Die Heilige Wiborada geht auf Tour: Die Rorschacherin Ruth Diethelm ist Mit-Organisatorin einer Wiborada-Ausstellung, die 2022 durch das Bistum St. Gallen tourt.
Warum ist sie von der St. Galler Heiligen so fasziniert?
«Die heilige Wiborada hat zu ihrer Zeit priesterlich gewirkt, sie konnte schreiben, Psalmen lesen und sie war eine wichtige Beraterin und Seelsorgerin der Mönche von St. Gallen und für die Bevölkerung», sagt Ruth Diethelm. Hauptattraktion der Ausstellung ist die Wiborada-Skulptur von Det Blumberg. Manche sind begeistert von ihr, andere empfinden sie eher düster in ihrem Ausdruck. Ruth Diethelm gefällt die Darstellung gut. Sie zeige auf, dass Wiborada, von 916 bis zu ihrem Tod 926 eingemauert in einer kleinen Klause bei der heutigen Kirche St. Mangen, ein Leben mit wenig Sonnenlicht und winterlicher Kälte ertragen habe. «Das muss diese Frau gezeichnet haben, das wollte der Künstler auch darstellen», vermutet Ruth Diethelm. Die Familienfrau, Mutter von vier erwachsenen Kindern und Teilzeitmitarbeiterin als diplomierte Pflegefachfrau in der Spitex war schon als Kind von den Heiligen fasziniert, ein Kaplan brachte sie auf ihre Spuren. Anlässlich des Gallusjubiläums 2012 wurden im Bistum Sonderjahre für Gallus, Otmar, Notker der Stammler und Wiborada ausgerufen. «Obwohl ich schon mein Leben lang in der Region St. Gallen lebte, habe ich Wiborada erst damals kennengelernt.»
Etwas Grosses hinterlassen
Am 2. Mai 2016, dem Wiborada-Tag, starteten Pilgerinnen und Pilger auf die Rom-Wallfahrt für eine «Kirche mit den Frauen». Auch Ruth Diethelm war eine Woche unterwegs. Die grosse Beteiligung an diesem Projekt bezeugte erneut, dass Wiborada dem Bistum etwas Grosses hinterlassen hat. Für Ruth Diethelm ist sie heute Fürsprecherin für die Sache der Frau in der Kirche. Sie ist grundsätzlich fasziniert, wenn Menschen von der Geschichte nicht vergessen werden. So hat Wiborada das Kloster St. Gallen vor dem Ungarn-Einfall gewarnt, sie flüchteten und retteten auch die wertvolle Bibliothek. Die Inklusin bezahlte den Überfall mit ihrem Leben. Ist das nicht etwas viel Heiligenkult, der nicht mehr viel mit dem jeweils gelebten Leben zu tun hat? «Es gibt viele Legenden, man stellt Heilige auf einen Sockel», gibt Ruth Diethelm zu. «Doch der Kern ihrer Botschaften berührt, der Glaube an Jesus Christus, sie sind einem Weg gefolgt, einer grossen Sehnsucht.»
Auch kirchenferne Menschen
Wiborada war eine Frau aus gutem Hause, ohne materielle Sorgen und pilgerte sogar mit ihrem Bruder nach Rom. Der Entschluss, sich einmauern zu lassen war ein radikaler Schnitt. Im Sommer 2021 lebten zehn Inklusinnen und Inklusen jeweils eine Woche in einer eigens aufgebauten Zelle bei St. Mangen. Ruth Diethelm verfolgte die Aktion interessiert mit. Die Rorschacherin war begeistert davon, wie viele, auch kirchenferne Menschen, am Fenster der Klause Gespräche suchten oder um einen Segen baten. «Unsere Seelsorgenden, alle, die in Pfarreien aktiv sind, müssten mehr heraus aus den Kirchengebäuden», sagt sie. «Den Inklusinnen und Inklusen auf Zeit ist es gelungen, auch in Kontakt mit Menschen zu kommen, die keinen Bezug zur Kirche haben.»
Frausein in der Kirche leben
In der Frauengruppe der Pfarrei Rorschach, in der Ruth Diethelm aktiv mitarbeitet, kam man auf die Idee einer Wiborada-Wanderausstellung. Im Gespräch mit Hildegard Aepli, Initiantin des Inklusinnen-Projektes, stellte sich heraus, dass diese dieselben Gedanken hatte. Seither ist Wiborada, die einstige Inklusin, auf Reisen. Die erste Station war Schänis, ab Februar geht es weiter nach Rorschach, Mörschwil und vermutlich Flawil. Ende 2022 ist die Stiftsbibliothek anlässlich einer speziellen Ausstellung das letzte Ziel. Wiborada soll nicht nur eine Stadtheilige bleiben, sie gehört zum Bistum, das stolz sein darf darauf, dass es vor vielen hundert Jahren eine Frau mit dieser aussergewöhnlichen Ausstrahlung gab. «Wiborada hat zu ihrer Zeit einen Weg gefunden, ihr Frausein in der Kirche zu leben. Ob es für Frauen von heute ein gutes Omen ist, dass die erste je von der Kirche kanonisch heiliggesprochene Frau aus dem Gebiet der heutigen Schweiz stammt?
Text: Sabine Rüthemann
Bild: Regina Kühne