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Leserfrage: Warum braucht es den kirchlichen Sozialdienst?

Sabi­ne F. betritt das Büro des kirch­li­chen Sozi­al­diens­tes (KSD) der Seel­sor­ge­ein­heit Werden­berg. Ihr Mann ist kürz­lich an Krebs gestor­ben, nach­dem die 53-Jährige ihn drei Jahre gepflegt hatte.

Das Paar lebte von seinem Einkom­men, zuletzt von Kran­ken­tag­gel­dern und Erspar­nis­sen. Zeit für Freund­schaf­ten gab es kaum und die fami­liä­ren Kontak­te waren spannungs­geladen. Nun ist sie mit der Admi­nis­tra­ti­on über­for­dert, aktu­ell hat sie wenig Geld, sein Konto ist gesperrt. Sabi­ne F. sehnt sich nach Ruhe, Trost und Sicher­heit. Der Seel­sor­ger über­weist sie an den KSD.

Zusatz­ein­kom­men nötig

Hier verschaf­fen wir uns gemein­sam einen Über­blick. Wir klären Fragen bezüg­lich des Nach­lass­in­ven­tars und der Witwen­ren­te, erhal­ten vom Pfarr­amt finan­zi­el­le Hilfe, um eine Miete zu bezah­len und erstel­len Budgets für verschie­de­ne Zukunfts­sze­na­ri­en. Daraus wird ersicht­lich, dass Sabi­ne F. ein Zusatz­ein­kom­men benö­ti­gen wird. Immer wieder nehmen wir uns Zeit für die wider­sprüch­li­che Gefühls­welt von Sabi­ne F., für ihre biogra­phi­schen Rück­bli­cke und Zukunfts­fra­gen. Nach eini­gen Mona­ten sind die Finan­zen gesi­chert. Sabi­ne F. besucht regel­mäs­sig einen Trau­er­treff und kann sich bei Bewer­bungs­ge­sprä­chen vorstel­len. Sie fühlt sich nun siche­rer und ist zuver­sicht­lich, den weite­ren Weg selbst­stän­dig zu bewältigen.

Scham und Angst

Wenn sich Menschen mit persön­li­chen, fami­liä­ren oder finan­zi­el­len Proble­men an die Kirche wenden, braucht es sowohl seel­sor­ger­li­che Beglei­tung und finan­zi­el­le Unter­stüt­zung als auch sozi­al­ar­bei­te­ri­sches Fach­wis­sen. Denn obwohl unser Sozi­al­sys­tem grund­sätz­lich gut ist, fallen Menschen durch die Maschen. Und nicht weni­gen fällt es schwer, sich im Sozi­al­sys­tem zurecht­zu­fin­den. Auf welche Leis­tun­gen habe ich Anspruch? An wen kann ich mich wenden? Hinzu kommen Scham und Angst vor Behör­den. Für manche Klien­ten und Klien­tin­nen ist es darum einfa­cher, mit einem KSD Kontakt aufzu­neh­men. Hier ist es möglich, flexi­bel und schnell zu reagie­ren sowie genü­gend Zeit zu haben für umfas­sen­de Bera­tun­gen. Dank lösungs­ori­en­tier­ter Zusam­men­ar­beit ist ein KSD oft ein Brücken­bau­er zu den staat­li­chen Stellen.

Vor allem für Working Poor

Mit der Grün­dung eines KSD veran­kert die Seel­sor­ge­ein­heit ihr sozia­les Enga­ge­ment auch struk­tu­rell. Dabei muss sie stra­te­gi­sche Entschei­dun­gen fällen: Welche Bedürf­nis­se bestehen vor Ort, welche Ange­bo­te gibt es bereits und welche Leis­tun­gen und Projek­te soll der KSD erbrin­gen. In der Regi­on Werden­berg erhal­ten vor allem Working Poor (d. h. Menschen, deren Lohn kaum zum Leben reicht) finan­zi­el­le Unter­stüt­zung. Zudem hat der kirch­li­che Sozi­al­dienst Werden­berg etwa eine Lebens­mit­tel­ab­ga­be­stel­le eröff­net, eine Diako­nie­wo­che orga­ni­siert sowie Compu­ter­kur­se für Menschen mit klei­nem Budget ange­bo­ten. Dies wurde nur möglich dank einer inten­si­ven Zusam­men­ar­beit mit dem Pasto­ral­team, den Sozi­al­fach­stel­len vor Ort und vielen Freiwilligen.

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Text: Snje­z­a­na Gajski, Sozi­al­ar­bei­te­rin, KSD Werden­berg, Cari­tas St. Gallen-Appenzell

Veröf­fent­li­chung: 15.2.2023

Diplomat und Zuhörer

Vor über 30 Jahren zog Peter Burk­hard von St. Gallen nach Ebnat-Kappel. Die «tief verwur­zel­ten» Tradi­tio­nen im Toggen­burg faszi­nie­ren den neuen höchs­ten St. Galler Katho­li­ken bis ­heute. Er wünscht sich eine libe­ra­le­re Kirche.

Was es bedeu­tet, wenn eine Dorf­ge­mein­schaft eine einzel­ne Person oder eine Fami­lie mitträgt und wie viele Tradi­tio­nen ein Kirchen­le­ben mit sich bringt, das gepflegt wird: Peter Burk­hard, neuer höchs­ter St. Galler Katho­lik, erzählt, wie er vor vielen Jahren durch seine Frau der Kirche näher kam. Bis dahin hatte er zwar die katho­li­sche Sekun­dar­schu­le flade in St. Gallen und vor allem an Weih­nach­ten und Ostern die Gottes­diens­te besucht. «Ansons­ten nahm ich aber nicht gross am kirch­li­chen Leben teil», sagt der neue Parla­ments­prä­si­dent des katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. Das Amt wird er bis Ende Novem­ber 2024 inne­ha­ben. Durch seine Frau, eine Walli­se­rin, änder­te sich seine Bezie­hung zur Kirche. «Als ich meine Frau als junger Mann in ihrem Heimat­dorf im Lötschen­tal besuch­te, war gera­de der Pfar­rer gestor­ben und ich wurde in die Toten­wa­che einge­teilt. Es war die Aufga­be des ganzen Dorfes, mehre­re Tage neben dem Leich­nam zu wachen», sagt er. «Auf diese Weise kommst du auto­ma­tisch ins Kirchen­le­ben rein und wirst Teil davon.»

Peter Burk­hard aus Ebnat-Kappel arbei­tet als Unter­neh­mens­be­ra­ter bei der Würth Finan­cial Services AG in Rorschach. Aufge­wach­sen ist der neue Parla­ments­prä­si­dent des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils in St. Gallen.

Ans Dorf­le­ben anschliessen

Seit über 30 Jahren lebt Peter Burk­hard, der in der Stadt St. Gallen aufge­wach­sen ist, mit seiner Fami­lie nun schon in Ebnat-Kappel. Und wie im Wallis sind es auch im Toggen­burg die «tief verwur­zel­ten Tradi­tio­nen» und die Kultur, die ihn faszi­nie­ren und vor denen er gros­sen Respekt hat. Als Beispiel nennt der 59-Jährige das «Einschel­len», die Vieh­schau­en oder den Toggen­bur­ger Natur­jo­del. Es sei ein wunder­ba­res und viel­fäl­ti­ges Tal und durch den Umzug nach Ebnat-Kappel als junge Fami­lie – die Kinder waren damals fünf und drei Jahre, das Jüngs­te kam im Toggen­burg zur Welt – sei auch der Anschluss ans Dorf­le­ben nicht schwer gefal­len. Nach Ebnat-Kappel zu ziehen, dafür hatte sich Peter Burk­hard wegen seines Beru­fes entschie­den. Bei seinem dama­li­gen Arbeit­ge­ber, der Winter­thur Versi­che­run­gen, wurde ein neuer Innen­dienst­lei­ter für die Gene­ral­agen­tur Watt­wil gesucht. «Ich woll­te den Job und so zogen wir um», sagt er.

Das Gegen­über einschätzen

In Ebnat-Kappel war Peter Burk­hard ab dem Jahr 2000 während 18 Jahren in der Kirchen­ver­wal­tung – für das Amt wurde er ange­fragt. Seit 2007 poli­ti­siert er zudem im Kolle­gi­um, dem Parla­ment des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St. Gallen. «Ich fand damals, dass unse­re Kirchen­ver­wal­tung eine Verbin­dung ins Parla­ment haben soll­te, da es immer von gegen­sei­ti­gem Vorteil ist, wenn man die Perso­nen hinter den Verwal­tun­gen kennt», sagt er über seine Moti­va­ti­on, sich ins Kolle­gi­um wählen zu lassen. Sich selbst beschreibt Peter Burk­hard als Zuhö­rer, Realist und Diplo­mat. Ihm sei es wich­tig, sein Gegen­über einschät­zen zu können und dessen Meinung zu kennen. In seinen zwei Jahren als Präsi­dent wird er vier Kolle­gi­ums­sit­zun­gen leiten und dabei die Eröff­nungs­re­den halten. «Die Kirche kann ich in diesem Amt nicht verän­dern. Aber ich kann in den Reden meine Gedan­ken kund­tun. Ich bin höchst libe­ral. Meiner Meinung nach wäre es Zeit für das Frau­en­pries­ter­tum und die Aufhe­bung des Zöli­bats», sagt er.

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 10.2.2023

Eine familiäre Hochschule

Der St. Galler Lukas Gemein­der (27) arbei­te­te bisher im Kauf­män­ni­schen Bereich und s­uchte ­einen Beruf, der ihn mehr erfüllt. Jetzt studiert er an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Wie er haben viele der Studie­ren­den vor dem Theo­lo­gie­stu­di­um in ande­ren Beru­fen gearbeitet.

«Ich enga­gie­re mich schon seit länge­rem frei­wil­lig in der Kirche», erzählt Lukas Gemein­der (27) aus St. Gallen, «dabei habe ich immer mehr gespürt, dass mich diese Arbeit mehr erfüllt als meine beruf­li­che Tätig­keit im Kauf­män­ni­schen. Zudem habe ich in den letz­ten Jahren wieder stär­ker zum Glau­ben zurück­ge­fun­den und mich schliess­lich für das Theo­lo­gie­stu­di­um entschie­den mit dem kirch­li­chen Dienst als Ziel.» Das Studi­um gefal­le ihm: «Die unter­schied­li­chen Fächer wie etwa Musik, Liturgie-Wissenschaft, Kirchen­ge­schich­te und Spra­chen machen das Studi­um sehr span­nend und viel­sei­tig. Dank des brei­ten Spek­trums kann man persön­li­che Stär­ken und Schwä­chen in einzel­nen Fächern gut kompen­sie­ren. Auch wenn es manch­mal sehr theo­re­tisch ist, wird immer auch ein prak­ti­scher Bezug hergestellt.»

Lukas Gemein­der (rechts) in der Kaffee-Pause mit ande­ren Studie­ren­den aus dem Bistum St.Gallen.

Umfeld reagiert erstaunt

Einer der Studie­ren­den aus dem Bistum St. Gallen ist auch Simon Sigg (32), Reli­gi­ons­päd­ago­ge und Jugend­seel­sor­ger in Gossau. Er absol­viert ein berufs­be­glei­ten­des Studi­um im bischöf­li­chen Studi­en­pro­gramm. «Mein Umfeld reagiert manch­mal ein biss­chen erstaunt, dass ich als junger Mensch Theo­lo­gie studie­re und ich spüre auch eine gewis­se Span­nung in Bezug auf die Kirche», sagt er. «Auch wenn mich die Skan­da­le oder die vielen Kirchen­aus­trit­te trau­rig und nach­denk­lich stim­men, denke ich, dass die Kirche eine Zukunft hat.» Ihn moti­vie­re die Arbeit mit Jugend­li­chen. «Ich spüre eine Offen­heit gegen­über Reli­gi­on und auch ein Bedürf­nis nach Spiri­tua­li­tät. Ich bin über­zeugt von der frohen Botschaft der Kirche und möch­te diese weiter­tra­gen.» Mit Anfang 30 verspür­te er die Moti­va­ti­on, sich persön­lich vermehrt mit exis­ten­zi­el­len und philo­so­phi­schen Fragen ausein­an­der­zu­set­zen und den Glau­ben zu hinter­fra­gen und zu begrün­den. «Ich arbei­te schon seit eini­gen Jahren in der Pfar­rei­seel­sor­ge und woll­te mein Wissen erwei­tern und vertie­fen.» Für Chur hat er sich entschie­den, weil die Hoch­schu­le dort klein und fami­li­är sei. «Man kennt sich persön­lich, isst und disku­tiert zusam­men am Mittags­tisch. Ich habe bereits Reli­gi­ons­päd­ago­gik studiert und zwar in Luzern. Ich woll­te noch eine ande­re Hoch­schu­le kennen lernen und entschied mich auch deshalb für Chur.»

Viele der Studie­ren­den an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur kommen aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich.

50 bis 60 Studierende

«Das gros­se Plus der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur ist die Nähe von Hoch­schu­le und Semi­nar», hält René Scha­ber­ger, Rekto­rat­s­as­sis­tent an der Hoch­schu­le, fest. «Es wird nicht nur Theo­lo­gie gelehrt, sondern wir ermög­li­chen den Studie­ren­den auch eine ganz­heit­li­che Persön­lich­keits­bil­dung.» Auch bezeich­net René Scha­ber­ger die gute Betreu­ung der Studie­ren­den als einen Mehr­wert. «Wir können auch indi­vi­du­el­le Studi­en­pro­gram­me anbie­ten für Studie­ren­de, die berufs­tä­tig sind.» Etwa fünf­zig bis sech­zig Perso­nen studie­ren an der Theo­lo­gi­schen Hoch­schu­le Chur. Diese Zahl sei seit Jahren stabil. «Heute begin­nen die wenigs­ten direkt nach der Matu­ra mit dem Theo­lo­gie­stu­di­um. Die meis­ten haben schon eine Berufs­aus­bil­dung absol­viert und zum Teil auch mehre­re Jahre im Beruf gear­bei­tet.» Viele der Studie­ren­den kommen laut René Scha­ber­ger aus den Kanto­nen Grau­bün­den, St. Gallen und Zürich. Es gebe auch verein­zel­te Gast­hö­rer im Renten­al­ter, die die eine oder ande­re Vorle­sung besuchen.

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 31.01.2023

Online-­Infoveranstaltungen

Inter­es­sier­te erhal­ten bei den Online-­Informationsveranstaltungen am 13. und 21. Febru­ar, jeweils 19.30 Uhr, kompakt die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen zum ­Studi­um der Theo­lo­gie an der TH Chur sowie einen Einblick in die Insti­tu­ti­on. Es werden auch Fragen beantwortet.

→ Anmel­dung: www.thchur.ch/info

An jenem Abend vor 22 Jahren

Was hält Paare zusam­men? Wieso tren­nen sie sich? Und wie schafft man es, dass ­Alltäg­li­ches seinen Zauber behält? Das Projekt paargeschichten.ch sammelt Erzäh­lun­gen von Paaren. 

Meine Momo

«Wenn Momo zuhör­te, blüh­te die Fanta­sie der Erzäh­len­den auf wie eine Früh­lings­wie­se. Die Gedan­ken, die bisher zu Fuss gegan­gen sind, beka­men plötz­lich Flügel», heisst es im gleich­na­mi­gen Buch von Micha­el Ende. Ich habe das Privi­leg, Momo bei mir zu Hause zu haben: Sie schlum­mert zwischen zwei Buch­de­ckeln, bis ich sie zum Leben erwe­cke; oder sitzt mir am Küchen­tisch gegen­über. Meine Momo ist meine Frau. Wenn ich ihr eine vage Idee erzäh­le, entwi­ckelt sich diese wie von selbst weiter, allein durch ihre Art des Zuhö­rens. Sie ergänzt einen Gedan­ken, trifft mit einer Frage ins Schwar­ze oder hört einfach zu, mit den Augen.

Dort, in Rapperswil

Zwan­zig Jahre, nach­dem er sich von mir getrennt hat, ruft er an – nach zwan­zig Jahren tota­ler Funk­stil­le ruft er einfach unver­mit­telt an. Er sagt, dass er keine Angst vor der Angst mehr habe und dass er daher diesen Anruf gewagt habe. Ich falle, wie man sagt, aus allen Wolken, freue mich sehr. Und wir machen ein Tref­fen ab. In Rappers­wil. Dort gehen wir dann zusam­men über den Seesteg. Er erzählt mir, dass er einen Herz­in­farkt hatte. Und dass dieser ihn gelehrt habe, mehr auf sein Herz zu hören. Er wolle lernen zu lieben. Nach zwei­hun­dert Metern auf dem Seesteg sind wir wieder total verliebt.

Leiden­schaft statt Partnerschaft

Genies­se ich Spar­geln, tunke ich das Köpf­chen in die Sauce, sauge es aus – den Rest werfe ich weg. Es könn­te bitter sein, holzig oder schlecht geschält. Und genau­so halte ich es mit der Paar­be­zie­hung: Endlos spie­le ich den Akt des Sich-Verliebens, endlos beschäf­ti­ge ich mich mit Ouver­tü­ren, mit dem ersten Blick, der ersten Berüh­rung, dem ersten Kuss, der ersten Verei­ni­gung. Wird es aber ernst und kommen Paarbeziehungs-Gefühle auf, habe ich Angst, es könn­te, wie die Spar­geln, bitter werden, holzig. Und ich breche ab. Auf der einen Seite, ja, sehne ich mich so sehr nach Zwei­sam­keit, auf der ande­ren Seite gera­te ich dermas­sen in Panik, sie in einer Part­ner­schaft zu fixie­ren – zu mono­ga­mi­sie­ren, alles auf eine Karte zu setzen. Wieso kapi­tu­lie­re ich vor der Paar­be­zie­hung, wo ich doch den Gross­teil meines Lebens in genau dieser Form von Bezie­hung gelebt habe? Oder ist es umge­kehrt? Habe ich für mich gemerkt, dass die Paar­be­zie­hung selber die Kapi­tu­la­ti­on ist? Die Kapi­tu­la­ti­on vor der Leiden­schaft, vor dem ewig Neuen?

Die Bett­fla­sche

In den drei­zehn Jahren, in denen ich Flora kenne, gab es viel­leicht fünf Aben­de, an denen ich vor ihr ins Bett gegan­gen bin. Sie geht früh ins Bett, manch­mal schon vor 21 Uhr. Sie liebt ihr Bett. Und wenn sie einmal drin ist, ist sie die Köni­gin. Doch wenn ich spät von der Arbeit komme, Zeit mit ihr verbrin­gen will, ist Flora schon auf dem Rück­zug. Dieser allabend­li­che Moment der Tren­nung fühl­te sich für mich viele Jahre lang wie eine Nieder­la­ge an. Auch Flora litt unter meiner Enttäu­schung. Bis zu dem Tag, viel­leicht vor fünf Jahren, als Flora mich bat, ihr eine Bett­fla­sche zu machen. Ich erhitz­te sie – und brach­te sie ihr ins Zimmer. Anfangs moch­te ich das nicht unbe­dingt. Doch indem sie mich fragt, ob ich ihr die Bett­fla­sche mache, teilt sie mir mit, habe ich mit der Zeit verstan­den, dass sie ins Bett geht. Und seit ich das verstan­den habe, tue ich das fast jeden Abend für sie. Es ist zu unse­rem gemein­sa­men Ritu­al des Zubett­ge­hens gewor­den. Ich brin­ge die Wärme­fla­sche herein und lege mich zu Flora, plau­de­re mit ihr und lasse den Tag gemein­sam mit ihr ausklin­gen. In manchen Näch­ten muss ich ihr manch­mal, wenn ich mit der Bett­fla­sche ins Schlaf­zim­mer komme, ihren Kopf frei­le­gen, um sie küssen zu können, so fest ist sie in ihre Decke einge­wi­ckelt. In diesen Näch­ten grum­melt sie nur; kein «Gute Nacht», kein Kuss, keine Aufmerk­sam­keit. Aber ich weiss selbst dann, dass wir zusam­men sind. Anspruchs­los und wohlig verlas­se ich das Schlaf­zim­mer. Wenn mich Flora fragt, ob ich ihr ihre Bett­fla­sche gemacht habe, fragt sie mich: «Teilen wir diesen Abend?» Sie fragt mich auch: «Gefällt es dir, dein Leben mit mir zu verbrin­gen?» Und: «Weisst du, wie froh ich bin, dass du hier bist?» Ja, habe ich, Flora. Ja, das tun wir. Ja, sehr. «Ja, ich weiss.»

Der Besser­wis­ser

Bei jeder Gele­gen­heit zück­te er sein Handy, um zu googeln, ob nun Selma oder er recht hatte. Immer schon hat sie das genervt. Doch dann kam: Sizi­li­en. Sie hatten eine Feri­en­woh­nung in einem klei­nen mittel­al­ter­li­chen Städt­chen und sassen auf der Piaz­za beim Nacht­es­sen, gleich gegen­über einer Kirche. Über der Eingangs­tür stand in tief­ro­ten Lettern «Chie­sa del Purga­to­rio» – und Willy frag­te sie, was wohl «Purga­to­rio» bedeu­te. Ohne zu über­le­gen, sagte sie es ihm: «Fege­feu­er!» Wieso sie das nun wieder wisse, sagt er, und: «Wenn du solche Sachen weisst, ist es klar, dass bei dir dafür ande­re Hirn­area­le unter­ent­wi­ckelt sind!» Sie woll­te etwas entgeg­nen, konn­te aber nicht, es ging nicht mehr, wort­los stand sie auf, warf die Servi­et­te auf den halb leer­ge­ges­se­nen Teller mit dem Riso ai Frut­ti di Mare, ging in die Feri­en­woh­nung zurück, pack­te ihren Koffer und fuhr zum Flug­ha­fen. Zuhau­se lösch­te sie seine fünf­zehn Anru­fe in Abwe­sen­heit und acht­zehn SMS. Und blockier­te seine Nummer.

Vor dem Velokurierladen

Ein paar Tage nach­dem ich von einer langen Pilger­rei­se nach Sant­ia­go zurück­kam, stand ich in meinem Velo­ku­rier­ge­schäft, als zwei Frau­en herein­ka­men. Sie frag­ten mich, ob sie ihre Velo­rei­fen pumpen könn­ten. Und so kamen sie ins ­Gespräch mit mir und den ande­ren Velo­ku­rier­fah­re­rin­nen und ‑fahrern, die noch im Laden herum­stan­den oder am Ende ihrer Schicht etwas zusam­men trin­ken woll­ten. Wir hatten eine gute Zeit, und als sich die munte­re Gesell­schaft aufzu­lö­sen begann, war es Abend gewor­den. Meine Geschäfts­part­ner, die eine Frau und ich blie­ben etwas länger. Als wir die Tür abschlos­sen, kam er, dieser eine Moment, der mein Leben verän­dern soll­te: Mein Heim­weg führ­te mich in diesel­be Rich­tung, die auch mein Geschäfts­part­ner einschlug. Doch der Weg der Frau ging in die entge­gen­ge­setz­te Rich­tung. Ich stand unent­schlos­sen da. Die Frau auch. Mein Geschäfts­part­ner rief: «Kommst du …?» Ich aber beweg­te mich nicht. Bis sie schliess­lich zu mir sagte: «Küss mich, aber rich­tig!» Und so habe ich sie geküsst, an jenem Abend vor 22 Jahren. Heute sind wir Eltern von drei Kindern.

Texte: paargeschichten.ch

Illus­tra­tio­nen: Lea Neuenschwander

Veröf­fent­licht: 25.01.2023

Auch mal einen Besen in die Hand nehmen

Bischof Markus Büchel hat am 26. Novem­ber den Kapu­zi­ner Kletus Hutter (51) zum ­Pries­ter geweiht. Der aus Kries­sern stam­men­de Ordens­mann will ein boden­stän­di­ges Pries­ter­bild verkörpern.

Die Kapu­zi­ner­kir­che in Rappers­wil ist voll­be­setzt. Auf den Stüh­len sitzen nicht nur Wegge­fähr­ten von Bruder Kletus Hutter, sondern auch viele Menschen, die ihn im Klos­ter Rappers­wil als «Bruder auf Zeit» kennen gelernt haben. Bischof Markus Büchel ist bester Laune, als er an diesem sonni­gen Vormit­tag die Fest­ge­mein­de begrüsst. «Eine Pries­ter­wei­he, das ist heute etwas Selte­nes», sagt der Bischof von St. Gallen. Und: «Es gibt tatsäch­lich noch Wunder!» Kletus Hutter stammt aus Kries­sern im St. Galler Rhein­tal. Nichts deute­te darauf hin, dass er einmal Pries­ter werden würde. Zunächst war er kauf­män­ni­scher Ange­stell­ter. Danach studier­te er in Luzern Reli­gi­ons­päd­ago­gik und arbei­te­te später als Reli­gi­ons­päd­ago­ge im Bistum St. Gallen. Im Klos­ter Rappers­wil lern­te er das Konzept «Bruder auf Zeit» kennen und fing Feuer fürs Leben als Ordensmann.

Unrea­lis­ti­sches Priesterbild

Heuti­ge Pries­ter, sagt Bischof Markus Büchel in seiner Predigt, litten unter einem falschen Pries­ter­bild, das in gros­sen Teilen der Bevöl­ke­rung herr­sche: «Es ist unrea­lis­tisch und über­höht.» Manche glaub­ten, ein Pries­ter stehe über allen irdi­schen Dingen oder sei ein gott­ähn­li­ches Wesen. Nicht mit beiden Füssen am Boden, verbun­den mit der Basis. Nicht bei den Sorgen der Menschen. Mit solch einem Pries­ter­bild könne Kletus Hutter nichts anfan­gen. Bischof Markus Büchel sagte, er habe gehört, dass sich Kletus Hutter für nichts zu scha­de sei. Er nehme auch mal einen Besen in die Hand, um nach dem Gottes­dienst die Kirche zu wischen. Die Kirche brau­che solche beschei­de­nen, boden­stän­di­gen und authen­ti­schen Priester.

Franz von Assi­si als Vorbild

Kletus Hutter sagt, dass ihm der Dienst am Menschen am Herzen liege. Zusam­men mit den Menschen unter­wegs zu sein, sei Teil der fran­zis­ka­ni­schen Spiri­tua­li­tät. Für ihn blei­be Franz von Assi­si eine lebens­lan­ge Inspi­ra­ti­on für ein erfüll­tes Leben. «Schon seit jungen Jahren kam mir immer wieder der Gedan­ke, ob Pries­ter werden etwas für mich wäre», sagt Kletus Hutter. «Die Zeit war aber wohl nicht reif. Ich fand immer schlüs­si­ge Grün­de, diesen Schritt nicht zu tun. Ein Schlüs­sel­er­leb­nis hatte ich während meiner Zeit als Gast im Klos­ter Rappers­wil: Eine halbe Stun­de nach dem Gottes­dienst putz­te ich mit dem Zele­bran­ten zusam­men die Kirche. Diese Haltung gefiel mir: ein Orden, in dem jemand dem Gottes­dienst vorste­hen kann aber es auch selbst­ver­ständ­lich ist, sich bei Alltags­ar­bei­ten die Hände schmut­zig zu machen.»

«Klos­ter auf Zeit»

Im Kapuziner-Kloster Rappers­wil hat Kletus Hutter an der Neukon­zep­ti­on des Ange­bots «Klos­ter auf Zeit» mitge­wirkt: «Unser Klos­ter steht nach wie vor Menschen offen, die bei uns als Gast mitle­ben wollen. Neu ist, dass wir eine Lebens­ge­mein­schaft bilden aus Brüdern und fran­zis­ka­nisch Inter­es­sier­ten, die ihren Lebens­mit­tel­punkt im Klos­ter Rappers­wil haben. Sie blei­ben in der Gemein­schaft für mindes­tens ein Jahr und gehen einer Erwerbs­ar­beit ausser­halb des Klos­ters nach.» Bis jetzt habe sich eine Frau auf dieses Projekt einge­las­sen, eine refor­mier­te Pfar­re­rin. «Sie passt sehr gut in unse­re Runde, enga­giert sich im Kern­team – also der Leitungs­grup­pe zusam­men mit zwei Brüdern – und im Haus. Unser Konzept sieht noch weite­re fran­zis­ka­nisch inter­es­sier­te Menschen vor. Die suchen wir noch. Es gibt zwar eini­ge Inter­es­sier­te, ein verbind­li­ches Zusam­men­le­ben stellt aber auch eine Heraus­for­de­rung dar.»

Text: Vera Rütti­mann / Walter Ludin

Bild: Vera Rüttimann

Veröf­fent­licht: 09. Janu­ar 2023

Bücher für alle Lebensfragen

Bücher über Heldin­nen, Glück oder das Alter – neu kann die gesam­te ­Bevöl­ke­rung im Bistum St. Gallen bei der Reli­gi­ons­päd­ago­gi­schen Medi­en­stel­le in Altstät­ten Medi­en ­auslei­hen – und das kostenlos.

Wie Kindern den Tod erklä­ren? Wie gehe ich mit Konflik­ten um? Wie stil­le ich meine Sehn­sucht? Über 7000 Medi­en stehen in der kirch­li­chen Medi­en­stel­le zum Auslei­hen bereit. Eine gemüt­li­che Kaffee-Ecke lädt ein, gleich vor Ort in den Büchern zu stöbern. Bisher war die Fach­bi­blio­thek vor allem bekannt bei allen, die in Kate­che­se, Reli­gi­ons­un­ter­richt und ERG tätig sind. «Neu rich­tet sich unser Ange­bot an die gesam­te Bevöl­ke­rung», hält Hildi Bandel, Leite­rin der Medi­en­stel­le, fest. «Seit zwei Jahren sind wir bei Swiss Libra­ry Service Platt­form (SLSP) im Verbund mit 475 Biblio­the­ken. Alle können bei uns Medi­en auslei­hen. Dafür ist nur eine Regis­trie­rung notwen­dig.» Wer nicht nach Altstät­ten kommen will, kann die Medi­en via Online-Katalog auswäh­len und sich für 12 Fran­ken schi­cken lassen.

Viele Bilder­bü­cher

Oft kommen Inter­es­sier­te vorbei, die gezielt ein Buch suchen, das sie bei einer aktu­el­len Lebens­fra­ge unter­stützt: «Das sind zum Beispiel Eltern, die bei ihren Kindern den Tod thema­ti­sie­ren wollen oder Gross­el­tern, die ihren Enkeln den Glau­ben weiter­ge­ben möch­ten», sagt Manue­la Mitte­rer, Kate­che­tin und Mitar­bei­te­rin in der Medi­en­stel­le. «Aber auch wer einfach ein Bilder­buch zu einem bestimm­ten Thema sucht, wird bei uns fündig.» Denn neben Sach­bü­chern und Unter­richts­ma­te­ria­li­en verfü­ge die Medi­en­stel­le über einen gros­sen Bestand an Bilder­bü­chern inklu­si­ve Wimmel­bü­chern. Hildi Bandel hält das Buch «Hier kommt Boris» in die Höhe: «Eine witzi­ge Geschich­te über Vorbil­der und Held­sein.» Die beiden Mitar­bei­te­rin­nen haben aber auch immer ein offe­nes Ohr für alle, die sie mit ihren persön­li­chen Lebens­fra­gen oder Bedürf­nis­sen konfron­tie­ren – und suchen dann geeig­ne­te Medi­en heraus.

Bücher über das Glück — ideal zum Einstieg ins neue Jahr.

Auch viele Spiele

Wer durch die Medi­en­stel­le spaziert, erkennt sofort, wie viel­fäl­tig das Sorti­ment ist. Auch viele Bücher zu den Welt­re­li­gio­nen, zu ethi­schen oder psycho­lo­gi­schen Themen warten auf die Lese­rin­nen und Leser. «In den letz­ten Jahren haben wir ange­fan­gen, auch eine Samm­lung von Spie­len, die sich für Klas­sen, Grup­pen oder Fami­li­en eignen, aufzu­bau­en», so Hildi Bandel. Die gesell­schaft­li­chen Entwick­lun­gen lassen sich laut Bandel gut am Bestand und an der Nach­fra­ge able­sen: So habe in den letz­ten Jahren die Nach­fra­ge nach Büchern zum Thema Beten sowie Bücher, die sich mit inner­kirch­li­chen Themen beschäf­ti­gen, nach­ge­las­sen. «Belieb­ter sind Medi­en zu Ritua­len, christ­li­chen Werten oder Vorbil­dern», weiss Manue­la Mitte­rer. Hildi Bandel merkt an: «Im Gegen­satz zu früher achten die Verla­ge heute mehr auf die Optik. Selbst bei Fach­bü­chern ist die Spra­che süffi­ger gewor­den. Auch wer nicht mit der Mate­rie vertraut ist, schafft sofort den Einstieg und hat das Buch schnell gelesen.»

Neue Leitung ab 2023

Auch in Zeiten der Digi­ta­li­sie­rung sind Hildi Bandel und Manue­la Mitte­rer über­zeugt, dass das Buch eine Zukunft haben wird: «Es ist etwas Ande­res, wenn ich es mir mit dem Kind oder Enkel­kind auf dem Sofa gemüt­lich mache und wir gemein­sam in einem Buch blät­tern als Ergän­zung zu den digi­ta­len Ange­bo­ten.» Künf­tig will die Medi­en­stel­le auch vermehrt Veran­stal­tun­gen anbie­ten. Zunächst stehen jedoch inter­ne Verän­de­run­gen an: Im kommen­den Jahr wird die lang­jäh­ri­ge Stel­len­lei­te­rin Hildi Bandel die Leitung an ihre Nach­fol­ge­rin Manue­la Mitte­rer über­ge­ben. Sie selbst wird weiter­hin in der Medi­en­stel­le tätig sein.

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Ange­bot des Kath. Konfessionsteils

Die RPM Altstät­ten wird finan­ziert vom Katho­li­schen Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen. Verant­wort­lich für den Betrieb ist das Amt für Kate­che­se und Reli­gi­ons­päd­ago­gik des ­Bistums St. Gallen. Die RPM ist Teil des Medi­en­ver­bunds der Pädago­gi­schen Hoch­schu­le St. Gallen. ­Öffnungs­zei­ten: Montag, 14 bis 17 Uhr, Diens­tag – Frei­tag, 9 bis 11.30 Uhr, 14 bis 17 Uhr.Ferien vom 24. Dezem­ber 2022 bis 8. Janu­ar 2023.

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Bischof Markus Büchel

«Dann kommt etwas zum Leuchten»

Bischof Markus Büchel über die Bedeu­tung von Kerzen für den Advent und die Spiri­tua­li­tät und welche Botschaft für ihn im Advents­lied «Mache dich auf und werde Licht» steckt.

Bischof Markus, für viele ist Advent und Weih­nach­ten ohne Kerzen undenk­bar. Doch wieviel von der ­Botschaft von ­Weih­nach­ten steckt in ­diesem Symbol?

Wir feiern an Weih­nach­ten die Geburt von ­Jesus Chris­tus, dem Retter. Weih­nach­ten fällt bei uns mitten in die dunk­le Zeit. Jesus Chris­tus gilt als Licht der Welt. Mich faszi­niert, dass er in die Dunkel­heit hinein­ge­bo­ren wird. Mit ihm kommt etwas Neues in die Welt. Seine Geburt bringt Hoff­nung und Zuver­sicht. Das Licht der Kerzen ist leben­dig. Jesus sagt – so das Johannes-Evangelium – über sich: Ich bin das Licht der Welt. Aber er sagt auch: ihr seid das Licht der Welt. In der Botschaft von Weih­nach­ten steckt auch der Auftrag, Licht­trä­ge­rin und Licht­trä­ger zu sein und das Licht weiter­zu­ge­ben. Bei mir brennt jedes Jahr während der ganzen Weih­nachts­zeit das Frie­dens­licht. Sobald ich es bekom­me, stel­le ich die Kerze in eine Later­ne, damit es nie erlischt. Ich entzün­de in dieser Zeit immer wieder Kerzen an diesem Licht.

Bei Bischof Markus Büchel war das Licht der Kerzen schon immer von der kirch­li­chen Bedeu­tung geprägt.

Wie oft bren­nen bei Ihnen ­Kerzen? Welche Bedeu­tung ­haben sie für Sie?

Bei mir brennt sehr oft eine Kerze und beson­ders immer dann, wenn ich mich zum Gebet samm­le. Das war in meinem Leben schon immer so. Bei uns zuhau­se in der Fami­lie waren Kerzen sehr wich­tig und von der kirch­li­chen Bedeu­tung her geprägt. In meiner Kind­heit war man noch nicht so verwöhnt mit elek­tri­schem Licht, da war es an den Winter­aben­den wirk­lich dunkel. Umso mehr schätz­te man das Licht einer Kerze. Kerzen­licht schafft eine Atmo­sphä­re und sorgt für Gebor­gen­heit. Aber für mich ist das Licht einer Kerze auch etwas Leben­di­ges und damit etwas Ande­res als elek­tri­sches Licht. Als Minis­trant wurde ich aufmerk­sam auf die litur­gi­sche Bedeu­tung der Kerzen.

Kerzen sind heut­zu­ta­ge ­wieder im Trend. Doch ­katho­li­sche Kerzen­bräu­che wie zum Beispiel Maria ­Licht­mess im Febru­ar gehen ­immer mehr vergessen.

In unse­rer Fami­lie war es üblich, an Maria Licht­mess in der Kirche die Kerzen segnen zu lassen. Diese geseg­ne­ten Kerzen brann­ten dann zuhau­se bei beson­de­ren Anläs­sen. Ich erin­ne­re mich zum Beispiel an den Tod meines Gross­va­ters: Wir zünde­ten neben dem Leich­nam eine Kerze an. Es ist faszi­nie­rend, dass Kerzen uns durch so viele prägen­de Ereig­nis­se im Leben beglei­ten. Sie bren­nen an einer Fest­tags­ta­fel und an fröh­li­chen Anläs­sen, zu denen viele Menschen zusam­men­kom­men. Aber genau­so brennt die Kerze bei trau­ri­gen Ereig­nis­sen oder ihr Licht schafft Trost, wenn sich jemand allein und einsam fühlt. Was mich jedes Jahr an Aller­hei­li­gen und auch an ande­ren Festen beein­druckt: So viele haben das Bedürf­nis, in den Kirchen eine Opfer­ker­ze anzu­zün­den. Das war früher noch nicht so verbrei­tet. Viel­leicht hat diese neue­re Tradi­ti­on älte­re Bräu­che abge­löst. Früher wie heute bin ich immer wieder tief beein­druckt, wenn an Ostern in der dunk­len Kirche das Licht von der Oster­ker­ze allen weiter­ge­reicht wird.

Für Bischof Markus Büchel geht es darum, acht­sam zu werden.

«Mache dich auf und werde Licht» wird in den Rora­te­fei­ern im Advent gesun­gen. Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie diesen Kanon singen?

Er erin­nert mich, dass wir ausge­sandt sind. Der Vers aus Jesa­ia lädt mich ein, mich auf den Weg zu machen. Chris­tus ist uns Licht, aber gleich­zeitig braucht auch er uns als Licht­spen­der. Dazu sind konkre­te Schrit­te von uns notwen­dig. Wir sind aufge­for­dert, Hoff­nungs­trä­ger zu sein.

Was heisst das?

Es geht darum, eine Haltung gegen­über ande­ren Menschen einzu­neh­men so wie es Jesus getan hat: Jeden anzu­neh­men so wie er ist. Nicht ande­re zu beur­tei­len aufgrund von Äusser­lich­kei­ten oder Leis­tun­gen, sondern sich in sie hinein­zu­ver­set­zen und hineinzufühlen.

Ange­sichts von Krieg und Leid tun sich gegen­wär­tig ­viele schwer, an dieses Licht und die Hoff­nung zu glau­ben. Was antwor­ten Sie ihnen?

Gera­de in diesem Jahr wurde sicht­bar, dass viele Menschen nicht wegschau­en, sondern etwas für Notlei­den­de tun: Ich denke an alle, die Geflüch­te­te aus der Ukrai­ne aufge­nom­men haben oder sich auf ande­re Weise für sie enga­gie­ren. In all dem Leid bricht doch eine Sehn­sucht, ein ­Funke Hoff­nung auf. Man darf nicht direkt ein Wunder erwar­ten, wenn man eine Kerze anzün­det. Aber es kann schon ein erster Schritt aus der Ohnmachts­hal­tung sein, mit einer Kerze die eige­ne Sprach­lo­sig­keit auszu­drü­cken. Wenn ich an einem Grab oder in der Kirche eine Opfer­ker­ze anzün­de, dann ist das so als ob ich mein Gebets­an­lie­gen oder meinen Gedan­ken in diesem Licht plat­zie­re. Auch wenn ich wieder weg bin, bleibt mein Anlie­gen dort.

Sich aufma­chen, ­öffnen und Licht sein. Wie könn­te das im ­Advent gehen?

Für mich geht es darum, acht­sam zu werden gegen­über dem Nächs­ten, sich einlas­sen auf die Not der ande­ren. Wenn ich versu­che, mein Leben aus dem Glau­ben heraus zu gestal­ten, dann kommt etwas zum Leuch­ten. Es geht auch darum, sich wieder bewusst zu machen, dass in jedem von uns das Licht, der gött­li­che Funke, steckt. ­Diesem Licht gilt es Sorge zu tragen.

Bischof Markus Büchel erhält das ­Frie­dens­licht seit vielen Jahren von Jda Gara­ven­ta. Die St. Galle­rin hat das Frie­dens­licht nach St. Gallen gebracht, schon lange bevor die welt­wei­te Frie­dens­ak­ti­on in der Ostschweiz bekannt war.

Veröf­fent­licht: 16. Dezem­ber 2022

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Fokus auf Prävention

«Noch immer ist es für viele Miss­brauchs­be­trof­fe­ne ein gros­ser Schritt, sich an das ­Fach­gre­mi­um zu wenden und über das erfah­re­ne Leid zu spre­chen», sagt Danie­la Sieber, ­Präsi­den­tin des Fach­gre­mi­ums gegen sexu­el­le Über­grif­fe im Bistum St. Gallen. Bischof Ivo Fürer hat das Gremi­um 2002 installiert.

Dieses Jahr jähr­te sich die Grün­dung des Fach­gre­mi­ums zum zwan­zigs­ten Mal. Als Bischof Ivo Fürer 2002 als Reak­ti­on auf einen Miss­brauchs­fall das Gremi­um instal­lier­te, wurde noch kaum über sexu­el­le Miss­bräu­che im kirch­li­chen Umfeld gespro­chen. «In den vergan­ge­nen zwan­zig Jahren hat sich extrem viel getan», fasst Danie­la Sieber, Juris­tin und Media­to­rin, zusam­men. «Das Gremi­um hat sich konse­quent weiter­ent­wi­ckelt und profes­sio­na­li­siert.» Das Fach­gre­mi­um ist heute fest etabliert, in ande­ren Bistü­mern gibt es heute ähnli­che Gremi­en und Anlauf­stel­len. Ging es anfangs vor allem um straf­recht­li­che Themen, habe sich der Fokus auf die Präven­ti­on verla­gert. Ein wich­ti­ger Schritt war 2016 die Einfüh­rung des Schutz­kon­zep­tes im Bistum St. Gallen. Jähr­lich finden Einfüh­rungs­kur­se für alle Ange­stell­ten und frei­wil­lig Enga­gier­te im Bistum statt. Das Thema ist auch fester Teil der Berufs­ein­füh­rung der Seel­sor­gen­den. Seit 2017 können sich Betrof­fe­ne von physi­scher und psychi­scher Gewalt, Mobbing, Arbeits­platz­kon­flik­ten und emotio­na­len Grenz­ver­let­zun­gen auch an zwei Ombuds­per­so­nen wenden. Einen Beitrag zur Aufar­bei­tung leis­tet auch ein Genug­tu­ungs­fonds der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz. Dass ein Bewusst­sein für die Not und die Erfah­run­gen der Betrof­fe­nen geschaf­fen wurde, dazu hätten auch die Medi­en beigetra­gen. «Und beson­ders all die Betrof­fe­nen, die ihre Erfah­run­gen öffent­lich gemacht haben.»

«Dennoch gehen wir davon aus, dass es auch in unse­rem Bistum Betrof­fe­ne gibt, die sich noch nicht gemel­det haben.»

Danie­la Sieber

Hilfe bei Verarbeitung

Aktu­ell hat das Fach­gre­mi­um keinen straf­recht­li­chen Fall zu bear­bei­ten. In diesem Jahr haben sich acht Perso­nen gemel­det. Im Bistum St. Gallen sei es für Betrof­fe­ne nieder­schwel­lig möglich, sich an das Fach­gre­mi­um zu wenden. Sie behal­ten die Kontrol­le über die Schrit­te und welche Infor­ma­tio­nen an welche Stel­le gelan­gen. «Dennoch gehen wir davon aus, dass es auch in unse­rem Bistum Betrof­fe­ne gibt, die sich noch nicht gemel­det haben», sagt Danie­la Sieber. Deshalb sei das Gremi­um daran, sich immer wieder ins Gespräch zu brin­gen und auf sein Ange­bot aufmerk­sam zu machen. Für Theo­lo­gin und Psycho­lo­gin Regu­la Sarbach, Ansprech­per­son für Betrof­fe­ne, kann es ein Beitrag zur Verar­bei­tung sein, wenn sich Betrof­fe­ne auch Jahr­zehn­te nach dem Miss­brauch melden: «Das Erzäh­len der Erfah­run­gen wird von vielen Betrof­fe­nen als wich­tig und entlas­tend erlebt», sagt sie, «oft sind für die Betrof­fe­nen die Frage nach einer finan­zi­el­len Genug­tu­ung oder straf­recht­li­chen Konse­quen­zen zweit­ran­gig. Selbst wenn der Täter schon verstor­ben ist, kann es entlas­tend sein, Gehör zu finden.» Teil­wei­se sind es auch Perso­nen, die grenz­ver­let­zen­des Verhal­ten beob­ach­tet haben und sich melden.

Spiri­tu­el­ler Missbrauch

Rela­tiv neu ist das Bewusst­sein für den spiri­tu­el­len Miss­brauch. Dieser wurde vor allem durch das Buch «Spiri­tu­el­ler Miss­brauch in der katho­li­schen Kirche» der deut­schen Theo­lo­gin Doris Reisin­ger zum Thema: In vielen Grup­pen und Gemein­schaf­ten gibt es Perso­nen, die leiten und Verant­wor­tung tragen. Diese Perso­nen haben Macht, die sie zum Guten einset­zen, aber auch miss­brau­chen können. «Solche Fälle sind oft noch­mals viel komple­xer als ein sexu­el­ler Über­griff und für die Betrof­fe­nen schwer zu erken­nen und benen­nen», so Danie­la Sieber. Um auch diese Betrof­fe­nen opti­mal beglei­ten zu können, könn­te es laut Sieber sinn­voll sein, eine eige­ne Anlauf­stel­le zu schaffen.

Nicht­kirch­li­che Meldestelle

In den letz­ten Jahren sind zahl­rei­che Bücher von Miss­brauchs­be­trof­fe­nen erschie­nen. Es gibt inzwi­schen auch Netz­wer­ke und Grup­pen, zu denen sich Betrof­fe­ne zusam­men­ge­schlos­sen haben wie zum Beispiel die «Inter­es­sen­ge­mein­schaft für Miss­brauchs­be­trof­fe­ne im kirch­li­chen Umfeld». Diese fordert die Errich­tung einer gesamt­schwei­ze­ri­schen, neutra­len und unab­hän­gi­gen Melde­stel­le. Danie­la Sieber kann diese Forde­rung nach­voll­zie­hen: «Die Situa­ti­on in den Bistü­mern ist bis heute ganz unter­schied­lich. Im Bistum St. Gallen ist auch hier das Bewusst­sein gewach­sen. Heute ist im Fach­gre­mi­um kein Mitglied mehr aus der Perso­nal­ab­tei­lung oder dem Ordi­na­ri­at des Bistums vertre­ten.» Sieber sieht gespannt den Ergeb­nis­sen der histo­ri­schen Studie zum sexu­el­len Miss­brauch im Umfeld der römisch-katholischen Kirche entge­gen, die die Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz im Früh­ling in Auftrag gege­ben hat. Diese soll einen weite­ren Beitrag zur Aufar­bei­tung und Präven­ti­on leis­ten. Die Ergeb­nis­se werden für Herbst 2023 erwartet.

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg.

Weiter­bil­dung für frei­wil­lig Engagierte

Worauf müssen frei­wil­lig Enga­gier­te ­achten? Das Bistum St. Gallen bietet 2023 die Weiter­bil­dung ­«Pfarreirat-Updates» zur Umset­zung des Schutz­kon­zep­tes an. Pfarrei- und ­Pasto­ral­rä­te haben, so die  Ausschrei­bung, meist das ganze ­Spek­trum der Frei­wil­li­gen in ihrer Pfar­rei und Seel­sor­ge­ein­heit im Blick. Ihnen komme deshalb eine wich­ti­ge Rolle zu.

Sams­tag, 14. Janu­ar 2023, Mels oder ­Sams­tag, 18. Febru­ar 2023, Degers­heim, ­jeweils 9 bis 12.45 Uhr

→ Infor­ma­tio­nen und Anmel­dung: www.bistum-stgallen.ch

Geschlechterklischees ­überwinden

Mehr Sensi­bi­li­tät für die Geschlech­ter­viel­falt – die Tagung der ­Fach­stel­le für Jugend­ar­beit im Bistum St. Gallen (Daju) regte an, über Geschlech­ter­rol­len, Diskri­mi­nie­rung und die Perspek­ti­ve von sexu­el­len Minder­hei­ten nachzudenken.

Was macht dich zur Frau, was macht dich zum Mann? Welche Geschlech­ter­vor­ur­tei­le machen dir zu schaf­fen? Was wäre in meinem Leben anders, wenn ich ein ande­res Geschlecht hätte? Was ist unweib­lich und unmänn­lich – und wer legt das fest? Gleich zu Beginn der Daju-Tagung in Trogen AR konfron­tiert ein Frage­bo­gen die Jugend­seel­sor­gen­den mit ihrer eige­nen Haltung zum Geschlecht. Bei der anschlies­sen­den Diskus­si­on in Klein­grup­pen wird schnell klar: Auch wer sich selbst als tole­rant und offen im Umgang mit der Geschlech­ter­viel­falt bezeich­net, hat beim Frage­bo­gen den einen oder ande­ren Aha-Moment erlebt. Vieles, das selbst­ver­ständ­lich scheint, ist doch gar nicht so selbst­ver­ständ­lich. Im Austausch mit den ande­ren schil­dern die kirch­li­chen Jugend­ar­bei­ten­den aber auch bald Erfah­run­gen aus ihrem Berufs­all­tag: «Ich erle­be noch immer, dass manche Jugend­li­che sich gegen einen Lehr­be­ruf entschei­den, weil dieser als zu weib­lich oder zu männ­lich gilt und sie sich vor Häme und Vorur­tei­len fürch­ten.» Auch bekom­men die Jugend­ar­bei­ten­den mit, wie sehr Ideal­bil­der von Männ­lich­keit und Weib­lich­keit in Werbung und Medi­en auch heute viele junge Menschen unter Druck setzen.

Kirch­li­che Jugendarbeiter*innen aus dem Bistum St.Gallen setz­ten sich mit der Geschlech­ter­viel­falt auseinander.

Offen und unverkrampft

Die Teil­neh­men­den spre­chen ganz offen und unver­krampft. Man spürt, dass es in der kirch­li­chen Jugend­ar­beit schon viel Sensi­bi­li­tät im Umgang mit Geschlech­ter­viel­falt und sexu­el­len Orien­tie­run­gen gibt. Viele Jugend­seel­sor­gen­de sind bemüht, Jugend­li­che bei der Entwick­lung einer gelin­gen­den Geschlechts­iden­ti­tät zu unter­stüt­zen. Ande­re wieder­um berich­ten, dass die Akzep­tanz von quee­ren Jugend­li­chen unter Gleich­alt­ri­gen noch gar nicht so verbrei­tet ist wie man oft den Eindruck hat: Ein Jugend­seel­sor­ger erzählt von homo­pho­ben Äusse­run­gen, die Jugend­li­che in seiner Pfar­rei von sich gege­ben haben.

Die Tagung ging auch der Frage nach, wie kirch­li­che Jugend­ar­beit zeit­ge­mäss mit der Geschlech­ter­viel­falt umgeht und nieman­den ausschliesst.

Mit Spra­che ausdrücken

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos, Geschäfts­lei­te­rin der Fach­stel­le für Aids- und Sexu­al­fra­gen St. Gallen, zeigt immer wieder auf, wie sehr die Gesell­schaft bis heute in Kate­go­rien denkt. «Das gilt es zu hinter­fra­gen», sagt sie. Die binä­re Eintei­lung grei­fe zu kurz und schlies­se viele Geschlech­ter­iden­ti­tä­ten aus. Während die einen die Viel­falt als berei­chernd erle­ben, löst sie bei ande­ren Unsi­cher­hei­ten und Ableh­nung aus. «Die meis­ten von uns haben ihre Geschlech­ter­rol­len auto­ma­tisch ange­nom­men. Viele der heuti­gen Jugend­li­chen setzen sich inten­siv mit der Frage ausein­an­der, wer sie sind und wie sie ihr Geschlecht leben wollen. Manche spie­len auch krea­tiv damit.» Das heis­se aber nicht auto­ma­tisch, dass es für sexu­el­le Minder­hei­ten heute einfa­cher sei. Simo­ne Dos Santos moti­viert die Teil­neh­men­den, die Viel­falt auch in der Spra­che sicht­bar zu machen: Beispiels­wei­se hätten Studi­en gezeigt, dass Kinder sich mehr Beru­fe zutrau­en, wenn die Geschlech­ter­viel­falt in Beru­fen auch sprach­lich immer wieder expli­zit ausge­drückt wird. An der Tagung kommen auch Betrof­fe­ne selbst zu Wort – am Vormit­tag in Film­ein­spie­lun­gen und am ­Nach­mit­tag stellt sich Aman­da, eine junge Trans­frau aus der Ostschweiz, den Fragen der Teilnehmenden.

Refe­ren­tin Simo­ne Dos Santos moti­vier­te für eine geschlech­ter­sen­si­ble Sprache.

Die Bibel und die Geschlechter

Im Tagungs­saal hängt ein Banner an der Wand: «Gott liebt viel­fäl­tig.» Was sagt die Bibel zu diesem Thema? Dieser Frage geht am zwei­ten Tag Gregor Emmen­eg­ger, Profes­sor für Kirchen­ge­schich­te an der Univer­si­tät Frei­burg, nach. Er zeigt auf, dass die Bibel sehr viel­fäl­ti­ge Aussa­gen zu den Geschlech­tern macht: Zum Beispiel habe Gott in erster Linie Adam als Menschen geschaf­fen und nicht als Mann und daraus die Frau, wie das verkürzt in jahr­hun­der­te­lan­gen Bibel­aus­le­gun­gen wieder­ge­ge­ben wurde. Auch der Umgang mit den Geschlech­tern habe sich im Laufe der ­Kirchen­ge­schich­te gewan­delt (s. Inter­view S. 11). Der Apos­tel Paulus schrieb im Brief an die ­Gala­ter: «Es gibt nicht mehr Juden und Grie­chen, nicht Skla­ven und Freie, nicht männ­lich und weib­lich; denn ihr alle seid einer in Chris­tus Jesus.»

Trans­frau Aman­da gab offen und ehrlich Einbli­cke in ihre Geschich­te und den Umgang mit Vorurteilen.
Die Teil­neh­men­den schil­der­ten persön­li­che Erfah­run­gen aus ihrem Arbeits­all­tag in der kirch­li­chen Jugendarbeit.

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 28. Novem­ber 2022

«Immer wieder weiterentwickelt»

Gregor Emmen­eg­ger, Sie haben über die histo­ri­sche Entwick­lung der kirch­li­chen Haltung zu Geschlech­ter­fra­gen refe­riert. Die Kirche lehrt, es gibt Mann und Frau. Ist die Frage damit nicht schon beantwortet?

Im Gegen­teil – die Haltung der Kirche hat sich im Laufe der Jahr­hun­der­te immer wieder verän­dert. Die Idee, dass Mann und Frau sich dualis­tisch gegen­über­ste­hen, verbrei­tet sich erst ab dem 17. Jahrhundert.

Wie gingen denn die Kirche und die Theo­lo­gie im frühen Chris­ten­tum mit dem Thema um?

Wer von Geschlech­tern redet, denkt darüber nach, was Menschen verbin­det und was sie trennt. In der Anti­ke und im Mittel­al­ter wurden die Geschlechts­merk­ma­le nicht auf zwei Geschlech­ter hin inter­pre­tiert. Man ging davon aus, dass es nur ein Menschen­ge­schlecht gibt, in stär­ke­rer männ­li­cher und schwä­che­rer weib­li­cher Ausprä­gung, und ohne abso­lu­te Tren­nung dazwi­schen. Man reflek­tier­te so mit medi­zi­ni­schem Voka­bu­lar die Gesell­schafts­ver­hält­nis­se: Der Bauer unter­schied sich nicht sehr von der Bäue­rin, aber sehr vom Ritter. Im 17. Jahr­hun­dert verän­der­te sich das. Die Frau­en blie­ben zuneh­mend zu Hause, die Männer gingen auswärts arbei­ten. Ein neues gesell­schaft­li­ches Modell entwi­ckel­te sich und man gewann einen neuen Blick auf die Geschlech­ter. Auch in der Kirche und in der Medi­zin wurde seit­her die Diffe­renz der Geschlech­ter betont.

Die Gender-Diskussion wird heute oft emotio­nal geführt. Was lehrt uns der Blick in die Kirchengeschichte?

In den vergan­ge­nen Jahr­hun­der­ten hatte die Kirche im Umgang mit diesem Thema weni­ger Mühe. Die Viel­falt wurde nicht als Gefahr verstan­den. Es wäre eine Chan­ce, wenn die Kirche heute die Menschen in ihrer Viel­falt sehen lernt und diese Viel­falt als Mehr­wert versteht. (ssi)

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