Carmen ist berufstätige Mutter und setzt sich für herrenlose Tiere ein. Mehrmals wöchentlich geht sie mit den Listenhunden des Vereins Bullstaff Hilfe Schweiz spazieren. Es sind Hunde, die meist aus Beschlagnahmungen stammen und so eine zweite Chance erhalten.
Das erste Gesicht, das sie sehen, prägen sie sich immer ein», sagt Carmen. Die junge Frau, die nur beim Vornamen genannt werden möchte, steht am Ufer der Sitter zwischen St. Gallen und Engelburg. An der Leine ihr Schützling Kalamazoo. Der blaue American Staffordshire Terrier ist 2022 geboren und eine richtige Wasserratte, wie er auf dem Waldspaziergang zeigt. «Er muss noch viel lernen. Er ist noch ein Jungspund. Aber er macht das super», sagt Carmen. Sie nennt Kalamazoo mittlerweile beim Spitznamen Malou. Die Beziehung der beiden ist gut. Immer wieder orientiert sich der junge Rüde an seiner Begleiterin. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Carmen und Malou kennen sich erst seit wenigen Tagen. Malou lebt im Tierheim Sitterhöfli in Engelburg. Carmen, obwohl berufstätig und Mutter eines Kleinkindes, hat sich Malou angenommen. Und nicht nur ihm: Fast täglich opfert sie mehrere Stunden ihrer Freizeit und geht mit den Listenhunden aus dem Tierheim spazieren. In diesen Stunden schenkt sie ihnen Liebe und Zuneigung und lehrt ihnen, was sie für das Hundeleben wissen müssen. Manchmal fehlt die Hundeschulausbildung, manchmal stehen Gänge zum Tierarzt an. Immer können sich die Tiere auf Carmen verlassen. Sich für Tiere einsetzen, die es nicht so schön im Leben hatten, nennt sie es selber. «Den Tieren zu helfen, macht mich glücklich. Was immer ich machen kann, versuche ich zu machen. Und auch wenn es für das Gesamte nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist, kann es für das einzelne Tier das ganze Leben bedeuten.»
Hunden neue Chance geben
Carmen engagiert sich als Privatperson und als Mitglied der Bullstaff Hilfe Schweiz, die sich für die Vermittlung von Listenhunden einsetzt. Und Listenhunde wie Malou landen leider oft im Tierschutz oder in Tierheimen. «Es sind Massen an Hunden, die abgegeben werden. Zu viele. Wir können dieser Menge gar nicht gerecht werden», sagt die gebürtige Mörschwilerin. Das Problem: Listenhunde zählen zu den potenziell gefährlichen Hunden, deren Haltung in gewissen Kantonen verboten oder bewilligungspflichtig ist. Eine Vermittlung ist entsprechend noch schwieriger als bei «normalen» Hunden. Über die Vorgeschichte der Hunde erfährt Carmen aus Datenschutzgründen wenig – die meisten stammen aus Beschlagnahmungen. Es interessiert sie auch nicht. Wichtig ist ihr einzig, dass die Hunde eine neue Chance bei neuen Besitzern erhalten. Auch urteilen will sie nicht. Sie sagt nur so viel: «Es gibt Menschen, die die Tiere aus Liebe zum Tier abgeben. Und daneben gibt es wohl viele, die sich Tiere unüberlegt anschaffen und sich nicht bewusst sind, was es heisst, ein Tier zu halten.» Carmen hat schon Hunderte von Hunden betreut und hat auch zu Hause einen Hund aus dem Tierschutz. Sie weiss: Jedes Tier ist individuell und der Charakter anders. «Viele suchen sich die Hunde nur nach dem Aussehen aus, anstatt nach den Wesenzügen und Charakter. Das kann zu Problemen führen, denn die Genetik darf man nie ganz ausser Acht lassen.»
Tränen beim Abschied
Obwohl es für Malou bereits Interessenten gab, hat es mit einer Vermittlung bisher nicht funktioniert. Und auch wenn Carmen die gemeinsame Zeit schätzt, wünscht sie sich nichts mehr, als dass Malou endlich ein neues Zuhause findet. «Es ist das Schönste für mich, wenn die Tiere einen Besitzer finden, der sie mindestens genauso liebt wie ich.» Dass es bei Abschieden auch schon mal Tränen gegeben hat, verschweigt sie nicht. «Natürlich gewöhne ich mich an sie und es tut weh. Aber es ist die einzige Möglichkeit, die die Hunde noch haben.» Das Wort «unvermittelbar» will Carmen nicht in den Mund nehmen. Sie spricht lieber von schwierigen Fällen. «Dann ist es die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Aber es gibt für jedes Tier den passenden Besitzer.» Aufgewachsen ist Carmen in einer tierlieben Familie. «Bei uns hatten Menschen und Tiere denselben Wert. Ich glaube, das prägt einen», sagt die 30-Jährige. In Anbetracht der vielen Tierheim-Tiere würde sie sich wünschen, dass mehr Menschen sich engagieren. «Alle können etwas machen, wenn sie denn wollen.» Mitgliedschaft im Tierschutzverein, Patenschaften, Botengänge, Spaziergänge, Zeit für Streicheleinheiten – Möglichkeiten gäbe es viele, auch nicht-monetäre. «Wenn alle einen kleinen Beitrag leisten würden, hätten es die Tiere viel schöner.» Carmen schaut zu Malou hinunter. Seine Zunge hängt ihm aus dem Mund. Der Spaziergang und das Herumtollen haben ihren Tribut gefordert. Dann und wann dürfen Malou und die anderen Hunde auch bei Carmen auf Übernachtungsbesuch – raus aus der Tierheim-Umgebung, rein in ein Familienleben. Das Engagement von Carmen wird so schnell nicht enden. «Tiere sind mein Leben. Sie geben mir so viel und gehören für mich zur Familie.»
Text: Alessia Pagani
Bild: Ana Kontoulis
Veröffentlicht: 23.08.2024