Eine neue Sitzbank im Garten des Museums Prestegg in Altstätten soll die Menschen aller Religionen und Kulturen zusammenbringen. Die Bank wird von Jugendlichen gestaltet.
Das Miteinander und Zusammenleben der Religionen ist nicht immer rosa, sondern es ist harte Arbeit. Aber es ist eine schöne und wertvolle Arbeit», sagt Elias Meile, Seelsorger in Berufseinführung bei der Pfarrei Altstätten. In der Rheintaler Stadt treffen die verschiedensten Kulturen und Glaubensrichtungen aufeinander. Von den 12 248 Einwohnerinnen und Einwohnern sind gemäss der Stadt Altstätten 3719 ausländische Staatsangehörige. Die Gruppe der Konfessionslosen beziehungsweise der Personen aus einer anderen Glaubensgemeinschaft als der christlichen zählt 4915 Personen. «Altstätten ist kein Einheitsbrei. Es gibt nicht nur die Glaubensrichtungen im klassischen Sinn, sondern eine grosse Vielfalt darüber hinaus.» Als Beispiel nennt Meile den serbischen Kulturverein Sveti Sava. «Solche Vereine spielen eine wichtige Rolle im religiös-kulturellen Leben.» Das Miteinander soll am 17. September im Zentrum stehen. Dann wird im Rahmen der interreligiösen Dialog- und Aktionswoche (ida) beim Museum Prestegg eine neue Sitzbank aufgestellt. Diese soll die Menschen zusammenbringen.
Religionen kennenlernen
«Das Bänkli soll zum Denken anregen, Diskussionen starten und Fragen aufwerfen», sagt Museumskuratorin Monika Meyer. «Es geht darum, sich mit den anderen Religionen und Kulturen auseinanderzusetzen.» Das Projekt ist breit getragen. In der Projektgruppe sind unter anderem die Stadt, das Museum, die Schule und die Fachstelle Integration Verein St. Galler Rheintal, aber auch Einzelpersonen und Migrantenvereine.
Die Sitzbank wird aus sechs Segmenten bestehen – je eines für die fünf grossen Weltreligionen und eines mit einem Fragezeichen. Die Teile werden von Oberstufen-Schulklassen aus Altstätten, Oberriet und Montlingen gestaltet, eines von Bewohnenden des Bundesasylzentrums in Altstätten. Einzige Vorgabe: Das charakteristische Symbol der jeweiligen Religion muss gut erkennbar sein. «Wir hoffen natürlich, dass sich auch die Schülerinnen und Schüler mit den Religionen und dem Zusammenleben auseinandersetzen», sagt Guido Poznicek, Vertreter der Schule Altstätten.
Berührungsängste bekämpfen
Am Festakt stehen das gemeinsame Feiern und der Austausch im Vordergrund. Es gibt Auftritte und kulinarische Häppchen der verschiedenen kulturellen Gruppen. Der Hinduverein, der serbische Kulturverein, die albanische Moschee, die Buddhistische Gemeinschaft und die Bevölkerung Sri Lankas werden ebenso vertreten sein wie die Bibliothek und die Evangelische sowie Katholische Kirchgemeinde.
Die ida-Woche hat Tradition in Altstätten und im Oberrheintal. Während mehrerer Jahre haben die Verantwortlichen Respect-Camps und Zeltstätten organisiert. Im vergangenen Jahr wurde der Film «Zeig mir, wie du glaubst – Rheintaler Jugendliche im Dialog» produziert. «Die Förderung von Respekt und ein schönes Miteinander sind wichtige Themen. Für uns ist es selbstverständlich, an der ida-Woche mitzuwirken», sagt Toni Loher, Stadtrat und Mitglied der Kommission Gesellschaftsfragen. Er verweist auf die Wichtigkeit solcher Projekte. «Auch in Altstätten haben Teile der Bevölkerung Berührungsängste.» Und Elias Meile ergänzt: «Wenn in der Gemeinde alles gut laufen würde, bräuchten wir solche Projekte nicht zu machen. Wir dürfen zwar proklamieren, dass es läuft mit dem Zusammenleben, müssen aber auch immer wieder die Erkenntnis aufbringen, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Wir alle müssen etwas dafür tun.»
Der Germanist und Literaturwissenschaftler Mario Andreotti hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Seine neueste Arbeit widmet sich der Schöpfungsgeschichte.
Wenn Mario Andreotti ein Gedanke kommt, muss er ihn aufschreiben, egal wie spät es ist. «Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, nehme meinen Text zur Hand und überarbeite ihn», sagt der 75-Jährige. Dann liest er die Zeilen wieder und wieder, schreibt Passagen um und ersetzt Worte. «Ein Text ist nie fertig. Ich bin nie restlos damit zufrieden.» Andreotti weiss, wovon er spricht. Der studierte Germanist und Historiker hat bereits mehrere Bücher verfasst, 1983 etwa «Die Struktur der modernen Literatur». Das Buch erscheint bereits in der 6. Auflage. Andreotti ist unter anderem Jury-Mitglied des Bodensee-Literaturpreises, war während 28 Jahren Fachreferent für die Fortbildung der Lehrkräfte an höheren Schulen und dürfte vielen St. Gallerinnen und St. Gallern als langjähriger Gymnasiallehrer an der Kantonsschule am Burggraben sowie als Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen ein Begriff sein. Nun hat er sein neuestes Werk vollendet: Mario Andreotti schrieb die Texte für den Schöpfungsgottesdienst in der Dreifaltigkeitskirche in St. Gallen. Der St. Galler Komponist und Dirigent Erich Schneuwly hat die Schöpfung «Die 7 Tage» für Sologeige, zwei Flöten, Streichorchester und Orgel komponiert. Schneuwly hat in der Vergangenheit nebst Messen auch Kompositionen mit religiösen Texten und über 100 Lieder aus dem Gesangsbuch der katholischen Kirchen orchestriert.
«Wir brauchen die Natur»
Gemeinsam mit seiner Frau Katalin wohnt Mario Andreotti in Eggersriet. In ihrem Garten spriessen die Blumen und der Feigenbaum trägt erste Früchte. Auf dem akkurat geschnittenen Rasen tollt ein schwarzes Fellknäuel umher – der kleine Entlebucher Sennenhund ist seit Kurzem Mitglied der Familie und hält das Ehepaar «ganz schön auf Trab». Mario Andreotti blickt auf die Szenerie. «Wir müssen endlich einsehen, dass wir die Natur brauchen. Stattdessen schicken wir uns an, sie zu zerstören», sagt der Vater von drei erwachsenen Kindern. «Wir müssen uns immer wieder klarmachen, dass diese Welt nicht uns, sondern dem Schöpfer gehört. Wir müssen Sorge tragen zu ihr.» Er nimmt die Kirche in die Pflicht: Diese habe eine besondere Verantwortung in Bezug auf die Bewahrung der Schöpfung, nehme diese Verantwortung allerdings nicht genügend wahr. «Das Problem der Kirche ist ihre Sprache.» Andreotti würde sich wünschen, dass die Bedeutung religiöser Texte öfter hinterfragt und auf die junge Generation und die heutige Zeit angepasst wird. «Die Frage ist doch: Wie kann ich die Jungen erreichen? Das geht nur über die Sprache. Die Kirche vermag diese Brücke nicht zu schlagen.»
Von Lehrern geprägt
Mario Andreotti ist zweisprachig aufgewachsen, der Vater war Tessiner, die Mutter stammte aus dem Kanton Glarus. Wo die tiefe Liebe zur deutschen Sprache herkommt, möchte man wissen. Andreotti klärt auf: «Ich hatte grosses Glück und einen hervorragenden Deutsch- und Lateinlehrer. Er hat mich stark beeinflusst.» Auch an seinen Religionslehrer erinnert er sich gut und gerne zurück. «Ein sehr guter Theologe» sei er gewesen. Germanistik und Theologie – für Andreotti zwei Themen, die sein Leben seit Kindesbeinen an begleiten und prägen: «Für mich als Germanisten ist es wichtig, die religiösen Zusammenhänge zu sehen und mich mit der Glaubensfrage zu beschäftigen.»
Dreizehn Jahre wirkte der St. Galler Pater Felix Strässle in Wien. Jetzt kehrt er in die Gallusstadt zurück. Im Gespräch schildert er, warum ihm der Stephansdom ans Herz gewachsen ist und was man bei einem Besuch auf keinen Fall verpassen sollte.
Mehr als fünf Millionen Menschen besuchen jährlich den Stephansdom in Wien. Der St. Galler Schönstatt-Pater Felix Strässle hatte in den vergangenen dreizehn Jahren unzählige Gelegenheiten, die bedeutendste Kirche Österreichs und deren Menschen kennenzulernen. «Der Stephansdom ist nicht nur eine wichtige Kirche für Wien, sondern für ganz Österreich», sagt er, «jedes Schulkind macht einmal in seinem Leben eine Reise nach Wien und besucht den Dom. Der Stephansdom ist Teil der österreichischen Identität und für die Menschen so etwas wie eine Heimat. Das kommt nicht von ungefähr: Wenn man in dieser Kirche ist, macht es einem das Herz auf nach oben, zum Himmel. Es zieht einen in die Höhe.»
Internationaler Mikrokosmos
2010 zog Pater Felix Strässle von St. Gallen nach Wien – in eine Priesterwohnung direkt neben dem Stephansdom. «Die Schönstatt-Patres haben seit Längerem einen Vertreter am Stephansdom, mein Vorgänger übernahm eine neue Aufgabe und deshalb wurde ich angefragt.» Pater Felix sagte sofort zu – auch wenn der Wechsel von der beschaulichen Ostschweiz in die 2‑Millionen-Stadt ein Eintauchen in eine andere Realität bedeutete. «Die Bevölkerung kommt aus verschiedenen Ländern, es treffen verschiedene Sprachen, Spiritualitäten und Kirchenbilder aufeinander. Es kommen hier ganz viele Einflüsse zusammen.» Auch die Seelsorger am Stephansdom stammen aus der ganzen Welt: aus den USA, aus Kroatien … «Als St. Galler hatte ich da keinen Exotenstatus», merkt er an und lacht. Der kulturelle und spirituelle Mikrokosmos habe ihn geprägt. «Wien ist so etwas wie ein kleines Rom. Man erlebt hier die Weltkirche ganz konkret. Für die Ordensgemeinschaften und kirchlichen Bewegungen ist es wichtig, in Wien präsent zu sein.»
Dreizehn Jahr wirkte Pater Strässle in Wien, jetzt übernimmt er eine neue Aufgabe in seiner Heimat St.Gallen.
Gefragte Aussprache
Von Wien aus war er österreichweit für die Familienpastoral der Schönstatt-Bewegung zuständig, in der Pfarre Stephansdom übernahm er priesterliche Dienste. Als einer von über fünfzig Priestern feierte er jede Woche Messen im Stephansdom und hörte die Beichte – oder die «Aussprache», wie sie in Wien auch genannt wird. «Ein Angebot, das auf grosse Nachfrage stösst: Viele haben das Bedürfnis, über das sprechen zu können, was sie beschäftigt», so Pater Felix. Bewegt hätte ihn aber auch immer wieder die monatliche Messe für Leidende: «Die Besucherinnen und Besucher des Stephansdoms können ihre persönlichen Gebetsanliegen auf Zettel schreiben und in eine Box werfen. Einmal im Monat wurden im Gottesdienst all diese Anliegen aufgenommen.» Da jeweils stapelweise Anliegen eingereicht wurden, habe er immer nur Auszüge vorlesen können. Eines war für den St. Galler in Wien auch neu: «Viele Gläubige wählen sich die Pfarre, in der sie die Gottesdienste besuchen oder sich ehrenamtlich engagieren, bewusst aus. Bei vielen ist es nicht automatisch die Pfarre, in der sie wohnhaft sind.»
Das Internationale der Stadt hat den St.Galler Pater geprägt.
Die Heimat kennenlernen
Jetzt möchte er wieder näher bei seinen zehn Geschwistern, die in der Ostschweiz leben, sein. Hier will er neben seinem Engagement für die Schönstatt-Bewegung in der Schweiz eine Aufgabe als Priester im Bistum St. Gallen übernehmen. Doch zunächst gibt er sich ein paar Wochen Zeit, um die alte Heimat neu kennenzulernen. «In den dreizehn Jahren, in denen ich weg war, ist viel passiert. Sowohl Gesellschaft als auch die Kirche stehen heute an einem anderen Punkt.» Leicht sei ihm der Abschied von Wien nicht gefallen, in den Wochen vor seiner Rückkehr habe er nochmals viel Kultur eingesogen und zum Beispiel die Wiener Staatsoper besucht. Er hat sich aber auch Zeit genommen, einfach im Stephansdom zu sitzen und die Atmosphäre auf sich wirken zu lassen. Auch wenn das Wahrzeichen der Stadt täglich gut besucht ist von Touristen und Gläubigen, sei es ein Kraftort und ein Ort der Ruhe und Stille.
Was empfiehlt er Touristinnen und Touristen, die den Stephansdom zum ersten Mal besuchen? «Sich einfach mal in die Kirche setzen und die Atmosphäre geniessen.» Es gebe einige Kleinode zu entdecken. Ihn persönlich habe immer wieder die «Dienstboten-Madonna» berührt. Es handelt sich um eine der ältesten Skulpturen im Stephansdom, mit ihr identifizierten sich seit eh und je die einfachen Leute.
Am 12. September 2023 präsentiert ein Forschungsteam des Historischen Seminars der Universität Zürich eine Vorstudie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche seit den 1950er-Jahren. Wie sehen Betroffene und das Bistum St. Gallen dieser Studie entgegen?
Vreni Peterer aus Appenzell, Präsidentin der Interessengemeinschaft der Missbrauchsbetroffenen im kirchlichen Umfeld (IG MiKU) und selbst Betroffene, sieht dem 12. September 2023 mit grosser Spannung und Hoffnung entgegen. «Ich bin sehr gespannt, wo wir nach einem Jahr stehen und wie viel die Pilot-Studie schon zu Tage bringt», sagt sie gegenüber dem Pfarreiforum, «ich bin auch gespannt darauf, wie die Betroffenen im Fokus stehen.» Sie selbst habe die Möglichkeit gehabt, ihre eigenen Akten beim Bistum St. Gallen anzuschauen und sei sich deshalb bewusst, was für ein riesiger Aufwand die Studie sei. «Ich erhoffe mir, dass das Forschungsteam am 12. September viele Ratschläge aufzeigt: Wie soll es jetzt weitergehen? Was braucht es, um die sexuelle Gewalt aufzuarbeiten? Wir erhielten durchwegs positive Rückmeldungen von Betroffenen, die von empathischen und kompetenten Mitarbeitenden des Forschungsteams angehört wurden.» Auch Vreni Peterer selbst habe die Gespräche, die das Forschungsteam mit ihr geführt habe, so erlebt. «Bemerkenswert ist auch, dass einige Betroffene, die Teil der Studie sind, zum allerersten Mal über ihre Erfahrungen gesprochen haben.»
Basis für künftige Forschung
Die Studie wurde von der Schweizer Bischofskonferenz (SBK), der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (der Zusammenschluss der kantonalkirchlichen Organisationen, zu dem auch der Kath. Konfessionsteil des Kantons St. Gallen gehört) und der Konferenz der Ordensgemeinschaften in Auftrag gegeben. Die Forschung arbeitete unabhängig von den Auftraggebern und beschäftigte sich mit allen Bistümern in der Schweiz. Sie soll eine Basis schaffen für die künftige Forschung zur sexualisierter Gewalt, die katholische Kleriker, kirchliche Angestellte und Ordensangehörige seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Schweiz ausgeübt haben. Was die Ergebnisse für die einzelnen Bistümer bedeuten, wird erst am 12. September bekannt. «Auch für uns ist das zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig offen», sagt Sabine Rüthemann, Kommunikationsbeauftragte des Bistums St. Gallen. «Wir erachten es als äusserst wichtig, dass diese Aufarbeitung stattfindet und begrüssen diese Studie sehr.» Das Bistum St. Gallen setzt sich seit zwanzig Jahren mit der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und der Prävention auseinander. 2002 wurde im Auftrag des damaligen Bischofs Ivo Fürer ein Fachgremium installiert – im Fachgremium waren von Beginn an bewusst auch nichtkirchliche Fachpersonen, beispielsweise wird aktuell das Gremium von der Juristin Daniela Sieber präsidiert. «Das Bistum hat von den Erfahrungen der Betroffenen gelernt», hält Sabine Rüthemann fest. Deshalb gebe es seit diesem Jahr neben dem Schutzgremium neu mit Pater Martin Werlen und Elisabeth Fink-Schneider auch zwei Ansprechpersonen für geistlichen Missbrauch.
Anlaufstelle für Betroffene
Schon bevor die Ergebnisse präsentiert werden, steht fest: Die Arbeit wird fortgesetzt, SBK, RKZ und KOVOS haben grünes Licht für ein dreijähriges Folgeprojekt 2024–2026 gegeben. Vreni Peterer: «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung und ein Zeichen dafür, dass die Verantwortungsträger die Notwendigkeit erkannt haben, aufzudecken, wieviel Leid kirchliche Mitarbeitende verursacht haben.» Trotzdem sieht Vreni Peterer noch viel Handlungsbedarf: «Wir fordern die Schaffung einer unabhängigen Anlaufstelle für Betroffene und haben das bereits bei einem Treffen mit dem für die Studie zuständigen Bischof Joseph Maria Bonnemain deponiert. Wir hoffen sehr, dass sich am 12. September Betroffene an kompetente Ansprechpersonen wenden können.» Sie persönlich habe es nicht befremdet, sich damals an das Fachgremium des Bistums St. Gallen zu wenden. «Doch für Betroffene, die keinen Bezug mehr zur Kirche haben, ist es ein No-Go, die brauchen eine nicht-kirchliche Anlaufstelle.» Sie betont, dass Betroffene sich auch an die IG MiKU wenden können. Es gebe inzwischen in der Ostschweiz auch eine Selbsthilfegruppe für Menschen, die sexuelle Gewalt im kirchlichen Umfeld erfahren haben.
Text: Stephan Sigg
Bild: zVg.
Veröffentlicht: 21.08.2023
Online
Im Online-Dossier finden Sie Artikel, die in den letzten Jahren im Pfarreiforum zu sexueller Gewalt im kirchlichen Umfeld erschienen sind, die Ergebnisse der Studie (ab 12. September), Einordnungen, Hintergrundartikel sowie Kontaktadressen des Fachgremiums bzw. der Ansprechpersonen im Bistum St. Gallen.
Dialog mit Christen und Muslimen? Das wäre für den St. Galler Rabbiner Shlomo Tikochinski in der Kindheit undenkbar gewesen: Er wuchs auf in einer ultraorthodoxen Familie in Israel, doch im Studium beschäftigte er sich mit dem Christentum und dem Islam. Seit einem Jahr ist er Rabbiner der Jüdischen Gemeinde St. Gallen.
Rabbiner Tikochinski und Roland Richter, ehemaliger Präsident der Jüdischen Gemeinde, begrüssen herzlich und neugierig, wir treffen uns im hellen Saal der Jüdischen Gemeinde im 1. Stock neben der Synagoge am Roten Platz direkt neben der Raiffeisenbank. Kaum hat die Fotografin ihr Equipment aufgebaut, ist man mitten im Gespräch. Der Rabbiner spricht fliessend Deutsch, lässt aber immer wieder hebräische und englische Wörter einfliessen – die er jeweils flink mit der Übersetzungsapp auf seinem Handy übersetzt.
Rabbiner Tikochinski, Sie besuchen ab und zu inkognito Gottesdienste der katholischen oder reformierten Kirche. Warum?
Shlomo Tikochinski: Weil ich ein sehr neugieriger Mensch bin. Mich interessiert es, wie die Gläubigen der anderen Religionsgemeinschaften ihren Glauben feiern. Nur, inkognito ist inzwischen kaum mehr möglich: In den vergangenen Monaten durfte ich bereits an vielen interreligiösen Anlässen oder Anlässen der Stadt teilnehmen und deshalb kenne ich inzwischen viele Pfarrerinnen und Pfarrer persönlich.
Wie leicht ist Ihnen das Ankommen in St. Gallen gefallen?
Shlomo Tikochinski: Sowohl die Begegnungen mit der Jüdischen Gemeinde, aber auch mit allen anderen Menschen in der Stadt waren von Anfang von Herzlichkeit und Offenheit geprägt. Vorher war ich Rabbiner in Dresden, hier ist es weniger anonym, alle sind viel freundlicher. Die Jüdische Gemeinde mit 120 Mitgliedern ist klein, aber wir haben ein aktives Glaubens- und Gemeindeleben mit vielen Anlässen.
Roland Richter: Für uns ist Rabbiner Shlomo ein Geschenk. Wir sind zwar eine kleine Gemeinde, aber viele sind offen für Experimente. Erfreulicherweise konnten wir unseren Vorstand verjüngen: Eine jüngere Generation ist dabei, die Verantwortung für die Gemeinde zu übernehmen.
Wie wichtig ist der Interreligiöse Dialog für Sie? Was tun Sie?
Shlomo Tikochinski: Interreligiöser Dialog beginnt für mich im Alltag, bei ganz alltäglichen Begegnungen. Wenn zum Beispiel eine Zahnärztin, die in der Nähe unserer Synagoge arbeitet, mich plötzlich auf der Strasse fragt: Darf ich mal die Synagoge anschauen? Wir bieten aber auch zahlreiche Führungen für Schulklassen an und ich nehme an Gesprächsrunden teil. Es gibt fast jede Woche einen Termin.
Wie offen ist die Ostschweiz gegenüber anderen Religionen?
Shlomo Tikochinski: Ich nehme eine Offenheit von den Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften wahr – das ist in Israel und selbst in Deutschland anders. Eindrückliche Beispiele sind für mich der interreligiöse Gottesdienst am 1. August oder das gemeinsame Feiern am Bettag. Trotzdem darf man etwas Zentrales nicht vergessen: Ob der interreligiöse Dialog gelingt und sich Menschen verschiedener Religionen begegnen, ist nicht von solch besonderen Veranstaltungen abhängig. Natürlich braucht es den Austausch und gemeinsame Aktionen der offiziellen Vertreter der Religionsgemeinschaften, Institutionen wie das «Haus der Religionen» in Bern oder das «House of One» in Berlin sind wichtig. Aber interreligiöser Dialog, der sich auf die Religions-Profis beschränkt, ist keine besondere Leistung. Es geht darum, dass alle Gläubigen Teil davon sind.
Die St.Galler Synagoge ist mitten in der Stadt zu finden, am Roten Platz.
Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Shlomo Tikochinski: Ich wünsche mir, dass man sich voller Neugier begegnet und keine Angst hat, dem anderen Fragen zu stellen. Deshalb ist es für mich viel bemerkenswerter, wenn mir jemand mitten im Alltag voller Offenheit und Neugier begegnet, Fragen stellt oder seine eigenen Vorurteile hinterfragt. Es braucht mehr Menschen, die Fragen stellen. Egal zu welcher Religion ich gehöre: Vorurteile haben wir alle. Wir hören heute oft die offiziellen Vertreter der Religionen über ihren Glauben sprechen. Es braucht genauso die ganz normalen Menschen, die von ihrem eigenen Glauben erzählen. Damit würde auch sichtbar: Den Christen, den Muslimen, den Juden gibt es nicht … Auch innerhalb jeder Religionsgemeinschaft gibt es so viele unterschiedliche Prägungen. Anderen vom Glauben erzählen, das ist sogar ein fester Teil des jüdischen Glaubens: Es ist ein Wunsch Gottes – wir nennen es Kidusch Haschem: Gott gefällt es.
Herr Richter, Sie sind schon viele Jahre Teil der Jüdischen Gemeinde in St. Gallen, wie erleben Sie das Miteinander der Religionen?
Roland Richter: Die Jüdische Gemeinde spürt seit vielen Jahrzehnten eine Begegnung auf Augenhöhe. Ich erinnere mich an ein Beispiel in den 1990er-Jahren: Damals gründeten die Landeskirchen die Offene Kirche St. Gallen. Der reformierte Pfarrer Christoph Sigrist, einer der Initianten dieses Projektes, fragte mich an, ob ich im Vorstand mitwirken möchte. Die öffentlich-rechtliche Anerkennung 1993 durch den St. Galler Kantonsrat war für uns ein wichtiger Schritt. Bis dahin waren wir als Verein organisiert, mit der Anerkennung wurden wir den Landeskirchen gleichgestellt. Das trug dazu bei, dass uns die Kirchen und der Staat auf Augenhöhe begegnen. Heute profitieren wir sehr vom Schulfach ERG. Viele Klassen behandeln da die Weltreligionen und lernen das Judentum kennen.
Tun die Ostschweizer Schulen genug für die Bildung in Sachen Religionen?
Shlomo Tikochinski: Die Nachfrage nach Führungen in unserer Synagoge ist gross. Viele Schulklassen, die uns besuchen, haben sich in einer «Woche der Religionen» oder einem «Monat der Religionen» mit dem Judentum beschäftigt. Ich spüre von den Kindern und Jugendlichen oft eine grosse Neugier. Es werden viele Fragen gestellt.
Roland Richter: Auch die ida-Woche jetzt im September ist eine gute Plattform. Das Wissen über die Religionen ist eine wichtige Grundlage für den interreligiösen Austausch: Nur wer den anderen ein bisschen kennt, kann Fragen stellen, die in die Tiefe gehen. Wenn mir der andere fremd ist und ich unsicher bin, was tabu ist oder was den anderen verletzt, dann bleibt es bei oberflächlichen Fragen. Wenn ich dem anderen begegnen möchte, muss ich bereit sein, mich mit ihm zu beschäftigen.
Shlomo Tikochinski: Heute ist es so einfach, sich über die Religionen zu informieren: Wenn ich heute etwas nicht weiss, kann ich ja googeln oder auf Wikipedia nachlesen.
Rabbiner Tikochinski, haben Sie noch Kontakt zu Ihren Geschwistern?
Shlomo Tikochinski: Ich habe vor Kurzem einen meiner Brüder in Israel getroffen, er ist bis heute Teil der ultraorthodoxen Gemeinschaft. Als ich ihm erzählt habe, wie ich in St. Gallen mit Vertreterinnen und Vertretern der anderen Religionen in Kontakt stehe und es auch gemeinsame Anlässe gibt, hat er nur perplex gefragt: Warum tust du das? Für mich ist der interreligiöse Dialog eine Selbstverständlichkeit. Wir glauben ja alle an den gleichen Gott. Vielleicht lässt sich das mit einem Chor vergleichen: Es gibt verschiedene Stimmen, aber Gott braucht alle Stimmen, den alle zusammen machen einen Chor aus.
Rabbiner Tikochinski ist seit einem Jahr Rabbiner der Jüdischen Gemeinde St.Gallen.
Shlomo Tikochinski
Der promovierte Historiker Shlomo Tikochinski, geboren 1966 in Jerusalem als zweitältestes Kind von elf Geschwistern, studierte Geschichte, Philosophie und Theologie – und dabei auch das Christentum und den Islam. Er war Rabbiner in Jerusalem und von 2020 bis 2022 in Dresden. Er lehrte und forschte in verschiedenen akademischen Positionen und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Neben seiner Tätigkeit in St. Gallen hat er weiterhin einen Lehrauftrag in Jerusalem. Er hat vier Kinder und ist inzwischen vierfacher Grossvater.
Roland Richter
Roland Richter wurde 1944 in eine jüdische Familie in St. Gallen hineingeboren. Nach dem Medizinstudium und der Ausbildung zum Facharzt für Geburtshilfe und Frauenheilkunde kam er 1985 zurück nach St. Gallen und gründete seine eigene ärztliche Praxis. 1987 – 2009 war er im Vorstand der Jüdischen Gemeinde St. Gallen, ab 1994 als Präsident.
Eine kantonale Woche für den interreligiösen Dialog
Die «Interreligiöse Dialog- und Aktionswoche ida» findet alle zwei Jahre statt, dieses Jahr vom 11. bis 17. September. Einer der Höhepunkte ist die gemeinsame Bettagsfeier auf dem Klosterplatz St. Gallen (Sonntag, 17. September, 15.00 Uhr). Es laden ein: die christlichen Kirchen sowie verschiedene Religions- und Glaubensgemeinschaften der Stadt und Region St. Gallen. Die rumänisch-orthodoxe Pfarrgemeinde wird bei dieser Feier die «St. Galler Erklärung» unterzeichnen. Die «St. Galler Erklärung für das Zusammenleben der Religionen und den interreligiösen Dialog» ist das Herzstück der ida. Seit 2005 haben zahlreiche Religionsgemeinschaften und auch Einzelpersonen die Erklärung unterschrieben: www.pfarreiforum.ch/stgallererklärung. In der ida-Woche gibt es zahlreiche Veranstaltungen im ganzen Kanton St. Gallen.
Das erste Feldgebet für muslimische Armeeangehörige Ende Juni hat für Aufmerksamkeit gesorgt. Armeeseelsorger Stefan Staub über die Hintergründe und die Kritik.
Als «missverständlich» bezeichnet Stefan Staub das Foto von betenden muslimischen Armeeangehörigen. «Das Bild kann falsche Assoziationen auslösen.» Das Foto ist Ende Juni in der Ostschweiz entstanden und zeigt eine Premiere: das erste offizielle Feldgebet für Armeeangehörige mit muslimischem Glauben in der Schweiz. Anlass war eines der höchsten islamischen Feste, Bayram, mit dem das Ende des Fastenmonats gefeiert wird. Es fand auf Wunsch einiger Armeeangehöriger in einer Pause statt. Durch das Gebet führte der Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund und ausgebildete Iman Muris Begovic. Er hat – mit zwei Seelsorgern mit jüdischem Hintergrund – Anfang Jahr den Dienst aufgenommen. Durch das Foto nahm auch die breite Öffentlichkeit erstmals Kenntnis davon – und es hat medial viel Aufmerksamkeit generiert. «Damit war zu rechnen», sagt Stefan Staub. Der Teufener ist seit 17 Jahren Armeeseelsorger und war als Dienstchef Territorialdivision 4 am besagten Gebet zugegen. Das Thema beschäftigt die Bevölkerung. Stefan Staub hat teilweise Verständnis. «Der Islam und die staatliche Organisation ‹Schweiz› vertragen sich manchmal etwas schwer. Es sind noch immer viele Ängste vorhanden», so der 55-Jährige. «Islam, Islamismus, Extremismus – wir werfen manchmal alles in den gleichen Topf, was falsch ist. Manchmal steht die Globalisierung unserer Welt im Widerspruch zu unseren Erfahrungen und Emotionen.» Für Staub ist klar: «Der Islam gehört auch zur Schweiz.»
Erstmals eigene Seelsorge
Stefan Staub kann die Aufregung um die knienden Soldaten nicht verstehen. Dass in diesem Jahr ein Armeeseelsorger mit muslimischem Hintergrund den Dienst aufgenommen hat, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit: «Mit welcher Begründung und welchem Recht wollen wir Muslimen denn weiterhin vorenthalten, dass auch ihr Hintergrund in der Armeeseelsorge vertreten ist?» Es gehe um Wertschätzung gegenüber anderen Menschen. «Menschen, die notabene Schweizer Bürgerinnen und Bürger sind.» Die Armeeführung habe sich explizit für mehr Toleranz und Akzeptanz ausgesprochen. «Die Armee will keine starre Formation sein, sondern die gesellschaftlichen Entwicklungen mittragen. Wir müssen die Menschen mit muslimischem Glauben in die Gemeinschaft aufnehmen. Wir dürfen als Gesellschaft nicht die Augen davor verschliessen, dass es Menschen gibt, die eine andere Spiritualität pflegen.» Das 20-minütige Gebet bezeichnet Staub als «unspektakulär». «Es hatte nichts Extremistisches an sich, war sehr berührend und stand in Bezug zum Dienst an der Schweiz.»
Die Thematik von betenden Muslimen in der Armee hat Kritik laut werden lassen. Staub wird emotionaler: «Es ist nicht fair und nicht fein, wenn ein Gebet dazu benutzt wird, um Menschen zu manipulieren. Das ist ein Missbrauch der Religion und der Menschen.» Für Aussagen wie «es braucht keine muslimische Seelsorge», hat er kein Verständnis. «Es handelt sich um Menschen, die Militärdienst leisten und sich für die Sicherheit und Freiheit in unserem Land einsetzen. Wenn sie das nachvollziehbare Bedürfnis haben, ihre Religion im Rahmen des Möglichen auch in der Armee zu leben, gebührt ihnen das gleiche Recht dazu wie Angehörigen anderer Religionen auch.»
Dieselben Anliegen
Müssen die Kritiker nun Angst haben, dass die Muslime in der Armee fünfmal täglich den Gebetsteppich ausrollen? Stefan Staub beschwichtigt: «Sie machen den Dienst wie alle anderen auch.» Das Beten in der Armee sei keinesfalls neu. Man habe immer schon Rahmenbedingungen geschaffen, dass Armeeangehörige – egal welchen Glaubens – ihre Religion leben können, sofern sie den Dienstbetrieb nicht beeinträchtigen. Das Feldgebet wird denn wohl auch keine einmalige Sache bleiben. Staub verweist auf den Stellenwert des Festes. «Ich kann mir gut vorstellen, dass das Bedürfnis sich wiederholen wird.»
Wenn Staub als Armeeseelsorger tätig ist, erreichen ihn die unterschiedlichsten Anfragen. Ob Christ oder Muslim, die Sorgen sind dieselben. Rund 80 Prozent der Anfragen beziehen sich auf Beziehungsprobleme oder Probleme in der Lebensführung. «Es sind selten religiöse Themen», so Staub. Aber gerade bei solchen sei ein Fachmann sehr hilfreich. Die Coronapandemie, der Ukraine-Krieg, die veränderten Lebensbedingungen – gemäss Stefan Staub ist die Seelsorge wichtiger denn je. Die Anfragen steigen. «Der Mensch ist ein seelisches Wesen und hat nicht nur psychische und körperliche Einheiten. Dieser Dimension des Menschseins gilt es, Rechnung zu tragen. Die Seelsorge ist eine riesige Chance für uns alle.»
Am 17. September, 10 Uhr, empfängt Stefan Staub in der katholischen Kirche Teufen den ersten ausgebildeten Seelsorger mit muslimischem Hintergrund zum «Gespräch an der Kanzel». Thema: «Gleiche Wurzeln und doch unterschiedlich gewachsen: Islam und Christentum in der Schweiz».
Ich kann mich gut an meine eigenen ersten Gebetserfahrungen erinnern. Meine Eltern haben mit meiner Schwester und mir jeden Abend «I ghöre es Glöggli» gesungen. Dieses Lied hat mir Halt gegeben, besonders die Zeile «de lieb Gott im Himmel wird au bi mir si». Ich war froh, dass Gott bei mir ist, wenn das Licht gelöscht wurde.
Im Primarschulalter hatte ich ein schweizerdeutsches Hörspiel auf Kassette, das ich mir sehr oft angehört habe: «Die Abenteuer des Tom Sawyer und Huckleberry Finn». Die gruselige Szene nachts auf dem Friedhof, während der die beiden Verbrecher beobachten, hat mir immer wieder Schauer über den Rücken gejagt. Die beiden Buben haben Angst und Finn fragt Tom mit klappernden Zähnen: «Kannst Du beten?» Tom verneint und stimmt dann doch das Lied an, das ihm abends Halt gibt: «I ghöre es Glöggli».
Ein Schatz im Herz
Auswendig gelernte Gebete und Lieder helfen Kindern (und Erwachsenen) in vielen Situationen, zu Gott zu sprechen. Ein kurzes Tischgebet vor dem Essen kann schon mit kleinen Kindern eingeübt werden. Die häufige Wiederholung des gleichen Gebetes oder Liedes macht das Lernen leicht. So wird das Gebet verinnerlicht und zu einem Schatz im Herzen. Nicht umsonst heisst auswendig lernen im Englischen «learning by heart», im Französischen «apprendre par cœur». Auch Gebete wie das «Vater unser» können mit Kindern gesprochen werden. Selbst wenn sie noch nicht alles erfassen, sind sie doch stolz darauf, dass sie mitbeten können. Es gibt mehrere gute Erklärungsbilderbücher für ein erstes Verständnis dieses Gebetes. Genauso wichtig scheint mir, dass Kinder lernen, ihre Erlebnisse zu erzählen und in Worte zu fassen, was sie bewegt. So erfahren sie Gott und Jesus als ein DU, dem sie alles anvertrauen können. Z. B. haben wir mit unseren Kindern einander beim Gute-Nacht-Sagen die Frage gestellt:
– Wofür möchte ich Gott heute danken?
– Worum möchte ich Gott heute bitten?
Zur Ruhe kommen lassen
Unsere Erfahrung ist, dass dieses Ritual Kinder und Erwachsene zur Ruhe kommen lässt und beim Einschlafen hilft. Wir werden uns bewusst, wenn ein Erlebnis noch nicht verarbeitet ist und unseren Schlaf stören könnte. Ich nenne dies das freie Gebet und versuche es auch im Religionsunterricht mit den Kindern zu üben. Viele Kinder haben grossen Spass daran. Gebete dürfen nicht zum Zwang werden. Kindern soll nicht das Gefühl gegeben werden, dass sie etwas leisten müssen, damit Gott zufrieden gestellt wird. Ein solches Gottesbild würde Kinder belasten und nicht zu innerer Ruhe führen. Wenn ein Gebet freiwillig ist, kann es von Herzen kommen.
Kurze, kindgerechte Gebete finden Sie z. B. im Buch Margot und Lea Kässmann, Du gibst immer auf mich acht. Mit Kindern beten, empfohlen ab 4 Jahren, 2019. Oder: Das Vaterunser den Kindern erzählt, Georg Schwikart, 2014.
Daniela Gremminger Seelsorgerin Katholische Kirche Uzwil und Umgebung
Mit einer Velo-Rikscha und einem Team von 28 ehrenamtlichen Pilotinnen und Piloten ermöglicht der Rorschacher Paul Zünd Hochbetagten Ausfahrten zu deren Lieblingsorten. Das Schönste daran sei, miterleben zu können, wie seine Fahrgäste aufblühen, sagt der Religionspädagoge. Seine Leidenschaft für’s Velofahren entdeckte er einst als Velokurier.
Zum Velofahren bin ich erst spät gekommen», sagt Paul Zünd, der bei der Katholischen Kirche der Region Rorschach für das Ressort Erwachsene zuständig ist. Im Schatten des Parks vor der Herz-Jesu-Kirche hat er seine Rikscha parkiert, mit der er regelmässig Seniorinnen und Senioren ausfährt. «Als 12-Jähriger habe ich zwar gearbeitet und mir von dem Geld ein Rennvelo gekauft. Danach wurde ich aber erst mal ein richtiger Töfflibueb», sagt der 51-Jährige. Zum Velofahren brachte ihn in seinen Zwanzigerjahren schliesslich ein Freund, der vorschlug, dass sie beide doch Velokuriere werden sollten. Später leitete und baute er unter anderem den Velokurier Die Fliege in St. Gallen aus. «Das Gefühl, auf dem Velo mit der Umwelt und den Menschen verbunden zu sein, fasziniert mich bis heute. Es gibt keine Glasscheibe dazwischen und ich bin in einer Geschwindigkeit unterwegs, in der ich mich auf das Geschehen um mich herum einlassen kann», sagt er.
Ausfahrt zum Hochzeitstag
Dieses Gefühl, auszufahren, den Wind in den Haaren zu spüren, unterwegs spontan Bekannten zu begegnen: Das sollen mittels der Rikscha auch die Fahrgäste von Paul Zünd erleben. Vor vier Monaten hat er daher das Rikscha-Projekt gestartet und ein Team von 28 ehrenamtlichen Pilotinnen und Piloten zusammengestellt.
An diesem Vormittag trifft er das Ehepaar Elfi und Peter Künzle aus Rorschach. Die beiden sind um die 80 Jahre alt und eigentlich selbst täglich auf dem Velo unterwegs. Da die Katholische Kirche der Region Rorschach aktuell auf ihrer Homepage mit neuen Fotos verschiedene Projekte vorstellt, haben sich die beiden bereiterklärt, als Fotomodelle bei einer Tour dabei zu sein. «Ausserdem haben wir gerade unseren 57. Hochzeitstag gefeiert. Wir fanden, aus diesem Anlass könnten wir uns gut auf etwas Neues wie eine Rikscha-Fahrt einlassen», sagt Elfi Künzle. Sie fügt an, sie freue sich vor allem darauf, in der Natur zu sein und den Fahrtwind zu spüren.
Teil des Glücks sein
Elfi und Peter Künzle nehmen in der Rikscha Platz und befestigen den Anschnallgurt. Paul Zünd steigt hinter ihnen auf den Sattel und tritt in die Pedale. Maximal 15 Kilometer pro Stunde schnell wird er fahren. Ein elektrischer Motor unterstützt ihn dabei. Die Rikscha hat er über den Verein «Radeln ohne Alter Schweiz» gemietet. Elfi und Peter Künzle sind in Rorschach gut vernetzt und haben viele Bekannte. Schon nach wenigen Metern wird klar, worin der Vorteil einer solchen Ausfahrt liegt: Ein Winken hier, ein paar Zurufe dort und immer wieder wird das Ehepaar von Bekannten auf dem Velo oder im Auto überholt. «Miterleben zu können, wie meine Fahrgäste unterwegs aufblühen, und Teil ihres Glücks zu sein, ist das Schönste für mich als Pilot», sagt Paul Zünd. In den Alters- und Pflegeheimen spreche man bei dieser Art der Tagesgestaltung von Aktivierung.
Die Rückmeldungen, die Paul Zünd und sein Team von den Betreuungs- und Pflegefachpersonen erhalten, sind positiv. Den Fahrgästen sei anzumerken, wie gut ihnen die Ausfahrt getan habe. Mittlerweile machen das Seniorenzentrum La Vita in Goldach, das Altersheim Rorschach und das Haus zum Seeblick im Rorschacherberg bei dem Projekt mit. Im Durchschnitt 20 Buchungen für seine Rikscha-Ausflüge erhält Paul Zünd von diesen im Monat. Ein bis zwei Stunden dauert eine Fahrt und führt zu Lieblingsorten der jeweiligen Fahrgäste. «Eine Frau wünschte sich zum Beispiel einmal eine Tour zum Hotel Bad Horn, um dort am See etwas zu trinken», sagt Paul Zünd. Und ein Ehepaar wollte noch einmal zu jenem Haus fahren, in dem es gelebt hatte. Manchmal komme es allerdings auch vor, dass ein Fahrgast zu unruhig sei oder aus verschiedenen Gründen die Fahrt nicht geniessen könne. «In solchen Situationen kehre ich um und bringe die Person zurück», sagt er.
Eine eigene Rikscha kaufen
«Recht auf Wind im Haar», so hat Paul Zünd sein Rikscha-Projekt benannt. Erfunden habe er diese Bezeichnung aber nicht. Vielmehr sei es ein weltweit bekannter Spruch unter Rikschafahrerinnen und ‑fahrern. Seit Anfang Juli ist auch klar, wie es mit dem Projekt weitergeht. Das Pastoralteam hat sich einstimmig für den Kauf einer Rikscha ausgesprochen und möchte das Projekt nach den Sommerferien weiterführen. Nun liegt der Ball bei der Geschäftsleitung und dem Kirchenverwaltungsrat. Letzterer muss für einen Kauf einen ausserordentlichen Kredit sprechen.
Elfi und Peter Künzle kehren derweil mit Paul Zünd an den Startpunkt zurück. Sie hatten Spass und Paul Zünd verspricht ihnen beim Abschied nochmals eine richtige Tour – ganz ohne Kameras. Er selbst wird sich am Abend auf sein Velo schwingen und nach Hause fahren. Ein Auto besitzt er nicht. «Auf dem Velo unterwegs zu sein ist für mich der perfekte Ausgleich», sagt er. «Mehr brauche ich nicht.»
Text: Nina Rudnicki Bilder: Ana Kontoulis Veröffentlichung: 24. Juli 2023
Um mit Passanten ins Gespräch zu kommen, ist Matthias Wenk (46) mit dem Cargo-Velo mit der Aufschrift «kostBar» in St. Gallen unterwegs. Der katholische Cityseelsorger erklärt, was an dieser Bar «ausgeschenkt» wird.
Bei uns gibt es keinen Alltag. Wir orientieren uns an dem, was in der Stadt läuft. Wir sind mit unserem Velo an Brennpunkten im öffentlichen Raum unterwegs», sagt Matthias Wenk von der mobilen Cityseelsorge St. Gallen. Zudem sind sie an Märkten und Veranstaltungen präsent, etwa beim Willkommens-Anlass für Neuzuzüger. Dort hat die Cityseelsorge einen gemeinsamen Stand mit der Reformierten Kirche. «Sich immer wieder auf neue Orte und neue Begegnungen einzulassen, ist herausfordernd», sagt der Theologe und Sozialarbeiter. «Es ist aber auch immer wieder schön, an vorderster Front mit Menschen in Kontakt zu kommen.» Er übernimmt die mobile Cityseelsorge offiziell per 1. August. Punktuell hat er bereits Aufgaben übernommen. Wenk ist kein Neuer: Er arbeitet bereits seit 2018 im Teilzeitpensum für den Bereich «Spiritualität und neue Gottesdienstformen» bei der Cityseelsorge. Nun gibt er dieser Tage die Pfarreileitung der ökumenischen Gemeinde Halden ab und widmet sich künftig in einem 80-Prozent-Pensum der Cityseelsorge.
Wie entsteht ein Dialog?
Um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, hat das Team verschiedene niederschwellige Hilfsmittel entwickelt. «Es braucht einfache Anknüpfungspunkte», weiss Wenk und zeigt seine alten Krüge, die er jeweils auf der Velo-Bar auftischt. Darin verstecken sich verschiedene Symbolträger wie beispielsweise kleine Lego-Figuren oder eine Armbanduhr – der letzte Krug beinhaltet eine besonders berührende Überraschung, die hier nicht verraten werden soll. «Es geht darum, die Menschen zum Nachdenken anzuregen und ihnen bewusst zu machen, was ihnen wichtig und kostbar erscheint», erklärt Wenk. Dabei kann ein unverkrampfter Dialog über Spiritualität entstehen: «Setzt man man sich mit Lebensfragen auseinander, kommt der Glaube automatisch ins Spiel.» Und was brennt den Menschen in St. Gallen unter den Fingernägeln? «Das ist sehr individuell, viele sind gespalten bei gesellschaftlichen Themen, aktuell drehen sich die Gespräche oft um die Klimasituation. Wir hören auch persönliche Geschichten, erfahren von Sorgen und Ängsten, die uns Menschen umtreiben oder auch von Notsituationen.» Wenk betont, dass sie für alle Menschen da sein möchten. Einen speziellen Fokus würden sie auf jene richten, die offen seien für Glaubensfragen, aber keine klassischen Gottesdienste besuchen. «Das sind in St. Gallen immerhin 91 Prozent der Kirchensteuerzahler», sagt Wenk.
Gut vernetzt
Das vierköpfige Team der Cityseelsorge trifft sich vor den gemeinsamen Sitzungen zum Gebet und Austausch. «Wir teilen unsere Erlebnisse bewusst miteinander und notieren das Wichtigste auf einer grossen Schriftrolle. Diese ist mittlerweile bestimmt zehn Meter lang und wird später im Sinne einer Rückschau wieder ausgerollt.» Die Zusammenarbeit im Team sowie mit anderen Anlaufstellen der Kirche ist Wenk sehr wichtig. Man lerne sehr viel voneinander und könne die vielschichtigen Anliegen oder Hilferufe aus den eigenen Begegnungen auch an andere Fachleute weiterreichen. Ab August erhält das Team zusätzliche Verstärkung für den Bereich «Mobile Ökoprojekte». Eine grosse Unterstützung sind auch die Freiwilligen: «Unsere Arbeit würde ohne sie nicht funktionieren», sagt Wenk. Dazu kommen projektbezogene Partnerschaften wie beispielsweise mit der Reformierten Kirche. Für nächstes Jahr ist eine Partnerschaft mit «Wohnmobilland Schweiz» vorgesehen. Wenk verrät, dass sie einen grösseren Event mit Camper-Segnungen planen.
Werkzeug für den Frieden
Wenk zitiert eine Stelle aus einem Gebet, das Franz von Assisi zugeschrieben wird. Diese scheint ihm für seine Arbeit sehr wesentlich: «Gott, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.» Diese Metapher helfe ihm, seine Aufgabe wahrzunehmen und sich immer wieder auf neue Begegnungen einzulassen. Die mobile Cityseelsorge bespielt bewusst keine eigenen Räumlichkeiten. «Wir sind immer draussen unterwegs am Puls der Gesellschaft. Unsere Kirche ist die City.» Auch hier versuchen sie, «das Göttliche in die Welt zu spiegeln». So sieht Wenk das Angebot der mobilen Cityseelsorge auch als Ergänzung zu den Pfarreien, die bereits sehr wertvolle Arbeit leisten würden.
Text und Bilder: Katja Hongler
Veröffentlichung: 24.07.2023
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