«Präventive Strafen dürfen nicht sein»

Susan Boos

«Auge um Auge – Die Gren­zen des präven­ti­ven Stra­fens» heisst das neue Buch von Susan Boos. Was mit Brie­fen adres­siert an die St. Galler Jour­na­lis­tin begann, endet mit einer Reise durch die Straf­sys­te­me verschie­de­ner Länder. Wie hat das ihre Sicht verändert?

Susan Boos, Jour­na­lis­tin bei der Wochen­zei­tung WOZ in Zürich, taucht mit ihrem neus­ten Werk tief ein in das Schwei­zer Straf­recht mit dem beson­de­ren Blick auf verwahr­te Perso­nen. «Viele der Verwahr­ten aus den Nuller­jah­ren kommen nun in ein pfle­ge­be­dürf­ti­ges Alter. Es braucht Orte und Insti­tu­tio­nen für sie», gibt die 58-Jährige zu beden­ken. Die Schweiz habe kein sehr gutes Modell. Und dabei spricht Boos nicht nur von den älter werden­den wegge­sperr­ten Perso­nen, sondern auch von der Verwah­rung im Allge­mei­nen. «Verwahr­te Perso­nen haben ihre eigent­li­che Stra­fe irgend­wann einmal abge­ses­sen. Danach ergibt es eigent­lich keinen Sinn mehr, sie im norma­len Straf­voll­zug zu lassen.»

Stra­fe als Wegbegleiterin

Bereits in jungen Jahren wurde Boos mit dem Straf­ge­setz konfron­tiert. Nach einer ersten Stati­on am Lehrer­se­mi­nar in Rorschach stieg sie in den Jour­na­lis­mus ein. Dane­ben studier­te die damals gut 20-Jährige auch kurze Zeit Jura. «Die Debat­ten zur Straf­re­form, die die 68er-Bewegung ange­stos­sen hatte, waren immer noch präsent.» Als Susan Boos mit gut 40 Jahren die Redak­ti­ons­lei­tung bei der WOZ über­nahm, bekam sie etli­che Brie­fe von verwahr­ten Perso­nen aus dem Gefäng­nis. Es soll­ten noch­mals ein paar Jahre ins Land ziehen, bis sie 2015 mit ihrer Reise – wie Susan Boos ihr Buch­pro­jekt gerne selbst bezeich­net – star­te­te. «Ich woll­te mit Menschen spre­chen, die in der Proble­ma­tik drin sind», so Boos. Die Publi­zis­tin hat sich aus diesem Grund nicht nur mit Anwäl­ten und Exper­ten in Sachen Straf­recht getrof­fen, sondern auch Gesprä­che mit heute noch verwahr­ten Perso­nen – oder auch solchen, die es mal waren – und deren Familien-angehörigen geführt. Entstan­den ist eine eindrück­li­che Samm­lung von verschie­de­nen Geschich­ten und Ansichten.

Besuch von Schulklassen

Ihre Reise führ­te Susan Boos auch ins Ausland. So besuch­te sie unter­schied­li­che Orte und Statio­nen in den Nieder­lan­den und Deutsch­land, um heraus­zu­fin­den, wie dort mit verwahr­ten Perso­nen umge­gan­gen wird. Die Unter­schie­de könn­ten nicht grös­ser sein. Während es in Deutsch­land eige­ne Abtei­lun­gen für Verwahr­te gibt, setzt Holland auf eine Art «eige­nes Dorf». «Die Insas­sen heis­sen dort Bewoh­ner und können ihr Leben selbst­be­stimm­ter gestal­ten», erzählt Boos. Teil­wei­se kommen sogar Schul­klas­sen zu Besuch. «Das ist ein völlig ande­rer Umgang mit Leuten, die nur noch wegge­sperrt sind, weil sie als gefähr­lich gelten und die Öffent­lich­keit vor ihnen geschützt werden soll – und nicht, weil sie ihre Stra­fe zu verbüs­sen haben.» Im Vergleich: In der Schweiz blei­ben verwahr­te Perso­nen je nach­dem ein ganzes Leben im Straf­voll­zug. Das heisst so viel wie, es wird ihnen gesagt, wann sie aufste­hen und zu Bett gehen sollen, wie viele Tele­fo­na­te sie am Tag führen dürfen, wen sie als Besuch wöchent­lich empfan­gen dürfen und wann es was zu essen gibt.

Susan Boos
Das neue Buch von Susan Boos erscheint Mitte März 2022.

Es braucht eine Perspektive

Mit ihrem Buch möch­te die amtie­ren­de Präsi­den­tin des Schwei­zer Pres­se­ra­tes weder die Gefäng­nis­se noch die Stra­fen abschaf­fen. «Die Stra­fe braucht es für den gesell­schaft­li­chen Frie­den.» Aber dass Männer und Frau­en im Gefäng­nis zu besse­ren Menschen werden, glaubt Susan Boos schon lange nicht mehr. «Vor allem für junge Perso­nen – von 15 bis 25 Jahren – ist es enorm schwer, sich im Gefäng­nis zu sozia­li­sie­ren.» Diese möch­ten alle irgend­wann eine Fami­lie, ein Haus und ein Auto. Sie haben somit eine Perspek­ti­ve, eine Art Antriebs­kraft. Und diese braucht es aus Sicht der Autorin. «Präven­ti­ve Stra­fen dürfen nicht sein.»

Text: Nina Frau­en­fel­der­Bild: zVg.

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch