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Ein Geschenk des Himmels

Die Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf dem Dach der katho­li­schen Kirche in Ober­egg wird im Mai zehn­jäh­rig. Die Ener­gie­quel­le hat eine beweg­te Geschich­te. Die trei­ben­de Kraft war unter ande­rem der Dorfpfarrer.

Ober­egg wird gerne als Unikat bezeich­net. Vom rest­li­chen Inner­rho­der Kantons­ge­biet abge­trennt hatte der Bezirk Ober­egg als Enkla­ve schon immer eine beson­de­re Stel­lung. Einen unkon­ven­tio­nel­len Weg wählt auch die Kirch­ge­mein­de in Bezug auf erneu­er­ba­re Ener­gien. Ein Rück­blick: An der Kirch­ge­mein­de­ver­samm­lung vom 30. März 2012 votier­ten alle anwe­sen­den Bürge­rin­nen und Bürger einstim­mig für die geplan­te Photo­vol­ta­ik­an­la­ge auf Ober­eggs Kirchen­dach. Die Baube­wil­li­gung wurde sofort einge­reicht. Drei Mona­te später folg­te eine Einspra­che von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz. Walter Breu, Bau- und Sach­ver­stän­di­ger der Kirch­ge­mein­de Ober­egg, erin­nert sich: «Die Behör­den argu­men­tier­ten, die Kirche sei ein geschütz­tes Objekt und zudem habe der Orts­bild­schutz Vorrang.» Im Okto­ber hat die Stan­des­kom­mis­si­on den Rekurs von Denk­mal­pfle­ge und Heimat­schutz abge­wie­sen, dennoch wurde im Dezem­ber diesel­be Beschwer­de wieder­um einge­reicht, dieses Mal mit Unter­stüt­zung von zwei Archi­tek­ten. Dieser Rekurs wurde dann vom Kantons­ge­richt behan­delt und letzt­lich im Mai 2013 abge­wie­sen. Damit war der Weg für erneu­er­ba­re Ener­gien defi­ni­tiv frei­ge­räumt und im Mai 2014 konn­te die PV-Anlage in Betrieb genom­men werden.

Seit zehn Jahren ist auf dem Dach der Katho­li­schen Kirche Ober­egg eine Photo­vol­ta­ik­an­la­ge zu finden.

Ein enga­gier­ter Pfarrer

Der Ober­eg­ger Pfar­rer Johann Kühnis, der im Jahr 2022 verstarb, ist von Anfang an die trei­ben­de Kraft hinter diesem Projekt. Breu erklärt: «Er sah von seinem Wohn­zim­mer aus direkt aufs Kirchen­dach und war über­zeugt, dass die südli­che Lage perfekt wäre für eine Solar­an­la­ge. So ist die Idee entstan­den, die Sonnen­kraft als Quel­le für den hohen Ener­gie­ver­brauch der Kirche zu nutzen.» Nach den Einspra­chen setzt sich Kühnis öffent­lich für die PV-Anlage ein. Das St. Galler Tagblatt berich­tet damals über ihn: «Er ist der Meinung, dass die Kirche in Sachen erneu­er­ba­rer Ener­gie als Vorbild agie­ren soll­te und dass die vorge­se­he­ne Dach­flä­che vom Dorf aus nicht sicht­bar sei.» Kühnis bleibt auch nach seinem Tod als «Pate der PV-Anlage» und als belieb­ter Pfar­rer in Erin­ne­rung. Er habe sich bis zur fina­len Umset­zung des Projek­tes mit viel Herz­blut enga­giert: «Er hat sogar persön­lich mitge­hol­fen, die Panels zu montie­ren», berich­tet Breu. Zum Abschied von Kühnis sagte der Pfar­rei­lei­ter Albert Kappen­t­hul­er: «Es gäbe unend­lich vieles aufzu­zäh­len, was er geleis­tet hat. Das Wich­tigs­te aber ist, dass er immer Mensch geblie­ben ist, mit beiden Füssen auf dem Boden, fest verwur­zelt im Glau­ben, aber auch stets offen für das Alltäg­li­che und Gewöhn­li­che. Etwa für die Photovoltaik-Anlage auf dem Kirchen­dach oder ­einen Jass am Stammtisch.»

Ohne Zerti­fi­kat

«Die PV-Anlage besteht aus spezi­el­len Modu­len, die einer­seits sehr effi­zi­ent sind – sie liefern zirka 35 000 KW pro Jahr – und ande­rer­seits optisch sehr dezent wirken», weiss Mesmer Rolf Hoch­reu­te­ner. Rund 40 Prozent des eige­nen Ener­gie­ver­brau­ches können damit abge­deckt werden. Die Kirch­ge­mein­de Ober­egg lege gros­sen Wert auf einen scho­nen­den Umgang mit Ressour­cen. «Unser Kirch­turm wird beispiels­wei­se nur noch an Feier­tagen und nachts beleuch­tet und im Moment planen wir, die Beleuch­tung von ­Halo­gen auf LED umzu­stel­len», so Hoch­reu­te­ner. Auf die Frage, ob kirch­li­che Umwelt­prei­se oder Zerti­fi­zie­run­gen wie «Der Grüne Güggel» auch ein Thema in Ober­egg seien, vernei­nen die Verant­wort­li­chen: «Der Prozess bis zur Zerti­fi­zie­rung ist sehr personal- und kosten­in­ten­siv, wir nehmen lieber klei­ne Schrit­te in Angriff, die wir mit dem aktu­el­len Team bewäl­ti­gen können.»

Text: Katja Hongler

Bild: zVg. / Mauro Callegari

Veröf­fent­licht: 16. April 2024

«Auch ich habe Vorurteile»

Robyn Jung, Ober­mi­nis­tran­tin in Henau, hat ihre Matu­ra­ar­beit immi­grier­ten Müttern und deren Inte­gra­ti­on gewid­met. Durch die Erfah­run­gen konn­te die 18-Jährige eige­ne Vorur­tei­le abbauen.

Wissen schafft Verständ­nis, Verständ­nis schafft Akzep­tanz – davon ist Robyn Jung über­zeugt. Die 18-Jährige schliesst im Sommer die Kantons­schu­le ab und hat sich inten­siv mit der Inte­gra­ti­on beschäf­tigt. Für ihre Matu­ra­ar­beit ist sie in das Leben immi­grier­ter Mütter einge­taucht – hat mit   einer Türkin Rama­dan gefei­ert und mit einer Ukrai­ne­rin einen Floh­markt veran­stal­tet. Entstan­den ist das Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) mit acht Portraits von Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. Ihr Fazit: «Für immi­grier­te Mütter ist es nicht einfach, sich in der Gesell­schaft zu inte­grie­ren und Beruf, Fami­lie und Privat­le­ben zu vereinen.» 

Robyn Jung hat ihre Matu­ra­ar­beit über immi­grier­te Mütter geschrie­ben. Sie weiss: «Für diese ist es nicht immer einfach, sich zu integrieren.»

Oft hätten junge Männer weni­ger Proble­me, würden von Behör­den Hilfe erhal­ten, schnel­ler in Sprach­kur­se inte­griert und bei der Jobsu­che unter­stützt. Bei Frau­en brau­che es mehr Selbst­in­itia­ti­ve. «Dabei über­neh­men die Mütter eine sehr wich­ti­ge Rolle. Sie erzie­hen die Kinder und formen deren Zukunft. Und damit unser aller Leben.» Kinder­er­zie­hung und Inte­gra­ti­on – bei immi­grier­ten Müttern blei­be häufig eines von beiden auf der Strecke.

Wie in der Schule

Robyn Jung ist in Henau bei Wil aufge­wach­sen. In der Pfar­rei enga­giert sie sich als Minis­tran­tin, seit einein­halb Jahren ist sie sogar Ober­mi­nis­tran­tin. Seit Kurzem ist sie zudem Leite­rin im Kinder­treff Kunter­bunt, einem Ange­bot der Pfar­rei. Sie ist in einer offe­nen Fami­lie gross gewor­den, macht die bilin­gua­le Matu­ra in Englisch und reist wie viele junge Menschen gerne in ferne Länder. Multi­kul­tu­ra­li­tät gehört für Robyn Jung zum Alltag, und dennoch sagt sie: «Auch ich habe Vorur­tei­le.» Eige­ne Vorstel­lun­gen brin­ge man nicht so einfach weg. Die Erleb­nis­se mit den Migran­tin­nen haben Eindruck hinterlassen. 

Im Buch «Across Boar­ders – The Inte­gra­ti­on of Immi­grant Mothers» (auf Deutsch: Grenz­über­schrei­tend) porträ­tiert Robin Jung acht Frau­en, die ihren Weg in der Schweiz suchen. 

Sie habe gelernt, wie wich­tig gegen­sei­ti­ges Inter­es­se und gegen­sei­ti­ge Bemü­hun­gen sind. «Die Migran­tin­nen und Migran­ten sind froh, wenn man Inter­es­se zeigt und mit ihnen in den Dialog tritt. So können Ängs­te abge­baut werden. Umge­kehrt müssen auch die Migran­tin­nen und Migran­ten offen sein und sich anpas­sen wollen.» Robyn Jung vergleicht es mit dem Berufs- oder Schul­all­tag. «Man muss nicht alle mögen, aber man muss mitein­an­der auskom­men. Dabei gibt es Grund­re­geln, an die wir uns alle halten müssen.»

Mit Best­no­te ausgezeichnet

Bei der Inte­gra­ti­on böten vor allem auch die Kirchen eine Chan­ce, so die junge Frau: «Reli­gi­on kann helfen, sich als Teil der Gemein­schaft zu fühlen. Zudem bieten Kirchen oft viele Möglich­kei­ten zur Parti­zi­pa­ti­on.» Robyn Jung ist dank­bar, dass sie die Erfah­run­gen im Rahmen ihrer Matu­ra­ar­beit machen konnte. 

Robyn Jung konn­te in den Gesprä­chen mit den immi­grier­ten Müttern Vorur­tei­le abbauen.

Diese wurde nicht ohne Grund mit der Best­no­te ausge­zeich­net. Im Janu­ar hat sie eine Podi­ums­dis­kus­si­on in Wil veran­stal­tet, an der auch der Wiler Stadt­rat Dario Sulzer, Vorste­her des Depar­te­ments Gesell­schaft und Sicher­heit, und Clau­dia Nef, Geschäfts­füh­re­rin des Träger­ver­eins Inte­gra­ti­ons­pro­jek­te St. Gallen, teil­nah­men. Zu den portrai­tier­ten Frau­en hat Robyn Jung immer noch Kontakt und sie denkt gerne an die gemein­sa­men Erleb­nis­se zurück. Sie ist über­zeugt: «Das Leben mit zwei Kultu­ren bringt viele Vortei­le. Man kann aus beiden das Beste herausnehmen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 8. April 2024

Hinter den Kulissen #1 — Wie sich Familien auf die Erstkommunion vorbereiten

In unse­rer ersten Podcast-Folge berich­ten wir, was wir während unse­rer Repor­ta­ge am Vorbe­rei­tungs­tag auf die Erst­kom­mu­ni­on in Nieder­uz­wil erlebt haben. Ausser­dem gehen wir der Frage nach, wie die Kirche auf verän­der­te Fami­li­en­rea­li­tä­ten wie patch­work oder allein­er­zie­hend eingeht. 

Podcast: Nina Rudni­cki / Ales­sia Pagani

Veröf­fent­licht: 05.04.2024

«Vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen»

Die ÖV-Mehrfahrtenkarte soll durch ein digi­ta­les Ange­bot ersetzt werden. Der Theo­lo­ge und Ethik­pro­fes­sor Peter G. Kirch­schlä­ger bezeich­net den Schritt als ethisch proble­ma­tisch. Er nimmt den Staat in die Pflicht und rät Betrof­fe­nen, sich zur Wehr zu setzen.

Einste­cken, abstem­peln lassen und los geht die Fahrt. Während Jahr­zehn­ten erfreu­ten sich die Mehr­fahr­ten­kar­ten der SBB und ande­rer Bahn- und Busbe­trie­be gros­ser Beliebt­heit. Gemäss K‑Tipp wurden im vergan­ge­nen Jahr über 6 Millio­nen Stem­pel­kar­ten verkauft. Doch nun soll damit Schluss sein. Die SBB und ande­re Verkehrs­be­trie­be haben ange­kün­digt, das Ange­bot im kommen­den Jahr einzu­stel­len. Die oran­ge­far­be­nen Entwer­tungs­käs­ten sollen bis Ende 2025 aus den Schwei­zer Bahn­hö­fen verschwin­den. Die SBB will die Mehr­fahr­ten­kar­ten durch ein digi­ta­les Ticket ablö­sen. Die Ankün­di­gung sorg­te bei verschie­de­nen Fach­ver­bän­den als auch in der Bevöl­ke­rung für Unmut. Einer der Kriti­ker ist Peter G. Kirch­schlä­ger. Der katho­li­sche Theo­lo­ge und Ethik­pro­fes­sor der Univer­si­tät Luzern bezeich­net die Abschaf­fung der Stem­pel­kar­te als «ethisch proble­ma­tisch». «Es besteht die Gefahr, dass Menschen vom öffent­li­chen Verkehr ausge­schlos­sen werden. Die Ticket­ver­käu­fe werden vermehrt digi­ta­li­siert, doch es ist unan­ge­mes­sen, von allen zu erwar­ten, dass sie ein Smart­phone besit­zen», sagt Kirch­schlä­ger auf Nachfrage.

Gefahr von Mani­pu­la­ti­on steigt

Peter G. Kirch­schlä­ger hat Verständ­nis dafür, dass Unter­neh­men versu­chen, mit der Digi­ta­li­sie­rung effi­zi­en­ter zu werden und Kosten einzu­spa­ren. Beson­ders stos­send ist für ihn unter ande­rem die Tatsa­che, dass es sich bei ÖV-Betrieben um staat­li­che oder teil­staat­li­che Unter­neh­mun­gen handelt und nicht um Privat­un­ter­neh­men. «Gera­de die öffent­li­che Hand darf die Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zes­se nicht so gestal­ten, dass ein Teil der Bevöl­ke­rung ausge­schlos­sen wird und dass das Menschen­recht auf Daten­schutz und Privat­sphä­re verletzt wird.» Für Kirch­schlä­ger ist die geplan­te Abschaf­fung der Mehr­fahr­ten­kar­te denn auch nicht nach­voll­zieh­bar: «Ich frage mich, wieso man eine neue Lösung suchen muss, wenn es mit den Mehr­fahr­ten­kar­ten eine gibt, die funk­tio­niert und offen­bar auch nach wie vor nach­ge­fragt wird.» Tangiert sind gemäss Kirch­schlä­ger verschie­de­ne Bevöl­ke­rungs­grup­pen. «Die Umstel­lung betrifft unter ande­rem Menschen, die mit der Tech­nik über­for­dert sind, also vor allem älte­re Menschen, sowie Armuts­be­trof­fe­ne, die sich oder ihren Kindern kein Smart­phone kaufen können.» Proble­ma­tisch sieht er die geplan­te Ände­rung auch in Bezug auf die junge Gene­ra­ti­on. «Eine Abschaf­fung der Mehr­fahr­ten­kar­te würde vor allem Kindern scha­den, denn je früher sie ein Smart­phone haben, desto eher wird die Nutzung zu einem Problem für ihre menta­le Gesund­heit und sie können bereits früh in ihrem Konsum und in der Entwick­lung ihrer poli­ti­schen Ansich­ten mani­pu­liert werden. Denn jede Sekun­de auf dem Smart­phone ist eine Sekun­de Mani­pu­la­ti­ons­mög­lich­keit.» Den Betrof­fe­nen rät Kirch­schlä­ger, sich bei den verant­wort­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen und Unter­neh­mun­gen zu wehren.

«Frei­heit wird angegriffen»

Für Peter G. Kirch­schlä­ger ist klar: «Es besteht drin­gen­der Hand­lungs­be­darf.» Nicht nur wegen eines drohen­den Ausschlus­ses, sondern auch im Hinblick auf die Verlet­zung von Menschen­rech­ten. «Im Rahmen der Digi­ta­li­sie­rung werden stets Daten gestoh­len, um sie dann den Meist­bie­ten­den weiter­zu­ver­kau­fen». Dies wieder­um stel­le eine Verlet­zung der Menschen­rech­te auf Daten­schutz und Privat­sphä­re dar, betont Kirch­schlä­ger. «Diese Menschen­rechts­ver­let­zun­gen müssen gestoppt werden. Diese Menschen­rech­te sind rele­vant für unse­re Frei­heit, da wir uns anders verhal­ten, wenn wir über­wacht werden. Wir tendie­ren zu einem normier­te­ren Verhal­ten. Unse­re Frei­heit wird also ange­grif­fen.» Er spricht von einer «hohen Dring­lich­keit». «Es handelt sich hier um Menschen­rech­te, die ja die Menschen­wür­de schüt­zen», so Kirch­schlä­ger. Seit Länge­rem fordert er deshalb die Schaf­fung einer Inter­na­tio­na­len Agen­tur für daten­ba­sier­te Syste­me bei der UNO – vergleich­bar mit der Inter­na­tio­na­len Atom­ener­gie­be­hör­de bei der UNO, was Anklang findet. «Damit sollen die ethi­schen Chan­cen der daten­ba­sier­ten Syste­me (Anm. der Redak­ti­on: bisher künst­li­che Intel­li­genz) geför­dert und deren ethi­sche Risi­ken gemeis­tert oder vermie­den werden.» Fakt ist: Die fort­schrei­ten­de Digi­ta­li­sie­rung des Lebens kann nicht aufge­hal­ten werden. Vieles – sei es der Einkauf oder die Feri­en­bu­chung – geht heute digi­tal schnel­ler und einfa­cher als noch vor eini­gen Jahren analog. Dass dabei Perso­nen­da­ten erho­ben und Nutzer­da­ten gespei­chert werden, ist uns allen klar. Aber: Geben wir unse­re Daten zu schnell und unüber­legt an Drit­te weiter? Peter G. Kirch­schlä­ger rela­ti­viert: «Selbst­ver­ständ­lich können wir durch unser Tun und Lassen hier einen Einfluss nehmen und haben damit korre­spon­die­rend auch eine Verant­wor­tung. Oftmals bleibt uns aber gar keine ande­re Wahl.» Die Möglich­kei­ten eines einzel­nen Bürgers oder einer Bürge­rin seien viel klei­ner als die Macht des Staa­tes, die Menschen­rech­te zu schüt­zen und durch­zu­set­zen, und von Unter­neh­men, die Menschen­rech­te zu respek­tie­ren, erklärt Kirch­schlä­ger. «Entspre­chend hat der Staat hier auch eine grös­se­re Verant­wor­tung, die Menschen­rech­te zu realisieren.»

Zur Person

Peter G. Kirch­schlä­ger ist Theo­lo­ge und Philo­soph. Er ist Profes­sor für Theo­lo­gi­sche Ethik und Leiter des Insti­tuts für Sozi­al­ethik ISE an der Univer­si­tät Luzern, Gast­pro­fes­sor an der Profes­sur für Neuro­in­for­ma­tik und Neuro­na­le Syste­me der ETH Zürich sowie am ETH AI Center und Rese­arch Fellow an der Univer­si­ty of the Free State, Bloem­font­ein (Südafri­ka). Seine Forschungs­schwer­punk­te sind Ethik der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on und künst­li­chen Intel­li­genz, Ethik der Menschen­rech­te und Wirtschafts‑, Finanz- und Unter­neh­mens­ethik. Der 46-Jährige ist bera­ten­der Exper­te in ethi­schen Fragen für natio­na­le und inter­na­tio­na­le Orga­ni­sa­tio­nen etwa für die UN, UNESCO, die Orga­ni­sa­ti­on für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Euro­pa OSZE oder den Euro­pa­rat. Er ist Präsi­dent a. i. der Eidge­nös­si­schen Ethik­kom­mis­si­on für die Biotech­no­lo­gie im Ausser­hu­man­be­reich EKAH, Mitglied der Kommis­si­on Justi­tia et Pax der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz und Studi­en­lei­ter des neuen Master­stu­di­ums «Ethik» an der Univer­si­tät Luzern: www.unilu.ch/master-ethik

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis / zVg.
Veröf­fent­li­chung: 2. April 2024

«Damit wir etwas bewegen können»

Hoff­nung stecke gera­de auch in schein­bar klei­nen Dingen, sagt die Rhein­ta­ler ­Seel­sor­ge­rin Anne Heither-Kleynmanns im Inter­view. Ein Gespräch anläss­lich des Oster­fes­tes über ­Vorbil­der, Dank­bar­keit und das Inne­hal­ten im Alltag.

Anne Heither-Kleynmans, wann haben Sie zuletzt etwas gehofft?

Gera­de eben. Mit einer Pati­en­tin habe ich als Spital­seel­sor­ge­rin gehofft, dass der Unter­such ihrer Krebs­er­kran­kung ein gutes Ergeb­nis bringt.

Was löst Hoff­nung in uns aus?

Hoff­nung hilft uns, zuver­sicht­lich auf das Leben und in die Zukunft zu blicken. Sie ist eine posi­ti­ve Erwar­tung. Zugleich ist man sich aber bewusst, dass es auch anders kommen kann. Ohne Hoff­nung würden wir uns ohnmäch­tig fühlen und wohl vieles als sinn­los empfinden.

Kann Hoff­nung auch nega­tiv sein?

Hoff­nun­gen können schei­tern. Dann ist die Frage, wie wir damit umge­hen, ob wir neue, ande­re Hoff­nun­gen entwi­ckeln können oder in der Hoff­nungs­lo­sig­keit stecken bleiben.

Braucht Hoff­nung Vorbilder?

Ja. Vorbil­der können uns in schwe­ren Zeiten helfen, trotz allem nach vorne zu schau­en. Das können Perso­nen aus der Gegen­wart sein wie der russi­sche Oppo­si­tio­nel­le Alexej Nawal­ny, der kürz­lich in Gefan­gen­schaft gestor­ben ist. Seine Botschaft ist: «Ich glau­be daran, dass ich etwas bewe­gen kann.» Es können bibli­sche Perso­nen sein oder Heili­ge, aber auch ganz norma­le Menschen in unse­rem Alltag. Ich bin in meinem Leben oft Menschen begeg­net, die mir vermit­telt haben: «Ich nehme das Leid im eige­nen Leben und in der Welt nicht einfach so hin, ich enga­gie­re mich und lebe so die Hoff­nung auf Verän­de­rung.» Das kann uns zu einer Haltung der Hoff­nung ermutigen.

Lässt sich einwen­den, dass Hoff­nung über­flüs­sig gewor­den ist, weil es uns in unse­rer Gesell­schaft gut geht?

Nein, auf keinen Fall. Wir brau­chen Hoff­nung, gera­de auch im Klei­nen und im Alltag. Viele Menschen machen belas­ten­de Erfah­run­gen, sei es beruf­lich, fami­li­är oder wegen einer Krank­heit. Hier lässt sich auch ein Bezug zur Oster­bot­schaft herstel­len: Der gros­se Stein vor dem Grab Jesu ist ein star­kes Symbol für alles Schwe­re, das es in unse­rem Leben gibt. Ohne Hoff­nung wäre der Stein unbeweglich.

Wie schafft man es, diese Schwe­re beisei­te zu schieben?

Persön­lich, aber auch bei der Arbeit als Seel­sor­ge­rin versu­che ich zu schau­en, wie und wo man Hoff­nung finden kann. Ist jemand unheil­bar erkrankt, kann er etwa darin Hoff­nung finden, noch eine gute Zeit mit seiner Fami­lie zu verbrin­gen. Fühlen wir uns hoff­nungs­los, kann es helfen, die Perspek­ti­ve zu wech­seln und nach Leben­di­gem Ausschau zu halten. Gras, das zwischen Beton­plat­ten hervor­wächst, oder Licht, das ins Dunkel einfällt, oder der wegge­roll­te Grab­stein und eben das offene, leere Grab sind anschau­li­che Symbo­le für Hoffnung.

Das Leben ist stär­ker: Ist es das, was wir von Ostern mitneh­men können?

Ja. Es gibt Situa­tio­nen, in denen alles trau­rig erscheint und in denen wir nieder­ge­schla­gen sind, weil wir etwas ande­res erwar­tet hatten. Auch die Jünger sind nach Jesu Tod völlig enttäuscht. Diese Enttäu­schun­gen gehö­ren zum mensch­li­chen Leben. Die Aufer­ste­hung von Jesus, das leere Grab, der beisei­te­ge­scho­be­ne Stein sagen ihnen und uns aller­dings: Nichts muss im Schwe­ren stecken­blei­ben. Es gibt neue Hoffnung.

Welche Tipps haben Sie? Wie können wir lernen, Hoff­nung bewusst zu leben?

Wir können den Blick auf das rich­ten, was gut läuft, ohne dabei das Schwe­re zu verleug­nen. Wir können schein­bar klei­ne Dinge in den Mittel­punkt stel­len und uns fragen, wo wir beschenkt sind. Dank­bar zu sein und das auch zu formu­lie­ren, im Gebet, gegen­über unse­ren Ange­hö­ri­gen oder Freun­den, und sich Zeit zu nehmen, die Natur zu beob­ach­ten und zu sehen, wie alles wächst, schult uns für die Hoff­nung. Es ist wich­tig, dass ich mich frage: «Was trägt mich? Was gibt mir Halt und Kraft?»

Text: Nina Rudnicki

Bild: zVg./ Forum Pfarrblatt

Veröf­fent­li­chung: 28. März 2024

Neue Wege zur Erstkommunion

Zahl­rei­che Kinder und Fami­li­en feiern in diesem Früh­ling Erst­kom­mu­ni­on. Worauf freu­en sie sich? Was bedeu­tet ihnen das Fest? Das Pfar­rei­fo­rum hat den Eltern-Kind-Vorbereitungstag in Nieder­uz­wil besucht und den neuen ausser­schu­li­schen Erst­kom­mu­ni­on­weg kennengelernt.

Es duftet nach frisch­ge­ba­cke­nem Brot. Im Eingangs­be­reich des Pfar­rei­zen­trums in Nieder­uz­wil formt eine Grup­pe Kinder weite­ren Teig zu Bröt­chen. Später an diesem Eltern-Kind-Vorbereitungstag auf die Erst­kom­mu­ni­on sollen diese an der Abschluss­fei­er geteilt werden. Mitten unter den Kindern arbei­tet die Dritt­kläss­le­rin Gloria. Ihre Mutter Sara steht neben dem Tisch. «Ich selber hatte meine Erst­kom­mu­ni­on in Rorschach. Aber an eine so schö­ne Vorbe­rei­tung kann ich mich nicht erin­nern. Mir fällt nur der Marsch ein, den wir Kinder an der Erst­kom­mu­ni­on durch Rorschach mach­ten», sagt die Kate­che­tin in Ausbil­dung. Der neue Erst­kom­mu­ni­on­weg in Nieder­uzwil beglei­tet die Kinder hinge­gen während eines Jahres. Es gibt zehn Tref­fen, die unter ande­rem aus Grup­pen­stun­den, Ausflü­gen, einer Tauf­erin­ne­rung, dem Vorbe­rei­tungs­tag, Proben für die Erst­kom­mu­ni­on und der Erst­kom­mu­ni­on bestehen. «Die Kinder bekom­men viel mit und erle­ben Schö­nes mit Gleich­alt­ri­gen», sagt Sara. Umso grös­ser sei die Freu­de in diesem Jahr, weil die Erst­kom­mu­ni­on ihres älte­ren Kindes wegen Coro­na nicht in der Gemein­schaft gefei­ert werden konn­te. «Vor allem meine Mutter, also Glori­as Gross­mutter, in Spani­en war sehr trau­rig. Sie konn­te nur per Live-Stream dabei sein», sagt Sara. In diesem Jahr seien hinge­gen 25 Perso­nen einge­la­den. Nach der Feier zur Erst­kom­mu­ni­on am 5. Mai gehe es ins Restaurant.

Dann ist es Zeit für Gloria, zum nächs­ten Posten im Pfar­rei­zen­trum zu gehen: Dort werden die Masse für das Blumen­kränz­chen und die Gewän­der genom­men. Die Primar­schü­le­rin freut sich auf die Erst­kom­mu­ni­on. «Wir essen in einem Restau­rant, in dem es geba­cke­ne Cham­pi­gnons gibt. Und ich werde unter meinem Gewand ein ganz beson­de­res Dirn­del tragen, das aus Deutsch­land kommt», erzählt die 8‑Jährige. Am Erst­kom­mu­ni­on­weg habe ihr vor allem der Ausflug zur Hosti­en­bä­cke­rei gefal­len. «Ausser­dem haben wir vieles über den Minis­tran­ten­dienst erfah­ren und gese­hen, was die alles Span­nen­des machen.»

Ein Netz­werk für Familien

Den neuen Weg zur Erst­kom­mu­ni­on gibt es in Nieder­uz­wil erst­mals seit diesem Schul­jahr. Die Tref­fen finden alle ausser­schu­lisch statt. Einge­führt wurde das, weil teils Kinder ökume­nisch unter­rich­tet werden und somit nicht alle Kinder einer Reli­gi­ons­klas­se für die Erst­kom­mu­ni­on vorbe­rei­tet werden können. 25 Kinder sind es in Nieder­uz­wil in diesem Jahr, die auf diese Weise die Vorbe­rei­tung zur Erst­kom­mu­ni­on nutzen. «Das hat Vortei­le. Als Grup­pe haben wir alles dassel­be Ziel. Früher, im schu­li­schen Reli­gi­ons­un­ter­richt, waren hinge­gen immer Kinder mit dabei, die keine Erst­kom­mu­ni­on hatten», sagt Manue­la Trunz. Die Reli­gi­ons­päd­ago­gin ist in diesem Jahr für den Eltern-Kind-Vorbereitungstag zustän­dig, der in Nieder­uz­wil seit über fünf­zehn Jahren jeweils ­eini­ge Wochen vor der Erst­kom­mu­ni­on statt­fin­det. «In Nieder­uz­wil hatten wir schon immer ein gutes Netz­werk und ein gros­ses Ange­bot für Fami­li­en», sagt sie und fügt an: «Dieses Mal sind wir vergleichs­wei­se ein klei­ne Grup­pe. In ande­ren Jahren haben auch schon um die 40 Kinder zusam­men Erst­kom­mu­ni­on gefeiert.»

Mühle, Tech­nik und Mandalas

Rück­mel­dung zum neuen Weg zur Erst­kom­mu­ni­on hat Manue­la Trunz bislang nur posi­ti­ve erhal­ten. «Vor allem die drei Ausflü­ge, von denen sich die Kinder für einen anmel­den muss­ten, haben allen gefal­len», sagt sie. Der 9‑Jährige Joel beispiels­wei­se hat gleich bei allen drei mitge­macht. Ausser zur Hosti­en­bä­cke­rei ging es zu einem Rebberg und in eine Mühle. «Die Mühle fand ich am span­nends­ten, weil ich Tech­nik liebe», sagt er. Mit seiner Mutter Conny ist er beim Posten «Andenken gestal­ten» gera­de damit beschäf­tigt, auf einem Holz­brett mit Nägeln und bunten Gummi­schnü­ren ein Manda­la zu gestal­ten. «Jesus, meine Mitte»: Das Motto des Manda­las ist vorge­ge­ben, bei der Umset­zung können die Kinder ihrer Krea­ti­vi­tät aller­dings frei­en Lauf lassen. «Die Vorbe­rei­tung auf die Erst­kom­mu­ni­on ist toll und viel span­nen­der als die Kirche», sagt er. «Dort muss man immer still sitzen und Kinder verste­hen viel­leicht nicht alles. Hier ist das anders.» Joels Mutter ist evangelisch-reformiert. Sie finde es schön, während dieses einen Jahres den Blick­win­kel ihres Kindes einzu­neh­men, sagt sie. Welche Gedan­ken den Eltern im Hinblick auf die Erst­kom­mu­ni­on durch den Kopf gehen, können sie beim Posten «Brie­fe für die Kinder» fest­hal­ten. In ruhi­ger Umge­bung schrei­ben sie dort Wünsche und Hoff­nun­gen für ihre Kinder auf. Die Brie­fe werden an der Feier im Mai übergeben.

Mit 60 Perso­nen feiern

«Wunder­schön finde ich all diese Vorbe­rei­tun­gen», sagt auch Matea, die zusam­men mit ihrer Toch­ter Mia ein Glas­kreuz gestal­tet. An diesem Posten bekle­ben die Kinder Glas mit bunten Glas­stü­cken, das später in einem Ofen gebrannt wird. «Das Basteln und die Erleb­nis­se mit meinen Freun­den gefal­len mir am besten», sagt Mia. Sie freue sich auf die Erst­kom­mu­ni­on und auf das gros­se Fest danach, zu dem 60 Perso­nen einge­la­den sind. Ihre Mutter Matea ergänzt: «Der Tag ist uns wich­tig und wir wollen ihn mit allen in der Fami­lie feiern.» Sie selbst hatte ihre Erst­kom­mu­ni­on in Kroa­ti­en. «Vorbe­rei­tun­gen mit Basteln und all den ande­ren Dingen hatten wir aller­dings nicht. Ich glau­be, wir lern­ten vor allem Texte und Lieder», sagt sie.

Probe­wei­se ministrieren

Was ist ein Taber­na­kel? Wie funk­tio­niert ein Einzug in die Kirche? Welche Gewän­der ziehen Minis­tran­ten an? Und wieso macht man eine Knie­beu­ge? In der Kirche gleich neben dem Pfar­rei­zen­trum ist es Zeit für den letz­ten Posten. Eini­ge Minis­tran­tin­nen und der Seel­sor­ger Paul Grem­min­ger erklä­ren den inter­es­sier­ten Prima­schü­le­rin­nen und Primar­schü­lern alles rund ums Minis­trie­ren. Nach der Erst­kom­mu­ni­on kann, wer möch­te, Minis­tran­tin oder Minis­trant werden. Mit gros­sen Augen und in den Gewän­dern, die die Kinder versuchs­wei­se anpro­bie­ren konn­ten, schau­en sie sich in der Kirche um. Dort, im Kreis um den Alter herum, werden sie auch an der Erst­kom­mu­ni­on stehen. Sie sind beein­druckt, gera­de auch vom Taber­na­kel. Der 9‑Jährige Joel streckt seine Hand auf und sagt: «Dass die Hosti­en hinter so einer dicken Panzer­tür aufbe­wahrt werden, hätte ich nicht gedacht.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Benja­min Manser

Veröf­fent­li­chung: 26. März 2024

Flüchten vor Sechs- und Vierbeinern

Seit fünf Mona­ten weilen David und Will­emi­jn Rütti­mann aus St. Gallen in Kenia, um Lehr­kräf­te auszu­bil­den. Im ost­afrikanischen Land tref­fen sie auf eini­ge Herausforderungen.

«Wir versu­chen das Beste aus der Situa­ti­on zu machen. Manch­mal klappt es gut, manch­mal weni­ger gut. Aber lang­sam kommen wir in einen Rhyth­mus», sagt David Rütti­mann. Der 54-Jährige ist per Inter­net­te­le­fo­nie zuge­schal­tet. Ein Tref­fen ist nicht möglich, denn Rütti­mann weilt 6400 Kilo­me­ter von seiner Heimat­stadt St. Gallen entfernt in Afri­ka. Er ist im Septem­ber mit Ehefrau Will­emi­jn und den beiden Kindern nach Kili­fi in Kenia ausge­wan­dert ( Pfar­rei­fo­rum Okto­ber 2023). Drei Jahre werden David und Will­emi­jn mit Comun­do (ehemals Beth­le­hem Missi­on Immensee) in der Perso­nel­len Entwick­lungs­zu­sam­men­ar­beit tätig sein. Sie arbei­ten vor Ort als Fach­per­so­nen mit der Partner-Organisation North Coast Medi­cal Trai­ning College (NCMTC) zusam­men. David Rütti­mann bildet als Elek­tro­tech­ni­ker Lehr­kräf­te in Faci­li­ty Manage­ment und Medi­zi­nal­tech­nik aus und beglei­tet den Aufbau einer Werk­statt für die beiden Beru­fe. Physio­the­ra­peu­tin Will­emi­jn unter­stützt das NCMTC mit der Ausbil­dung der Lehr­kräf­te im Bereich Reha­bi­li­ta­ti­on und Behin­de­rung. «Hier­mit verbes­sern wir die Zukunfts­chan­cen der Studen­ten und die Quali­tät des Gesund­heits­sys­tems», so David Rüttimann.

Netz­werk aufbauen

Für David und Will­emi­jn hiess es zuerst: «Ankom­men und rein­schau­en.» David orga­ni­sier­te Gerä­te und Werk­zeu­ge und baute ein Netz­werk an Spitä­lern auf, um den Studie­ren­den ein Prak­ti­kum zu ermög­li­chen. «Sie sind in der Theo­rie super ausge­bil­det. Jetzt geht es darum, ihnen auch das Prak­ti­sche mitzu­ge­ben.» Sowohl für die Studie­ren­den als auch für die Lehr­kräf­te haben die beiden nur loben­de Worte: «Es läuft super. Alle sind sehr inter­es­siert», sagt Will­emi­jn Rütti­mann und David ergänzt: «Die Arbeit ist sehr befrie­di­gend.» Die beiden spre­chen aber auch die unter­schied­li­che Menta­li­tät an. «Als Schwei­zer muss man lernen, sich an das Tempo zu gewöh­nen. Hier geht alles ein wenig langsamer.»

Drei Umzü­ge in fünf Monaten

Während es beruf­lich wunsch­ge­mäss verläuft, haben die ­Rütti­manns im Privat­le­ben eini­ge Heraus­for­de­run­gen zu meis­tern. Die Fami­lie zieht um – mal wieder. Es wird die drit­te Blei­be in Kenia, «und hoffent­lich die Letz­te». Das jetzi­ge Haus ist offen gebaut, besitzt weder Fens­ter noch Türen. «Sie soll­ten die Tausen­den von Amei­sen sehen», sagt Will­emi­jn ­Rütti­mann. Ihr Mann kämpft gegen grös­se­re Tiere. Er muss alles monkey-proof – also affen­si­cher – machen. «Die klau­en alles.» Am Anfang sei vieles neu gewe­sen, «und es brauch­te Zeit, bis alle sich im jetzi­gen Umfeld wohl fühl­ten», sagt ­David Rütti­mann. Mitt­ler­wei­le habe man aber auch Kontakt zu den «Locals». «Sie sind sehr offen und unheim­lich hilfs­be­reit.» Will­emi­jn und David fühlen sich im Land mit 53 Millio­nen Einwoh­nern immer sicher und willkommen.

Fami­li­en­zeit einplanen

Immer wieder kommt Uner­war­te­tes auf die Rütti­manns zu. Kürz­lich fiel der Strom aus – nicht etwa für weni­ge Stun­den, sondern für ganze zwei Wochen. Die Pumpen für Frisch­was­ser streik­ten. «Da merkt man erst, was alles Strom braucht», sagt David Rütti­mann. Trotz all der Schwie­rig­kei­ten nehmen die Rütti­manns die Situa­ti­on bemer­kens­wert gelas­sen. «Wo es Tiefs gibt, gibt es auch immer wieder Hochs. Und die Tiefs werden weni­ger.» Um die Alltags­sor­gen zu verges­sen, versu­chen die Rütti­manns, wenn immer möglich, Fami­li­en­zeit einzu­pla­nen. Oft trifft man die vier am Strand oder beim Erkun­den der Umge­bung. «Sich auf Neues einlas­sen», lautet die Devi­se. «Man muss sich anpas­sen und die Situa­tio­nen nehmen, wie sie kommen, dann kommt auch alles gut», sagt Will­emi­jn Rüttimann.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: zVg / David Rütti­mann
Veröf­fent­li­chung: 1. März 2024

Ein Gemeinschaftsgefühl, das im Alltag nützt

Es sei das Einzi­ge, was ihm wirk­lich helfe: Das sagt der 46-jährige Matthi­as Maier* über ­seine Tref­fen bei der Selbst­hil­fe St.Gallen und Appen­zell. Dort tauscht er sich mit Menschen aus, die wie er von Depres­si­on betrof­fen sind.

Was soll ich sagen? Und will ich die Geschich­ten anderer Menschen über­haupt kennen?» Diese Gedan­ken hatte Matthi­as Maier*, bevor er sich erst­mals für eine Selbst­hil­fe­grup­pe anmel­de­te. «Ich hatte einfach Angst davor. Frei­wil­lig hätte ich das nie gemacht», erzählt der 46-Jährige in den Räumen der Selbst­hil­fe St.Gallen und Appen­zell. Alle zwei Wochen trifft er sich hier mit ande­ren Perso­nen, die wie er von einer Depres­si­on betrof­fen sind. «Mit Menschen zu reden, die Ähnli­ches wie ich erlebt haben, tut gut. Es entsteht ein Gemein­schafts­ge­fühl und ich komme aus meiner Bubble heraus. In unse­rer Grup­pe haben wir die verschie­dens­ten Hinter­grün­de», sagt er.

Durchs Trin­ken überdeckt

Bei Matthi­as Maier hängt die Depres­si­on mit einer Alko­hol­er­kran­kung zusam­men. Pegel­trin­ken nennt er es. Das bedeu­tet, dass er stets einen gewis­sen Promil­le­stand brauch­te, um sich gut zu fühlen. «In meinen 20er-Jahren habe ich wie alle während des Studi­ums regel­mäs­sig getrun­ken und dach­te, das sei ganz normal», sagt er. Es sei immer mehr gewor­den und in seinen 30ern seien dann an den Wochenenden zuneh­mend Film­ris­se hinzu­ge­kom­men. Schliess­lich habe er während fünf Jahren gar keinen Alko­hol mehr konsu­miert. «Aber es ist wie mit jeder Sucht­erkrankung. Sie ist ein Leben lang Teil von einem», sagt er und erzählt, wie in den fünf trocke­nen Jahren seine Depres­si­on sicht­bar wurde. «Ich hatte vieles wohl einfach durch das Trin­ken über­deckt und dadurch gar nicht bemerkt, wie es mir eigent­lich geht», sagt er.

Werk­zeu­ge bereit

Ein mulmi­ges Gefühl im Bauch, leise Trau­rig­keit, Antriebs­lo­sig­keit, Verspan­nun­gen, Kopf­schmer­zen, Übel­keit, Rück­zug vom Umfeld, Welt­schmerz und das Gefühl, immer persön­lich ange­grif­fen zu werden: Matthi­as Maier liest einen Text vor, den er wie alle in der Selbst­hil­fe­grup­pe über die eige­ne Depres­si­on geschrie­ben hat. Die Teil­neh­men­den hatten das selbst so gewünscht. Zwei bis drei Wochen kann eine depres­si­ve Episo­de bei ihm dauern. «Glück­li­cher­wei­se ist die letz­te aber schon ein Jahr her. Momen­tan geht es mir besser. Ich akzep­tie­re, dass mich diese Gefüh­le stän­dig beglei­ten, aber ich habe Werk­zeu­ge, um mit ihnen umzu­ge­hen», sagt er.

Eine Milde entwickeln

Auf guten und genü­gen­den Schlaf achten, eine Milde sich selbst gegen­über entwi­ckeln sowie ­hinaus­ge­hen und sich bewe­gen: Das sind Dinge, die Matthi­as Maier guttun. «Vor allem aber helfen ihm Gesprä­che wie in der Selbst­hil­fe­grup­pe, aber auch mit Bekann­ten, Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen und seiner Part­ne­rin. Mit ihr ist Matthi­as Maier, der im Gross­raum Zürich aufge­wach­sen ist, wegen eines Joban­ge­bots vor einein­halb Jahren aus Hamburg zurück in die Schweiz nach St. Gallen gezo­gen. Im Inter­net such­te er nach einer neuen Selbst­hil­fe­grup­pe. ‹Es ist das Einzi­ge, was bei mir wirk­lich nützt», sagt er und fügt an: «Das hätte ich nicht erwar­tet, als ich damals in Hamburg wegen meiner Alko­hol­er­kran­kung in eine Tages­kli­nik kam.» Drei Mona­te sei er dort gewe­sen und habe als eine von verschie­de­nen Mass­nah­men bei einer Gesprächs­grup­pe mitma­chen müssen. «Ausser­dem wurde mir ausdrück­lich empfoh­len, im Anschluss einer Selbst­hil­fe­grup­pe in Hamburg beizu­tre­ten.» In St. Gallen ist die Grup­pe derweil zusam­men­ge­wach­sen. Matthi­as Maier sagt: «Ein Jahr hat es aber schon gedau­ert, bis sich die Leute wirk­lich öffne­ten und anfin­gen von schwe­ren und tiefer­lie­gen­den Dingen zu erzählen.»

* Name geändert

Selbst­hil­fe Die Selbst­hil­fe St.Gallen und Appen­zell setzt sich für die Stär­kung gemein­schaft­li­cher Selbst­hil­fe ein. Sie führt Menschen in ähnli­chen Lebens­si­tua­tio­nen zusam­men. Ziel ist, durch Selbst­ver­ant­wor­tung und gegen­sei­ti­ge Unter­stüt­zung die Lebens­qua­li­tät und gesell­schaft­li­che Inte­gra­ti­on von Perso­nen in schwie­ri­ger Lebens­la­ge zu verbes­sern. Selbst­hil­fe St.Gallen und Appen­zell führt rund 200 Grup­pen zu unter­schied­lichs­ten Themen. Die Grup­pen werden nicht mode­riert, sondern durch die Teil­neh­men­den gestal­tet.  www.selbsthilfe-stgallen-appenzell.ch sowie Infos unter Tel. 071 222 22 63

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 16. Febru­ar 2024

Mit Stoffherz und offenem Ohr im Einsatz

Die Zahl der Betrof­fe­nen von psychi­schen Erkran­kun­gen nimmt zu. Trotz­dem ist das ­Thema noch immer ein gesell­schaft­li­ches Tabu und wird stig­ma­ti­siert. Auf ­einem Klinik­rund­gang in Pfäfers erzählt Klinik­seel­sor­ger Micha­el Ehrhardt von seiner Arbeit und warum wir alle nicht vor einer psychi­schen Erkran­kung gefeit sind.

Wenn Micha­el Ehrhardt und Pascal sich tref­fen, spre­chen sie über Gott und die Welt, über Unter­neh­mun­gen am Wochen­en­de, über Erleb­tes im Alltag. Das tun die beiden Männer regel­mäs­sig. Vergan­ge­ne Woche war das Tref­fen schwie­rig, das Gespräch harzig. An diesem Morgen ist die Stim­mung besser. Thema ist unter ande­rem der Hund von Pascals Mutter. Die Tref­fen mit dem Klinikseelsorger sind für Pascal ein Anker­punkt im Alltag. Der 50-Jährige leidet seit Jahren unter einer psychi­schen Erkran­kung. Seit rund vier Mona­ten ist er Pati­ent in der Psych­ia­tri­schen Klinik St. Pirmins­berg in Pfäfers. Man merkt schnell: Er ist nicht gerne hier, weiss aber, dass es notwen­dig ist. Oft und gerne sucht er den Raum der Stil­le auf und liest den Psalm 91 – «unter Gottes Schutz» heisst dieser. «Der Glau­be und dieser Ort sind sehr wich­tig für mich. Sie geben mir Halt und die manch­mal nöti­ge Ruhe», sagt Pascal. Die Bibel liegt vor den Männern auf dem Tisch, an der Wand hängt ein Bild – das Herz­stück des Raumes. Unwei­ger­lich fällt der Blick auf das Kunst­werk. Die bunten Farben strah­len Wärme und Zuver­sicht aus. Nicht nur Pascal, auch der Gast fühlt sich geborgen.

Der Raum der Stil­le gibt Pascal oft die nöti­ge Ruhe im Klinik­all­tag. Die Gesprä­che mit Klinik­seel­sor­ger Micha­el Ehrhardt schätzt er.

Bei Nicht-Betroffenen lösen die Themen Psych­ia­trie oder psychi­sche Erkran­kung oft Unbe­ha­gen aus. Ein Rund­gang in Pfäfers vermag dieses teil­wei­se zu nehmen. Die neue­ren Gebäu­de und die Pati­en­ten­zim­mer sind licht­durch­flu­tet und gross­zü­gig. Mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten kommt man schnell ins Gespräch, die Abtei­lun­gen sind gröss­ten­teils offen und die Mitar­bei­ten­den sind aufmerk­sam und zuvor­kom­mend. Micha­el Ehrhardt grüsst dort und winkt hier. Man kennt sich gut.

Zahlen stei­gen stetig

Die Klinik St. Pirmins­berg ist für 150 Perso­nen ausge­legt. Für allfäl­li­ge Notfäl­le wird es manch­mal eng. Dann helfen sich die Klini­ken gegen­sei­tig aus. Die Pati­en­ten­zah­len haben in den vergan­ge­nen zehn Jahren stetig zuge­nom­men, so Micha­el Ehrhardt. «Einer­seits ist der Druck in der Gesell­schaft gestie­gen, ande­rer­seits können wir weni­ger gut mit diesem Druck umge­hen.» Der Gross­teil der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten leidet gemäss dem 56-Jährigen unter Depres­sio­nen und den «gängi­gen» Krank­heits­bil­dern wie Schi­zo­phre­nie, Psycho­sen und Ängsten. 

Die Klinik St. Pirmins­berg in Pfäfers zählt 150 Betten und ist gut ausge­las­tet. Für Notfäl­le wird es teil­wei­se eng.

Abhän­gig­kei­ten sind häufig Begleit­erschei­nun­gen. Oft haben die Betrof­fe­nen keinen gere­gel­ten Tages­ab­lauf mehr oder ihnen wächst alles über den Kopf. Inne­hal­ten, zur Ruhe kommen und sich auf das Schö­ne im Leben fokus­sie­ren, sei dann wich­tig, so Micha­el Ehrhardt. Er arbei­tet seit rund zehn Jahren in einem 40-Prozent-Pensum in Pfäfers. Die übri­gen 60 Prozent über­nimmt sein refor­mier­ter Kolle­ge. Vor Kurzem wurde eine drit­te Seel­sor­ge­rin in einem 60-Prozent-Pensum ange­stellt. «In unse­rer Arbeit geht es vor allem darum, den Menschen Raum zu geben, dass sie erzäh­len können. Oft reicht es, einfach nur zuzuhören.»

Vom Wetter beeinflusst

Micha­el Ehrhardt ist für die Seel­sor­ge auf vier Statio­nen zustän­dig. Entwe­der ist er bei der Morgen­run­de, beim gemein­sa­men Mittag­essen oder am Nach­mit­tag bei der Kaffee­run­de dabei. Am Frei­tag feiert er jeweils einen Gottes­dienst, in dem persön­li­che Fürbit­ten eine wich­ti­ge Rolle spie­len. Dane­ben führt er Einzel­ge­sprä­che. Einen fixen Tages­ab­lauf gibt es für ihn nicht. Er ist da, wenn jemand etwas loswer­den oder einfach schwei­gend einen Spazier­gang unter­neh­men will. Das Ange­bot ist fakul­ta­tiv – Ehrhardt geht nicht aktiv auf die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zu. Das würde auch wenig nützen. «Aufdrän­gen geht nicht. Manch­mal beschrän­ken wir uns auf ein ‹Hallo› auf dem Flur. Eini­ge verlas­sen sogar den Raum, wenn ich komme. Das akzep­tie­re ich.» 

Ein bekann­tes Gesicht in den Klinik­gän­gen: Micha­el Ehrhardt ist seit rund 10 Jahren als Seel­sor­ger in Pfäfers tätig.

Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ohne reli­giö­sen Bezug erreicht Micha­el Ehrhardt kaum. «Nicht selten werde ich als Projek­ti­ons­flä­che für nega­ti­ve Erfah­run­gen mit der Kirche gese­hen.» Auch das macht Ehrhardt nichts aus. Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten dürfen bei ihm «abla­den». Die Klinik liegt hoch ober­halb von Bad Ragaz und bietet einen schö­nen Blick ins Rhein­tal. Die Lage im Grünen macht sich Ehrhardt gerne zunut­ze und geht mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten nach draus­sen. «Die frische Luft und die Natur tut fast allen gut und beru­higt.» Allge­mein: Das Wetter hat gros­sen Einfluss auf das Wohl­be­fin­den und damit auf den Klinik­all­tag. «Wenn es tage­lang grau ist, sind die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten oft unaus­ge­gli­che­ner und wir haben mehr zu tun.» Ehrhardt schaut aus dem Fens­ter. Es ist ein sonni­ger Tag und verschie­de­ne Grup­pen kehren gera­de vom Morgen­spa­zier­gang zurück – ein wesent­li­cher Bestand­teil des Klinik­all­tags. Eben­so die ­Ergo­the­ra­pie und die Kunst­the­ra­pie. «Das sind Ausdrucks­for­men, die den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten helfen sollen, zu sich zu finden und ihren Gefüh­len Ausdruck zu verlei­hen. Sie sollen wieder lernen, sich mit etwas ausein­an­der­zu­set­zen, zu reflek­tie­ren und einem gere­gel­ten Tages­ab­lauf nachzugehen.»

Der Kunst kommt im Klinik­all­tag eine gros­se Bedeu­tung zu: «Es ist eine Ausdrucks­form, die den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten helfen soll, zu sich zu finden und ihren Gefüh­len Ausdruck zu verlei­hen», so Micha­el Ehrhardt.

Kein Zeit­druck

Die Pati­en­ten­schick­sa­le machen betrof­fen. Wenn Micha­el Ehrhardt über Menschen spricht, die den Lebens­mut verlo­ren haben, die keinen Antrieb haben, denen der Alltag fehlt, wird man trau­rig und nach­denk­lich – und ist gleich­zei­tig dank­bar. Der Seel­sor­ger aber wirkt gefasst. Er hat schon vieles miter­lebt und hat gelernt zu akzep­tie­ren. «Man würde sich ande­res wünschen für diese Perso­nen, aber mit Forde­run­gen kommt man nicht weit. 

Der Seel­sor­ger stösst in den Gesprä­chen mit den Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten manch­mal an Grenzen.

Wenn jemand klei­ne Fort­schrit­te macht, ist das für mich ein High­light.» Die Erfolgs­chan­cen seien nicht immer gleich. Rund 350 Ange­stell­te sind in der Klinik St. Pirmins­berg tätig. Die Zusam­men­ar­beit ist gut – davon werden wir an diesem Tag Ende Janu­ar Zeuge. Beim Klinik­rund­gang geht eine Pfle­ge­kraft auf Ehrhardt zu. «Kannst du noch zu Frau B. gehen? Sie hat um ein Gespräch gebe­ten.» Ehrhardt bejaht freund­lich. Er sieht sich als Ergän­zung zur Behand­lung. Der Frage, warum es nebst dem psycho­lo­gi­schen Dienst in Klini­ken Seel­sor­ger braucht, entgeg­net er mit einem Lächeln – ganz so, als hätte er darauf gewar­tet: «Einer­seits sind wir die Fach­per­so­nen, wenn es um reli­giö­se oder spiri­tu­el­le Fragen geht oder jemand ein Gebet spre­chen, die Kommu­ni­on oder einen Segen empfan­gen möch­te. Manch­mal bin ich einfach Vermitt­ler, damit Sakra­men­te  wie Beich­te oder Kran­ken­sal­bung gespen­det werden können. Dazu werde ich dann auch spezi­ell ange­fragt. Ande­rer­seits kann ich mir oft mehr Zeit nehmen für die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten und arbei­te nicht nach einem Zeit­plan. Wenn immer den Betrof­fe­nen etwas auf dem Herzen liegt, bin ich da.» 

Micha­el Ehrhardt erreicht vor allem gläu­bi­ge Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Für sie orga­ni­siert er am Frei­tag jeweils einen Gottes­dienst mit Fürbittenherz.

Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten schät­zen das. «Manchen ist es wich­tig, dass sie ihre ganze Geschich­te erzäh­len können, ohne Zeit­druck und Unter­bre­chun­gen.» Diese Flexi­bi­li­tät bringt einen weite­ren Vorteil: Ehrhardt kann die Gesprä­che führen, wo immer es die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten wünschen. Das Setting, wie er es nennt, müsse für jeden Einzel­nen stim­men. Ehrhardt erzählt, wie er in den Gesprä­chen manch­mal an Gren­zen stos­se, wie heraus­for­dernd es zuwei­len sei, das Gegen­über aus der Reser­ve zu locken. Dann brau­che es einen Ansatz­punkt. Ehrhardt führt uns in die Klosterkirche. 

Die Klos­ter­kir­che der Klinik Pfäfers löst bei vielen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten Emotio­nen aus. Micha­el Ehrhardt nutzt dies gerne als Ansatzpunkt.

Der impo­san­te Barock­bau löst Stau­nen aus – auch bei vielen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. «Ihre Neugier­de wird geweckt. Sie fragen beispiels­wei­se, wie alt die Kirche ist, und schon sind wir in einem Gespräch, das dann oft auch tiefer geht.» Nebst reli­giö­sen Themen geht es oft auch um Lebens­fra­gen in Bezug auf die Fami­lie, Kinder oder die Arbeit. Fragen, die uns alle dann und wann herum­trei­ben – auch Ehrhardt selbst. «Ich erzäh­le dann aus meinem Leben und wie ich die Situa­ti­on handhabe.»

Noch immer Tabuthema

Die psych­ia­tri­schen Klini­ken und ihre Ange­bo­te haben sich in den vergan­ge­nen 30 Jahren stark gewan­delt. Während Jahr­zehn­ten wurde die Praxis der lebens­lan­gen Aufent­hal­te verfolgt. Das heisst, die Betrof­fe­nen wurden in Insti­tu­tio­nen «abge­scho­ben» und fris­te­ten ein meist einsa­mes Dasein. Eine Inter­ak­ti­on mit der Bevöl­ke­rung fehl­te. Seit der Klinik­re­form in den 1990er-Jahren steht die Reinte­gra­ti­on in die Gesell­schaft im Vorder­grund. «Die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten sollen nur so lange wie nötig bei uns sein und so schnell wie möglich wieder in ihr gewohn­tes Umfeld und in ihren Alltag zurück­keh­ren», erklärt Klinik­di­rek­to­rin Gorda­na Heuber­ger. Heute beträgt die durch­schnitt­li­che Aufent­halts­dau­er in Pfäfers 32 Tage. 

Nur noch so lang wie nötig: Heute beträgt die durch­schnitt­li­che Aufent­halts­dau­er einer Pati­en­tin oder eines Pati­en­ten in Pfäfers rund 32 Tage. 

Wie Heuber­ger sagt, hat die Praxis­än­de­rung zur Akzep­tanz psychi­scher Erkran­kun­gen in der Bevöl­ke­rung beigetra­gen, das Thema aber nicht entta­bui­siert: «Es wird immer noch stig­ma­ti­siert. Wir Menschen werden immer Schwie­rig­kei­ten haben, um Hilfe zu bitten und diese anzu­neh­men. Wir wollen lieber Verant­wor­tung über­neh­men. Das geht aber nicht immer.» Und Micha­el Ehrhardt ergänzt: «Das Feld derje­ni­gen, die sich mit dem Thema beschäf­ti­gen, ist grös­ser gewor­den. Aber wir müssen akti­ver auf die Gesell­schaft zuge­hen und ihr zeigen, dass psychi­sche Erkran­kun­gen dazugehören.» 

Inter­es­se steigt

Klar ist: Auch künf­tig wird es psych­ia­tri­sche Klini­ken brau­chen. Die Bevöl­ke­rung muss lernen, die Betrof­fe­nen zu inte­grie­ren und als Teil der Gesell­schaft zu akzep­tie­ren. Vor diesem Hinter­grund freut es den Seel­sor­ger beson­ders, dass mitt­ler­wei­le auch auswär­ti­ge Gäste das Klinik­ca­fé besu­chen und kürz­lich eine Schul­klas­se für eine Führung ange­fragt hat. «Das ist eine gute Möglich­keit, uns zu zeigen und Vorur­tei­le abzu­bau­en», sagt Micha­el Ehrhardt, bevor er sich verab­schie­det. Er muss los, sein offe­nes Ohr ist gefragt. Der heuti­ge Tages­plan ist straff. Am Nach­mit­tag wird er die besag­te Pati­en­tin auf ihrem Zimmer besu­chen und sich mit Pascal noch einen Kaffee gönnen – wie oft nach erfolg­rei­chen Gesprä­chen. Pascal freuts und er dankt: «Es ist gut, dass Micha­el da ist. Er ist ein Guter.» Dann muss auch er gehen – es ist 11.40 Uhr und das Mittag­essen wartet seit zehn Minu­ten auf ihn.

Text: Ales­sia Paga­ni
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 16. Febru­ar 2024

Sich zuhause fühlen dank Suppentag

Durch ihr kirch­li­ches Enga­ge­ment hat die Berne­rin Kath­rin Brou­wer schnell Anschluss im Sargan­ser­land gefun­den. Seit­her gibt sie der Kirche viel zurück. Seit 15 Jahren etwa ist die 80-Jährige die gute Seele hinter dem Suppen­tag in Sargans.

«Ich weiss, was es heisst, arm zu sein, und habe daher Verständ­nis und Mitge­fühl für die Menschen, die wenig haben und arm aufwach­sen. Ich habe selbst erlebt, was es bedeu­tet, wegen Armut auf Ableh­nung zu stos­sen.» Kath­rin Brou­wers Stim­me ist leise, wenn sie von ihrer Kind­heit spricht. Aufge­wach­sen als Toch­ter eines Heim­ar­bei­ters in der Stadt Bern, war das Geld in ihrem Eltern­haus stets knapp. Hilfe von aussen gab es keine. Diese Zeit hat die heute 80-Jährige geprägt. Ihre Gedan­ken sind oft bei den weni­ger Privi­le­gier­ten unse­rer Gesellschaft.

Suppen­work­shop besucht

Seit 15 Jahren enga­giert sich Kath­rin Brou­wer für die OeME Sargans (Ökume­ne, Missi­on und Entwick­lung Sargans) der refor­mier­ten Kirche und orga­ni­siert und plant zusam­men mit ihrer Team-Kollegin den Suppen­tag, an dem Geld gesam­melt wird für die ökume­ni­sche Fasten­kam­pa­gne. In Sargans findet dieser tradi­ti­ons­ge­mäss am ersten Sonn­tag nach Ascher­mitt­woch statt. «Als ich für die OeME zuge­sagt habe, war ich mir nicht bewusst, was auf mich zukommt. Eines ergab das ande­re. Mitglie­der kamen und gingen. Ich bin geblie­ben», so Kath­rin Brouwer. 

Kath­rin Brou­wer weiss, wie man eine gute und nahr­haf­te Suppe kocht. Zwei­mal hat sie bereits den Suppen­work­shop von Fasten­ak­ti­on und HEKS besucht.

Sie freut sich auf den Suppen­tag. Kürz­lich hat sie in Baden den Suppen­work­shop von Fasten­ak­ti­on und HEKS besucht – dies, obwohl sie die Suppe für den Suppen­tag in Sargans nicht selbst zube­rei­tet. Seit vergan­ge­nem Jahr ist die orts­an­säs­si­ge Pfadi dafür zustän­dig, in den Jahren davor waren es die Hobby­kö­che von Sargans.

Kirche, ein Stück Heimat

Kath­rin Brou­wer ist eine Kämp­fer­na­tur. Mit 25 Jahren fand sie durch ihren Ehemann den Weg ins Sargan­ser­land. Sie fühl­te sich einsam, hatte keine Freun­de und Bekann­te. Damals begann ihre Verbin­dung zur Kirche. «Ich woll­te mich der Gesell­schaft anschlies­sen und muss­te mich inte­grie­ren. Die Kirche half mir sehr dabei. Sie war für mich ein Stück Heimat.» Die Ernüch­te­rung kam aller­dings schnell. «Ich hatte stets viele Ideen, aber nicht alle wurden aufge­nom­men.» Sie habe auch gros­ses Glück in ihrem Leben gehabt, sagt Kath­rin Brou­wer. Als Anfang der 1970er-Jahre im Sargan­ser­land eine Musik­schu­le aufge­baut wurde, konn­te sie den Ausbil­dungs­kurs zum Ertei­len von Block­flö­ten­un­ter­richt besu­chen und bis zur Pensio­nie­rung als Flöten­leh­re­rin dort unter­rich­ten. Neben­her hat sie die Sing­schu­le St. Gallen und das Kirchen­mu­sik­se­mi­nar mit Diplom abge­schlos­sen. «Die Geburt meiner zwei Kinder hat meinem Leben aber den gröss­ten Sinn gegeben.»

Zusam­men­ar­beit stärken

Kath­rin Brou­wer ist ihren Weg gegan­gen. Nebst der Arbeit in der OeME ist sie in den monat­lich statt­fin­den­den, ökume­ni­schen Abend­me­di­ta­tio­nen «Schwei­gen und Hören» musi­ka­lisch und manch­mal auch inhalt­lich tätig. Sie enga­giert sich mit viel Herz­blut für die Kirche, weiss aber, dass dies kein dauer­haf­ter Zustand ist. «Es ist eine Frage der Zeit. Ich weiss nicht, wie lange ich das vor allem gesund­heit­lich noch machen kann.» Für die Zukunft hat die vife Senio­rin einen gros­sen Wunsch: «Der ökume­ni­sche Gedan­ke soll in der Kirche mehr zum Tragen kommen und die Zusam­men­ar­beit muss gestärkt werden. Wir glau­ben schliess­lich alle an dassel­be und haben diesel­ben Sorgen und Probleme.»

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