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Als Pilgerinnen Neues in ­Altbekanntem entdecken

Flache Stre­cken können anstren­gen­der sein als hüge­li­ge. Und während des Gehens lassen sich beson­ders gut neue Bekannt­schaf­ten knüp­fen: Diese Erfah­run­gen haben Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo aus St. Gallen auf ihrer ersten Pilger­rei­se gemacht. Zusam­men mit 200 ande­ren Perso­nen haben sie beim Bistums­pil­gern mitgemacht.

Jetzt sehe ich sie dann alle nicht mehr.» Dieser Gedan­ke ging Tosca Wetzel nach drei Tagen, in denen sie zu Fuss unter­wegs gewe­sen war, durch den Kopf. Zusam­men mit über 200 Perso­nen hatte sie beim Bistums­pil­gern (siehe Info unten) mitge­macht und war von St. Gallen nach Magden­au, von Nieder­uz­wil nach Drei­brun­nen und von Bazen­heid nach Libin­gen gepil­gert. «Diese kurze Zeit hat ausge­reicht, uns als Grup­pe zusam­men­zu­schweis­sen», sagt sie. Unter­wegs beglei­tet wurde sie von ihrer Schwes­ter Nadia Maciariello.

«Während des Pilgerns wird das Klei­ne gross und alle ­Sinne sind geschärft.»

Zusam­men sitzen die beiden St. Galle­rin­nen nun am heimi­schen Küchen­tisch. Sie spre­chen darüber, was Pilgern ausmacht und wie es ist, in Altbe­kann­tem Neues zu entde­cken. Die Idee, sich darauf einzu­las­sen, hatte Nadia Macia­ri­el­lo. Über einen Bekann­ten hatte sie vom Bistums­pil­gern erfah­ren. Er sagte ihnen auch, dass noch Perso­nen gesucht wurden, die mithel­fen und unter­wegs verschie­de­ne Aufga­ben über­neh­men würden wie etwa Stras­sen sichern oder das Schluss­licht bilden. «Da wir beide noch nie gepil­gert sind, das aber schon seit länge­rem einmal auspro­bie­ren woll­ten, haben wir uns ange­mel­det», sagt Nadia Maciariello.

Direkt von zuhau­se aus losge­hen können, das ist es, was Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo am Pilgern gefällt. (Bild: Ana Kontoulis)

Dass flache, mono­to­ne Stre­cken anstren­gen­der sein können als hüge­li­ge Etap­pen: Das ist eine Erfah­rung, die Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo während des Pilgerns gemacht haben. «Auch die Offen­heit der Teil­neh­men­den hat mich über­rascht. Ich bin immer mit jeman­dem ins Gespräch gekom­men und habe inter­es­san­te Lebens­ge­schich­ten erfah­ren», sagt Tosca Wetzel. Nadia Macia­ri­el­lo ergänzt: «Es ist gut möglich, dass das Gehen ein Rede­be­dürf­nis auslöst oder dass wir nach der langen Coro­na­zeit einfach Lust auf neue Kontak­te haben. Und dann ist da sicher noch das Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl der Pilger­ge­mein­schaft, dass einen offe­ner werden lässt.» Berüh­rend habe sie es auch gefun­den, dass in einer ­Pilger­grup­pe alle Perso­nen unab­hän­gig von ­Herkunft, Alter oder sozia­lem Hinter­grund gleich seien. Fami­li­en mit Kindern und Senio­rin­nen und Senio­ren, Promis und Norma­los, Betgrup­pen und nicht reli­giö­se Perso­nen seien zu Wegge­fähr­tin­nen und Wegge­fähr­ten gewor­den. «Unser Vater, der eben­falls mitge­kom­men ist, entdeck­te unter den Pilgern­den eine bekann­te Person aus der Medi­en­welt und fand das bemer­kens­wert» sagt Nadia Macia­ri­el­lo. «Aber nach einer Weile war es dann eben einfach nicht mehr so wich­tig, mit wem man unter­wegs war.»

Während des Pilgerns werde das Klei­ne gross, sagt Nadia Macia­ri­el­lo. Und Tosca Wetzel fügt an: «Defi­ni­tiv. Ausser­dem sind alle Sinne geschärft.» Als Beispie­le nennt sie das Farben­spiel in den Kirchen oder all jene Ortschaf­ten entlang der Route, die man sonst kaum besu­chen würde, in denen es aber viele Beson­der­hei­ten zu entde­cken gebe. Für beide ist klar: Wandern und Pilgern unter­schei­det sich vor allem durch das Spiri­tu­el­le, das ein wesent­li­cher Bestand­teil vom Pilgern sei. Beim Bistums­pil­gern sind es etwa der besinn­li­che Einstieg in den Tag und der Abschied am Tages­en­de sowie eine Stun­de täglich, in der die gesam­te Grup­pe schwei­gend pilgert.

«Ohne Erwar­tun­gen sein und sich über­ra­schen lassen, das ist es, was Losge­hen und ­unter­wegs sein ausmacht.»

Die beiden Mitte 40-Jährigen sind sich einig, dass sie sich auch in Zukunft gerne im Pilgern versu­chen möch­ten, dann aber viel­leicht in einer klei­ne­ren Grup­pe und auf einem länge­ren Wegstück. Im Wandern hinge­gen sind sie erfah­ren. Ob mit ihren Fami­li­en, als Lehre­rin­nen in der St. Galler Primar­schu­le Bopparts­hof oder früher mit Jungwacht-Blauring: «Es ist etwas, das wir immer gerne und regel­mäs­sig gemacht haben» sagen sie.

Gast­freund­schaft überrascht

Mit Wander­stö­cken, gutem Schuh­werk und vor allem mit einem mit Verpfle­gung gefüll­ten Ruck­sack haben sich Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo daher auch auf die Bistums­pil­ger­rei­se bege­ben. Zwar wuss­ten sie, dass das Bistums­pil­gern durch die 33 Seel­sor­ge­ein­hei­ten führt. Nicht erwar­tet hätten sie aber die Gast­freund­schaft, Freu­de und das Glocken­ge­läut, mit denen sie dort jeweils empfan­gen worden seien. «Zum Teil gab es Musik und Gesang oder einen klei­nen Imbiss wie etwa eine Suppe vom Feuer», sagt Tosca Wetzel. Und Nadia Macia­ri­el­lo fügt an: «Ohne Erwar­tun­gen sein und sich einfach über­ra­schen lassen, das ist es, was Losge­hen und unter­wegs sein für mich ausmacht.» (nar)

Für Tosca Wetzel und Nadia Macia­ri­el­lo unter­schei­den sich Wandern und Pilgern durch das Spiri­tu­el­le. (Bild: Ana Kontoulis)

Info: Das Bistum pilgernd kennenlernen

Spiral­för­mig geht es derzeit in 17,5 Tagen durchs Bistum St. Gallen: So viele Tage braucht es, um alle 33 Seel­sor­ge­ein­hei­ten pilgernd zu durch­que­ren oder zu strei­fen. Anlass dafür ist das 175-Jahr-Jubiläum des Bistums. Über 200 Perso­nen waren es, die beim Start der Akti­on Mitte März von St. Gallen über Heris­au nach Magden­au pilger­ten. Im April ging es unter ande­rem von Watt­wil nach St. Gallen­kap­pel. Von Juni bis Septem­ber stehen weite­re Etap­pen wie etwa von Buchs nach Salez oder von Spei­cher nach Rehe­to­bel an. Inter­es­sier­te können sich für eine oder gleich mehre­re Routen anmel­den. «Die Idee des Bistums­pil­gerns ist, dass man auf Etap­pen in jenen Gegen­den mitpil­gert, die man nicht gut kennt oder die man neu entde­cken möch­te», sagt Ines Scha­ber­ger, Geschäfts­füh­re­rin des Bistums­ju­bi­lä­ums. «Auf diese Weise können wir unse­re eige­ne Heimat neu kennen­ler­nen und im schein­bar Unschein­ba­ren das Beson­de­re entdecken.» 

Dass diese Idee gut ankommt, zeigen die Rück­mel­dun­gen: Den Teil­neh­men­den gefal­le, dass nicht die gros­sen Pilger­stät­ten Ziel der Reise sind, sondern ganz norma­le Orte zu Pilger­stät­ten werden. «Ausser­dem ist es ein schö­ner Prozess, gemein­sam mit verschie­dens­ten Menschen unter­wegs zu sein», sagt sie. Der Alters­un­ter­schied zwischen der jüngs­ten und der ältes­ten Person habe zuletzt 75 Jahre betra­gen. Auch hat sich das Bistums­pil­gern laut Ines Scha­ber­ger beina­he schon zu einer Degus­ta­ti­ons­tour entwi­ckelt. Viele Seel­sor­ge­ein­hei­ten erwar­te­ten die Pilge­rin­nen und Pilger mit Suppen, Kuchen und Kaffee. «Es gibt also genug Möglich­kei­ten, neue Bekannt­schaf­ten zu schlies­sen», sagt sie. Aber abge­se­hen davon ermög­li­che das Bistums­pil­gern vor allem schö­ne Erfah­run­gen in der Natur – ein Ort, an dem Gottes Schön­heit sicht­bar werde. (nar)

→ Infos und Anmel­dung Bistums­pil­gern: www.bistum-stgallen.ch/175jahre/pilgern

Einfach mal den Tierspuren folgen

Ohne Ziel herum­strei­fen, die Rich­tung würfeln oder Tier­spu­ren folgen? Stefan Paulus, ­Profes­sor an der Ostschwei­zer Fach­hoch­schu­le Ost, erzählt, welche Chan­cen im ziel­lo­sen ­Unter­wegs­sein stecken und wie sie das Leben erweitern.

«Was kommt als nächs­tes? Was erwar­tet mich hinter dem Zaun – ein Hund, eine Kuh? Ziel­los unter­wegs zu sein ist so etwas wie Unter­wegs­sein in freu­di­ger Erwar­tung», beschreibt Stefan Paulus im Zoom-Gespräch mit dem Pfar­rei­fo­rum sein Hobby. Der Sozi­al­wis­sen­schaft­ler aus Hamburg lebt seit acht Jahren im Appen­zel­ler­land und ist Profes­sor an der Fach­hoch­schu­le Ost. Momen­tan verbringt er einen Forschungs­auf­ent­halt in den USA, kurz vor dem Zoom-­Gespräch hat er eine länge­re Radtour been­det. Bei dieser Tour hat er wie in seiner Frei­zeit zuhau­se im Appen­zel­ler­land das «Drif­ten» prak­ti­ziert oder auf Deutsch: das Herum­strei­fen. «Die Idee dahin­ter stammt aus den 1960er-Jahren», erklärt Stefan Paulus, «Die Situa­tio­nis­ti­sche Inter­na­tio­na­le, eine linke Grup­pe euro­päi­scher Künst­ler und Intel­lek­tu­el­ler, woll­te damit einen Gegen­pol zu einem streng regle­men­tier­ten Alltag setzen.»

Dank Tier­spu­ren neuen Ort entdeckt

Der Alltag ist durch­ge­tak­tet, man bewegt sich nur ziel­ori­en­tiert: von zuhau­se zur Arbeit, in den Super­markt, in die Kirche … «Dabei bewegt man sich immer auf den glei­chen Wegen. Es ist ein funk­tio­nel­les, ein zweck­vol­les Unter­wegs­sein. Die Zeit für die Musse fehlt.» Wer hinge­gen mal ziel­los herum­strei­fe, erle­be ein Aben­teu­er und habe die Chan­ce, Neues zu entde­cken. Stefan Paulus erin­nert sich an einen Besuch in einem Dorf im Saar­land, in dem er aufge­wach­sen ist: «Ich bin spon­tan Tier­spu­ren gefolgt, sie haben mich in den Wald geführt. Dank ihnen bin ich an einem Ort gelan­det, den ich noch gar nicht gekannt habe. Das ziel­lo­se Unter­wegs­sein ermög­licht auch Zufalls­be­geg­nun­gen – man kommt mit unbe­kann­ten Menschen in Kontakt.»

Stefan Paulus nahm sich auch während seiner Velo-Tour durch die USA Zeit zum Herumstreifen.

Die Rich­tung würfeln

Ganz ohne «Goog­le Map» und Karte unter­wegs sein – und das gera­de in einer unbe­kann­ten Stadt oder Gegend? Da braucht es schon ein biss­chen Mut und Lust auf Aben­teu­er. Stefan Paulus umschreibt das Drif­ten als ein «Bei Seite treten». Es ermög­li­che das Ausbre­chen aus dem Hams­ter­rad des Alltags. «Du kommst dabei auf ande­re Gedan­ken.» Dabei könne man abschal­ten. Gleich­zei­tig sei es möglich, sich selber ganz neu und unab­hän­gig von den übli­chen Rollen die man ausübe zu erle­ben. Viel­leicht steckt in der Tech­nik des Drif­tens sogar eine subver­si­ve Kraft: «Es geht ja dabei auch um die Frage von Raum, Terri­to­ri­en und Gren­zen. Wer herum­streift, setzt sich auch mal über Gren­zen hinweg.»

Karten­spiel als Hilfe

Doch wie funk­tio­niert dieses Drif­ten jetzt genau? «Sich wirk­lich ohne konkre­tes Ziel auf den Weg zu machen, ist beim ersten Mal gar nicht so leicht», weiss Stefan Paulus. «Zuerst muss man sich der Heraus­for­de­rung stel­len, ziel­los zu werden. Es gibt verschie­de­ne Tech­ni­ken, die einem helfen. Man kann zum Beispiel würfeln: Der Würfel entschei­det, in welche Rich­tung man wandert oder auf welche Weise man unter­wegs ist – zu Fuss, schwim­mend oder mit öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln. Man kann sich auch von Gefüh­len leiten lassen oder man folgt Geräu­schen.» Inspi­ra­tio­nen können auch Bücher liefern wie das legen­dä­re «On the Road» von Jack Kerouac. Stefan Paulus setzt bei seinen Ausflü­gen ohne Ziel auch gerne das Karten­spiel ein, das er selber entwi­ckelt hat. Um auch ande­re Menschen für das Drif­ten zu moti­vie­ren, stellt er dieses Karten­spiel zum Down­load zur Verfü­gung: www.pfarreiforum.ch/driften. Drif­ten funk­tio­niert laut Stefan Paulus sowohl in einer Stadt als auch auf dem Land: «Viel­leicht ist auf dem Land die Chan­ce grös­ser, dass man mit ande­ren Menschen in Kontakt kommt und sie offen für Gesprä­che sind.» In den USA habe er gera­de das ande­re Extrem erlebt: «So viele sind nur mit ihren Autos unter­wegs, sie verschan­zen sich in ­ihren SUVs. Begeg­nun­gen sind da nicht mehr möglich.»

Für einmal nicht den Wegwei­sern, sondern Tier­spu­ren folgen.

Ein ange­neh­mer Gegenentwurf

Ziel­los unter­wegs sein – ein inspi­rie­ren­der Gegen­trend in einer Gesell­schaft, in der alles durch­ge­tak­tet, opti­miert und auf Effi­zi­enz getrimmt ist. «Ich habe mich verlau­fen», singt ein Kind im gleich­na­mi­gen Lied des deut­schen Kinder­lie­der­ma­chers Rolf Zuckow­ski in den 1990er-Jahren – und hört sich ziem­lich verun­si­chert an. Aber in der zwei­ten Stro­phe erin­nert es sich, was ihm seine Mutter beigebracht hat: Sich verlau­fen ist nicht schlimm – man kann ja jeder­zeit jeman­den nach dem Weg fragen. Wann nehmen Sie sich das nächs­te Mal Zeit zum Flanieren?

Down­load Karten­spiel von Stefan Paulus

Text: Stephan Sigg

Bilder: zVg. / istock­photo.com/Marina Demidiuk

23. 05.2022

Urs Stieger

Ein Nachmittag im Paradies

Von welchem Para­dies träu­me ich? Und wo liegt es? Die Garten-Ausstellung «Das Para­dies ­findet statt» in Berneck lädt zum Träu­men und Philo­so­phie­ren ein. Kura­tor Urs Stie­ger zeigt dem Pfar­rei­fo­rum bei einem ­Rund­gang seine Highlights.

Die Linde in Berneck soll 150 Jahre alt sein.

Als Urs Stie­ger in der Paradies-Schaukel unter der 150-jährigen Linde mitten in Berneck Platz nimmt, nähern sich eini­ge Jugend­li­che und stau­nen: «Darf man sich hier einfach rein­set­zen?» Urs Stie­ger nickt und gibt ihnen sogleich den Platz frei. Die Schau­kel ist Teil der Instal­la­ti­on «Im drit­ten Himmel» der Vorarl­ber­ger Künst­le­rin­nen Uta Beli­na Waeger und Maria Jansa. Urs Stie­ger spaziert mit dem Pfar­rei­fo­rum durch Berneck. Die Garten-Ausstellung «Das Para­dies findet statt» des Kultur­fo­rums Berneck lädt die Besu­che­rin­nen und Besu­cher zur akti­ven Teil­nah­me ein: Beim Projekt der Vorarl­ber­ger Künst­le­rin­nen geht es barfuss über Baum­woll­beu­tel, ehe man in der Schau­kel entspan­nen und träu­men kann. Das OePlan-Team aus Altstät­ten beschäf­tigt sich mit dem verlo­re­nen Para­dies. In seinem Garten «Lost Para­di­se» warten verschie­de­ne Türen.

Wo ist das Paradies?

Manche Türen lassen sich öffnen, manche sind zuge­sperrt. Der Besu­cher wird über­rascht und sensi­bi­li­siert, ganz genau hinzu­se­hen und zum Beispiel den Himmel mal aus einer ganz ande­ren Perspek­ti­ve zu betrach­ten. Doch wo liegt jetzt das Para­dies? Hinter einer Tür wird man aufge­for­dert, die Antwort an die Wand zu krit­zeln. Eini­ge Besu­che­rin­nen und Besu­cher haben das schon getan: «Über­all, wo ich mich wohl­füh­le», «zuhau­se» oder «nach einer Wande­rung im Berg­see baden».

Ein schüt­zen­der Zaun

«Das Para­dies findet statt» verbin­det Kunst, Natur und Land­schafts­ar­chi­tek­tur. Für den Berne­cker Musi­ker und Gärt­ner Urs Stie­ger und seine Frau sind Gärten seit über dreis­sig Jahren ein Sehn­suchts­ort. Beim Rund­gang wird schnell deut­lich, welches Projekt Urs Stie­ger persön­lich am meis­ten berührt: «Himmel­Höll» – zu finden direkt neben dem evangelisch-reformierten Pfarr­amt – von Isabel Rohner aus Reute. Ihr Para­dies wird von einem markan­ten Zaun umge­ben. «Dieser Zaun erin­nert mich an meine Kind­heit, bei uns zuhau­se wurden in Heim­ar­beit solche Zaun­lat­ten herge­stellt», erin­nert sich Urs Stie­ger. Für ihn komme mit der Instal­la­ti­on aber auch zum Ausdruck, dass das Para­dies geschützt werden muss. «Es geht um den Gegen­satz zwischen dem Leisen und Unschein­ba­ren und dem Lauten und Gros­sen, von dem man sich zu oft blen­den lässt.»

Wo lauert die Versuchung?

Zur Ausein­an­der­set­zung mit dem Para­dies gehört auch die Versu­chung: Bei Adam und Eva waren es der Apfel und die Schlan­ge als Verfüh­re­rin – mit welchen Versu­chun­gen werden wir heute konfron­tiert? Und mit welcher Stra­te­gie wollen uns Verfüh­re­rin­nen und Verfüh­rer auf ihre Seite ziehen? Ein Team rund um den Stein­bild­hau­er­meis­ter Hubert D. Müller aus Ober­riet hat sich mit der bibli­schen Schöp­fungs­ge­schich­te beschäf­tigt. Sie sind über­zeugt: Die Erzäh­lung von Adam und Eva zeigt die Gren­zen und Konse­quen­zen von mensch­li­chem Handeln auf – und ist aktu­el­ler denn je.

Die acht Kunst­gär­ten machen nicht nur die Paradies-Erzählungen aus der Bibel, sondern auch aus ande­ren heili­gen Schrif­ten mit allen Sinnen erfahr­bar. «Das Para­dies findet statt» ist inter­re­li­gi­ös ange­legt. Wie Urs Stie­ger beim Rund­gang erzählt, hätten sie das nicht so geplant, es habe sich von selbst erge­ben. Beim Spazier­gang durch die Gärten wird einem bewusst, wie aktu­ell die Botschaft und Sehn­süch­te in diesen Schrif­ten sind. Eines kommt in mehre­ren Gärten zum Ausdruck: Auch in einer säku­la­ri­sier­ten Welt ist die Sehn­sucht nach dem Para­dies gross.

16. Mai 2022

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Bis 26. Juni geöffnet

Die Kunst­gär­ten sind mitten in Berneck zu finden und können alle in einem Spazier­gang besucht werden. Das Projekt läuft noch bis 26. Juni. Zahl­rei­che Begleit­ver­an­stal­tun­gen geben Einbli­cke in die Paradies-Vorstellungen.

→ www.dasparadiesfindetstatt.ch

Das Paradies findet statt in Berneck
Das Paradies findet statt in Berneck

Weshalb ­werden die Schweizer­gardisten am 6. Mai vereidigt?

Die päpst­li­che Schwei­zer­gar­de kann auf eine über ­500-jährige Vergan­gen­heit zurück­bli­cken. Seit 1506 ist sie für den Schutz des Paps­tes und seiner Resi­denz verant­wort­lich. Das ist eine ehren­vol­le und eine unspek­ta­ku­lä­re Aufga­be – abge­se­hen von der impo­san­ten Kulis­se, den Heer­scha­ren von Touris­ten und Pilgern sowie den ­namhaf­ten Persön­lich­kei­ten aus aller Welt, die beim ­Heili­gen Vater zu Gast sind.

Im Jahr 1527 war alles anders. Nach­dem deut­sche, spani­sche und italie­ni­sche Söld­ner von Kaiser Karl V. in Nord­ita­li­en die Verbün­de­ten des Paps­tes geschla­gen hatten, zogen sie gegen Süden. Ausblei­ben­de Sold­zah­lun­gen und unge­nü­gen­de Nahrungs­mit­tel­ver­sor­gung mach­ten die Trup­pen zügel­los, die Stadt Rom bot ihnen Aussicht auf fette Beute.

Der «Sacco di Roma»

Komplett versam­mel­ten sich die 189 Schwei­zer­gar­dis­ten am Morgen des 6. Mai 1527 zur Vertei­di­gung. Trotz aussichts­lo­ser Lage leis­te­ten sie erbit­ter­ten Wider­stand. 42 Gardis­ten gelang es, den Papst über einen gehei­men Mauer­gang in die Engels­burg zu retten. 147 Schwei­zer­gar­dis­ten haben an jenem Tag ihren Treue­eid auf den Papst mit dem Leben bezahlt. Zu ihren Ehren findet noch heute die jähr­li­che Verei­di­gung der neuen Rekru­ten am 6. Mai statt.

Der Höhe­punkt in meinem Gardeleben

Am Morgen des 6. Mai 2008 ertö­nen Trom­mel­wir­bel vor der Zimmer­tür. Auf die Heili­ge Messe im Peters­dom folgt die Kranz­nie­der­le­gung im Ehren­hof. Nach dem Mittag stehen letz­te Vorbe­rei­tun­gen und das Anzie­hen der «Gran-Gala-Uniform» mit Brust­pan­zer und Helm an. Schlag 17 Uhr marschie­re ich im Verei­di­gungs­pikett in den Dama­sus­hof, wo die Verei­di­gung statt­fin­det. Die Eides­for­mel selbst wird vom Kaplan verle­sen und feier­lich ­ertö­nen jene Worte, die unwei­ger­lich an die Ereig­nis­se vor bald 500 Jahren erin­nern: «… ­bereit, wenn es erheischt sein soll­te, für ihren Schutz selbst mein Leben hinzugeben.»

Geleb­te Tradi­ti­on und ein faszi­nie­ren­der Dienst

Die Verei­di­gung erfüll­te mich damals und noch heute mit Stolz. Doch ist dieser Stolz nicht einfach im «Sacco di Roma» begrün­det. Denn seit­her hat die Schwei­zer­gar­de während bald 500 Jahren ihren Auftrag befolgt, ohne dass Krieg und Brand­schat­zung droh­ten. Und ich hatte, als ich an der Fahne die drei Schwur­fin­ger empor­hob, nicht Kampf und Helden­tod vor Augen, sondern den loya­len Dienst für Papst und Kirche heute. Dessen Faszi­na­ti­on geht von der geleb­ten Tradi­ti­on aus und vom alltäg­li­chen Dienst inmit­ten einer impo­san­ten Kulis­se, im Kontakt mit Heer­scha­ren von Touris­ten und Pilgern sowie im Empfang von namhaf­ten Persön­lich­kei­ten aus aller Welt.

01. Mai 2022

Text: Clemens Fäss­ler, Schwei­zer­gar­dist 2007–2010

Foto: wiki­me­dia

Spontan im Chor mitsingen: Bistumschor

Chor­sin­gen sei der perfek­te Ausgleich zum kopf­las­ti­gen Alltag, sagt Primar­leh­re­rin Elisa­beth Gloor aus Au. Daher hat sich die 60-Jährige auch spon­tan als Sänge­rin für den neuen Bist­umschor ange­mel­det. Dieser probt und tritt projekt­wei­se auf, etwa am 175-Jahr-­Jubiläum des Bistums St. Gallen.

Wer mit Elisa­beth Gloor übers Chor­sin­gen spricht, hört rasch heraus, was hinter ihrer Leiden­schaft steckt. «Beim Chor­sin­gen entsteht ein star­kes Wir-Gefühl. Ausser­dem tut Singen der Seele gut und ist ein Ausgleich zum kopf­las­ti­gen Alltag», sagt sie. An der Primar­schu­le Au-Heerbrugg vergeht kaum ein Tag, an dem die Primar­leh­re­rin nicht mit ihrer Klas­se singt und musi­ziert. Chor­ge­sang sozia­li­sie­re, sagt die 60-Jährige. Kinder würden dabei beispiels­wei­se lernen, gemein­sam auf eine Auffüh­rung hinzuarbeiten.

Freu­de und Idealismus

Letz­te­res ist es auch, was Elisa­beth Gloor am neuen Bist­umschor gefällt. Anfangs Jahr las sie in einem Inse­rat, dass der Bist­umschor projekt­wei­se probt. Dafür sucht der Chor unter ande­rem für Pries­ter­wei­hen und gros­se Litur­gien in der Kathe­dra­le St. Gallen sowie den Fest­got­tes­dienst zum 175-Jahr-Jubiläum des Bistums im Septem­ber Sänge­rin­nen und Sänger. Diese verpflich­ten sich für drei Proben sowie einen Auftritt. Wer möch­te, kann aber auch bei mehre­ren Projek­ten mitma­chen. Auch aktu­ell wird nach rund hundert Sänge­rin­nen und Sängern gesucht. Inter­es­sier­te können sich über die Websei­te dommusik.ch/bistumschor anmel­den. «Das Konzept finde ich geni­al. So können alle bei etwas Gros­sem mitma­chen ohne sich lang­fris­tig binden zu müssen», sagt Elisa­beth Gloor, die sich selbst gleich für drei Projek­te ange­mel­det hat. «Mich begeis­tert, wie Freu­de und Idea­lis­mus die verschie­de­nen Sänge­rin­nen und Sänger eint», sagt sie. «Ausser­dem ist es ein super Erleb­nis, als Laie mit Profi­mu­si­kern wie dem Chor­lei­ter oder dem Orga­nis­ten zusam­men­ar­bei­ten zu können.»

Singend in Haus­ar­beit eingebunden

Nebst ihrem Enga­ge­ment im Bist­umschor singt Elisa­beth Gloor seit zehn Jahren im Kirchen­chor Au. Es ist für sie eine Möglich­keit, der Allge­mein­heit etwas zurück­ge­ben zu können. «Heute haben ja viele Kirchen­chö­re Mühe, neue Mitglie­der zu finden. So kann ich etwas gegen diese Entwick­lung und gleich­zei­tig für meine Leiden­schaft tun», sagt sie. Die Liebe zum Singen führt zurück bis in Elisa­beth Gloors Kind­heit. Egal welche Haus­ar­bei­ten anstan­den, ihre Mutter verband das stets mit dem Singen zwei­stim­mi­ger Lieder. Meist über­nahm Elisa­beth Gloor die erste Stim­me. Später sang sie unter ande­rem im Chor des dama­li­gen Lehrer­se­mi­nars in Heer­brugg sowie in einem Frau­en­chor. «Mit dem Chor des Lehrer­se­mi­nars wurden wir sogar ans Bundes­sin­gen in Öster­reich einge­la­den», sagt sie. «Wir waren zwar weit­ab der schlech­tes­te Chor. Aber der Funke war gesprun­gen. Bis heute bin ich faszi­niert von diesem gewal­ti­gen Gefühl des Mitein­an­ders beim Singen.»

→ Infos und Anmel­dung auf www.dommusik.ch/bistumschor

28. April 2022

Text: Nina Rudnicki

Bild: Ana Kontoulis

Die neu gewählte Präsidentin des Vereins Pfarrblatt im Bistum St.Gallen, Pascale Baer-Baldauf, und die zurückgetretene Barbara Hächler (v.l.n.r.)

Präsidiumswechsel beim Verein des Pfarrblatts im Bistum St.Gallen

Die 45-jährige Pasca­le Baer-Baldauf aus Rorschach steht neu dem Verein des Diöze­sa­nen Pfarr­blatts im Bistum St.Gallen vor. Sie folgt auf Barba­ra Häch­ler. Gedruckt wird der Mantel­teil des Pfar­rei­fo­rums, wie das Pfarr­blatt heisst, ab Sommer im Sarganserland.

Ein Auszäh­len war nicht nötig: Die anwe­sen­den Mitglie­der des Vereins Pfarr­blatt im Bistum St.Gallen wähl­ten am Donners­tag­abend Pasca­le Baer-Baldauf einstim­mig zur neuen Präsi­den­tin. Die Profes­so­rin für Wirt­schafts­in­for­ma­tik an der Fach­hoch­schu­le OST St.Gallen bezeich­net sich selbst als aufge­schlos­se­ne Katho­li­kin, die eine moder­ne Kirche unter­stützt. An der letzt­jäh­ri­gen Herbst­ses­si­on des Katho­li­schen Kolle­gi­ums (Parla­ment) ist sie in den Admi­nis­tra­ti­ons­rat (Exeku­ti­ve) des Katho­li­schen Konfes­si­ons­teils des Kantons St.Gallen gewählt worden, wo sie das Ressort «Kultur und Medi­en» inne­hat. Zuvor war dieses in den Händen der Admi­nis­tra­ti­ons­rä­tin Barba­ra Häch­ler. Per 1. Janu­ar 2022 verant­wor­tet sie neu das Ressort flade und ist in der Folge davon jetzt auch als Präsi­den­tin des Vereins Pfarr­blatt im Bistum St.Gallen zurück­ge­tre­ten. Admi­nis­tra­ti­ons­rat Frido­lin Eber­le würdig­te an der Haupt­ver­samm­lung ihr gros­ses Enga­ge­ment und Herz­blut, das sie in den vergan­ge­nen zwei Jahren für diesen Verein aufge­bracht habe. Und mit einem Augen­zwin­kern fügte er an: «Wenn du mit dem glei­chen Enga­ge­ment und Feuer die flade führst, wird die städ­ti­sche Ober­stu­fe demnächst in die flade integriert.»

Das Pfar­rei­fo­rum, wie das Pfarr­blatt heisst, wird zwölf Mal im Jahr in einer Aufla­ge von rund 120’000 Exem­pla­ren an die Pfar­rei­an­ge­hö­ri­gen verteilt. Der Verein Pfarr­blatt im Bistum St.Gallen verant­wor­tet die Heraus­ga­be des Mantel­teils. Der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil unter­stützt die Publi­ka­ti­on mit einem jähr­li­chen Beitrag von 150’000 Fran­ken. Den gröss­ten Ertrag machen die Abon­ne­men­te aus. Die Rech­nung 2021 des Vereins schloss bei einem Aufwand von knapp 628’000 Fran­ken mit einem Gewinn von rund 84’000 Fran­ken. Dieser wird in die Reser­ve einge­legt. Coro­na hat eini­ge Projek­te verun­mög­licht, was die Abwei­chung erklärt. Das Budget 2022 ist bei durch­aus vergleich­ba­rem Aufwand ausgeglichen.

Druck neu im Sarganserland

Gedruckt wird der Mantel­teil des Pfar­rei­fo­rums ab Sommer bei der Sargan­ser­län­der Druck AG. Verlags­lei­ter Thomas Ambühl stell­te im Rahmen der Haupt­ver­samm­lung sein Unter­neh­men vor. Dabei thema­ti­sier­te er auch die aktu­el­len Heraus­for­de­run­gen bezüg­lich Papier­be­schaf­fung. Die Coro­na­pan­de­mie hat zur Folge, dass der für die Papier­her­stel­lung notwen­di­ge Rohstoff Holz auf dem Markt knapp gewor­den sei. Zudem befin­den sich etli­che der Papier­fa­bri­ken in Deutsch­land, die punk­to Gas und Strom von Russ­land abhän­gig seien und wegen des Ukraine-Konflikts zum Teil komplett still­ste­hen würden. Um trotz dieser Umstän­de den Druck des Pfar­rei­fo­rums zu sichern, hielt Thomas Ambühl fest, dass sein Unter­neh­men sogleich Papier bestellt habe, als die Zusa­ge für den Druck kam. «Dieses trifft nun vor dem Sommer ein.» Vola­til bleibt der Papier­preis, der auch kurz­fris­tig Ände­run­gen erfah­ren kann.

26.04.2022

Text + Bild: Roger Fuchs

Urs Fitze

«Geld verdienen ist nur bis zu einem gewissen Grad sinnvoll»

Der Rorscha­cher Jour­na­list Urs Fitze widmet sich Themen, die zu wenig Beach­tung finden: Unan­ge­neh­me Wahr­hei­ten über die finan­zi­el­le Ausbeu­tung von Menschen und Umwelt. Die Fakten sind teil­wei­se schwer zu ertra­gen – doch es gibt auch sozia­le Erfolgsgeschichten.

Für seine Repor­ta­gen und Buch­pro­jek­te reist Urs Fitze rund um den Globus. Als frei­er Jour­na­list und Autor befasst er sich nebst Umwelt­schutz­the­men vertieft mit der sozia­len Gerech­tig­keit in Bezug auf den Kapi­ta­lis­mus. Firmen, die sich ausschliess­lich an der Gewinn-Maximierung orien­tie­ren, steht Fitze genau so kritisch gegen­über wie gros­sen Finanz­in­sti­tu­tio­nen. Seiner Meinung nach sind klas­si­sche Kapi­tal­an­la­gen prak­tisch unkon­trol­lier­bar, auch wenn sie als ethi­sche Inves­ti­tio­nen ange­prie­sen werden. Er bezeich­net seine Haltung dies­be­züg­lich als radi­kal: «Geld zu verdie­nen, finde ich nur bis zu einem gewis­sen Grad okay. Ab einem bestimm­ten Punkt ist es nur noch frag­wür­dig. Ein Gewinn­über­schuss soll­te prin­zi­pi­ell in die Weiter­ent­wick­lung der eige­nen Firma, deren Mitar­bei­ter und in die Gesell­schaft inves­tiert werden». Auf die Frage nach seinen ethi­schen Grund­sät­zen seines priva­ten Port­fo­li­os erwi­dert er: «Ich habe keine nennens­wer­ten Kapi­tal­an­la­gen, mein Inter­es­se für ethi­sche Inves­ti­tio­nen ist haupt­säch­lich beruf­li­cher Natur.»

Sinn­vol­ler Geldkreislauf

Vor rund zehn Jahren ist das Buch «Genos­sen­schaf­ten: Gemein­sam erfolg­reich» entstan­den, das Fitze als Co-Autor schrieb. Es zeigt auf, dass sich die Genos­sen­schaft als Geschäfts­form an nach­hal­ti­gen Zielen orien­tiert und nicht auf kurz­fris­ti­ge Gewin­ne abzielt. In einem Kapi­tel porträ­tiert er die genos­sen­schaft­lich orga­ni­sier­te Insti­tu­ti­on Oiko­credit, eine Pionie­rin des ethi­schen Invest­ments. Sie wurde 1975 im Umfeld des Welt­kir­chen­rats gegrün­det. Fitze war von ihrer ursprüng­li­chen Geschäfts­idee beein­druckt: «Spen­den ist zwar schön, aber letzt­lich soll­te man mit diesem Geld einen Kreis­lauf zu Stan­de brin­gen». Die inter­na­tio­na­le Genos­sen­schaft Oiko­credit wurde in diesem Sinne in Holland gegrün­det. Sie vergab Kredi­te – primär in Dritt­welt­län­der – die zurück­be­zahlt werden muss­ten. Gleich­zei­tig ermög­licht Oiko­credit Privat­per­so­nen, ihr Geld in Form von Genos­sen­schafts­an­tei­len anzu­le­gen. «Ähnlich wie der Grund­ge­dan­ke der Raiff­ei­sen­ban­ken baute Oiko­credit eine Geld­in­fra­struk­tur für mittel­lo­se Bauern auf dem Land auf.» Später wurde Fitze von Oiko­credit ange­fragt, ob er sich im Vorstand von Oiko­credit Deutsch­schweiz enga­gie­ren würde. Da ihm die Orga­ni­sa­ti­on durch seine jour­na­lis­ti­sche Arbeit vertraut war, hat er sich dazu bereit erklärt und dieses Ehren­amt von 2012 bis 2019 ausgeübt.

Lang­le­bi­ge Unterstützung

Als Para­de­bei­spiel für nach­hal­ti­ges Enga­ge­ment von Oiko­credit nennt er eine Kaffee-Kooperative in Guate­ma­la. Der Verband mit über 1300 klein­bäu­er­li­chen Kaffee­be­trie­ben verbes­se­re die ­Lebens­be­din­gun­gen der loka­len Land­wir­te, die hoch­wer­ti­gen Bio-Kaffee verar­bei­ten und expor­tie­ren sowie Öko-Tourismus anbie­ten. Beson­ders sinn­voll ist seiner Meinung nach, dass Oiko­credit lang­fris­tig und nach­hal­tig inves­tiert und somit Unter­neh­men eine Zukunfts­per­spek­ti­ve über mehre­re Gene­ra­tio­nen ermög­licht. «Das bedeu­tet, dass die Unter­stüt­zung weiter­läuft, auch wenn es zu einem Miss­erfolg oder gar zum Konkurs kommt.» Fitze hat die Kaffee­bau­ern selbst zwei Mal vor Ort besucht. Solche Erfolgs­ge­schich­ten mitzu­er­le­ben seien erfül­len­de Momen­te. Er unter­malt dieses gute Gefühl mit folgen­dem Fazit: «Obwohl die welt­wei­te Inves­ti­ti­ons­sum­me* von Oiko­credit nur ein klei­ner Trop­fen auf den heis­sen Stein ist, kann ein einzel­ner Kredit für eine Fami­lie, ein Dorf oder gar eine ganze Regi­on eine neue Exis­tenz bedeuten.»

Urs Fitze
Das neue Buch von Urs Fitze und Martin Arnold erscheint Ende Mai.

Augen öffnen

In seinem neuen Buch «Entmensch­licht», das Ende Mai erscheint, beschrei­ben Urs Fitze und Martin Arnold die Skla­ve­rei des 21. Jahr­hun­derts. Es handelt von geraub­ter Würde und Ausbeu­tung von Arbeits­kräf­ten. Die Autoren zeigen auf, wie die moder­ne Skla­ve­rei unse­ren Alltag durch­dringt und in die globa­len Wert­schöp­fungs­ket­ten verstrickt ist. Geschätzt 40 Millio­nen Menschen, darun­ter meist Frau­en und Kinder, verdin­gen sich als Skla­vin­nen und Skla­ven. Fitze weiss, die Skla­ve­rei ist ein renta­bles Geschäft: «Sie verur­sacht unend­lich viel Leid und aus diesem Leid wird ein enor­mer Gewinn erzielt, der jegli­che Vorstel­lungs­kraft sprengt.»

* Anmer­kung Redak­ti­on: Die Entwick­lungs­fi­nan­zie­run­gen entspre­chen 875,8 Millio­nen Euro (Stand 30. Septem­ber 2021)

25. April 2022

Text: Katja Hongler

Bild: zVg.

Nachhaltige Geldanlage

Nachhaltigkeit im Sparschwein

Nach­hal­ti­ge Anla­gen boomen. Nur logisch, dass man auch beim Spar­kon­to für die eige­nen
Kinder, die Enkel­kin­der oder das Gottikind an ökolo­gi­sche, sozia­le und ethi­sche Aspek­te denkt. Doch in der Viel­falt der Ange­bo­te und Möglich­kei­ten können sich Eltern schnell verlieren.

Zu meinem ersten Spar­kon­to kam ich durch­ei­nen Ballon­wett­be­werb in meiner Kind­heit. Als in unse­rem Dorf der Mini­golf­platz neu eröff­ne­te, durf­ten wir Schul­kin­der einen Luft­bal­lon mit einem Namens­zet­tel daran flie­gen lassen. Eini­ge Tage später erhielt ich einen Anruf von den Orga­ni­sa­to­ren des Wett­be­werbs: Mein Ballon sei geflo­gen und geflo­gen, am dritt­wei­tes­ten von allen Ballo­nen. Zudem hätte ich das Glück gehabt, dass ein Finder den Zettel einge­schickt habe. Das Ganze brach­te mir den drit­ten Platz sowie ein Spar­kon­to mit 150 Fran­ken bei der örtli­chen Bank ein. Eini­ge Wochen später besass ich auch noch ein buntes, gros­ses Spar­schwein. Der passen­de Schlüs­sel war in der Bank an einer Schnur befes­tigt. Fort­an schloss ich dort alle paar Mona­te mein Spar­schwein auf und eifrig mein Erspar­tes ein.

Im Sparen Welt­meis­ter
Wenn ich über das Thema Sparen nach­den­ke, kommt mir oft dieses Kind­heits­er­leb­nis in den Sinn. Und ich frage mich, wie typisch schwei­ze­risch Sparen und Anle­gen sein mag. Bei einer Online­re­cher­che dazu führt mich eines der ersten Such­re­sul­ta­te auf die Home­page der Thur­gau­er Kanto­nal­bank. Dort heisst es, die Schweiz sei in der Diszi­plin Sparen Euro­pa­meis­te­rin. Im welt­wei­ten Vergleich seien nur noch die Chine­sin­nen und Chine­sen spar­sa­mer als wir Schwei­ze­rin­nen und Schwei­zer. Weite­re Zahlen finden sich in der aktu­el­len Haus­halts­bud­get­er­he­bung des Bundes­am­tes für Statis­tik aus dem Jahr 2019. So kann ein durch­schnitt­li­cher Schwei­zer Haus­halt pro Monat 1232 Fran­ken sparen. Aller­dings heisst es in der Studie auch, dass die Haus­hal­te der unters­ten Einkom­mens­klas­se (mit weni­ger als 4500 Fran­ken Brut­to­ein­kom­men pro Monat) keine Spar­bei­trä­ge zur Seite legen konn­ten, sondern im Gegen­teil sogar oft noch mehr Geld ausga­ben als einnah­men. Wie sehr das Thema Geld immer auch mit Unge­rech­tig­keit verbun­den ist, lässt sich im Alltag nicht ausblen­den. Man braucht nur eine Zeitung durch­zu­blät­tern und findet Berich­te, etwa darüber wie die Corona-Pandemie die Ungleich­heit verschärft hat.

In welche Welt investieren? 

Welche Welt wünschen wir uns und wie können wir Geld anle­gen, damit sie eine besse­re wird? Vor dieser Frage steht womög­lich, wer Gotte oder Götti, Eltern oder Gross­el­tern wird. Denn genau­so typisch schwei­ze­risch wie für sich selbst zu sparen und Geld anzu­le­gen ist es, für ein Kind finan­zi­ell vorzu­sor­gen. Doch wie lässt sich verhin­dern, dass das ange­leg­te Geld in die Waffen‑, Tabak- oder Ölin­dus­trie fliesst? Die Finanz­bran­che hat den Trend zur Nach­hal­tig­keit erkannt und bietet auf diese Fragen viele Antwor­ten. So sind nach­hal­ti­ge Anla­gen wie Akti­en, Obli­ga­tio­nen oder Fonds der am schnells­ten wach­sen­de Anlagenbereich.

Nach­hal­tig­keit oder Green­wa­shing
Gemäss dem Verband Swiss Sustainable Finan­ce, zu dem viele gros­se Finanz­dienst­leis­ter gehö­ren, hat sich das Volu­men nach­hal­ti­ger Anla­gen in der Schweiz seit 2015 mehr als verzehn­facht. Dabei ist der Klima­wan­del bei den nach­hal­ti­gen Anla­gen das domi­nie­ren­de Thema. Akti­vi­tä­ten in der Kohle­indus­trie sind etwa das häufigs­te Ausschluss­kri­te­ri­um bei dieser Art von Anla­ge. Zeit­gleich mit dieser Entwick­lung hat aber auch das Thema Green­wa­shing an Bedeu­tung gewon­nen. Dabei versu­chen Unter­neh­men, sich durch geschick­te Öffent­lich­keits­ar­beit nach­hal­ti­ger erschei­nen zu lassen, als sie es in Wirk­lich­keit sind.

Infor­ma­ti­ons­flut über­for­dert
So hat etwa die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on Green­peace Schweiz im vergan­ge­nen Jahr die Studie «Green­wa­shing am Finanz­platz Schweiz» veröf­fent­licht. Unter­sucht wurde, ob es als nach­hal­tig bezeich­ne­ten Anla­ge­fonds tatsäch­lich gelingt, mehr Kapi­tal in eine nach­hal­ti­ge und in eine klima­freund­li­che Wirt­schaft zu lenken als
konven­tio­nel­len Fonds. Das Resul­tat sei ernüch­ternd, schreibt Green­peace Schweiz. Viele der Produk­te seien weder nach­hal­ti­ger noch trügen sie zur Lösung der Klima­kri­se bei. Die Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­ti­on fordert daher, dass sich nach­hal­ti­ge Anla­ge­fonds mindes­tens an den Pari­ser Klima­zie­len und dem Ziel einer maxi­ma­len globa­len Erder­wär­mung von 1,5 Grad ausrich­ten dürfen. Sich als Laie einen Über­blick zu verschaf­fen, ist ange­sichts der zahl­rei­chen verschie­de­nen Ange­bo­te und der Infor­ma­ti­ons­flut eine Herausforderung.

Ökolo­gi­sche und sozia­le Projek­te fördern
Persön­lich führt mich die Suche nach einer sozi­al und ökolo­gisch vertret­ba­ren Möglich­keit, Geld für ein Kind anzu­le­gen, zu eini­gen Kunden­be­ra­te­rin­nen und ‑bera­tern verschie­de­ner Banken. Darun­ter sind auch alter­na­ti­ve Banken, die als Ziel nicht die Gewinn­ma­xi­mie­rung, sondern die Förde­rung von ökolo­gi­schen und sozia­len Projek­ten nennen. Noch bin ich nicht sicher, wie meine Entschei­dung ausfal­len und welches Produkt mich über­zeu­gen wird. Geld anzu­le­gen und damit für einen guten Start eines Kindes in die Voll­jäh­rig­keit zu sorgen, dazu fühle ich mich aber irgend­wie verpflichtet.

Alter­na­ti­ven zum Geld anle­gen
Dane­ben über­zeugt mich aber auch eine ande­re Idee immer mehr: Wieso nicht nebst einem Fonds­kon­to eine Paten­schaft für gefähr­de­te Nutz­tie­re etwa von Pro Specia Rara über­neh­men? Gemein­sam mit dem Kind kann man die Tiere teil­wei­se vor Ort besu­chen. Auch der Erhalt selte­ner Tiere und Pflan­zen ist eine Inves­ti­ti­on in die Zukunft der Kinder. Und zumin­dest im Moment macht das gemein­sa­me Zeit verbrin­gen glück­li­cher als das Stre­ben nach möglichst viel Geld. 

25. April 2022

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Benja­min Manser

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Urs Fitze

Dominik Michel-Loher

Synode-Umfrage: «Es gibt kein Zurück»

Was macht das Bistum St.Gallen mit den Ergeb­nis­sen der synoda­len Umfra­ge? Nach­ge­fragt bei Domi­nik Michel-Loher (39), dem neuen Leiter der Abtei­lung Pasto­ra­le ­Entwick­lung und Beratung.

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