auf den Fried­hof zu gehen. Warum? Die Ruhe dort lässt mir im hekti­schen Alltag den nöti­gen Raum für Erin­ne­run­gen. Ich kann mir Zeit nehmen, um bewusst an jene Menschen zu denken, die ich schmerz­lich vermis­se und die ich nicht einfach mal kurz anru­fen kann. Meine Gross­mutter väter­li­cher­seits etwa. Sie liegt seit 40 Jahren in einem Fami­li­en­grab. Und seit ich mich erin­nern kann, besu­chen wir sie auf dem Fried­hof. Diese «Tref­fen» gehö­ren für mich zum Alltag. Ich kenne es nicht anders und es ist okay so. Mehr noch, ich freue mich, wenn ich wieder zu Nonna gehen und ihr von meinem Tag erzäh­len kann. Ich nehme dann Blüm­chen mit. Keine Näge­li, die moch­te sie nicht. Violet­te oder gelbe Blumen waren ihre Favo­ri­ten. Und ich erzäh­le ihr dann von meinen Sorgen, von Proble­men und den erfreu­li­chen Sachen. Und ich fühle mich ihr dann beson­ders nah.

Meine Gross­mutter ist früh von uns gegan­gen – für uns alle zu früh. Ich kann­te sie nicht persön­lich. Reale Tref­fen gab es nie. Nur Tref­fen auf dem Fried­hof. Und dennoch habe ich das Gefühl, dass sie mir um eini­ges näher ist als so manche Person, mit der ich einen Abschnitt meines Lebens­we­ges gegan­gen bin. Es sind die Erzäh­lun­gen meiner Eltern, die ihre Person so leben­dig gehal­ten haben. Sie haben oft über meine Gross­mutter gespro­chen. Meine Eltern haben unzäh­li­ge Anek­do­ten aus ihrem Leben erzählt, haben uns Fotos gezeigt und sind mit uns an Orte gereist, die für sie eine beson­de­re Bedeu­tung hatten. Wenn wir Glocken­ge­läut hören, denken wir oft an sie. Sie hat Glocken gesam­melt. Meine Gross­mutter hat einen beson­de­ren Stel­len­wert in unse­rem Leben – auch wenn sie längst nicht mehr da ist. Ich habe zwar keine eige­nen Erin­ne­run­gen an meine Gross­mutter, aber trotz­dem erin­ne­re ich mich immer gerne an sie. 

Ales­sia Pagani

Bilder: pixabay.com, Nina Rudni­cki, ­Ales­sia Paga­ni, iStock / ctaskesen

Veröf­fent­li­chung: 26. Okto­ber 2024

Den Erinnerungen ihren Platz geben

Ein Lieb­lings­es­sen oder eine Zufalls­be­geg­nung, die einen an jemand Verstor­be­nen denken lassen: Solche Erin­ne­run­gen finden sich über­all im Alltag. Die St. Galler Seel­sor­ge­rin Pris­ka ­Filli­ger Koller sagt, wie Ritua­le dabei helfen können, sich bewuss­ter zu erin­nern, und wieso Aller­hei­li­gen heute wich­ti­ger ist denn je.

Pris­ka Filli­ger Koller, wie ­wich­tig ist es für Sie, sich an Verstor­be­ne zu erinnern?

Für mich ist das sehr wich­tig. Meine Mutter starb vor 19 Jahren. Davor war sie bereits viele Jahre an Krebs erkrankt. Auf einer Kommo­de in meinem Zuhau­se stell­te ich ein Foto von ihr auf, dane­ben legte ich eini­ge Stei­ne aus ihrer Samm­lung und stell­te eine Kerze auf. Über die Jahre kamen weite­re Fotos von Verstor­be­nen dazu. Morgens und abends zünde ich die Kerze an und trete mit meiner Mutter in einen inne­ren Dialog. Ich wünsche ihr zum Beispiel einen guten Tag.

Tod und Vergäng­lich­keit sind dadurch in Ihrem Zuhau­se sehr präsent.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die ich seit meiner Kind­heit kenne. Ich bin in Nidwal­den aufge­wach­sen. Dort verteil­te man an Ange­hö­ri­ge und Bekann­te die soge­nann­ten Helge­li als Erin­ne­rung. Das sind Fotos der Verstor­be­nen mit den Lebens­da­ten und einem Gedan­ken. Genau­so wich­tig ist es mir, zusam­men mit meinem Vater in Nidwal­den das Grab meiner Mutter und meiner Gross­el­tern zu bepflan­zen und mich so vor Ort an diese Perso­nen erin­nern zu können.

Was macht das mit Ihnen, sich an einem bestimm­ten Ort an Verstor­be­ne zu erinnern?

Dadurch wird mir bewusst, dass ich Teil von etwas Ganzem bin. Reise ich beispiels­wei­se ans ­Fami­li­en­grab, ist es immer auch eine Reise zurück in meine Kind­heit. Ich bin einge­bun­den in eine Fami­li­en­ge­schich­te und das spüre ich in solchen Momen­ten deut­lich. Es gibt aber auch eine spon­ta­ne Form des Erin­nerns, die ich als Erin­ne­rungs­blit­ze bezeich­ne. Kürz­lich fuhr ich Zug. Als dieser an einem Bahn­hof anhielt, sah ich auf dem Perron einen Mann stehen, der mich an einen verstor­be­nen Seel­sor­ger erin­ner­te, den ich sehr schätz­te und mit dem ich zusam­men­ge­ar­bei­tet hatte. In diesem Moment wurde ich einer­seits trau­rig und ande­rer­seits fühl­te ich eine Dank­bar­keit und inne­re Verbun­den­heit mit ihm.

Fotos Verstor­be­ner aufzu­stel­len, gehört zu einer Tradi­ti­on, die Pris­ka Filli­ger Koller seit ihrer Kind­heit kennt.

Es gibt also Ritua­le, durch die wir uns bewusst erin­nern können, sowie alltäg­li­che Ereig­nis­se, die uns spon­tan erin­nern lassen?

Ja, so unter­tei­le ich es. Ein Ritu­al kann etwa ein Besuch am Grab sein oder Aller­hei­li­gen selbst, an dem wir der Verstor­be­nen geden­ken. In meiner Pfar­rei St. Fiden schrei­ben wir während eines Jahres beispiels­wei­se die Namen aller in diesem Jahr Verstor­be­nen auf weis­se Stei­ne und legen sie auf einen Seiten­al­tar. An der Gedenk­fei­er an Aller­hei­li­gen können die Ange­hö­ri­gen die Stei­ne zusam­men mit einer Kerze und einer Rose auf der Trep­pe vor dem Altar plat­zie­ren und diese nach der Feier mit nach Hause nehmen. Ritua­le mit Stil­le, Gebet und Kerzen können Steig­bü­gel für eine Erin­ne­rungs­kul­tur sein.

Und was sind alltäg­li­che Ereignisse?

Zu den alltäg­li­chen Ereig­nis­sen zähle ich zum Beispiel ein Essen, das jemand kocht, im Wissen, dass dies das Lieb­lings­ge­richt einer verstor­be­nen Person war. Auch der Besuch eines Plat­zes oder Ortes, den die Verstor­be­nen beson­ders lieb­ten, lässt Erin­ne­run­gen entste­hen. Genau­so kann uns ein Duft an jeman­den denken lassen oder ein Hobby, das man mit dieser Person geteilt hat. Flicke ich etwa ein Klei­dungs­stück, lässt mich das immer an meine Mutter erin­nern und daran, wie wir als Kinder unter dem Tisch mit einem Kinder­last­wa­gen die Faden­res­te ihrer Nähar­beit aufsammelten.

In der Pfar­rei St. Fiden, in der Pris­ka Filli­ger Koller arbei­tet, werden die Namen aller in einem Jahr verstor­be­nen Perso­nen auf weis­se Stei­ne geschrie­ben und auf einen Seiten­al­tar gelegt.

Wie haben sich die kirch­li­chen Ange­bo­te rund um Aller­hei­li­gen verändert?

Sie sind viel­fäl­ti­ger und indi­vi­du­el­ler gewor­den. Es gibt heute ganz­jäh­rig vieler­orts Trau­er­ca­fés. Um Aller­hei­li­gen herum ist in der Schutz­en­gel­ka­pel­le in St. Gallen ein Trau­er­raum einge­rich­tet. In diesem können sich Ange­hö­ri­ge an verschie­de­nen Statio­nen mit der persön­li­chen Trau­er ausein­an­der­set­zen. Auch sind Seel­sor­gen­de an Aller­hei­li­gen auf den beiden St. Galler Fried­hö­fen Ost und Feld­li präsent. Wer möch­te, bekommt von ihnen eine Anlei­tung, wie man selbst ein Grab segnen kann. Weih­was­ser und Kerze gibt es dazu. Ich selbst werde gemein­sam mit dem St. Galler Männer­chor eine Gedenk­fei­er auf dem Ostfried­hof gestal­ten. Das sind nur eini­ge Beispie­le. In den verschie­de­nen Pfar­rei­en gibt es zahl­rei­che weite­re Angebote.

Ist Aller­hei­li­gen als Feier­tag heute noch zeitgemäss?

Ich bin sehr froh darüber, dass Aller­hei­li­gen bei uns ein Feier­tag ist. Um uns erin­nern zu können, brau­chen wir Ruhe. Aller­hei­li­gen ist ein ganzer frei­er Tag, den wir gestal­ten können und der uns Zeit fürs Inne­hal­ten, Erin­nern und Trau­ern lässt. Durch gemein­sa­me Gedenk­fei­ern erfah­ren wir beispiels­wei­se, dass Trau­ern etwas Urmensch­li­ches ist. An Aller­hei­li­gen können wir uns auch bewusst machen, dass Ster­ben und der Tod zum Leben dazu­ge­hö­ren. Tod, Abschied­neh­men und Erin­nern sind zudem immer etwas, das Platz in der Gesell­schaft und in einer Gemein­schaft haben soll­te. Entschei­det sich etwa jemand für eine Trau­er­fei­er nur im engs­ten Fami­li­en­kreis, nimmt er ande­ren Menschen die Möglich­keit, sich in Gemein­schaft verab­schie­den zu können.

Erin­ne­run­gen aufschrei­ben oder viel­leicht ein Foto­al­bum anle­gen: Wie könn­ten wir Erin­ne­run­gen besser bewahren?

Da gibt es viele Möglich­kei­ten. Ich persön­lich habe mir vorge­nom­men, biogra­fi­sche Erin­ne­rungs­ar­beit mit meinem 85-jährigen Vater zu machen. Ich besu­che ihn alle 14 Tage. Oft erzählt er dann von früher, etwa davon, wie er als einfa­cher Bauern­sohn aufge­wach­sen ist und wie es war, in einem Haus mit mehre­ren Gene­ra­tio­nen zu leben. Diese Gesprä­che möch­te ich aufneh­men und ihm bei jedem Besuch eini­ge Fragen mitbrin­gen. Seine Erzäh­lun­gen von früher berüh­ren mich und auch meine Kinder. Ich finde es span­nend und es entspricht meinem Geschichts­be­wusst­sein, dass wir einge­bun­den sind in etwas Ganzes mit Menschen, die vor uns gelebt haben und die auch nach uns leben werden. Dank dem ritua­li­sier­ten und alltäg­li­chen Erin­nern lerne ich zudem, mich mit meiner eige­nen Endlich­keit ausein­an­der­zu­set­zen, nicht nur an Allerheiligen.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Ana Kontou­lis, zVg

Veröf­fent­li­chung: 23. Okto­ber 2024

Der Rheintaler Künstler Josef Ebnöther

Auch mit 87 Jahren steht der Rhein­ta­ler Künst­ler Josef Ebnö­ther täglich in seinem Atelier. Aktu­ell gestal­tet er ein Fens­ter für das Pfar­rei­heim Lüchin­gen. Darin thema­ti­siert er auch etwas, das ihn sein ganzes Leben beglei­tet: das Glück.

«Wir machen zuerst einen Rund­gang», sagt Josef Ebnö­ther und zeigt sein Haus, das voll ist mit seinen Kunst­wer­ken. Dann steigt er die Trep­pe hinauf zum Atelier. Hier entste­hen seit vielen Jahr­zehn­ten seine Bilder. «Ich habe im Leben viel Glück gehabt», sagt er. Er sei nie Trends hinter­her­ge­rannt, habe keinen Karrie­re­plan verfolgt und habe auch nicht bei Apéros ande­ren Honig um den Mund geschmiert. Wenn es finan­zi­ell mal eng wurde, kam von irgend­wo­her plötz­lich ein Auftrag oder eine neue Tür tat sich auf. Ebnö­thers Werke sties­sen schon früh inter­na­tio­nal auf Aner­ken­nung, dennoch blieb er im Rhein­tal verwur­zelt. «Das Leben in der Stadt hat mich nie gereizt.» Bis heute sei es ihm am wohls­ten, allein im Atelier die Ideen umset­zen zu können. Viel­leicht liegt es an dieser Verwur­ze­lung, dass er trotz des Erfolgs boden­stän­dig geblie­ben ist. Ruhm und Ehre nimmt er mit einer gros­sen Porti­on Humor, sein Schalk drückt beim Inter­view und Foto­shoo­ting für das Pfar­rei­fo­rum immer wieder durch.

Josef Ebnö­ther arbei­tet auch mit 87 Jahren täglich in seinem Atelier.

Für alle Lebenssituationen

Josef Ebnö­ther hat auch zahl­rei­che Kunst­wer­ke für sakra­le Räume geschaf­fen wie zum Beispiel die Riet­ka­pel­le in Ober­riet, eine Kera­mik­wand auf dem Fried­hof Lüchin­gen oder das Pfingst­er­eig­nis als Glas­fens­ter der katho­li­schen Kirche Kempen bei Düssel­dorf. Warum auch immer wieder christ­li­che Symbo­le in seinen Werken vorkom­men, kann er nicht erklä­ren: «Die sind mir einfach zuge­fal­len.» Aktu­ell arbei­tet er im Auftrag der Katho­li­schen Kirch­ge­mein­de Lüchin­gen an einem Glas­fens­ter für das neue Pfar­rei­heim. Das Werk wird bunt und enthält Symbo­le wie die Scha­le oder die Natur. «Im Pfar­rei­heim kommen viele verschie­de­ne Menschen zusam­men», sagt Josef Ebnö­ther, «hier haben alle Lebens­si­tua­tio­nen und Ereig­nis­se Platz.» Warum eine Scha­le? «Der Mensch ist wie eine Scha­le, nur wenn etwas drin ist, kann man auch etwas weiter­ge­ben.» Auch Teil des Bildes, und zwar ganz oben – das, was einem zufällt: das Glück.

Für das neue Pfar­rei­heim Lüchin­gen hat Josef Ebnö­ther das Motiv für ein Glas­fens­ter gemalt.

Hundert Einzel­tei­le

Die Digi­ta­li­sie­rung macht auch nicht vor der Kunst­welt halt. Dass heute Künst­le­rin­nen und Künst­ler vermehrt mit digi­ta­len Tech­ni­ken arbei­ten, beschäf­tigt Josef Ebnö­ther. Kunst sei Hand­ar­beit. Die Ideen, die Visi­on, die Gefüh­le, die Kraft des Künst­lers prägen sich mit jedem der unzäh­li­gen Pinsel­stri­che in das Bild ein. «Digi­ta­le Kunst hinge­gen ist seelen­los.» Das Glas­fens­ter von Josef Ebnö­ther wird in den nächs­ten Wochen in einer Glas­kunst­ma­nu­fak­tur im deut­schen Rott­weil gesetzt werden. Aus hundert Einzel­tei­len wird ein Fens­ter. Ein Prozess, der etwa drei Arbeits­ta­ge umfas­sen wird. Der Rhein­ta­ler Künst­ler wird selbst vor Ort dabei sein. Im Früh­ling schliess­lich kann das Fens­ter in Lüchin­gen besich­tigt werden.

Bei Spazier­gän­gen hat Josef Ebnö­ther seine Kame­ra dabei.

Fund­stü­cke in der Natur

Aufmerk­sam verfolgt Josef Ebnö­ther bis heute nicht nur die Entwick­lun­gen in der Kunst­sze­ne, sondern auch das Leben vor Ort in Altstät­ten. Früher hat er sich jeden Tag zu Fuss auf den Weg hinun­ter ins Städt­chen zum Stamm­tisch gemacht. Heute ist er dort selte­ner anzu­tref­fen: «Es ist einfach nicht mehr das glei­che. Es war immer so schön, dort viele Lebens­be­glei­ter zu tref­fen. Inzwi­schen ist dieser Kreis merk­bar geschrumpft, viele sind gestor­ben oder erkrankt.» Unter­krie­gen lässt sich Ebnö­ther davon nicht. Immer wieder zieht es ihn in die Natur: Mit seiner Frau arbei­tet er im gros­sen Garten oder er unter­nimmt Spazier­gän­ge mit der Foto­ka­me­ra. Faszi­niert zeigt er im Atelier Fotos von Mustern, die er entdeckt hat: einzel­ne Äste am Weges­rand, als hätte sie jemand bewusst zu kunst­vol­len Gemäl­den ange­ord­net. «Man muss nur genau hinse­hen, dann kann man über­all etwas entdecken.»

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 21. Okto­ber 2024

Leserfrage: Muss ich meine Schwiegereltern mögen?

In die Bezie­hung mit den Schwie­ger­el­tern zu inves­tie­ren, ist auch für die Zeit und Stim­mung als Paar wich­tig. Das sagt Beatri­ce Tardi­no von der Bera­tungs­stel­le für Bezie­hungs­fra­gen St. Gallen. Das ist ein Ange­bot der katho­li­schen Kirch­ge­mein­den der Regi­on St.Gallen und Appen­zell und Kath. Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen.

Die Liebe zum Part­ner oder zur Part­ne­rin schliesst dessen oder deren Eltern nicht auto­ma­tisch mit ein, wie auch? Denn  schliess­lich bekommt man sie zur Bezie­hung unge­fragt mitge­lie­fert, ganz gleich, ob man sie sympa­thisch findet oder nicht.

Das gilt auch umge­kehrt: Auch die Schwie­ger­el­tern suchen sich ihre Schwie­ger­töch­ter oder Schwie­ger­söh­ne nicht aus. Unser Auftre­ten, unse­re Eigen­ar­ten sowie die Wünsche und Erwar­tun­gen anein­an­der sorgen in vielen Bezie­hun­gen für Zünd­stoff. Dies macht es nicht einfa­cher, mit seinen Schwie­ger­el­tern klar­zu­kom­men oder sie gar zu mögen.

Fokus auf Gemein­sam­kei­ten legen

Es ist völlig normal, dass Bezie­hun­gen zu den Schwie­ger­el­tern ihre Heraus­for­de­run­gen mit sich brin­gen. Aber es gibt Möglich­kei­ten, diese zu bewäl­ti­gen. Was genau stört Sie an Ihren Schwie­ger­el­tern? Versu­chen Sie, belas­ten­de Verhal­tens­wei­sen oder spezi­fi­sche Situa­tio­nen zu bennen und diese klar zu kommu­ni­zie­ren. Spre­chen Sie offen über Ihre Bedürf­nis­se und Erwar­tun­gen. Klare Kommu­ni­ka­ti­on hilft, Miss­ver­ständ­nis­se zu vermei­den oder sie aufzu­klä­ren. Wenn es Konflik­te gibt, versu­chen Sie respekt­voll zu blei­ben, konzen­trie­ren Sie sich auf Lösun­gen statt auf Vorwür­fe. Versu­chen Sie, die Perspek­ti­ve Ihrer Schwie­ger­el­tern zu verste­hen. Denn alle haben unter­schied­li­che Fami­li­en­hin­ter­grün­de. Diese gilt es zu akzep­tie­ren. Verglei­chen Sie Ihre Schwie­ger­el­tern nicht mit Ihrer eige­nen Fami­lie. Sie haben eige­ne Ansich­ten, Gewohn­hei­ten und Meinun­gen. Solche Unter­schie­de sind ganz normal und können sogar berei­chernd sein. Spre­chen Sie mit Ihrer Part­ne­rin oder Ihrem Part­ner über Ihre Gefüh­le. Oft finden sich gemein­sam gute Stra­te­gien, um mit den Schwie­ger­el­tern klar­zu­kom­men. Bespre­chen Sie gemein­sam, wie viel Zeit und Nähe Sie mit Ihren Schwie­ger­el­tern verbrin­gen möch­ten, und halten Sie das Bespro­che­ne ein. Planen Sie gemein­sa­me Akti­vi­tä­ten, um eine besse­re Bezie­hung aufzu­bau­en. Versu­chen Sie Ihren Fokus auf Gemein­sam­kei­ten, statt auf Unter­schie­de zu legen.

Zünd­stoff für Konflikte

Es ist sicher­lich nicht zwin­gend notwen­dig, die Schwie­ger­el­tern zu mögen. Aber ein respekt­vol­ler und konstruk­ti­ver Umgang mitein­an­der ist für beide Partei­en ein gros­ser Vorteil. Eine gute Bezie­hung zu den Schwie­ger­el­tern kann eine gros­se Entlas­tung für die eige­ne Fami­lie sein und kann uns helfen, mehr Zeit für die Paar­pfle­ge zu haben. Denken Sie aber auch daran, auf sich selbst zu achten. Nehmen Sie sich Zeit für sich, wenn Konflik­te auftre­ten, und stel­len Sie Ihre eige­nen Bedürf­nis­se nicht immer hinten an, denn auch dies führt oft zu Unzu­frie­den­hei­ten in einer Bezie­hung. Und nehmen Sie früh­zei­tig Hilfe von einer Fach­per­son in Anspruch, falls Ihre Schwie­ger­el­tern immer wieder Zünd­stoff für Konflik­te in Ihrer Bezie­hung sind und es Ihnen nicht gelingt, diese konstruk­tiv zu lösen.

Beatri­ce Tardino

Bera­tungs­stel­le für Bezie­hungs­fra­gen St. Gallen, ein Ange­bot der katho­li­schen Kirch­ge­mein­den der Regi­on St.Gallen und Appen­zell und Katho­li­schen Konfes­si­ons­teil des Kantons St.Gallen

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Veröf­fent­li­chung: 9. Okto­ber 2024

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
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9000 St.Gallen

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