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Vielfalt fordert und fördert

Eine neue Sitz­bank im Garten des Muse­ums Prest­egg in Altstät­ten soll die Menschen aller ­Reli­gio­nen und Kultu­ren zusam­men­brin­gen. Die Bank wird von Jugend­li­chen gestaltet.

Das Mitein­an­der und Zusam­men­le­ben der Reli­gio­nen ist nicht immer rosa, sondern es ist harte Arbeit. Aber es ist eine schö­ne und wert­vol­le Arbeit», sagt Elias Meile, Seel­sor­ger in Berufs­ein­füh­rung bei der Pfar­rei Altstät­ten. In der Rhein­ta­ler Stadt tref­fen die verschie­dens­ten Kultu­ren und Glau­bens­rich­tun­gen aufein­an­der. Von den 12 248 Einwoh­ne­rin­nen und Einwoh­nern sind gemäss der Stadt Altstät­ten 3719 auslän­di­sche Staats­an­ge­hö­ri­ge. Die Grup­pe der Konfes­si­ons­lo­sen bezie­hungs­wei­se der Perso­nen aus einer ande­ren Glau­bens­ge­mein­schaft als der christ­li­chen zählt 4915 Perso­nen. «Altstät­ten ist kein Einheits­brei. Es gibt nicht nur die Glau­bens­rich­tun­gen im klas­si­schen Sinn, sondern eine gros­se Viel­falt darüber hinaus.» Als Beispiel nennt Meile den serbi­schen Kultur­ver­ein Sveti Sava. «Solche Verei­ne spie­len eine wich­ti­ge Rolle im religiös-kulturellen Leben.» Das Mitein­an­der soll am 17. Septem­ber im Zentrum stehen. Dann wird im Rahmen der inter­re­li­giö­sen Dialog- und Akti­ons­wo­che (ida) beim Muse­um Prest­egg eine neue Sitz­bank aufge­stellt. Diese soll die Menschen zusammenbringen.

Reli­gio­nen kennenlernen

«Das Bänk­li soll zum Denken anre­gen, Diskus­sio­nen star­ten und Fragen aufwer­fen», sagt Muse­ums­ku­ra­to­rin Moni­ka Meyer. «Es geht darum, sich mit den ande­ren Reli­gio­nen und Kultu­ren ausein­an­der­zu­set­zen.» Das Projekt ist breit getra­gen. In der Projekt­grup­pe sind unter ande­rem die Stadt, das Muse­um, die Schu­le und die Fach­stel­le Inte­gra­ti­on Verein St. Galler Rhein­tal, aber auch Einzel­per­so­nen und Migrantenvereine.

Die Sitz­bank wird aus sechs Segmen­ten bestehen – je eines für die fünf gros­sen Welt­re­li­gio­nen und eines mit einem Frage­zei­chen. Die Teile werden von Oberstufen-Schulklassen aus Altstät­ten, Ober­riet und Mont­lin­gen gestal­tet, eines von Bewoh­nen­den des Bundes­asyl­zen­trums in Altstät­ten. Einzi­ge Vorga­be: Das charak­te­ris­ti­sche Symbol der jewei­li­gen Reli­gi­on muss gut erkenn­bar sein. «Wir hoffen natür­lich, dass sich auch die Schü­le­rin­nen und Schü­ler mit den Reli­gio­nen und dem Zusam­men­le­ben ausein­an­der­set­zen», sagt Guido Poznicek, Vertre­ter der Schu­le Altstätten.

Berüh­rungs­ängs­te bekämpfen

Am Fest­akt stehen das gemein­sa­me Feiern und der Austausch im Vorder­grund. Es gibt Auftrit­te und kuli­na­ri­sche Häpp­chen der verschie­de­nen kultu­rel­len Grup­pen. Der Hindu­ver­ein, der serbi­sche Kultur­ver­ein, die alba­ni­sche Moschee, die Buddhis­ti­sche Gemein­schaft und die Bevöl­ke­rung Sri Lankas werden eben­so vertre­ten sein wie die Biblio­thek und die Evan­ge­li­sche sowie Katho­li­sche Kirchgemeinde.

Die ida-Woche hat Tradi­ti­on in Altstät­ten und im Ober­rhein­tal. Während mehre­rer Jahre haben die Verant­wort­li­chen Respect-Camps und Zelt­stät­ten orga­ni­siert. Im vergan­ge­nen Jahr wurde der Film «Zeig mir, wie du glaubst – Rhein­ta­ler Jugend­li­che im Dialog» produ­ziert. «Die Förde­rung von Respekt und ein schö­nes Mitein­an­der sind wich­ti­ge Themen. Für uns ist es selbst­ver­ständ­lich, an der ida-Woche mitzu­wir­ken», sagt Toni Loher, Stadt­rat und Mitglied der Kommis­si­on Gesell­schafts­fra­gen. Er verweist auf die Wich­tig­keit solcher Projek­te. «Auch in Altstät­ten haben Teile der Bevöl­ke­rung Berüh­rungs­ängs­te.» Und Elias Meile ergänzt: «Wenn in der Gemein­de alles gut laufen würde, bräuch­ten wir solche Projek­te nicht zu machen. Wir dürfen zwar prokla­mie­ren, dass es läuft mit dem Zusam­men­le­ben, müssen aber auch immer wieder die Erkennt­nis aufbrin­gen, dass dies keine Selbst­ver­ständ­lich­keit ist. Wir alle müssen etwas dafür tun.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 6. Septem­ber 2023

Texte sind sein Leben

Der Germa­nist und Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Mario Andreot­ti hat bereits mehre­re Bücher veröf­fent­licht. Seine neues­te Arbeit widmet sich der Schöpfungsgeschichte.

Wenn Mario Andreot­ti ein Gedan­ke kommt, muss er ihn aufschrei­ben, egal wie spät es ist. «Manch­mal wache ich mitten in der Nacht auf, nehme meinen Text zur Hand und über­ar­bei­te ihn», sagt der 75-Jährige. Dann liest er die Zeilen wieder und wieder, schreibt Passa­gen um und ersetzt Worte. «Ein Text ist nie fertig. Ich bin nie rest­los damit zufrie­den.» Andreot­ti weiss, wovon er spricht. Der studier­te Germa­nist und Histo­ri­ker hat bereits mehre­re Bücher verfasst, 1983 etwa «Die Struk­tur der moder­nen Lite­ra­tur». Das Buch erscheint bereits in der 6. Aufla­ge. Andreot­ti ist unter ande­rem Jury-Mitglied des Bodensee-Literaturpreises, war während 28 Jahren Fach­re­fe­rent für die Fort­bil­dung der Lehr­kräf­te an höhe­ren Schu­len und dürf­te vielen St. Galle­rin­nen und St. Gallern als lang­jäh­ri­ger Gymna­si­al­leh­rer an der Kantons­schu­le am Burg­gra­ben sowie als Lehr­be­auf­trag­ter an der Univer­si­tät St. Gallen ein Begriff sein. Nun hat er sein neues­tes Werk voll­endet: Mario Andreot­ti schrieb die Texte für den Schöp­fungs­got­tes­dienst in der Drei­fal­tig­keits­kir­che in St. Gallen. Der St. Galler Kompo­nist und Diri­gent Erich Schneuw­ly hat die Schöp­fung «Die 7 Tage» für Sologei­ge, zwei Flöten, Streich­or­ches­ter und Orgel kompo­niert. Schneuw­ly hat in der Vergan­gen­heit nebst Messen auch Kompo­si­tio­nen mit reli­giö­sen Texten und über 100 Lieder aus dem Gesangs­buch der katho­li­schen Kirchen orchestriert.

«Wir brau­chen die Natur»

Gemein­sam mit seiner Frau Kata­lin wohnt Mario Andreot­ti in Eggers­riet. In ihrem Garten spries­sen die Blumen und der Feigen­baum trägt erste Früch­te. Auf dem akku­rat geschnit­te­nen Rasen tollt ein schwar­zes Fell­knäu­el umher – der klei­ne Entle­bu­cher Sennen­hund ist seit Kurzem Mitglied der Fami­lie und hält das Ehepaar «ganz schön auf Trab». Mario Andreot­ti blickt auf die Szene­rie. «Wir müssen endlich einse­hen, dass wir die Natur brau­chen. Statt­des­sen schi­cken wir uns an, sie zu zerstö­ren», sagt der Vater von drei erwach­se­nen Kindern. «Wir müssen uns immer wieder klar­ma­chen, dass diese Welt nicht uns, sondern dem Schöp­fer gehört. Wir müssen Sorge tragen zu ihr.» Er nimmt die Kirche in die Pflicht: Diese habe eine beson­de­re Verant­wor­tung in Bezug auf die Bewah­rung der Schöp­fung, nehme diese Verant­wor­tung aller­dings nicht genü­gend wahr. «Das Problem der Kirche ist ihre Spra­che.» Andreot­ti würde sich wünschen, dass die Bedeu­tung reli­giö­ser Texte öfter hinter­fragt und auf die junge Gene­ra­ti­on und die heuti­ge Zeit ange­passt wird. «Die Frage ist doch: Wie kann ich die Jungen errei­chen? Das geht nur über die Spra­che. Die Kirche vermag diese Brücke nicht zu schlagen.»

Von Lehrern geprägt

Mario Andreot­ti ist zwei­spra­chig aufge­wach­sen, der Vater war Tessi­ner, die Mutter stamm­te aus dem Kanton Glarus. Wo die tiefe Liebe zur deut­schen Spra­che herkommt, möch­te man wissen. Andreot­ti klärt auf: «Ich hatte gros­ses Glück und einen hervor­ra­gen­den Deutsch- und Latein­leh­rer. Er hat mich stark beein­flusst.» Auch an seinen Reli­gi­ons­leh­rer erin­nert er sich gut und gerne zurück. «Ein sehr guter Theo­lo­ge» sei er gewe­sen. Germa­nis­tik und Theo­lo­gie – für Andreot­ti zwei Themen, die sein Leben seit Kindes­bei­nen an beglei­ten und prägen: «Für mich als Germa­nis­ten ist es wich­tig, die reli­giö­sen Zusam­men­hän­ge zu sehen und mich mit der Glau­bens­fra­ge zu beschäftigen.»

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 1. Septem­ber 2023

Der St.Galler im Stephansdom

Drei­zehn Jahre wirk­te der St. Galler Pater Felix Sträss­le in Wien. Jetzt kehrt er in die Gallus­stadt zurück. Im Gespräch schil­dert er, warum ihm der Stephans­dom ans Herz gewach­sen ist und was man bei einem Besuch auf keinen Fall verpas­sen sollte.

Mehr als fünf Millio­nen Menschen besu­chen jähr­lich den Stephans­dom in Wien. Der St. Galler Schönstatt-Pater Felix Sträss­le hatte in den vergan­ge­nen drei­zehn Jahren unzäh­li­ge Gele­gen­hei­ten, die bedeu­tends­te Kirche Öster­reichs und deren Menschen kennen­zu­ler­nen. «Der Stephans­dom ist nicht nur eine wich­ti­ge Kirche für Wien, sondern für ganz Öster­reich», sagt er, «jedes Schul­kind macht einmal in seinem Leben eine Reise nach Wien und besucht den Dom. Der Stephans­dom ist Teil der öster­rei­chi­schen Iden­ti­tät und für die Menschen so etwas wie eine Heimat. Das kommt nicht von unge­fähr: Wenn man in dieser Kirche ist, macht es einem das Herz auf nach oben, zum Himmel. Es zieht einen in die Höhe.»

Inter­na­tio­na­ler Mikrokosmos

2010 zog Pater Felix Sträss­le von St. Gallen nach Wien – in eine Pries­ter­woh­nung direkt neben dem Stephans­dom. «Die Schönstatt-Patres haben seit Länge­rem einen Vertre­ter am Stephans­dom, mein Vorgän­ger über­nahm eine neue Aufga­be und deshalb wurde ich ange­fragt.» Pater Felix sagte sofort zu – auch wenn der Wech­sel von der beschau­li­chen Ostschweiz in die 2‑Millionen-Stadt ein Eintau­chen in eine ande­re Reali­tät bedeu­te­te. «Die Bevöl­ke­rung kommt aus verschie­de­nen Ländern, es tref­fen verschie­de­ne Spra­chen, Spiri­tua­li­tä­ten und Kirchen­bil­der aufein­an­der. Es kommen hier ganz viele Einflüs­se zusam­men.» Auch die Seel­sor­ger am Stephans­dom stam­men aus der ganzen Welt: aus den USA, aus Kroa­ti­en … «Als St. Galler hatte ich da keinen Exoten­sta­tus», merkt er an und lacht. Der kultu­rel­le und spiri­tu­el­le Mikro­kos­mos habe ihn geprägt. «Wien ist so etwas wie ein klei­nes Rom. Man erlebt hier die Welt­kir­che ganz konkret. Für die Ordens­ge­mein­schaf­ten und kirch­li­chen Bewe­gun­gen ist es wich­tig, in Wien präsent zu sein.»

Drei­zehn Jahr wirk­te Pater Sträss­le in Wien, jetzt über­nimmt er eine neue Aufga­be in seiner Heimat St.Gallen.

Gefrag­te Aussprache

Von Wien aus war er öster­reich­weit für die Fami­li­en­pas­to­ral der Schönstatt-Bewegung zustän­dig, in der Pfar­re Stephans­dom über­nahm er pries­ter­li­che Diens­te. Als einer von über fünf­zig Pries­tern feier­te er jede Woche Messen im Stephans­dom und hörte die Beich­te – oder die «Ausspra­che», wie sie in Wien auch genannt wird. «Ein Ange­bot, das auf gros­se Nach­fra­ge stösst: Viele haben das Bedürf­nis, über das spre­chen zu können, was sie beschäf­tigt», so Pater Felix. Bewegt hätte ihn aber auch immer wieder die monat­li­che Messe für Leiden­de: «Die Besu­che­rin­nen und Besu­cher des Stephans­doms können ihre persön­li­chen Gebets­an­lie­gen auf Zettel schrei­ben und in eine Box werfen. Einmal im Monat wurden im Gottes­dienst all diese Anlie­gen aufge­nom­men.» Da jeweils stapel­wei­se Anlie­gen einge­reicht wurden, habe er immer nur Auszü­ge vorle­sen können. Eines war für den St. Galler in Wien auch neu: «Viele Gläu­bi­ge wählen sich die Pfar­re, in der sie die Gottes­diens­te besu­chen oder sich ehren­amt­lich enga­gie­ren, bewusst aus. Bei vielen ist es nicht auto­ma­tisch die Pfar­re, in der sie wohn­haft sind.»

Das Inter­na­tio­na­le der Stadt hat den St.Galler Pater geprägt.

Die Heimat kennenlernen

Jetzt möch­te er wieder näher bei seinen zehn Geschwis­tern, die in der Ostschweiz leben, sein. Hier will er neben seinem Enga­ge­ment für die Schönstatt-Bewegung in der Schweiz eine Aufga­be als Pries­ter im Bistum St. Gallen über­neh­men. Doch zunächst gibt er sich ein paar Wochen Zeit, um die alte Heimat neu kennen­zu­ler­nen. «In den drei­zehn Jahren, in denen ich weg war, ist viel passiert. Sowohl Gesell­schaft als auch die Kirche stehen heute an einem ande­ren Punkt.» Leicht sei ihm der Abschied von Wien nicht gefal­len, in den Wochen vor seiner Rück­kehr habe er noch­mals viel Kultur einge­so­gen und zum Beispiel die Wiener Staats­oper besucht. Er hat sich aber auch Zeit genom­men, einfach im Stephans­dom zu sitzen und die Atmo­sphä­re auf sich wirken zu lassen. Auch wenn das Wahr­zei­chen der Stadt täglich gut besucht ist von Touris­ten und Gläu­bi­gen, sei es ein Kraft­ort und ein Ort der Ruhe und Stille.

Was empfiehlt er Touris­tin­nen und Touris­ten, die den Stephans­dom zum ersten Mal besu­chen? «Sich einfach mal in die Kirche setzen und die Atmo­sphä­re genies­sen.» Es gebe eini­ge Klein­ode zu entde­cken. Ihn persön­lich habe immer wieder die «Dienstboten-Madonna» berührt. Es handelt sich um eine der ältes­ten Skulp­tu­ren im Stephans­dom, mit ihr iden­ti­fi­zier­ten sich seit eh und je die einfa­chen Leute.

Text: Stephan Sigg

Bild: Lukas Cioni

Veröf­fent­licht: 29.08.2023

«Die Notwendigkeit erkannt»

Am 12. Septem­ber 2023 präsen­tiert ein Forschungs­team des Histo­ri­schen Semi­nars der ­Univer­si­tät Zürich eine Vorstu­die zur Aufar­bei­tung sexua­li­sier­ter Gewalt in der katho­li­schen Kirche ­seit den 1950er-Jahren. Wie sehen Betrof­fe­ne und das Bistum St. Gallen dieser Studie entgegen?

Vreni Pete­rer aus Appen­zell, Präsi­den­tin der Inter­es­sen­ge­mein­schaft der Miss­brauchs­be­trof­fe­nen im kirch­li­chen Umfeld (IG MiKU) und selbst Betrof­fe­ne, sieht dem 12. Septem­ber 2023 mit gros­ser Span­nung und Hoff­nung entge­gen. «Ich bin sehr gespannt, wo wir nach einem Jahr stehen und wie viel die Pilot-Studie schon zu Tage bringt», sagt sie gegen­über dem Pfar­rei­fo­rum, «ich bin auch gespannt darauf, wie die Betrof­fe­nen im Fokus stehen.» Sie selbst habe die Möglich­keit gehabt, ihre eige­nen Akten beim Bistum St. Gallen anzu­schau­en und sei sich deshalb bewusst, was für ein riesi­ger Aufwand die Studie sei. «Ich erhof­fe mir, dass das Forschungs­team am 12. Septem­ber viele Ratschlä­ge aufzeigt: Wie soll es jetzt weiter­ge­hen? Was braucht es, um die sexu­el­le Gewalt aufzu­ar­bei­ten? Wir erhiel­ten durch­wegs posi­ti­ve Rück­mel­dun­gen von Betrof­fe­nen, die von empa­thi­schen und kompe­ten­ten Mitar­bei­ten­den des Forschungs­teams ange­hört wurden.» Auch Vreni Pete­rer selbst habe die Gesprä­che, die das Forschungs­team mit ihr geführt habe, so erlebt. «Bemer­kens­wert ist auch, dass eini­ge Betrof­fe­ne, die Teil der Studie sind, zum aller­ers­ten Mal über ihre Erfah­run­gen gespro­chen haben.»

Basis für künf­ti­ge Forschung

Die Studie wurde von der Schwei­zer Bischofs­kon­fe­renz (SBK), der Römisch-Katholischen Zentral­kon­fe­renz (der Zusam­men­schluss der kanto­nal­kirch­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen, zu dem auch der Kath. Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen gehört) und der Konfe­renz der Ordens­ge­mein­schaf­ten in Auftrag gege­ben. Die Forschung arbei­te­te unab­hän­gig von den Auftrag­ge­bern und beschäf­tig­te sich mit allen Bistü­mern in der Schweiz. Sie soll eine Basis schaf­fen für die künf­ti­ge Forschung zur sexua­li­sier­ter Gewalt, die katho­li­sche Kleri­ker, kirch­li­che Ange­stell­te und Ordens­an­ge­hö­ri­ge seit Mitte des 20. Jahr­hun­derts in der Schweiz ausge­übt haben. Was die Ergeb­nis­se für die einzel­nen Bistü­mer bedeu­ten, wird erst am 12. Septem­ber bekannt. «Auch für uns ist das zum jetzi­gen Zeit­punkt noch völlig offen», sagt Sabi­ne Rüthe­mann, Kommu­ni­ka­ti­ons­be­auf­trag­te des Bistums St. Gallen. «Wir erach­ten es als äusserst wich­tig, dass diese Aufar­bei­tung statt­fin­det und begrüs­sen diese Studie sehr.» Das Bistum St. Gallen setzt sich seit zwan­zig Jahren mit der Aufar­bei­tung von Miss­brauchs­fäl­len und der Präven­ti­on ausein­an­der. 2002 wurde im Auftrag des dama­li­gen Bischofs Ivo Fürer ein Fach­gre­mi­um instal­liert – im Fach­gre­mi­um waren von Beginn an bewusst auch nicht­kirch­li­che Fach­per­so­nen, beispiels­wei­se wird aktu­ell das Gremi­um von der Juris­tin Danie­la Sieber präsi­diert. «Das Bistum hat von den Erfah­run­gen der Betrof­fe­nen gelernt», hält Sabi­ne Rüthe­mann fest. Deshalb gebe es seit diesem Jahr neben dem Schutz­gre­mi­um neu mit Pater Martin Werlen und Elisa­beth Fink-Schneider auch zwei Ansprech­per­so­nen für geist­li­chen Missbrauch.

Anlauf­stel­le für Betroffene

Schon bevor die Ergeb­nis­se präsen­tiert werden, steht fest: Die Arbeit wird fort­ge­setzt, SBK, RKZ und KOVOS haben grünes Licht für ein drei­jäh­ri­ges Folge­pro­jekt 2024–2026 gege­ben. Vreni Pete­rer: «Es ist ein Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung und ein Zeichen dafür, dass die Verant­wor­tungs­trä­ger die Notwen­dig­keit erkannt haben, aufzu­de­cken, wieviel Leid kirch­li­che Mitar­bei­ten­de verur­sacht haben.» Trotz­dem sieht Vreni Pete­rer noch viel Hand­lungs­be­darf: «Wir fordern die Schaf­fung einer unab­hän­gi­gen Anlauf­stel­le für Betrof­fe­ne und haben das bereits bei einem Tref­fen mit dem für die Studie zustän­di­gen Bischof Joseph Maria Bonn­emain depo­niert. Wir hoffen sehr, dass sich am 12. Septem­ber Betrof­fe­ne an kompe­ten­te Ansprech­per­so­nen wenden können.» Sie persön­lich habe es nicht befrem­det, sich damals an das Fach­gre­mi­um des Bistums St. Gallen zu wenden. «Doch für Betrof­fe­ne, die keinen Bezug mehr zur Kirche haben, ist es ein No-Go, die brau­chen eine nicht-kirchliche Anlauf­stel­le.» Sie betont, dass Betrof­fe­ne sich auch an die IG MiKU wenden können. Es gebe inzwi­schen in der Ostschweiz auch eine Selbst­hil­fe­grup­pe für Menschen, die sexu­el­le Gewalt im kirch­li­chen Umfeld erfah­ren haben.

Text: Stephan Sigg

Bild: zVg.

Veröf­fent­licht: 21.08.2023

Online

Im Online-Dossier finden Sie Arti­kel, die in den letz­ten Jahren im Pfar­rei­fo­rum zu sexu­el­ler Gewalt im kirch­li­chen Umfeld erschie­nen sind, die Ergeb­nis­se der Studie (ab 12. Septem­ber), Einord­nun­gen, Hinter­grund­ar­ti­kel sowie Kontakt­adres­sen des Fach­gre­mi­ums bzw. der Ansprech­per­so­nen im Bistum St. Gallen.

→ www.pfarreiforum.ch/studiemissbrauch

«Es braucht mehr Menschen, die Fragen stellen»

Dialog mit Chris­ten und Musli­men? Das wäre für den St. Galler Rabbi­ner Shlo­mo Tikoch­in­ski in der Kind­heit undenk­bar gewe­sen: Er wuchs auf in einer ultra­or­tho­do­xen Fami­lie in Isra­el, doch im Studi­um beschäf­tig­te er sich mit dem Chris­ten­tum und dem Islam. Seit einem Jahr ist er Rabbi­ner der Jüdi­schen Gemein­de St. Gallen.

Rabbi­ner Tikoch­in­ski und Roland Rich­ter, ehema­li­ger Präsi­dent der Jüdi­schen Gemein­de, begrüs­sen herz­lich und neugie­rig, wir tref­fen uns im hellen Saal der Jüdi­schen Gemein­de im 1. Stock neben der Synago­ge am Roten Platz direkt neben der Raiff­ei­sen­bank. Kaum hat die Foto­gra­fin ihr Equip­ment aufge­baut, ist man mitten im Gespräch. Der Rabbi­ner spricht flies­send Deutsch, lässt aber immer wieder hebräi­sche und engli­sche Wörter einflies­sen – die er jeweils flink mit der Über­set­zungs­app auf seinem ­Handy übersetzt.

Rabbi­ner Tikoch­in­ski, Sie ­besu­chen ab und zu inko­gni­to Gottes­diens­te der katho­li­schen oder refor­mier­ten ­Kirche. Warum?

Shlo­mo Tikoch­in­ski: Weil ich ein sehr neugie­ri­ger Mensch bin. Mich inter­es­siert es, wie die Gläu­bi­gen der ande­ren Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten ihren Glau­ben feiern. Nur, inko­gni­to ist inzwi­schen kaum mehr möglich: In den vergan­ge­nen Mona­ten durf­te ich bereits an vielen inter­re­li­giö­sen Anläs­sen oder Anläs­sen der Stadt teil­neh­men und deshalb kenne ich inzwi­schen viele Pfar­re­rin­nen und Pfar­rer persönlich.

Wie leicht ist Ihnen das ­Ankom­men in St. Gallen gefallen?

Shlo­mo Tikochinski: Sowohl die Begeg­nun­gen mit der Jüdi­schen Gemein­de, aber auch mit allen ande­ren Menschen in der Stadt waren von Anfang von Herz­lich­keit und Offen­heit geprägt. Vorher war ich Rabbi­ner in Dres­den, hier ist es weni­ger anonym, alle sind viel freund­li­cher. Die Jüdi­sche Gemein­de mit 120 Mitglie­dern ist klein, aber wir haben ein akti­ves Glaubens- und Gemein­de­le­ben mit vielen Anlässen.

Roland Rich­ter: Für uns ist Rabbi­ner Shlo­mo ein Geschenk. Wir sind zwar eine klei­ne Gemein­de, aber viele sind offen für Expe­ri­men­te. Erfreu­li­cher­wei­se konn­ten wir unse­ren Vorstand verjün­gen: Eine jünge­re Gene­ra­ti­on ist dabei, die Verant­wor­tung für die Gemein­de zu übernehmen.

Wie wich­tig ist der Inter­re­li­giö­se Dialog für Sie? Was tun Sie?

Shlo­mo Tikochinski: Inter­re­li­giö­ser Dialog beginnt für mich im Alltag, bei ganz alltäg­li­chen Begeg­nun­gen. Wenn zum Beispiel eine Zahn­ärz­tin, die in der Nähe unse­rer Synago­ge arbei­tet, mich plötz­lich auf der Stras­se fragt: Darf ich mal die Synago­ge anschau­en? Wir bieten aber auch zahl­rei­che Führun­gen für Schul­klas­sen an und ich nehme an Gesprächs­run­den teil. Es gibt fast jede Woche einen Termin.

Wie offen ist die Ostschweiz gegen­über ande­ren Religionen?

Shlo­mo Tikoch­in­ski: Ich nehme eine Offen­heit von den Vertre­te­rin­nen und Vertre­tern der Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten wahr – das ist in Isra­el und selbst in Deutsch­land anders. Eindrück­li­che Beispie­le sind für mich der inter­re­li­giö­se Gottes­dienst am 1. August oder das gemein­sa­me Feiern am Bettag. Trotz­dem darf man etwas Zentra­les nicht verges­sen: Ob der inter­re­li­giö­se Dialog gelingt und sich Menschen verschie­de­ner Reli­gio­nen begeg­nen, ist nicht von solch beson­de­ren Veran­stal­tun­gen abhän­gig. Natür­lich braucht es den Austausch und gemein­sa­me Aktio­nen der offi­zi­el­len Vertre­ter der Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten, Insti­tu­tio­nen wie das «Haus der Reli­gio­nen» in Bern oder das «House of One» in Berlin sind wich­tig. Aber inter­re­li­giö­ser Dialog, der sich auf die Religions-Profis beschränkt, ist keine beson­de­re Leis­tung. Es geht darum, dass alle Gläu­bi­gen Teil davon sind.

Die St.Galler Synago­ge ist mitten in der Stadt zu finden, am Roten Platz.

Wie stel­len Sie sich das ­konkret vor?

Shlo­mo Tikoch­in­ski: Ich wünsche mir, dass man sich voller Neugier begeg­net und keine Angst hat, dem ande­ren Fragen zu stel­len. Deshalb ist es für mich viel bemer­kens­wer­ter, wenn mir jemand mitten im Alltag voller Offen­heit und Neugier begeg­net, Fragen stellt oder seine eige­nen Vorur­tei­le hinter­fragt. Es braucht mehr Menschen, die Fragen stel­len. Egal zu welcher Reli­gi­on ich gehö­re: Vorur­tei­le haben wir alle. Wir hören heute oft die offi­zi­el­len Vertre­ter der Reli­gio­nen über ihren Glau­ben spre­chen. Es braucht genau­so die ganz norma­len Menschen, die von ihrem eige­nen Glau­ben erzäh­len. Damit würde auch sicht­bar: Den Chris­ten, den Musli­men, den Juden gibt es nicht … Auch inner­halb jeder Reli­gi­ons­ge­mein­schaft gibt es so viele unter­schied­li­che Prägun­gen. Ande­ren vom Glau­ben erzäh­len, das ist sogar ein fester Teil des jüdi­schen Glau­bens: Es ist ein Wunsch Gottes – wir nennen es Kidusch Haschem: Gott gefällt es.

Herr Rich­ter, Sie sind schon viele Jahre Teil der Jüdi­schen Gemein­de in St. Gallen, wie ­erle­ben Sie das Mitein­an­der der Religionen?

Roland Rich­ter: Die Jüdi­sche Gemein­de spürt seit vielen Jahr­zehn­ten eine Begeg­nung auf Augen­hö­he. Ich erin­ne­re mich an ein Beispiel in den 1990er-Jahren: Damals grün­de­ten die Landes­kir­chen die Offe­ne Kirche St. Gallen. Der refor­mier­te Pfar­rer Chris­toph Sigrist, einer der Initi­an­ten dieses Projek­tes, frag­te mich an, ob ich im Vorstand mitwir­ken möch­te. Die öffentlich-rechtliche Aner­ken­nung 1993 durch den St. Galler Kantons­rat war für uns ein wich­ti­ger Schritt. Bis dahin waren wir als Verein orga­ni­siert, mit der Aner­ken­nung wurden wir den Landes­kir­chen gleich­ge­stellt. Das trug dazu bei, dass uns die Kirchen und der Staat auf Augen­hö­he begeg­nen. Heute profi­tie­ren wir sehr vom Schul­fach ERG. Viele Klas­sen behan­deln da die Welt­re­li­gio­nen und lernen das Juden­tum kennen.

Tun die Ostschwei­zer Schu­len genug für die Bildung in Sachen Religionen?

Shlo­mo Tikochinski: Die Nach­fra­ge nach Führun­gen in unse­rer Synago­ge ist gross. Viele Schul­klas­sen, die uns besu­chen, haben sich in einer «Woche der Reli­gio­nen» oder einem «Monat der Reli­gio­nen» mit dem Juden­tum beschäf­tigt. Ich spüre von den Kindern und Jugend­li­chen oft eine gros­se Neugier. Es werden viele Fragen gestellt.

Roland Rich­ter: Auch die ida-Woche jetzt im Septem­ber ist eine gute Platt­form. Das Wissen über die Reli­gio­nen ist eine wich­ti­ge Grund­la­ge für den inter­re­li­giö­sen Austausch: Nur wer den ande­ren ein biss­chen kennt, kann Fragen stel­len, die in die Tiefe gehen. Wenn mir der ande­re fremd ist und ich unsi­cher bin, was tabu ist oder was den ande­ren verletzt, dann bleibt es bei ober­fläch­li­chen Fragen. Wenn ich dem ande­ren begeg­nen möch­te, muss ich bereit sein, mich mit ihm zu beschäftigen.

Shlo­mo Tikoch­in­ski: Heute ist es so einfach, sich über die Reli­gio­nen zu infor­mie­ren: Wenn ich heute etwas nicht weiss, kann ich ja googeln oder auf Wiki­pe­dia nachlesen.

Rabbi­ner Tikoch­in­ski, haben Sie noch Kontakt zu Ihren Geschwistern?

Shlo­mo Tikoch­in­ski: Ich habe vor Kurzem einen meiner Brüder in Isra­el getrof­fen, er ist bis heute Teil der ultra­or­tho­do­xen Gemein­schaft. Als ich ihm erzählt habe, wie ich in St. Gallen mit Vertre­te­rin­nen und Vertre­tern der ande­ren Reli­gio­nen in Kontakt stehe und es auch gemein­sa­me Anläs­se gibt, hat er nur perplex gefragt: Warum tust du das? Für mich ist der inter­re­li­giö­se Dialog eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Wir glau­ben ja alle an den glei­chen Gott. Viel­leicht lässt sich das mit einem Chor verglei­chen: Es gibt verschie­de­ne Stim­men, aber Gott braucht alle Stim­men, den alle zusam­men machen einen Chor aus.

Rabbi­ner Tikoch­in­ski ist seit einem Jahr Rabbi­ner der Jüdi­schen Gemein­de St.Gallen.

Shlo­mo Tikochinski

Der promo­vier­te Histo­ri­ker Shlo­mo Tikoch­in­ski, gebo­ren 1966 in Jeru­sa­lem als zweit­äl­tes­tes Kind von elf Geschwis­tern, studier­te Geschich­te, Philo­so­phie und Theo­lo­gie – und dabei auch das Chris­ten­tum und den Islam. Er war Rabbi­ner in Jeru­sa­lem und von 2020 bis 2022 in Dres­den. Er lehr­te und forsch­te in verschie­de­nen akade­mi­schen Posi­tio­nen und hat mehre­re Bücher veröf­fent­licht. Neben seiner Tätig­keit in St. Gallen hat er weiter­hin einen Lehr­auf­trag in Jeru­sa­lem. Er hat vier Kinder und ist inzwi­schen vier­fa­cher Grossvater.

Roland Rich­ter

Roland Rich­ter wurde 1944 in eine jüdi­sche Fami­lie in St. Gallen hinein­ge­bo­ren. Nach dem Medi­zin­stu­di­um und der Ausbil­dung zum Fach­arzt für Geburts­hil­fe und Frau­en­heil­kun­de kam er 1985 zurück nach St. Gallen und grün­de­te seine eige­ne ärzt­li­che Praxis. 1987 – 2009 war er im Vorstand der Jüdi­schen Gemein­de St. Gallen, ab 1994 als Präsident.

Eine kanto­na­le Woche für den inter­re­li­giö­sen Dialog

Die «Inter­re­li­giö­se Dialog- und Akti­ons­wo­che ida» findet alle zwei Jahre statt, dieses Jahr vom 11. bis 17. Septem­ber. Einer der Höhe­punk­te ist die gemein­sa­me Bettags­fei­er auf dem Klos­ter­platz St. Gallen (Sonn­tag, 17. Septem­ber, 15.00 Uhr). Es laden ein: die christ­li­chen Kirchen sowie verschie­de­ne Religions- und Glau­bens­ge­mein­schaf­ten der Stadt und Regi­on St. Gallen. Die rumänisch-orthodoxe Pfarr­ge­mein­de wird bei dieser Feier die «St. Galler Erklä­rung» unter­zeich­nen. Die «St. Galler Erklä­rung für das Zusam­men­le­ben der Reli­gio­nen und den inter­re­li­giö­sen Dialog» ist das Herz­stück der ida. Seit 2005 haben zahl­rei­che Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten und auch Einzel­per­so­nen die Erklä­rung unter­schrie­ben: www.pfarreiforum.ch/stgallererklärung. In der ida-Woche gibt es zahl­rei­che Veran­stal­tun­gen im ganzen Kanton St. Gallen.

Text: Stephan Sigg

Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 23.08.2023

«Der Islam gehört auch zur Schweiz»

Das erste Feld­ge­bet für musli­mi­sche Armee­an­ge­hö­ri­ge Ende Juni hat für Aufmerk­sam­keit ­gesorgt. Armee­seel­sor­ger Stefan Staub über die Hinter­grün­de und die Kritik.

Als «miss­ver­ständ­lich» bezeich­net Stefan Staub das Foto von beten­den musli­mi­schen Armee­an­ge­hö­ri­gen. «Das Bild kann falsche Asso­zia­tio­nen auslö­sen.» Das Foto ist Ende Juni in der Ostschweiz entstan­den und zeigt eine Premie­re: das erste offi­zi­el­le Feld­ge­bet für Armee­an­ge­hö­ri­ge mit musli­mi­schem Glau­ben in der Schweiz. Anlass war eines der höchs­ten isla­mi­schen Feste, Bayram, mit dem das Ende des Fasten­mo­nats gefei­ert wird. Es fand auf Wunsch eini­ger Armee­an­ge­hö­ri­ger in einer Pause statt. Durch das Gebet führ­te der Armee­seel­sor­ger mit musli­mi­schem Hinter­grund und ausge­bil­de­te Iman Muris Bego­vic. Er hat – mit zwei Seel­sor­gern mit jüdi­schem Hinter­grund – Anfang Jahr den Dienst aufge­nom­men. Durch das Foto nahm auch die brei­te Öffent­lich­keit erst­mals Kennt­nis davon – und es hat medi­al viel Aufmerk­sam­keit gene­riert. «Damit war zu rech­nen», sagt Stefan Staub. Der Teufe­ner ist seit 17 Jahren Armee­seel­sor­ger und war als Dienst­chef Terri­to­ri­al­di­vi­si­on 4 am besag­ten Gebet zuge­gen. Das Thema beschäf­tigt die Bevöl­ke­rung. Stefan Staub hat teil­wei­se Verständ­nis. «Der Islam und die staat­li­che Orga­ni­sa­ti­on ‹Schweiz› vertra­gen sich manch­mal etwas schwer. Es sind noch immer viele Ängs­te vorhan­den», so der 55-Jährige. «Islam, Isla­mis­mus, Extre­mis­mus – wir werfen manch­mal alles in den glei­chen Topf, was falsch ist. Manch­mal steht die Globa­li­sie­rung unse­rer Welt im Wider­spruch zu unse­ren Erfah­run­gen und Emotio­nen.» Für Staub ist klar: «Der Islam gehört auch zur Schweiz.»

Erst­mals eige­ne Seelsorge

Stefan Staub kann die Aufre­gung um die knien­den Solda­ten nicht verste­hen. Dass in diesem Jahr ein Armee­seel­sor­ger mit musli­mi­schem Hinter­grund den Dienst aufge­nom­men hat, ist für ihn eine Selbst­ver­ständ­lich­keit: «Mit welcher Begrün­dung und welchem Recht wollen wir Musli­men denn weiter­hin vorent­hal­ten, dass auch ihr Hinter­grund in der Armee­seel­sor­ge vertre­ten ist?» Es gehe um Wert­schät­zung gegen­über ande­ren Menschen. «Menschen, die nota­be­ne Schwei­zer Bürge­rin­nen und Bürger sind.» Die Armee­füh­rung habe sich expli­zit für mehr Tole­ranz und Akzep­tanz ausge­spro­chen. «Die Armee will keine star­re Forma­ti­on sein, sondern die gesell­schaft­li­chen Entwick­lun­gen mittra­gen. Wir müssen die Menschen mit musli­mi­schem Glau­ben in die Gemein­schaft aufneh­men. Wir dürfen als Gesell­schaft nicht die Augen davor verschlies­sen, dass es Menschen gibt, die eine ande­re Spiri­tua­li­tät pfle­gen.» Das 20-minütige Gebet bezeich­net Staub als «unspek­ta­ku­lär». «Es hatte nichts Extre­mis­ti­sches an sich, war sehr berüh­rend und stand in Bezug zum Dienst an der Schweiz.» 

Die Thema­tik von beten­den Musli­men in der Armee hat Kritik laut werden lassen. Staub wird emotio­na­ler: «Es ist nicht fair und nicht fein, wenn ein Gebet dazu benutzt wird, um Menschen zu mani­pu­lie­ren. Das ist ein Miss­brauch der Reli­gi­on und der Menschen.» Für Aussa­gen wie «es braucht keine musli­mi­sche Seel­sor­ge», hat er kein Verständ­nis. «Es handelt sich um Menschen, die Mili­tär­dienst leis­ten und sich für die Sicher­heit und Frei­heit in unse­rem Land einset­zen. Wenn sie das nach­voll­zieh­ba­re Bedürf­nis haben, ihre Reli­gi­on im Rahmen des Mögli­chen auch in der Armee zu leben, gebührt ihnen das glei­che Recht dazu wie Ange­hö­ri­gen ande­rer Reli­gio­nen auch.»

Diesel­ben Anliegen

Müssen die Kriti­ker nun Angst haben, dass die Musli­me in der Armee fünf­mal täglich den Gebets­tep­pich ausrol­len? Stefan Staub beschwich­tigt: «Sie machen den Dienst wie alle ande­ren auch.» Das Beten in der Armee sei keines­falls neu. Man habe immer schon Rahmen­be­din­gun­gen geschaf­fen, dass Armee­an­ge­hö­ri­ge – egal welchen Glau­bens – ihre Reli­gi­on leben können, sofern sie den Dienst­be­trieb nicht beein­träch­ti­gen. Das Feld­ge­bet wird denn wohl auch keine einma­li­ge Sache blei­ben. Staub verweist auf den Stel­len­wert des Festes. «Ich kann mir gut vorstel­len, dass das Bedürf­nis sich wieder­ho­len wird.»

Wenn Staub als Armee­seel­sor­ger tätig ist, errei­chen ihn die unter­schied­lichs­ten Anfra­gen. Ob Christ oder Muslim, die Sorgen sind diesel­ben. Rund 80 Prozent der Anfra­gen bezie­hen sich auf Bezie­hungs­pro­ble­me oder Proble­me in der Lebens­füh­rung. «Es sind selten reli­giö­se Themen», so Staub. Aber gera­de bei solchen sei ein Fach­mann sehr hilf­reich. Die Coro­na­pan­de­mie, der Ukraine-Krieg, die verän­der­ten Lebens­be­din­gun­gen – gemäss Stefan Staub ist die Seel­sor­ge wich­ti­ger denn je. Die Anfra­gen stei­gen. «Der Mensch ist ein seeli­sches Wesen und hat nicht nur psychi­sche und körper­li­che Einhei­ten. Dieser Dimen­si­on des Mensch­seins gilt es, Rech­nung zu tragen. Die Seel­sor­ge ist eine riesi­ge Chan­ce für uns alle.»

Am 17. Septem­ber, 10 Uhr, empfängt Stefan Staub in der katho­li­schen Kirche Teufen den ersten ausge­bil­de­ten Seel­sor­ger mit musli­mi­schem Hinter­grund zum «Gespräch an der Kanzel». Thema: «Glei­che Wurzeln und doch unter­schied­lich gewach­sen: Islam und Chris­ten­tum in der Schweiz».

Text: Ales­sia Paga­ni
Bild: Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 23. August 2023

Wie geht Beten mit Kindern?

Ich kann mich gut an meine eige­nen ersten Gebets­er­fah­run­gen erin­nern. Meine Eltern haben mit meiner Schwes­ter und mir jeden Abend «I ghöre es Glögg­li» gesun­gen. Dieses Lied hat mir Halt gege­ben, beson­ders die Zeile «de lieb Gott im Himmel  wird au bi mir si». Ich war froh, dass Gott bei mir ist, wenn das Licht gelöscht wurde.

Im Primar­schul­al­ter hatte ich ein schwei­zer­deut­sches Hörspiel auf Kasset­te, das ich mir sehr oft ange­hört habe: «Die Aben­teu­er des Tom Sawy­er und Huck­le­ber­ry Finn». Die gruse­li­ge Szene nachts auf dem Fried­hof, während der die beiden Verbre­cher beob­ach­ten, hat mir immer wieder Schau­er über den Rücken gejagt. Die beiden Buben haben Angst und Finn fragt Tom mit klap­pern­den Zähnen: «Kannst Du beten?» Tom verneint und stimmt dann doch das Lied an, das ihm abends Halt gibt: «I ghöre es Glöggli».

Ein Schatz im Herz

Auswen­dig gelern­te Gebe­te und Lieder helfen Kindern (und Erwach­se­nen) in vielen Situationen, zu Gott zu spre­chen. Ein kurzes Tisch­ge­bet vor dem Essen kann schon mit klei­nen Kindern einge­übt werden. Die häufi­ge Wieder­ho­lung des glei­chen Gebe­tes oder Liedes macht das Lernen leicht. So wird das Gebet verin­ner­licht und zu einem Schatz im Herzen. Nicht umsonst heisst auswen­dig lernen im Engli­schen «lear­ning by heart», im Fran­zö­si­schen «apprend­re par cœur». Auch Gebe­te wie das «Vater unser» können mit Kindern gespro­chen werden. Selbst wenn sie noch nicht alles erfas­sen, sind sie doch stolz darauf, dass sie mitbe­ten können. Es gibt mehre­re gute Erklä­rungs­bil­der­bü­cher für ein erstes Verständ­nis dieses Gebe­tes. Genau­so wich­tig scheint mir, dass Kinder lernen, ihre Erleb­nis­se zu erzäh­len und in Worte zu fassen, was sie bewegt. So erfah­ren sie Gott und Jesus als ein DU, dem sie alles anver­trau­en können. Z. B. haben wir mit unse­ren Kindern einan­der beim Gute-Nacht-Sagen die Frage gestellt:

– Wofür möch­te ich Gott heute danken?

– Worum möch­te ich Gott heute bitten?

Zur Ruhe kommen lassen

Unse­re Erfah­rung ist, dass dieses Ritu­al Kinder und Erwach­se­ne zur Ruhe kommen lässt und beim Einschla­fen hilft. Wir werden uns bewusst, wenn ein Erleb­nis noch nicht verar­bei­tet ist und unse­ren Schlaf stören könn­te. Ich nenne dies das freie Gebet und versu­che es auch im Reli­gi­ons­un­ter­richt mit den Kindern zu üben. Viele Kinder haben gros­sen Spass daran. Gebe­te dürfen nicht zum Zwang werden. Kindern soll nicht das Gefühl gege­ben werden, dass sie etwas leis­ten müssen, damit Gott zufrie­den gestellt wird. Ein solches Gottes­bild würde Kinder belas­ten und nicht zu inne­rer Ruhe führen. Wenn ein Gebet frei­wil­lig ist, kann es von Herzen kommen.

Kurze, kind­ge­rech­te Gebe­te finden Sie z. B. im Buch Margot und Lea Käss­mann, Du gibst immer auf mich acht. Mit Kindern beten, empfoh­len ab 4 Jahren, 2019. Oder: Das Vater­un­ser den Kindern erzählt, Georg Schwi­kart, 2014.

Danie­la Grem­min­ger
Seel­sor­ge­rin Katho­li­sche Kirche Uzwil und Umgebung

Leser­fra­gen an info@pfarreiforum.ch

Veröf­fent­li­chung: 9. August 2023

Das Recht auf Wind in den Haaren

Mit einer Velo-Rikscha und einem Team von 28 ehren­amt­li­chen Pilo­tin­nen und Pilo­ten ­ermög­licht der Rorscha­cher Paul Zünd Hoch­be­tag­ten Ausfahr­ten zu deren ­Lieb­lings­or­ten. Das Schöns­te daran sei, miter­le­ben zu können, wie seine Fahr­gäs­te aufblü­hen, sagt der ­Reli­gi­ons­päd­ago­ge. Seine Leiden­schaft für’s Velo­fah­ren entdeck­te er einst als Velokurier.

Zum Velo­fah­ren bin ich erst spät gekom­men», sagt Paul Zünd, der bei der Katho­li­schen Kirche der Regi­on Rorschach für das Ressort Erwach­se­ne zustän­dig ist. Im Schat­ten des Parks vor der Herz-Jesu-Kirche hat er seine Rikscha parkiert, mit der er regel­mäs­sig Senio­rin­nen und Senio­ren ausfährt. «Als 12-Jähriger habe ich zwar gear­bei­tet und mir von dem Geld ein Renn­ve­lo gekauft. Danach wurde ich aber erst mal ein rich­ti­ger Töff­libueb», sagt der 51-Jährige. Zum Velo­fah­ren brach­te ihn in seinen Zwan­zi­ger­jah­ren schliess­lich ein Freund, der vorschlug, dass sie beide doch Velo­ku­rie­re werden soll­ten. Später leite­te und baute er unter ande­rem den Velo­ku­rier Die Flie­ge in St. Gallen aus. «Das Gefühl, auf dem Velo mit der Umwelt und den Menschen verbun­den zu sein, faszi­niert mich bis heute. Es gibt keine Glas­schei­be dazwi­schen und ich bin in einer Geschwin­dig­keit unter­wegs, in der ich mich auf das Gesche­hen um mich herum einlas­sen kann», sagt er.

Ausfahrt zum Hochzeitstag

Dieses Gefühl, auszu­fah­ren, den Wind in den Haaren zu spüren, unter­wegs spon­tan Bekann­ten zu begeg­nen: Das sollen mittels der Rikscha auch die Fahr­gäs­te von Paul Zünd erle­ben. Vor vier Mona­ten hat er daher das Rikscha-Projekt gestar­tet und ein Team von 28 ehren­amt­li­chen Pilo­tin­nen und Pilo­ten zusammengestellt. 

An diesem Vormit­tag trifft er das Ehepaar Elfi und Peter Künz­le aus Rorschach. Die beiden sind um die 80 Jahre alt und eigent­lich selbst täglich auf dem Velo unter­wegs. Da die Katho­li­sche Kirche der Regi­on Rorschach aktu­ell auf ihrer Home­page mit neuen Fotos verschie­de­ne Projek­te vorstellt, haben sich die beiden bereit­erklärt, als Foto­mo­del­le bei einer Tour dabei zu sein. «Ausser­dem haben wir gera­de unse­ren 57. Hoch­zeits­tag gefei­ert. Wir fanden, aus diesem Anlass könn­ten wir uns gut auf etwas Neues wie eine Rikscha-Fahrt einlas­sen», sagt Elfi Künz­le. Sie fügt an, sie freue sich vor allem darauf, in der Natur zu sein und den Fahrt­wind zu spüren.

Teil des Glücks sein

Elfi und Peter Künz­le nehmen in der Rikscha Platz und befes­ti­gen den Anschnall­gurt. Paul Zünd steigt hinter ihnen auf den Sattel und tritt in die Peda­le. Maxi­mal 15 Kilo­me­ter pro Stun­de schnell wird er fahren. Ein elek­tri­scher Motor unter­stützt ihn dabei. Die Rikscha hat er über den Verein «Radeln ohne Alter Schweiz» gemie­tet. Elfi und Peter Künz­le sind in Rorschach gut vernetzt und haben viele Bekann­te. Schon nach weni­gen Metern wird klar, worin der Vorteil einer solchen Ausfahrt liegt: Ein Winken hier, ein paar Zuru­fe dort und immer wieder wird das Ehepaar von Bekann­ten auf dem Velo oder im Auto über­holt. «Miter­le­ben zu können, wie meine Fahr­gäs­te unter­wegs aufblü­hen, und Teil ihres Glücks zu sein, ist das Schöns­te für mich als Pilot», sagt Paul Zünd. In den Alters- und Pfle­ge­hei­men spre­che man bei dieser Art der Tages­ge­stal­tung von Aktivierung.

Die Rück­mel­dun­gen, die Paul Zünd und sein Team von den Betreuungs- und Pfle­ge­fach­per­so­nen erhal­ten, sind posi­tiv. Den Fahr­gäs­ten sei anzu­mer­ken, wie gut ihnen die Ausfahrt getan habe. Mitt­ler­wei­le machen das Senio­ren­zen­trum La Vita in Gold­ach, das Alters­heim Rorschach und das Haus zum Seeblick im Rorscha­cher­berg bei dem Projekt mit. Im Durch­schnitt 20 Buchun­gen für seine Rikscha-Ausflüge erhält Paul Zünd von diesen im Monat. Ein bis zwei Stun­den dauert eine Fahrt und führt zu Lieb­lings­or­ten der jewei­li­gen Fahr­gäs­te. «Eine Frau wünsch­te sich zum Beispiel einmal eine Tour zum Hotel Bad Horn, um dort am See etwas zu trin­ken», sagt Paul Zünd. Und ein Ehepaar woll­te noch einmal zu jenem Haus fahren, in dem es gelebt hatte. Manch­mal komme es aller­dings auch vor, dass ein Fahr­gast zu unru­hig sei oder aus verschie­de­nen Grün­den die Fahrt nicht genies­sen könne. «In solchen Situa­tio­nen kehre ich um und brin­ge die Person zurück», sagt er.

Eine eige­ne Rikscha kaufen

«Recht auf Wind im Haar», so hat Paul Zünd sein Rikscha-Projekt benannt. Erfun­den habe er diese Bezeich­nung aber nicht. Viel­mehr sei es ein welt­weit bekann­ter Spruch unter Rikscha­fah­re­rin­nen und ‑fahrern. Seit Anfang Juli ist auch klar, wie es mit dem Projekt weiter­geht. Das Pasto­ral­team hat sich einstim­mig für den Kauf einer Rikscha ausge­spro­chen und möch­te das Projekt nach den Sommer­fe­ri­en weiter­füh­ren. Nun liegt der Ball bei der Geschäfts­lei­tung und dem Kirchen­ver­wal­tungs­rat. Letz­te­rer muss für einen Kauf einen ausser­or­dent­li­chen Kredit sprechen.

Elfi und Peter Künz­le kehren derweil mit Paul Zünd an den Start­punkt zurück. Sie hatten Spass und Paul Zünd verspricht ihnen beim Abschied noch­mals eine rich­ti­ge Tour – ganz ohne Kame­ras. Er selbst wird sich am Abend auf sein Velo schwin­gen und nach Hause fahren. Ein Auto besitzt er nicht. «Auf dem Velo unter­wegs zu sein ist für mich der perfek­te Ausgleich», sagt er. «Mehr brau­che ich nicht.»

Text: Nina Rudni­cki
Bilder: Ana Kontou­lis
Veröf­fent­li­chung: 24. Juli 2023

Matthias Wenk ist neu am Lenker der mobilen Cityseelsorge.

«Die City ist unsere Kirche»

Um mit Passan­ten ins Gespräch zu kommen, ist Matthi­as Wenk (46) mit dem Cargo-Velo mit der Aufschrift «kost­Bar» in St. Gallen unter­wegs. Der katho­li­sche City­se­el­sor­ger erklärt, was an dieser Bar «ausge­schenkt» wird. 

Bei uns gibt es keinen Alltag. Wir orien­tie­ren uns an dem, was in der Stadt läuft. Wir sind mit unse­rem Velo an Brenn­punk­ten im öffent­li­chen Raum unter­wegs», sagt ­Matthi­as Wenk von der mobi­len City­se­el­sor­ge St. Gallen. Zudem sind sie an Märk­ten und Veran­stal­tun­gen präsent, etwa beim Willkommens-Anlass für Neuzu­zü­ger. Dort hat die City­se­el­sor­ge einen gemein­sa­men Stand mit der Refor­mier­ten Kirche. «Sich immer wieder auf neue Orte und neue Begeg­nun­gen einzu­las­sen, ist heraus­for­dernd», sagt der Theo­lo­ge und Sozi­al­ar­bei­ter. «Es ist aber auch immer wieder schön, an vorders­ter Front mit Menschen in Kontakt zu kommen.» Er über­nimmt die mobi­le City­se­el­sor­ge offi­zi­ell per 1. August. Punk­tu­ell hat er bereits Aufga­ben über­nom­men. Wenk ist kein Neuer: Er arbei­tet bereits seit 2018 im Teil­zeit­pen­sum für den Bereich «Spiri­tua­li­tät und neue Gottes­dienst­for­men» bei der City­se­el­sor­ge. Nun gibt er dieser Tage die Pfar­rei­lei­tung der ökume­ni­schen Gemein­de Halden ab und widmet sich künf­tig in einem 80-Prozent-Pensum der Cityseelsorge.

Wie entsteht ein Dialog?

Um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, hat das Team verschie­de­ne nieder­schwel­li­ge Hilfs­mit­tel entwi­ckelt. «Es braucht einfa­che Anknüp­fungs­punk­te», weiss Wenk und zeigt seine alten Krüge, die er jeweils auf der Velo-Bar auftischt. Darin verste­cken sich verschie­de­ne Symbol­trä­ger wie beispiels­wei­se klei­ne Lego-Figuren oder eine Armband­uhr – der letz­te Krug beinhal­tet eine beson­ders berüh­ren­de Über­ra­schung, die hier nicht verra­ten werden soll. «Es geht darum, die Menschen zum Nach­den­ken anzu­re­gen und ihnen bewusst zu machen, was ihnen wich­tig und kost­bar erscheint», erklärt Wenk. Dabei kann ein unver­krampf­ter Dialog über Spiri­tua­li­tät entste­hen: «Setzt man man sich mit Lebens­fra­gen ausein­an­der, kommt der Glau­be auto­ma­tisch ins Spiel.» Und was brennt den Menschen in St. Gallen unter den Finger­nä­geln? «Das ist sehr indi­vi­du­ell, viele sind gespal­ten bei gesell­schaft­li­chen Themen, aktu­ell drehen sich die Gesprä­che oft um die Klima­si­tua­ti­on. Wir hören auch persön­li­che Geschich­ten, erfah­ren von Sorgen und Ängs­ten, die uns Menschen umtrei­ben oder auch von Notsi­tua­tio­nen.» Wenk betont, dass sie für alle Menschen da sein möch­ten. Einen spezi­el­len Fokus würden sie auf jene rich­ten, die offen seien für Glau­bens­fra­gen, aber keine klas­si­schen Gottes­diens­te besu­chen. «Das sind in St. Gallen immer­hin 91 Prozent der Kirchensteuerzahler», sagt Wenk.

Gut vernetzt

Das vier­köp­fi­ge Team der City­se­el­sor­ge trifft sich vor den gemein­sa­men Sitzun­gen zum Gebet und Austausch. «Wir teilen unse­re Erleb­nis­se bewusst mitein­an­der und notie­ren das Wich­tigs­te auf einer gros­sen Schrift­rol­le. Diese ist mitt­ler­wei­le bestimmt zehn Meter lang und wird später im Sinne einer Rück­schau wieder ausge­rollt.» Die Zusam­men­ar­beit im Team sowie mit ande­ren Anlauf­stel­len der Kirche ist Wenk sehr wich­tig. Man lerne sehr viel vonein­an­der und könne die viel­schich­ti­gen Anlie­gen oder Hilfe­ru­fe aus den eige­nen Begeg­nun­gen auch an ande­re Fach­leu­te weiter­rei­chen. Ab August erhält das Team zusätz­li­che Verstär­kung für den Bereich «Mobi­le Ökopro­jek­te». Eine gros­se Unter­stüt­zung sind auch die Frei­wil­li­gen: «Unse­re Arbeit würde ohne sie nicht funk­tio­nie­ren», sagt Wenk. Dazu kommen projekt­be­zo­ge­ne Part­ner­schaf­ten wie beispiels­wei­se mit der Refor­mier­ten Kirche. Für nächs­tes Jahr ist eine Part­ner­schaft mit «Wohn­mo­bil­land Schweiz» vorge­se­hen. Wenk verrät, dass sie einen grös­se­ren Event mit Camper-Segnungen planen.

Werk­zeug für den Frieden

Wenk zitiert eine Stel­le aus einem Gebet, das Franz von Assi­si zuge­schrie­ben wird. Diese scheint ihm für seine Arbeit sehr wesent­lich: «Gott, mach mich zu einem Werk­zeug deines Frie­dens.» Diese Meta­pher helfe ihm, seine Aufga­be wahr­zu­neh­men und sich immer wieder auf neue Begeg­nun­gen einzu­las­sen. Die mobi­le City­se­el­sor­ge bespielt bewusst keine eige­nen Räum­lich­kei­ten. «Wir sind immer draus­sen unter­wegs am Puls der Gesell­schaft. Unse­re Kirche ist die City.» Auch hier versu­chen sie, «das Gött­li­che in die Welt zu spie­geln». So sieht Wenk das Ange­bot der mobi­len City­se­el­sor­ge auch als Ergän­zung zu den Pfar­rei­en, die bereits sehr wert­vol­le Arbeit leis­ten würden.

Ein Blick in den Krug: Lego-Figuren als ­Symbol für unsere Mitmenschen.

Text und Bilder: Katja Hongler

Veröf­fent­li­chung: 24.07.2023

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