
Im Staunen weit voraus
Hat die Astrophysik Gott überflüssig gemacht? Anerkannte Wissenschaftler wie der mehrfache Ehrendoktor Arnold Benz wiederlegen diese Aussage. Der ETH-Professor der Astronomie plädiert für eine Versöhnung von Urknall und Schöpfung.
Die Astrophysik kommt der Nullstunde des Kosmos immer näher. Wo haben ob all dieser Erkenntnisse Glaube, Schöpfung und Gott noch einen Platz?
Arnold Benz: Andere Frage: Wo hat Kunst, Trauer, Liebe und Ethik noch einen Platz? Man kann sie weder messen noch berechnen. Sie alle haben mit dem menschlichen Bewusstsein zu tun. Sobald ein Mensch an der Wahrnehmung teilnimmt, wird sie von der Naturwissenschaft als subjektiv ausgeschlossen. Gott zeigt sich in den Erfahrungen unseres Lebens, wo er noch viel Platz hat. Die Welt ist grösser als die Naturwissenschaften wahrnehmen.
Eine Ihrer Thesen, die sich als Brückenschlag zwischen Schöpfungsglaube und physikalischer Kosmologie versteht, lautet: «Wer von Gott reden will, muss es mit menschlichen Erfahrungen verbinden. Gott als Hypothese zur Erklärung des Naturphänomens ist nicht beweisbar und unnötig.» Weshalb darf Ihrer Meinung nach Gott nicht als Beweisgrundlage für Naturphänomene beigezogen werden?
Wenn wir Gott in unserem Leben als gütig und überwältigend erfahren, öffnen sich unsere Augen für seine Spuren im Universum. Sie sind jedoch nicht von der Art, dass man daraus Gott berechnen könnte etwa so wie die Winkelsumme im Dreieck. Es würde schlecht passen zu einem Gott, der von sich sagte: «Ich bin, der ich bin».
Was vor dem Urknall war, wissen Astrophysiker nicht. Hat doch Gott das Universum geschaffen? Oder anders gefragt: Welche Daseinsberechtigung hat Ihrer Meinung nach die Schöpfungsgeschichte
nach Genesis?
Sonne, Mond, Erde und das meiste im Universum sind nicht im Urknall entstanden. Die Geschichte des Universums ist eine faszinierende Abfolge von Vorgängen, durch die aus Chaos lebensnotwendige Strukturen gewachsen sind. Das trit sich mit den Worten in Genesis 1, dass die Schöpfung «gut» war. Mit «gut» ist gemeint, das Universum sei geordnet und wunderbar funktionell. Besonders schön finde ich den Gedanken, dass zum Schluss ein Tag der Ruhe und des Friedens folgt. Damit wird dem Kosmos ein Ziel zugeordnet, das weit über die Astrophysik hinausreicht.
Gott zeigt sich in den Erfahrungen unseres Lebens, wo er noch viel Platz hat. Die Welt ist grösser als die Naturwissenschaften wahrnehmen.
Arnold Benz
Ihre Frau, Ruth Wiesenberg Benz, ist Pfarrerin. Wie bringen Sie die Spannungsfelder Astrophysik und Glaube auf einen harmonischen Nenner? Muss man sich Ihre Ehe als ständiges Streitgespräch
vorstellen?
Nein, wir streiten nicht. Im Gegenteil, wir haben uns – beide verwitwet – gegenseitig angezogen. Ich habe mich schon vor unserer Heirat mit Theologie befasst. Meine Frau ist mir im Staunen über das Universum weit voraus. Sie hat aus meinen Schriften Zitate ausgewählt und zu einem gemeinsamen Buch mit Bildern zusammengestellt. Es trägt den Titel «Wissen und Staunen».
Mal angenommen Sie dürften Gott drei Fragen stellen, was er sich bei der Schöpfung des Universums überlegt hat. Was wären dies für Fragen?
Ich möchte gerne wissen, ob es andere intelligente Lebewesen im Universum gibt und wenn ja: wo? Als zweites würde mich brennend interessieren, wie es kommt, dass die Vorgänge im Universum so fein abgestimmt sind, sodass es sich bis zur Entstehung des menschlichen Bewusstseins entwickeln konnte? Die abschliessende Frage wäre, wie weit das Universum jenseits des für uns sichtbaren Teils geht. Auch wenn wir nicht wissen, wie gross das Universum ist: Fest steht, in unserer Galaxie existieren vierhundert Milliarden Sterne.
Haben Sie einen persönlichen Lieblingsplatz, um den Sternenhimmel zu beobachten?
Ich würde den Sternenhimmel am liebsten auf Titan beobachten, dem grössten Mond des Planeten Saturn. Da gibt es zackige, hohe Berge aus Wassereis und Seen aus Methan. Der Himmel ist allerdings etwas getrübt vom Dunst aus Tholin-Aerosolen. Es ist auch recht kalt auf der Oberfläche mit minus 180 Grad.
Welche sommerliche Sternenkonstellation finden Sie persönlich besonders faszinierend?
Ich liebe das Sternbild der Kassiopeia, das grosse W am Himmel. In der Verlängerung des zweiten Vs nach unten sieht man von blossem Auge die Andromeda Galaxie. Links der Kassiopeia liegt Perseus mit einer Dunkelwolke, in der ich einige Male mit dem Herschel-Weltraumteleskop
Sterne beobachtet habe, die am Entstehen sind.
In welchen Momenten fühlen Sie sich inmitten des Universums besonders klein?
Immer dann, wenn ich mir vor Augen führe, wie wenig wir immer noch vom Universum verstehen.
Rosalie Manser