Die Photovoltaikanlage auf dem Dach der katholischen Kirche in Oberegg wird im Mai zehnjährig. Die Energiequelle hat eine bewegte Geschichte. Die treibende Kraft war unter anderem der Dorfpfarrer.
Oberegg wird gerne als Unikat bezeichnet. Vom restlichen Innerrhoder Kantonsgebiet abgetrennt hatte der Bezirk Oberegg als Enklave schon immer eine besondere Stellung. Einen unkonventionellen Weg wählt auch die Kirchgemeinde in Bezug auf erneuerbare Energien. Ein Rückblick: An der Kirchgemeindeversammlung vom 30. März 2012 votierten alle anwesenden Bürgerinnen und Bürger einstimmig für die geplante Photovoltaikanlage auf Obereggs Kirchendach. Die Baubewilligung wurde sofort eingereicht. Drei Monate später folgte eine Einsprache von Denkmalpflege und Heimatschutz. Walter Breu, Bau- und Sachverständiger der Kirchgemeinde Oberegg, erinnert sich: «Die Behörden argumentierten, die Kirche sei ein geschütztes Objekt und zudem habe der Ortsbildschutz Vorrang.» Im Oktober hat die Standeskommission den Rekurs von Denkmalpflege und Heimatschutz abgewiesen, dennoch wurde im Dezember dieselbe Beschwerde wiederum eingereicht, dieses Mal mit Unterstützung von zwei Architekten. Dieser Rekurs wurde dann vom Kantonsgericht behandelt und letztlich im Mai 2013 abgewiesen. Damit war der Weg für erneuerbare Energien definitiv freigeräumt und im Mai 2014 konnte die PV-Anlage in Betrieb genommen werden.
Seit zehn Jahren ist auf dem Dach der Katholischen Kirche Oberegg eine Photovoltaikanlage zu finden.
Ein engagierter Pfarrer
Der Oberegger Pfarrer Johann Kühnis, der im Jahr 2022 verstarb, ist von Anfang an die treibende Kraft hinter diesem Projekt. Breu erklärt: «Er sah von seinem Wohnzimmer aus direkt aufs Kirchendach und war überzeugt, dass die südliche Lage perfekt wäre für eine Solaranlage. So ist die Idee entstanden, die Sonnenkraft als Quelle für den hohen Energieverbrauch der Kirche zu nutzen.» Nach den Einsprachen setzt sich Kühnis öffentlich für die PV-Anlage ein. Das St. Galler Tagblatt berichtet damals über ihn: «Er ist der Meinung, dass die Kirche in Sachen erneuerbarer Energie als Vorbild agieren sollte und dass die vorgesehene Dachfläche vom Dorf aus nicht sichtbar sei.» Kühnis bleibt auch nach seinem Tod als «Pate der PV-Anlage» und als beliebter Pfarrer in Erinnerung. Er habe sich bis zur finalen Umsetzung des Projektes mit viel Herzblut engagiert: «Er hat sogar persönlich mitgeholfen, die Panels zu montieren», berichtet Breu. Zum Abschied von Kühnis sagte der Pfarreileiter Albert Kappenthuler: «Es gäbe unendlich vieles aufzuzählen, was er geleistet hat. Das Wichtigste aber ist, dass er immer Mensch geblieben ist, mit beiden Füssen auf dem Boden, fest verwurzelt im Glauben, aber auch stets offen für das Alltägliche und Gewöhnliche. Etwa für die Photovoltaik-Anlage auf dem Kirchendach oder einen Jass am Stammtisch.»
Ohne Zertifikat
«Die PV-Anlage besteht aus speziellen Modulen, die einerseits sehr effizient sind – sie liefern zirka 35 000 KW pro Jahr – und andererseits optisch sehr dezent wirken», weiss Mesmer Rolf Hochreutener. Rund 40 Prozent des eigenen Energieverbrauches können damit abgedeckt werden. Die Kirchgemeinde Oberegg lege grossen Wert auf einen schonenden Umgang mit Ressourcen. «Unser Kirchturm wird beispielsweise nur noch an Feiertagen und nachts beleuchtet und im Moment planen wir, die Beleuchtung von Halogen auf LED umzustellen», so Hochreutener. Auf die Frage, ob kirchliche Umweltpreise oder Zertifizierungen wie «Der Grüne Güggel» auch ein Thema in Oberegg seien, verneinen die Verantwortlichen: «Der Prozess bis zur Zertifizierung ist sehr personal- und kostenintensiv, wir nehmen lieber kleine Schritte in Angriff, die wir mit dem aktuellen Team bewältigen können.»
Robyn Jung, Oberministrantin in Henau, hat ihre Maturaarbeit immigrierten Müttern und deren Integration gewidmet. Durch die Erfahrungen konnte die 18-Jährige eigene Vorurteile abbauen.
Wissen schafft Verständnis, Verständnis schafft Akzeptanz – davon ist Robyn Jung überzeugt. Die 18-Jährige schliesst im Sommer die Kantonsschule ab und hat sich intensiv mit der Integration beschäftigt. Für ihre Maturaarbeit ist sie in das Leben immigrierter Mütter eingetaucht – hat mit einer Türkin Ramadan gefeiert und mit einer Ukrainerin einen Flohmarkt veranstaltet. Entstanden ist das Buch «Across Boarders – The Integration of Immigrant Mothers» (auf Deutsch: Grenzüberschreitend) mit acht Portraits von Frauen, die ihren Weg in der Schweiz suchen. Ihr Fazit: «Für immigrierte Mütter ist es nicht einfach, sich in der Gesellschaft zu integrieren und Beruf, Familie und Privatleben zu vereinen.»
Robyn Jung hat ihre Maturaarbeit über immigrierte Mütter geschrieben. Sie weiss: «Für diese ist es nicht immer einfach, sich zu integrieren.»
Oft hätten junge Männer weniger Probleme, würden von Behörden Hilfe erhalten, schneller in Sprachkurse integriert und bei der Jobsuche unterstützt. Bei Frauen brauche es mehr Selbstinitiative. «Dabei übernehmen die Mütter eine sehr wichtige Rolle. Sie erziehen die Kinder und formen deren Zukunft. Und damit unser aller Leben.» Kindererziehung und Integration – bei immigrierten Müttern bleibe häufig eines von beiden auf der Strecke.
Wie in der Schule
Robyn Jung ist in Henau bei Wil aufgewachsen. In der Pfarrei engagiert sie sich als Ministrantin, seit eineinhalb Jahren ist sie sogar Oberministrantin. Seit Kurzem ist sie zudem Leiterin im Kindertreff Kunterbunt, einem Angebot der Pfarrei. Sie ist in einer offenen Familie gross geworden, macht die bilinguale Matura in Englisch und reist wie viele junge Menschen gerne in ferne Länder. Multikulturalität gehört für Robyn Jung zum Alltag, und dennoch sagt sie: «Auch ich habe Vorurteile.» Eigene Vorstellungen bringe man nicht so einfach weg. Die Erlebnisse mit den Migrantinnen haben Eindruck hinterlassen.
Im Buch «Across Boarders – The Integration of Immigrant Mothers» (auf Deutsch: Grenzüberschreitend) porträtiert Robin Jung acht Frauen, die ihren Weg in der Schweiz suchen.
Sie habe gelernt, wie wichtig gegenseitiges Interesse und gegenseitige Bemühungen sind. «Die Migrantinnen und Migranten sind froh, wenn man Interesse zeigt und mit ihnen in den Dialog tritt. So können Ängste abgebaut werden. Umgekehrt müssen auch die Migrantinnen und Migranten offen sein und sich anpassen wollen.» Robyn Jung vergleicht es mit dem Berufs- oder Schulalltag. «Man muss nicht alle mögen, aber man muss miteinander auskommen. Dabei gibt es Grundregeln, an die wir uns alle halten müssen.»
Mit Bestnote ausgezeichnet
Bei der Integration böten vor allem auch die Kirchen eine Chance, so die junge Frau: «Religion kann helfen, sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Zudem bieten Kirchen oft viele Möglichkeiten zur Partizipation.» Robyn Jung ist dankbar, dass sie die Erfahrungen im Rahmen ihrer Maturaarbeit machen konnte.
Robyn Jung konnte in den Gesprächen mit den immigrierten Müttern Vorurteile abbauen.
Diese wurde nicht ohne Grund mit der Bestnote ausgezeichnet. Im Januar hat sie eine Podiumsdiskussion in Wil veranstaltet, an der auch der Wiler Stadtrat Dario Sulzer, Vorsteher des Departements Gesellschaft und Sicherheit, und Claudia Nef, Geschäftsführerin des Trägervereins Integrationsprojekte St. Gallen, teilnahmen. Zu den portraitierten Frauen hat Robyn Jung immer noch Kontakt und sie denkt gerne an die gemeinsamen Erlebnisse zurück. Sie ist überzeugt: «Das Leben mit zwei Kulturen bringt viele Vorteile. Man kann aus beiden das Beste herausnehmen.»
Text: Alessia Pagani Bilder: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 8. April 2024
In unserer ersten Podcast-Folge berichten wir, was wir während unserer Reportage am Vorbereitungstag auf die Erstkommunion in Niederuzwil erlebt haben. Ausserdem gehen wir der Frage nach, wie die Kirche auf veränderte Familienrealitäten wie patchwork oder alleinerziehend eingeht.
Die ÖV-Mehrfahrtenkarte soll durch ein digitales Angebot ersetzt werden. Der Theologe und Ethikprofessor Peter G. Kirchschläger bezeichnet den Schritt als ethisch problematisch. Er nimmt den Staat in die Pflicht und rät Betroffenen, sich zur Wehr zu setzen.
Einstecken, abstempeln lassen und los geht die Fahrt. Während Jahrzehnten erfreuten sich die Mehrfahrtenkarten der SBB und anderer Bahn- und Busbetriebe grosser Beliebtheit. Gemäss K‑Tipp wurden im vergangenen Jahr über 6 Millionen Stempelkarten verkauft. Doch nun soll damit Schluss sein. Die SBB und andere Verkehrsbetriebe haben angekündigt, das Angebot im kommenden Jahr einzustellen. Die orangefarbenen Entwertungskästen sollen bis Ende 2025 aus den Schweizer Bahnhöfen verschwinden. Die SBB will die Mehrfahrtenkarten durch ein digitales Ticket ablösen. Die Ankündigung sorgte bei verschiedenen Fachverbänden als auch in der Bevölkerung für Unmut. Einer der Kritiker ist Peter G. Kirchschläger. Der katholische Theologe und Ethikprofessor der Universität Luzern bezeichnet die Abschaffung der Stempelkarte als «ethisch problematisch». «Es besteht die Gefahr, dass Menschen vom öffentlichen Verkehr ausgeschlossen werden. Die Ticketverkäufe werden vermehrt digitalisiert, doch es ist unangemessen, von allen zu erwarten, dass sie ein Smartphone besitzen», sagt Kirchschläger auf Nachfrage.
Gefahr von Manipulation steigt
Peter G. Kirchschläger hat Verständnis dafür, dass Unternehmen versuchen, mit der Digitalisierung effizienter zu werden und Kosten einzusparen. Besonders stossend ist für ihn unter anderem die Tatsache, dass es sich bei ÖV-Betrieben um staatliche oder teilstaatliche Unternehmungen handelt und nicht um Privatunternehmen. «Gerade die öffentliche Hand darf die Digitalisierungsprozesse nicht so gestalten, dass ein Teil der Bevölkerung ausgeschlossen wird und dass das Menschenrecht auf Datenschutz und Privatsphäre verletzt wird.» Für Kirchschläger ist die geplante Abschaffung der Mehrfahrtenkarte denn auch nicht nachvollziehbar: «Ich frage mich, wieso man eine neue Lösung suchen muss, wenn es mit den Mehrfahrtenkarten eine gibt, die funktioniert und offenbar auch nach wie vor nachgefragt wird.» Tangiert sind gemäss Kirchschläger verschiedene Bevölkerungsgruppen. «Die Umstellung betrifft unter anderem Menschen, die mit der Technik überfordert sind, also vor allem ältere Menschen, sowie Armutsbetroffene, die sich oder ihren Kindern kein Smartphone kaufen können.» Problematisch sieht er die geplante Änderung auch in Bezug auf die junge Generation. «Eine Abschaffung der Mehrfahrtenkarte würde vor allem Kindern schaden, denn je früher sie ein Smartphone haben, desto eher wird die Nutzung zu einem Problem für ihre mentale Gesundheit und sie können bereits früh in ihrem Konsum und in der Entwicklung ihrer politischen Ansichten manipuliert werden. Denn jede Sekunde auf dem Smartphone ist eine Sekunde Manipulationsmöglichkeit.» Den Betroffenen rät Kirchschläger, sich bei den verantwortlichen Organisationen und Unternehmungen zu wehren.
«Freiheit wird angegriffen»
Für Peter G. Kirchschläger ist klar: «Es besteht dringender Handlungsbedarf.» Nicht nur wegen eines drohenden Ausschlusses, sondern auch im Hinblick auf die Verletzung von Menschenrechten. «Im Rahmen der Digitalisierung werden stets Daten gestohlen, um sie dann den Meistbietenden weiterzuverkaufen». Dies wiederum stelle eine Verletzung der Menschenrechte auf Datenschutz und Privatsphäre dar, betont Kirchschläger. «Diese Menschenrechtsverletzungen müssen gestoppt werden. Diese Menschenrechte sind relevant für unsere Freiheit, da wir uns anders verhalten, wenn wir überwacht werden. Wir tendieren zu einem normierteren Verhalten. Unsere Freiheit wird also angegriffen.» Er spricht von einer «hohen Dringlichkeit». «Es handelt sich hier um Menschenrechte, die ja die Menschenwürde schützen», so Kirchschläger. Seit Längerem fordert er deshalb die Schaffung einer Internationalen Agentur für datenbasierte Systeme bei der UNO – vergleichbar mit der Internationalen Atomenergiebehörde bei der UNO, was Anklang findet. «Damit sollen die ethischen Chancen der datenbasierten Systeme (Anm. der Redaktion: bisher künstliche Intelligenz) gefördert und deren ethische Risiken gemeistert oder vermieden werden.» Fakt ist: Die fortschreitende Digitalisierung des Lebens kann nicht aufgehalten werden. Vieles – sei es der Einkauf oder die Ferienbuchung – geht heute digital schneller und einfacher als noch vor einigen Jahren analog. Dass dabei Personendaten erhoben und Nutzerdaten gespeichert werden, ist uns allen klar. Aber: Geben wir unsere Daten zu schnell und unüberlegt an Dritte weiter? Peter G. Kirchschläger relativiert: «Selbstverständlich können wir durch unser Tun und Lassen hier einen Einfluss nehmen und haben damit korrespondierend auch eine Verantwortung. Oftmals bleibt uns aber gar keine andere Wahl.» Die Möglichkeiten eines einzelnen Bürgers oder einer Bürgerin seien viel kleiner als die Macht des Staates, die Menschenrechte zu schützen und durchzusetzen, und von Unternehmen, die Menschenrechte zu respektieren, erklärt Kirchschläger. «Entsprechend hat der Staat hier auch eine grössere Verantwortung, die Menschenrechte zu realisieren.»
Zur Person
Peter G. Kirchschläger ist Theologe und Philosoph. Er ist Professor für Theologische Ethik und Leiter des Instituts für Sozialethik ISE an der Universität Luzern, Gastprofessor an der Professur für Neuroinformatik und Neuronale Systeme der ETH Zürich sowie am ETH AI Center und Research Fellow an der University of the Free State, Bloemfontein (Südafrika). Seine Forschungsschwerpunkte sind Ethik der digitalen Transformation und künstlichen Intelligenz, Ethik der Menschenrechte und Wirtschafts‑, Finanz- und Unternehmensethik. Der 46-Jährige ist beratender Experte in ethischen Fragen für nationale und internationale Organisationen etwa für die UN, UNESCO, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE oder den Europarat. Er ist Präsident a. i. der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich EKAH, Mitglied der Kommission Justitia et Pax der Schweizer Bischofskonferenz und Studienleiter des neuen Masterstudiums «Ethik» an der Universität Luzern: www.unilu.ch/master-ethik
Text: Alessia Pagani Bilder: Ana Kontoulis / zVg. Veröffentlichung: 2. April 2024
Hoffnung stecke gerade auch in scheinbar kleinen Dingen, sagt die Rheintaler Seelsorgerin Anne Heither-Kleynmanns im Interview. Ein Gespräch anlässlich des Osterfestes über Vorbilder, Dankbarkeit und das Innehalten im Alltag.
Anne Heither-Kleynmans, wann haben Sie zuletzt etwas gehofft?
Gerade eben. Mit einer Patientin habe ich als Spitalseelsorgerin gehofft, dass der Untersuch ihrer Krebserkrankung ein gutes Ergebnis bringt.
Was löst Hoffnung in uns aus?
Hoffnung hilft uns, zuversichtlich auf das Leben und in die Zukunft zu blicken. Sie ist eine positive Erwartung. Zugleich ist man sich aber bewusst, dass es auch anders kommen kann. Ohne Hoffnung würden wir uns ohnmächtig fühlen und wohl vieles als sinnlos empfinden.
Kann Hoffnung auch negativ sein?
Hoffnungen können scheitern. Dann ist die Frage, wie wir damit umgehen, ob wir neue, andere Hoffnungen entwickeln können oder in der Hoffnungslosigkeit stecken bleiben.
Braucht Hoffnung Vorbilder?
Ja. Vorbilder können uns in schweren Zeiten helfen, trotz allem nach vorne zu schauen. Das können Personen aus der Gegenwart sein wie der russische Oppositionelle Alexej Nawalny, der kürzlich in Gefangenschaft gestorben ist. Seine Botschaft ist: «Ich glaube daran, dass ich etwas bewegen kann.» Es können biblische Personen sein oder Heilige, aber auch ganz normale Menschen in unserem Alltag. Ich bin in meinem Leben oft Menschen begegnet, die mir vermittelt haben: «Ich nehme das Leid im eigenen Leben und in der Welt nicht einfach so hin, ich engagiere mich und lebe so die Hoffnung auf Veränderung.» Das kann uns zu einer Haltung der Hoffnung ermutigen.
Lässt sich einwenden, dass Hoffnung überflüssig geworden ist, weil es uns in unserer Gesellschaft gut geht?
Nein, auf keinen Fall. Wir brauchen Hoffnung, gerade auch im Kleinen und im Alltag. Viele Menschen machen belastende Erfahrungen, sei es beruflich, familiär oder wegen einer Krankheit. Hier lässt sich auch ein Bezug zur Osterbotschaft herstellen: Der grosse Stein vor dem Grab Jesu ist ein starkes Symbol für alles Schwere, das es in unserem Leben gibt. Ohne Hoffnung wäre der Stein unbeweglich.
Wie schafft man es, diese Schwere beiseite zu schieben?
Persönlich, aber auch bei der Arbeit als Seelsorgerin versuche ich zu schauen, wie und wo man Hoffnung finden kann. Ist jemand unheilbar erkrankt, kann er etwa darin Hoffnung finden, noch eine gute Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Fühlen wir uns hoffnungslos, kann es helfen, die Perspektive zu wechseln und nach Lebendigem Ausschau zu halten. Gras, das zwischen Betonplatten hervorwächst, oder Licht, das ins Dunkel einfällt, oder der weggerollte Grabstein und eben das offene, leere Grab sind anschauliche Symbole für Hoffnung.
Das Leben ist stärker: Ist es das, was wir von Ostern mitnehmen können?
Ja. Es gibt Situationen, in denen alles traurig erscheint und in denen wir niedergeschlagen sind, weil wir etwas anderes erwartet hatten. Auch die Jünger sind nach Jesu Tod völlig enttäuscht. Diese Enttäuschungen gehören zum menschlichen Leben. Die Auferstehung von Jesus, das leere Grab, der beiseitegeschobene Stein sagen ihnen und uns allerdings: Nichts muss im Schweren steckenbleiben. Es gibt neue Hoffnung.
Welche Tipps haben Sie? Wie können wir lernen, Hoffnung bewusst zu leben?
Wir können den Blick auf das richten, was gut läuft, ohne dabei das Schwere zu verleugnen. Wir können scheinbar kleine Dinge in den Mittelpunkt stellen und uns fragen, wo wir beschenkt sind. Dankbar zu sein und das auch zu formulieren, im Gebet, gegenüber unseren Angehörigen oder Freunden, und sich Zeit zu nehmen, die Natur zu beobachten und zu sehen, wie alles wächst, schult uns für die Hoffnung. Es ist wichtig, dass ich mich frage: «Was trägt mich? Was gibt mir Halt und Kraft?»
Zahlreiche Kinder und Familien feiern in diesem Frühling Erstkommunion. Worauf freuen sie sich? Was bedeutet ihnen das Fest? Das Pfarreiforum hat den Eltern-Kind-Vorbereitungstag in Niederuzwil besucht und den neuen ausserschulischen Erstkommunionweg kennengelernt.
Es duftet nach frischgebackenem Brot. Im Eingangsbereich des Pfarreizentrums in Niederuzwil formt eine Gruppe Kinder weiteren Teig zu Brötchen. Später an diesem Eltern-Kind-Vorbereitungstag auf die Erstkommunion sollen diese an der Abschlussfeier geteilt werden. Mitten unter den Kindern arbeitet die Drittklässlerin Gloria. Ihre Mutter Sara steht neben dem Tisch. «Ich selber hatte meine Erstkommunion in Rorschach. Aber an eine so schöne Vorbereitung kann ich mich nicht erinnern. Mir fällt nur der Marsch ein, den wir Kinder an der Erstkommunion durch Rorschach machten», sagt die Katechetin in Ausbildung. Der neue Erstkommunionweg in Niederuzwil begleitet die Kinder hingegen während eines Jahres. Es gibt zehn Treffen, die unter anderem aus Gruppenstunden, Ausflügen, einer Tauferinnerung, dem Vorbereitungstag, Proben für die Erstkommunion und der Erstkommunion bestehen. «Die Kinder bekommen viel mit und erleben Schönes mit Gleichaltrigen», sagt Sara. Umso grösser sei die Freude in diesem Jahr, weil die Erstkommunion ihres älteren Kindes wegen Corona nicht in der Gemeinschaft gefeiert werden konnte. «Vor allem meine Mutter, also Glorias Grossmutter, in Spanien war sehr traurig. Sie konnte nur per Live-Stream dabei sein», sagt Sara. In diesem Jahr seien hingegen 25 Personen eingeladen. Nach der Feier zur Erstkommunion am 5. Mai gehe es ins Restaurant.
Dann ist es Zeit für Gloria, zum nächsten Posten im Pfarreizentrum zu gehen: Dort werden die Masse für das Blumenkränzchen und die Gewänder genommen. Die Primarschülerin freut sich auf die Erstkommunion. «Wir essen in einem Restaurant, in dem es gebackene Champignons gibt. Und ich werde unter meinem Gewand ein ganz besonderes Dirndel tragen, das aus Deutschland kommt», erzählt die 8‑Jährige. Am Erstkommunionweg habe ihr vor allem der Ausflug zur Hostienbäckerei gefallen. «Ausserdem haben wir vieles über den Ministrantendienst erfahren und gesehen, was die alles Spannendes machen.»
Ein Netzwerk für Familien
Den neuen Weg zur Erstkommunion gibt es in Niederuzwil erstmals seit diesem Schuljahr. Die Treffen finden alle ausserschulisch statt. Eingeführt wurde das, weil teils Kinder ökumenisch unterrichtet werden und somit nicht alle Kinder einer Religionsklasse für die Erstkommunion vorbereitet werden können. 25 Kinder sind es in Niederuzwil in diesem Jahr, die auf diese Weise die Vorbereitung zur Erstkommunion nutzen. «Das hat Vorteile. Als Gruppe haben wir alles dasselbe Ziel. Früher, im schulischen Religionsunterricht, waren hingegen immer Kinder mit dabei, die keine Erstkommunion hatten», sagt Manuela Trunz. Die Religionspädagogin ist in diesem Jahr für den Eltern-Kind-Vorbereitungstag zuständig, der in Niederuzwil seit über fünfzehn Jahren jeweils einige Wochen vor der Erstkommunion stattfindet. «In Niederuzwil hatten wir schon immer ein gutes Netzwerk und ein grosses Angebot für Familien», sagt sie und fügt an: «Dieses Mal sind wir vergleichsweise ein kleine Gruppe. In anderen Jahren haben auch schon um die 40 Kinder zusammen Erstkommunion gefeiert.»
Mühle, Technik und Mandalas
Rückmeldung zum neuen Weg zur Erstkommunion hat Manuela Trunz bislang nur positive erhalten. «Vor allem die drei Ausflüge, von denen sich die Kinder für einen anmelden mussten, haben allen gefallen», sagt sie. Der 9‑Jährige Joel beispielsweise hat gleich bei allen drei mitgemacht. Ausser zur Hostienbäckerei ging es zu einem Rebberg und in eine Mühle. «Die Mühle fand ich am spannendsten, weil ich Technik liebe», sagt er. Mit seiner Mutter Conny ist er beim Posten «Andenken gestalten» gerade damit beschäftigt, auf einem Holzbrett mit Nägeln und bunten Gummischnüren ein Mandala zu gestalten. «Jesus, meine Mitte»: Das Motto des Mandalas ist vorgegeben, bei der Umsetzung können die Kinder ihrer Kreativität allerdings freien Lauf lassen. «Die Vorbereitung auf die Erstkommunion ist toll und viel spannender als die Kirche», sagt er. «Dort muss man immer still sitzen und Kinder verstehen vielleicht nicht alles. Hier ist das anders.» Joels Mutter ist evangelisch-reformiert. Sie finde es schön, während dieses einen Jahres den Blickwinkel ihres Kindes einzunehmen, sagt sie. Welche Gedanken den Eltern im Hinblick auf die Erstkommunion durch den Kopf gehen, können sie beim Posten «Briefe für die Kinder» festhalten. In ruhiger Umgebung schreiben sie dort Wünsche und Hoffnungen für ihre Kinder auf. Die Briefe werden an der Feier im Mai übergeben.
Mit 60 Personen feiern
«Wunderschön finde ich all diese Vorbereitungen», sagt auch Matea, die zusammen mit ihrer Tochter Mia ein Glaskreuz gestaltet. An diesem Posten bekleben die Kinder Glas mit bunten Glasstücken, das später in einem Ofen gebrannt wird. «Das Basteln und die Erlebnisse mit meinen Freunden gefallen mir am besten», sagt Mia. Sie freue sich auf die Erstkommunion und auf das grosse Fest danach, zu dem 60 Personen eingeladen sind. Ihre Mutter Matea ergänzt: «Der Tag ist uns wichtig und wir wollen ihn mit allen in der Familie feiern.» Sie selbst hatte ihre Erstkommunion in Kroatien. «Vorbereitungen mit Basteln und all den anderen Dingen hatten wir allerdings nicht. Ich glaube, wir lernten vor allem Texte und Lieder», sagt sie.
Probeweise ministrieren
Was ist ein Tabernakel? Wie funktioniert ein Einzug in die Kirche? Welche Gewänder ziehen Ministranten an? Und wieso macht man eine Kniebeuge? In der Kirche gleich neben dem Pfarreizentrum ist es Zeit für den letzten Posten. Einige Ministrantinnen und der Seelsorger Paul Gremminger erklären den interessierten Primaschülerinnen und Primarschülern alles rund ums Ministrieren. Nach der Erstkommunion kann, wer möchte, Ministrantin oder Ministrant werden. Mit grossen Augen und in den Gewändern, die die Kinder versuchsweise anprobieren konnten, schauen sie sich in der Kirche um. Dort, im Kreis um den Alter herum, werden sie auch an der Erstkommunion stehen. Sie sind beeindruckt, gerade auch vom Tabernakel. Der 9‑Jährige Joel streckt seine Hand auf und sagt: «Dass die Hostien hinter so einer dicken Panzertür aufbewahrt werden, hätte ich nicht gedacht.»
Seit fünf Monaten weilen David und Willemijn Rüttimann aus St. Gallen in Kenia, um Lehrkräfte auszubilden. Im ostafrikanischen Land treffen sie auf einige Herausforderungen.
«Wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Manchmal klappt es gut, manchmal weniger gut. Aber langsam kommen wir in einen Rhythmus», sagt David Rüttimann. Der 54-Jährige ist per Internettelefonie zugeschaltet. Ein Treffen ist nicht möglich, denn Rüttimann weilt 6400 Kilometer von seiner Heimatstadt St. Gallen entfernt in Afrika. Er ist im September mit Ehefrau Willemijn und den beiden Kindern nach Kilifi in Kenia ausgewandert ( Pfarreiforum Oktober 2023). Drei Jahre werden David und Willemijn mit Comundo (ehemals Bethlehem Mission Immensee) in der Personellen Entwicklungszusammenarbeit tätig sein. Sie arbeiten vor Ort als Fachpersonen mit der Partner-Organisation North Coast Medical Training College (NCMTC) zusammen. David Rüttimann bildet als Elektrotechniker Lehrkräfte in Facility Management und Medizinaltechnik aus und begleitet den Aufbau einer Werkstatt für die beiden Berufe. Physiotherapeutin Willemijn unterstützt das NCMTC mit der Ausbildung der Lehrkräfte im Bereich Rehabilitation und Behinderung. «Hiermit verbessern wir die Zukunftschancen der Studenten und die Qualität des Gesundheitssystems», so David Rüttimann.
Netzwerk aufbauen
Für David und Willemijn hiess es zuerst: «Ankommen und reinschauen.» David organisierte Geräte und Werkzeuge und baute ein Netzwerk an Spitälern auf, um den Studierenden ein Praktikum zu ermöglichen. «Sie sind in der Theorie super ausgebildet. Jetzt geht es darum, ihnen auch das Praktische mitzugeben.» Sowohl für die Studierenden als auch für die Lehrkräfte haben die beiden nur lobende Worte: «Es läuft super. Alle sind sehr interessiert», sagt Willemijn Rüttimann und David ergänzt: «Die Arbeit ist sehr befriedigend.» Die beiden sprechen aber auch die unterschiedliche Mentalität an. «Als Schweizer muss man lernen, sich an das Tempo zu gewöhnen. Hier geht alles ein wenig langsamer.»
Drei Umzüge in fünf Monaten
Während es beruflich wunschgemäss verläuft, haben die Rüttimanns im Privatleben einige Herausforderungen zu meistern. Die Familie zieht um – mal wieder. Es wird die dritte Bleibe in Kenia, «und hoffentlich die Letzte». Das jetzige Haus ist offen gebaut, besitzt weder Fenster noch Türen. «Sie sollten die Tausenden von Ameisen sehen», sagt Willemijn Rüttimann. Ihr Mann kämpft gegen grössere Tiere. Er muss alles monkey-proof – also affensicher – machen. «Die klauen alles.» Am Anfang sei vieles neu gewesen, «und es brauchte Zeit, bis alle sich im jetzigen Umfeld wohl fühlten», sagt David Rüttimann. Mittlerweile habe man aber auch Kontakt zu den «Locals». «Sie sind sehr offen und unheimlich hilfsbereit.» Willemijn und David fühlen sich im Land mit 53 Millionen Einwohnern immer sicher und willkommen.
Familienzeit einplanen
Immer wieder kommt Unerwartetes auf die Rüttimanns zu. Kürzlich fiel der Strom aus – nicht etwa für wenige Stunden, sondern für ganze zwei Wochen. Die Pumpen für Frischwasser streikten. «Da merkt man erst, was alles Strom braucht», sagt David Rüttimann. Trotz all der Schwierigkeiten nehmen die Rüttimanns die Situation bemerkenswert gelassen. «Wo es Tiefs gibt, gibt es auch immer wieder Hochs. Und die Tiefs werden weniger.» Um die Alltagssorgen zu vergessen, versuchen die Rüttimanns, wenn immer möglich, Familienzeit einzuplanen. Oft trifft man die vier am Strand oder beim Erkunden der Umgebung. «Sich auf Neues einlassen», lautet die Devise. «Man muss sich anpassen und die Situationen nehmen, wie sie kommen, dann kommt auch alles gut», sagt Willemijn Rüttimann.
Text: Alessia Pagani Bild: zVg / David Rüttimann Veröffentlichung: 1. März 2024
Es sei das Einzige, was ihm wirklich helfe: Das sagt der 46-jährige Matthias Maier* über seine Treffen bei der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell. Dort tauscht er sich mit Menschen aus, die wie er von Depression betroffen sind.
Was soll ich sagen? Und will ich die Geschichten anderer Menschen überhaupt kennen?» Diese Gedanken hatte Matthias Maier*, bevor er sich erstmals für eine Selbsthilfegruppe anmeldete. «Ich hatte einfach Angst davor. Freiwillig hätte ich das nie gemacht», erzählt der 46-Jährige in den Räumen der Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell. Alle zwei Wochen trifft er sich hier mit anderen Personen, die wie er von einer Depression betroffen sind. «Mit Menschen zu reden, die Ähnliches wie ich erlebt haben, tut gut. Es entsteht ein Gemeinschaftsgefühl und ich komme aus meiner Bubble heraus. In unserer Gruppe haben wir die verschiedensten Hintergründe», sagt er.
Durchs Trinken überdeckt
Bei Matthias Maier hängt die Depression mit einer Alkoholerkrankung zusammen. Pegeltrinken nennt er es. Das bedeutet, dass er stets einen gewissen Promillestand brauchte, um sich gut zu fühlen. «In meinen 20er-Jahren habe ich wie alle während des Studiums regelmässig getrunken und dachte, das sei ganz normal», sagt er. Es sei immer mehr geworden und in seinen 30ern seien dann an den Wochenenden zunehmend Filmrisse hinzugekommen. Schliesslich habe er während fünf Jahren gar keinen Alkohol mehr konsumiert. «Aber es ist wie mit jeder Suchterkrankung. Sie ist ein Leben lang Teil von einem», sagt er und erzählt, wie in den fünf trockenen Jahren seine Depression sichtbar wurde. «Ich hatte vieles wohl einfach durch das Trinken überdeckt und dadurch gar nicht bemerkt, wie es mir eigentlich geht», sagt er.
Werkzeuge bereit
Ein mulmiges Gefühl im Bauch, leise Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Verspannungen, Kopfschmerzen, Übelkeit, Rückzug vom Umfeld, Weltschmerz und das Gefühl, immer persönlich angegriffen zu werden: Matthias Maier liest einen Text vor, den er wie alle in der Selbsthilfegruppe über die eigene Depression geschrieben hat. Die Teilnehmenden hatten das selbst so gewünscht. Zwei bis drei Wochen kann eine depressive Episode bei ihm dauern. «Glücklicherweise ist die letzte aber schon ein Jahr her. Momentan geht es mir besser. Ich akzeptiere, dass mich diese Gefühle ständig begleiten, aber ich habe Werkzeuge, um mit ihnen umzugehen», sagt er.
Eine Milde entwickeln
Auf guten und genügenden Schlaf achten, eine Milde sich selbst gegenüber entwickeln sowie hinausgehen und sich bewegen: Das sind Dinge, die Matthias Maier guttun. «Vor allem aber helfen ihm Gespräche wie in der Selbsthilfegruppe, aber auch mit Bekannten, Familienangehörigen und seiner Partnerin. Mit ihr ist Matthias Maier, der im Grossraum Zürich aufgewachsen ist, wegen eines Jobangebots vor eineinhalb Jahren aus Hamburg zurück in die Schweiz nach St. Gallen gezogen. Im Internet suchte er nach einer neuen Selbsthilfegruppe. ‹Es ist das Einzige, was bei mir wirklich nützt», sagt er und fügt an: «Das hätte ich nicht erwartet, als ich damals in Hamburg wegen meiner Alkoholerkrankung in eine Tagesklinik kam.» Drei Monate sei er dort gewesen und habe als eine von verschiedenen Massnahmen bei einer Gesprächsgruppe mitmachen müssen. «Ausserdem wurde mir ausdrücklich empfohlen, im Anschluss einer Selbsthilfegruppe in Hamburg beizutreten.» In St. Gallen ist die Gruppe derweil zusammengewachsen. Matthias Maier sagt: «Ein Jahr hat es aber schon gedauert, bis sich die Leute wirklich öffneten und anfingen von schweren und tieferliegenden Dingen zu erzählen.»
* Name geändert
Selbsthilfe Die Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell setzt sich für die Stärkung gemeinschaftlicher Selbsthilfe ein. Sie führt Menschen in ähnlichen Lebenssituationen zusammen. Ziel ist, durch Selbstverantwortung und gegenseitige Unterstützung die Lebensqualität und gesellschaftliche Integration von Personen in schwieriger Lebenslage zu verbessern. Selbsthilfe St.Gallen und Appenzell führt rund 200 Gruppen zu unterschiedlichsten Themen. Die Gruppen werden nicht moderiert, sondern durch die Teilnehmenden gestaltet. www.selbsthilfe-stgallen-appenzell.ch sowie Infos unter Tel. 071 222 22 63
Die Zahl der Betroffenen von psychischen Erkrankungen nimmt zu. Trotzdem ist das Thema noch immer ein gesellschaftliches Tabu und wird stigmatisiert. Auf einem Klinikrundgang in Pfäfers erzählt Klinikseelsorger Michael Ehrhardt von seiner Arbeit und warum wir alle nicht vor einer psychischen Erkrankung gefeit sind.
Wenn Michael Ehrhardt und Pascal sich treffen, sprechen sie über Gott und die Welt, über Unternehmungen am Wochenende, über Erlebtes im Alltag. Das tun die beiden Männer regelmässig. Vergangene Woche war das Treffen schwierig, das Gespräch harzig. An diesem Morgen ist die Stimmung besser. Thema ist unter anderem der Hund von Pascals Mutter. Die Treffen mit dem Klinikseelsorger sind für Pascal ein Ankerpunkt im Alltag. Der 50-Jährige leidet seit Jahren unter einer psychischen Erkrankung. Seit rund vier Monaten ist er Patient in der Psychiatrischen Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers. Man merkt schnell: Er ist nicht gerne hier, weiss aber, dass es notwendig ist. Oft und gerne sucht er den Raum der Stille auf und liest den Psalm 91 – «unter Gottes Schutz» heisst dieser. «Der Glaube und dieser Ort sind sehr wichtig für mich. Sie geben mir Halt und die manchmal nötige Ruhe», sagt Pascal. Die Bibel liegt vor den Männern auf dem Tisch, an der Wand hängt ein Bild – das Herzstück des Raumes. Unweigerlich fällt der Blick auf das Kunstwerk. Die bunten Farben strahlen Wärme und Zuversicht aus. Nicht nur Pascal, auch der Gast fühlt sich geborgen.
Der Raum der Stille gibt Pascal oft die nötige Ruhe im Klinikalltag. Die Gespräche mit Klinikseelsorger Michael Ehrhardt schätzt er.
Bei Nicht-Betroffenen lösen die Themen Psychiatrie oder psychische Erkrankung oft Unbehagen aus. Ein Rundgang in Pfäfers vermag dieses teilweise zu nehmen. Die neueren Gebäude und die Patientenzimmer sind lichtdurchflutet und grosszügig. Mit den Patientinnen und Patienten kommt man schnell ins Gespräch, die Abteilungen sind grösstenteils offen und die Mitarbeitenden sind aufmerksam und zuvorkommend. Michael Ehrhardt grüsst dort und winkt hier. Man kennt sich gut.
Zahlen steigen stetig
Die Klinik St. Pirminsberg ist für 150 Personen ausgelegt. Für allfällige Notfälle wird es manchmal eng. Dann helfen sich die Kliniken gegenseitig aus. Die Patientenzahlen haben in den vergangenen zehn Jahren stetig zugenommen, so Michael Ehrhardt. «Einerseits ist der Druck in der Gesellschaft gestiegen, andererseits können wir weniger gut mit diesem Druck umgehen.» Der Grossteil der Patientinnen und Patienten leidet gemäss dem 56-Jährigen unter Depressionen und den «gängigen» Krankheitsbildern wie Schizophrenie, Psychosen und Ängsten.
Die Klinik St. Pirminsberg in Pfäfers zählt 150 Betten und ist gut ausgelastet. Für Notfälle wird es teilweise eng.
Abhängigkeiten sind häufig Begleiterscheinungen. Oft haben die Betroffenen keinen geregelten Tagesablauf mehr oder ihnen wächst alles über den Kopf. Innehalten, zur Ruhe kommen und sich auf das Schöne im Leben fokussieren, sei dann wichtig, so Michael Ehrhardt. Er arbeitet seit rund zehn Jahren in einem 40-Prozent-Pensum in Pfäfers. Die übrigen 60 Prozent übernimmt sein reformierter Kollege. Vor Kurzem wurde eine dritte Seelsorgerin in einem 60-Prozent-Pensum angestellt. «In unserer Arbeit geht es vor allem darum, den Menschen Raum zu geben, dass sie erzählen können. Oft reicht es, einfach nur zuzuhören.»
Vom Wetter beeinflusst
Michael Ehrhardt ist für die Seelsorge auf vier Stationen zuständig. Entweder ist er bei der Morgenrunde, beim gemeinsamen Mittagessen oder am Nachmittag bei der Kaffeerunde dabei. Am Freitag feiert er jeweils einen Gottesdienst, in dem persönliche Fürbitten eine wichtige Rolle spielen. Daneben führt er Einzelgespräche. Einen fixen Tagesablauf gibt es für ihn nicht. Er ist da, wenn jemand etwas loswerden oder einfach schweigend einen Spaziergang unternehmen will. Das Angebot ist fakultativ – Ehrhardt geht nicht aktiv auf die Patientinnen und Patienten zu. Das würde auch wenig nützen. «Aufdrängen geht nicht. Manchmal beschränken wir uns auf ein ‹Hallo› auf dem Flur. Einige verlassen sogar den Raum, wenn ich komme. Das akzeptiere ich.»
Ein bekanntes Gesicht in den Klinikgängen: Michael Ehrhardt ist seit rund 10 Jahren als Seelsorger in Pfäfers tätig.
Patientinnen und Patienten ohne religiösen Bezug erreicht Michael Ehrhardt kaum. «Nicht selten werde ich als Projektionsfläche für negative Erfahrungen mit der Kirche gesehen.» Auch das macht Ehrhardt nichts aus. Die Patientinnen und Patienten dürfen bei ihm «abladen». Die Klinik liegt hoch oberhalb von Bad Ragaz und bietet einen schönen Blick ins Rheintal. Die Lage im Grünen macht sich Ehrhardt gerne zunutze und geht mit den Patientinnen und Patienten nach draussen. «Die frische Luft und die Natur tut fast allen gut und beruhigt.» Allgemein: Das Wetter hat grossen Einfluss auf das Wohlbefinden und damit auf den Klinikalltag. «Wenn es tagelang grau ist, sind die Patientinnen und Patienten oft unausgeglichener und wir haben mehr zu tun.» Ehrhardt schaut aus dem Fenster. Es ist ein sonniger Tag und verschiedene Gruppen kehren gerade vom Morgenspaziergang zurück – ein wesentlicher Bestandteil des Klinikalltags. Ebenso die Ergotherapie und die Kunsttherapie. «Das sind Ausdrucksformen, die den Patientinnen und Patienten helfen sollen, zu sich zu finden und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sie sollen wieder lernen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, zu reflektieren und einem geregelten Tagesablauf nachzugehen.»
Der Kunst kommt im Klinikalltag eine grosse Bedeutung zu: «Es ist eine Ausdrucksform, die den Patientinnen und Patienten helfen soll, zu sich zu finden und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen», so Michael Ehrhardt.
Kein Zeitdruck
Die Patientenschicksale machen betroffen. Wenn Michael Ehrhardt über Menschen spricht, die den Lebensmut verloren haben, die keinen Antrieb haben, denen der Alltag fehlt, wird man traurig und nachdenklich – und ist gleichzeitig dankbar. Der Seelsorger aber wirkt gefasst. Er hat schon vieles miterlebt und hat gelernt zu akzeptieren. «Man würde sich anderes wünschen für diese Personen, aber mit Forderungen kommt man nicht weit.
Der Seelsorger stösst in den Gesprächen mit den Patientinnen und Patienten manchmal an Grenzen.
Wenn jemand kleine Fortschritte macht, ist das für mich ein Highlight.» Die Erfolgschancen seien nicht immer gleich. Rund 350 Angestellte sind in der Klinik St. Pirminsberg tätig. Die Zusammenarbeit ist gut – davon werden wir an diesem Tag Ende Januar Zeuge. Beim Klinikrundgang geht eine Pflegekraft auf Ehrhardt zu. «Kannst du noch zu Frau B. gehen? Sie hat um ein Gespräch gebeten.» Ehrhardt bejaht freundlich. Er sieht sich als Ergänzung zur Behandlung. Der Frage, warum es nebst dem psychologischen Dienst in Kliniken Seelsorger braucht, entgegnet er mit einem Lächeln – ganz so, als hätte er darauf gewartet: «Einerseits sind wir die Fachpersonen, wenn es um religiöse oder spirituelle Fragen geht oder jemand ein Gebet sprechen, die Kommunion oder einen Segen empfangen möchte. Manchmal bin ich einfach Vermittler, damit Sakramente wie Beichte oder Krankensalbung gespendet werden können. Dazu werde ich dann auch speziell angefragt. Andererseits kann ich mir oft mehr Zeit nehmen für die Patientinnen und Patienten und arbeite nicht nach einem Zeitplan. Wenn immer den Betroffenen etwas auf dem Herzen liegt, bin ich da.»
Michael Ehrhardt erreicht vor allem gläubige Patientinnen und Patienten. Für sie organisiert er am Freitag jeweils einen Gottesdienst mit Fürbittenherz.
Die Patientinnen und Patienten schätzen das. «Manchen ist es wichtig, dass sie ihre ganze Geschichte erzählen können, ohne Zeitdruck und Unterbrechungen.» Diese Flexibilität bringt einen weiteren Vorteil: Ehrhardt kann die Gespräche führen, wo immer es die Patientinnen und Patienten wünschen. Das Setting, wie er es nennt, müsse für jeden Einzelnen stimmen. Ehrhardt erzählt, wie er in den Gesprächen manchmal an Grenzen stosse, wie herausfordernd es zuweilen sei, das Gegenüber aus der Reserve zu locken. Dann brauche es einen Ansatzpunkt. Ehrhardt führt uns in die Klosterkirche.
Die Klosterkirche der Klinik Pfäfers löst bei vielen Patientinnen und Patienten Emotionen aus. Michael Ehrhardt nutzt dies gerne als Ansatzpunkt.
Der imposante Barockbau löst Staunen aus – auch bei vielen Patientinnen und Patienten. «Ihre Neugierde wird geweckt. Sie fragen beispielsweise, wie alt die Kirche ist, und schon sind wir in einem Gespräch, das dann oft auch tiefer geht.» Nebst religiösen Themen geht es oft auch um Lebensfragen in Bezug auf die Familie, Kinder oder die Arbeit. Fragen, die uns alle dann und wann herumtreiben – auch Ehrhardt selbst. «Ich erzähle dann aus meinem Leben und wie ich die Situation handhabe.»
Noch immer Tabuthema
Die psychiatrischen Kliniken und ihre Angebote haben sich in den vergangenen 30 Jahren stark gewandelt. Während Jahrzehnten wurde die Praxis der lebenslangen Aufenthalte verfolgt. Das heisst, die Betroffenen wurden in Institutionen «abgeschoben» und fristeten ein meist einsames Dasein. Eine Interaktion mit der Bevölkerung fehlte. Seit der Klinikreform in den 1990er-Jahren steht die Reintegration in die Gesellschaft im Vordergrund. «Die Patientinnen und Patienten sollen nur so lange wie nötig bei uns sein und so schnell wie möglich wieder in ihr gewohntes Umfeld und in ihren Alltag zurückkehren», erklärt Klinikdirektorin Gordana Heuberger. Heute beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in Pfäfers 32 Tage.
Nur noch so lang wie nötig: Heute beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer einer Patientin oder eines Patienten in Pfäfers rund 32 Tage.
Wie Heuberger sagt, hat die Praxisänderung zur Akzeptanz psychischer Erkrankungen in der Bevölkerung beigetragen, das Thema aber nicht enttabuisiert: «Es wird immer noch stigmatisiert. Wir Menschen werden immer Schwierigkeiten haben, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen. Wir wollen lieber Verantwortung übernehmen. Das geht aber nicht immer.» Und Michael Ehrhardt ergänzt: «Das Feld derjenigen, die sich mit dem Thema beschäftigen, ist grösser geworden. Aber wir müssen aktiver auf die Gesellschaft zugehen und ihr zeigen, dass psychische Erkrankungen dazugehören.»
Interesse steigt
Klar ist: Auch künftig wird es psychiatrische Kliniken brauchen. Die Bevölkerung muss lernen, die Betroffenen zu integrieren und als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren. Vor diesem Hintergrund freut es den Seelsorger besonders, dass mittlerweile auch auswärtige Gäste das Klinikcafé besuchen und kürzlich eine Schulklasse für eine Führung angefragt hat. «Das ist eine gute Möglichkeit, uns zu zeigen und Vorurteile abzubauen», sagt Michael Ehrhardt, bevor er sich verabschiedet. Er muss los, sein offenes Ohr ist gefragt. Der heutige Tagesplan ist straff. Am Nachmittag wird er die besagte Patientin auf ihrem Zimmer besuchen und sich mit Pascal noch einen Kaffee gönnen – wie oft nach erfolgreichen Gesprächen. Pascal freuts und er dankt: «Es ist gut, dass Michael da ist. Er ist ein Guter.» Dann muss auch er gehen – es ist 11.40 Uhr und das Mittagessen wartet seit zehn Minuten auf ihn.
Text: Alessia Pagani Bilder: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 16. Februar 2024
Durch ihr kirchliches Engagement hat die Bernerin Kathrin Brouwer schnell Anschluss im Sarganserland gefunden. Seither gibt sie der Kirche viel zurück. Seit 15 Jahren etwa ist die 80-Jährige die gute Seele hinter dem Suppentag in Sargans.
«Ich weiss, was es heisst, arm zu sein, und habe daher Verständnis und Mitgefühl für die Menschen, die wenig haben und arm aufwachsen. Ich habe selbst erlebt, was es bedeutet, wegen Armut auf Ablehnung zu stossen.» Kathrin Brouwers Stimme ist leise, wenn sie von ihrer Kindheit spricht. Aufgewachsen als Tochter eines Heimarbeiters in der Stadt Bern, war das Geld in ihrem Elternhaus stets knapp. Hilfe von aussen gab es keine. Diese Zeit hat die heute 80-Jährige geprägt. Ihre Gedanken sind oft bei den weniger Privilegierten unserer Gesellschaft.
Suppenworkshopbesucht
Seit 15 Jahren engagiert sich Kathrin Brouwer für die OeME Sargans (Ökumene, Mission und Entwicklung Sargans) der reformierten Kirche und organisiert und plant zusammen mit ihrer Team-Kollegin den Suppentag, an dem Geld gesammelt wird für die ökumenische Fastenkampagne. In Sargans findet dieser traditionsgemäss am ersten Sonntag nach Aschermittwoch statt. «Als ich für die OeME zugesagt habe, war ich mir nicht bewusst, was auf mich zukommt. Eines ergab das andere. Mitglieder kamen und gingen. Ich bin geblieben», so Kathrin Brouwer.
Kathrin Brouwer weiss, wie man eine gute und nahrhafte Suppe kocht. Zweimal hat sie bereits den Suppenworkshop von Fastenaktion und HEKS besucht.
Sie freut sich auf den Suppentag. Kürzlich hat sie in Baden den Suppenworkshop von Fastenaktion und HEKS besucht – dies, obwohl sie die Suppe für den Suppentag in Sargans nicht selbst zubereitet. Seit vergangenem Jahr ist die ortsansässige Pfadi dafür zuständig, in den Jahren davor waren es die Hobbyköche von Sargans.
Kirche, ein Stück Heimat
Kathrin Brouwer ist eine Kämpfernatur. Mit 25 Jahren fand sie durch ihren Ehemann den Weg ins Sarganserland. Sie fühlte sich einsam, hatte keine Freunde und Bekannte. Damals begann ihre Verbindung zur Kirche. «Ich wollte mich der Gesellschaft anschliessen und musste mich integrieren. Die Kirche half mir sehr dabei. Sie war für mich ein Stück Heimat.» Die Ernüchterung kam allerdings schnell. «Ich hatte stets viele Ideen, aber nicht alle wurden aufgenommen.» Sie habe auch grosses Glück in ihrem Leben gehabt, sagt Kathrin Brouwer. Als Anfang der 1970er-Jahre im Sarganserland eine Musikschule aufgebaut wurde, konnte sie den Ausbildungskurs zum Erteilen von Blockflötenunterricht besuchen und bis zur Pensionierung als Flötenlehrerin dort unterrichten. Nebenher hat sie die Singschule St. Gallen und das Kirchenmusikseminar mit Diplom abgeschlossen. «Die Geburt meiner zwei Kinder hat meinem Leben aber den grössten Sinn gegeben.»
Zusammenarbeit stärken
Kathrin Brouwer ist ihren Weg gegangen. Nebst der Arbeit in der OeME ist sie in den monatlich stattfindenden, ökumenischen Abendmeditationen «Schweigen und Hören» musikalisch und manchmal auch inhaltlich tätig. Sie engagiert sich mit viel Herzblut für die Kirche, weiss aber, dass dies kein dauerhafter Zustand ist. «Es ist eine Frage der Zeit. Ich weiss nicht, wie lange ich das vor allem gesundheitlich noch machen kann.» Für die Zukunft hat die vife Seniorin einen grossen Wunsch: «Der ökumenische Gedanke soll in der Kirche mehr zum Tragen kommen und die Zusammenarbeit muss gestärkt werden. Wir glauben schliesslich alle an dasselbe und haben dieselben Sorgen und Probleme.»
Pfarrblatt im Bistum St.Gallen Webergasse 9 9000 St.Gallen