Sr. Gloria spricht in Oberriet über ihre Entführung in Mali

Ordens­frau Gloria Ceci­lia Narváez wurde in Mali von Dschi­ha­dis­ten ­entführt und vier Jahre und acht Mona­te gefan­gen gehal­ten. Im Fran­zis­kus­heim in Ober­riet, wo sie vor ihrer Missi­on zwei Jahre gelebt hatte, sprach sie mit dem Pfar­rei­fo­rum über den Terror in der Sahara.

Sr. Gloria erzählt beim Tref­fen im Fran­zi­kus­heim in Ober­riet von ihren trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen in der Gefangenschaft.

Sr. Gloria, vor knapp einem Jahr wurden Sie befreit. Wie geht es Ihnen heute?

Sr. Gloria: Ich habe mich nach der Befrei­ung in meiner Heimat in Kolum­bi­en erholt. Ich bin Gott und allen, die für mich gebe­tet haben, unend­lich dank­bar, dass ich diese Zeit seelisch und körper­lich über­lebt habe. Ich bin auch dank­bar für ­diese Erfah­rung und möch­te mit meiner Geschich­te ande­re Menschen in Not ermutigen.

Wie muss man sich diese ­Gefan­gen­schaft vorstellen?

Sr. Gloria: Wir waren vier Frau­en, die von etwa 30 Terro­ris­ten in der Wüste Saha­ra gefan­gen gehal­ten wurden. Sie woll­ten uns mit Gewalt vom Chris­ten­tum zum Islam bekeh­ren. Zwei Chris­tin­nen (eine Fran­zö­sin, die für UNICEF arbei­te­te und eine Kana­die­rin) konver­tier­ten und wurden anschlies­send besser behan­delt. Die Schwei­ze­rin und ich haben immer gesagt, dass wir Chris­ten seien und blei­ben werden. Während der Gefan­gen­schaft muss­te ich die 75-jährige Fran­zö­sin betreu­en. Morgens habe ich jeweils gebe­tet und Tee gekocht. Ich bekam ein biss­chen Mehl, damit ich für uns einen Teig zube­rei­ten konn­te. Mittags gab es ein wenig Reis oder Pasta, danach nichts mehr. Wir beka­men täglich einen klei­nen Behäl­ter mit Wasser zum Trin­ken und Kochen. Wenn ein biss­chen übrig blieb, konn­ten wir uns damit waschen. Wir haben immer in der frei­en Natur über­nach­tet. Umge­ben von Schlan­gen, Spin­nen und ande­ren Wild­tie­ren. Ich war jeden Morgen dank­bar, dass ich noch lebte. Die Kana­die­rin und die Fran­zö­sin wurde nach drei Jahren frei­ge­las­sen, muss­ten sich aller­dings verpflich­ten, in Mali einen Mann zu heira­ten und wohn­haft zu blei­ben. Die Schwei­ze­rin wurde umgebracht.

Wie ist man mit Ihnen ­umge­gan­gen? Gab es auch mensch­li­che ­Momen­te mit den Geiselnehmern?

Sr. Gloria: Weil wir nicht zum Islam konver­tier­ten, haben sie uns geschla­gen, gede­mü­tigt und gefol­tert. Die Terro­ris­ten haben sich auch mit Drogen voll­ge­pumpt und wurden sehr aggres­siv. Waffen waren allge­gen­wär­tig. Ich habe fünf Mal versucht zu flie­hen, doch es gab keinen Ausweg aus der Wüste. Nach den Flucht­ver­su­chen wurde ich mona­te­lang an den Füssen ange­ket­tet. Einmal hat mich einer gefes­selt und mir eine Waffe an den Kopf gehal­ten. In diesem Moment kam ein ande­rer Terro­rist, der viel grös­ser war und sagte zu ihm: «Warum willst du sie umbrin­gen, sie hat dir ja gar nichts ange­tan?» Darauf­hin hat er mich gehen lassen. Es gab auch ande­re, klei­ne Zeichen von Mitge­fühl. Manch­mal warf mir einer nachts ein Stück Brot oder ein biss­chen Milch in einer Plas­tik­tü­te zu.

Konn­ten Sie einschät­zen, ob und wann Sie befreit werden? 

Sr. Gloria: Nein, ich hatte keine Ahnung was mir geschah. Ich hatte nie Kontakt zur Aussen­welt. Die ganze Situa­ti­on war sehr ange­spannt und von Gewalt geprägt, immer wieder kreis­ten Heli­ko­pter und Droh­nen über uns. Die Terro­ris­ten wurden verfolgt und hatten auch Angst. Wir muss­ten mehre­re Male flüch­ten und umzie­hen. Es gab auch Schies­se­rei­en und wir muss­ten uns in Sand­grä­ben verste­cken. Am Tag der Befrei­ung kam ein hoher Mili­tär von Mali vorbei und sagte, ich solle in sein Auto stei­gen. Anfangs habe ich mich gewehrt, weil ich ihm nicht trau­en konn­te. Ich bin dann doch mitge­fah­ren und er hat mich tatsäch­lich befreit. Er brach­te mich zum Präsi­den­ten von Mali und dieser schenk­te mir zur Begrüs­sung ein gelbes Kleid. Bis zu diesem Tag hatte ich immer densel­ben brau­nen Habit getra­gen, dessen Stoff sich nach so gerau­mer Zeit wie Leder anfühl­te. Dass hinter dieser Befrei­ungs­ak­ti­on unzäh­li­ge Verhand­lun­gen mit verschie­de­nen Regie­run­gen (insbe­son­de­re Mali) und dem Vati­kan steck­ten, erfuhr ich später.

Sr. Gloria (hier im Garten des Fran­zis­kus­hei­mes in Ober­riet) wurde in Mali von Dschi­ha­dis­ten entführt und vier Jahre und acht Mona­te gefan­gen gehalten.

Wie haben Sie dieser ­seeli­schen und körper­li­chen Belas­tung Stand gehal­ten? Was hat Ihnen geholfen?

Sr. Gloria: Ich habe sehr viel gebe­tet und konn­te durch den Glau­ben immer wieder neue Kraft und Hoff­nung schöp­fen. Ich hatte vier wich­ti­ge Glücks­brin­ger dabei: Einen Rosen­kranz, zwei Hals­ket­ten, eine mit einem Medail­lon und eine mit einem Tau-Anhänger sowie der Finger­ring vom Franziskanerinnen-Orden. Sie haben mich beschützt und wenn ich nachts beson­ders viel Angst hatte, umklam­mer­te ich das hölzer­ne Tau-Zeichen mit meiner Hand. Ich habe auch immer die Terro­ris­ten in mein Gebet einge­schlos­sen. Tags­über haben wir versucht, uns mit einfa­chen Spie­len abzu­len­ken. In beson­ders schwie­ri­gen Situa­tio­nen habe ich immer zu mir gesagt: «Ich bin in den Händen von Gott und er hilft mir.» Ich habe einfach nie verstan­den, warum sie uns unschul­di­ge Frau­en, die nur Gutes tun woll­ten, so tyran­ni­siert haben. Wir hatten perma­nent Angst, umge­bracht zu werden, nur unse­rer Reli­gi­on wegen.

Viele haben für Sie gebe­tet, insbe­son­de­re die Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern von Ober­riet. ­Haben Sie diese ­Unter­stüt­zung gespürt?

Sr. Gloria: Ich glau­be, dass diese Gebe­te von den Schwes­tern und ande­ren Menschen aus der ganzen Welt eine Wirkung zeig­ten. Irgend­wo­her hatte ich diese unglaub­li­che, inne­re Kraft, um das Ganze durch­zu­ste­hen. Es gab so viele lebens­be­droh­li­che Situa­tio­nen, die ich ohne diese mora­li­sche Unter­stüt­zung und ohne meinen Glau­ben nicht über­lebt hätte. Dank meiner Hoff­nung und Zuver­sicht konn­te ich auch die ande­ren Geiseln trös­ten und ermutigen. 

Wie gehen Sie mit diesen ­trau­ma­ti­schen Erleb­nis­sen um? Kann man das mit der Zeit ­irgend­wie verarbeiten?

Sr. Gloria: Nach meiner Rück­kehr in Kolum­bi­en habe ich mich die ersten drei Mona­te schwei­gend zurück­ge­zo­gen. Ich habe alles aufge­schrie­ben und viel gebe­tet, um mich selbst zu heilen. Später haben mir die Begeg­nun­gen mit ande­ren Schwes­tern sehr gehol­fen. Ich habe auch mit vielen Menschen gespro­chen, die Hunger leiden oder in Kriegs­ge­bie­ten um ihr Leben kämp­fen. Mit meiner Erfah­rung konn­te ich sie trös­ten und ermu­ti­gen. Ich kann ihnen nach­füh­len und durch den Glau­ben neue Hoff­nung schenken. 

Sr. Gloria möch­te wieder in die Missi­on gehen und Menschen in Not helfen.

Wie geht es den Frau­en und Kindern heute in Mali? Und wie geht es mit den ­Projek­ten vor Ort weiter?

Sr. Gloria: Das ist das Schöns­te an dieser Geschich­te: Die Projek­te laufen weiter. Die Frau­en in Mali haben das weiter­ent­wi­ckelt, was wir aufge­baut haben. Sie haben Koope­ra­tio­nen gegrün­det, haben dank Mikro-Krediten eige­ne Geschäf­te gegrün­det und sind mitt­ler­wei­le finan­zi­ell eigen­stän­dig. Die ande­ren Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern sind zwar nach der Entfüh­rung aus dem Schwes­tern­haus ausge­zo­gen, leben aber immer noch in der Nähe und besu­chen die Frau­en regel­mäs­sig vor Ort. Ich selbst möch­te auch wieder auf Missi­on gehen. Es gibt so viele Menschen in so vielen Ländern, die drin­gend unse­re Hilfe benötigen.

Missi­ons­fran­ziskane­rin­nen in Oberriet

Sr. Gloria, gebo­ren 1962 in Kolum­bi­en, war sieben Jahre in Benin und sieben Jahre in Mali als Missi­ons­fran­zis­ka­ne­rin zur Unter­stüt­zung von Frau­en und Fami­li­en im Einsatz. ­Zusam­men mit ande­ren Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern hat sie in Mali ein Waisen­haus und ein ­Gesund­heits­zen­trum gegrün­det, Schu­len und Arbeits­plät­ze für Frau­en aufge­baut. Diese ­Projek­te wurden finan­zi­ell von der Missi­ons­pro­ku­ra unter­stützt. Mali ist ein musli­misch ­gepräg­tes Land, wobei die Fran­zis­ka­n­er­schwes­tern laut eige­nen Anga­ben nie versucht ­haben, Musli­me zu bekeh­ren. Sr. Gloria war die trei­ben­de Kraft vor Ort, bis im Febru­ar 2017 Dschi­ha­dis­ten im Schwes­tern­haus eindran­gen und sie entführ­ten. Trotz inten­si­ver ­Suche auf höchs­ten Regie­rungs­ebe­nen blieb Sr. Gloria verschol­len. Am 9. Okto­ber 2021 konn­te sie ­befreit werden.

Inter­view: Katja Hongler

Fotos: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 26. Septem­ber 2022

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