Die 34-jährige Sarganserländerin Luzia Tschirky berichtete für SRF über den Ukraine-Krieg. Kürzlich war sie in Teufen bei «Gespräche an der Kanzel» zu Gast. Im Interview erzählt sie, welche Rolle Glaube im Krieg spielt und wie Menschen Hoffnung bewahren können.
Luzia Tschirky, haben Sie als SRF-Kriegsreporterin in der Ukraine Momente erlebt, in denen Sie merkten, dass Hoffnung trotz allem überwiegen kann?
Ja. Vor einem Jahr traf ich beispielsweise Oleksandr Tschikmarjew aus der Stadt Butscha in der Ukraine persönlich zu einem Gespräch. Ich war auch bei der Exhumierung seiner Familienangehörigen im April 2022 vor Ort. Die Familie war beim Versuch, aus Butscha zu fliehen, unter Beschuss durch die russische Armee geraten. Oleksandr war während der Exhumierung nicht persönlich vor Ort, da er zu diesem Zeipunkt noch schwer verwundet im Spital lag. Er hat als einziger seiner Familie den Angriff überlebt. Seine Frau und seine beiden Söhne wurden durch die russischen Soldaten getötet. Trotz dieser schwer traumatisierenden Erfahrung ist Oleksandr in Butscha geblieben und hat die Hoffnung nicht aufgegeben, sich dort ein neues Leben aufzubauen. Er sagte, seine Familie hätte nicht gewollt, dass er verzweifelt und hoffnungslos sei.

Was gab ihm diese Stärke?
Ich denke, dass diese Widerstandsfähigkeit stark damit zusammenhängt, wie fest man in ein familiäres Umfeld eingebunden ist oder wie gross der Rückhalt durch einen Freundeskreis ist. Oleksandr Tschikmarjew konnte auf die Unterstützung seines Bruders und seiner Eltern zurückgreifen. Dadurch konnte er nach vorne schauen. Ist man einsam oder hochbetagt ohne Familienangehörige, ist es schwieriger, Hoffnung zu bewahren.
Wie haben Sie es persönlich geschafft, nicht den Mut zu verlieren?
Es ist zum einen eine kulturelle Eigenheit. Ich komme aus dem Sarganserland und typisch für uns Oberländerinnen und Oberländer ist die Sturheit. Das trifft auch auf mich zu. Ich möchte nicht resignieren, auch wenn um mich herum alles zerstörerisch ist. Denn dann hätten die anderen gewonnen. Für mich käme das einem Eingeständnis oder einer Kapitulation gleich. Zum anderen helfen mir meine Familie und mein Hund, die mir Rückhalt geben. Dann ist da noch mein Buch «Live aus der Ukraine», das ich über meine Kriegserfahrungen geschrieben habe. Dadurch habe ich einen Ort, an dem ich alles Erlebte platzieren kann.
Erlebten Sie Situationen, in denen die Angst dennoch überhandnahm?
Definitiv, wobei Angst zunächst einer der wichtigsten Schutzmechanismen ist. Angst zu haben, ist überlebenswichtig. Wenn man sie zu lange unterdrückt, verliert man das Gespür für gefährliche Situationen. Ist man in einem Kriegsgebiet, ist man permanent potenziell in Gefahr. Wird die Angst zu gross, hilft es, mit seinem Team darüber zu reden und seine Gefühle zu spiegeln. Mir hat das immer geholfen, denn auf diese Weise konnte ich einen Schritt von der Angst zurücktreten.
Welche Rolle spielt der Glaube im Krieg?
Ich erlebte, wie es ist, unter Artilleriebeschuss in einem Luftschutzbunker zu sitzen. Da fangen wirklich alle Menschen an zu beten. In diesen Momenten haben alle die Hoffnung auf eine höhere Gewalt. Andere Male haben wir gemeinsam ukrainische Unabhängigkeitslieder gesungen, was uns ebenfalls geholfen hat. Ich denke, der Glaube kann gerade auch in Situationen wie in Kriegsgefangenschaft helfen, denn das Innere gehört zum einzigen, was einem nicht genommen werden kann.
In Ihrem Podcast «Yak Ty – Wie geht es dir?» kommen Ukrainerinnen und Ukrainer zu Wort. Sind Ihnen auch kirchliche Mitarbeitende begegnet, die Sie beeindruckt haben?
Da gibt es ein paar Beispiele wie etwa die Nonnen aus der ukrainischen Stadt Lwiw. Sie betreiben eine Telefonhotline, die sich mit der hierzulande bekannten «Dargebotenen Hand» vergleichen lässt. Man kann dort anrufen oder bei den Nonnen vorbeigehen und bekommt psychologische Betreuung. Und dann gibt es den russischen Pfarrer, dessen Namen ich nicht nenne, der sich unter absoluter Lebensgefahr in Russland für ukrainische Flüchtlinge einsetzt.
Können Sie darauf etwas näher eingehen?
Dieser Pfarrer hat sich vor einigen Jahren von der russisch-orthodoxen Kirche getrennt und eine eigene Kirche gegründet. Momentan liegt der einzige Fluchtweg in der Ostukraine in Richtung Russland, weil dort keine Frontlinie verläuft. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer haben aber Angst, nach Russland zu gehen. Dieser Pfarrer hilft ihnen. Ich rechne jeden Tag damit, dass er in grosse Schwierigkeiten gerät. Die Repression in Russland ist nicht flächendeckend, wie es etwa in der DDR der Fall war. Vielmehr wird punktuell und an Einzelpersonen ein Exempel statuiert.
Was ist Ihre Motivation, auch nach Ihrer Rückkehr in die Schweiz über den Krieg in der Ukraine zu berichten?
Ich kann mich von diesem Thema nicht einfach zurückziehen. Solange dieser Krieg läuft, lasse ich die Betroffenen zu Wort kommen. Wie lange dieser Krieg noch dauert, ist übrigens eine der häufigsten Publikumsfragen, die ich gestellt bekomme. Die kann ich leider nicht beantworten.
Text: Nina Rudnicki
Bilder: zVg. / SRF
Veröffentlichung: 6. Mai 2025