Rabbiner Tovia Ben Chorin, Rabbiner der Jüdischen Gemeinde St.Gallen, ist im Alter von 86 Jahren verstorben. Er hat den interreligiösen Dialog in der Ostschweiz geprägt, war geschätzt für sein grosses Wissen und seinen Humor.
«Tovia Ben Chorin kann man zweifellos die «gute Seele» im interreligiösen Dialog in St.Gallen nennen», schreibt Ann-Katrin Gässlein, Präsidentin Runder Tisch der Religion St.Gallen und Umgebung in einer Würdigung. «Sein Engagement schien unerschöpflich, und zahlreiche Menschen aus St.Gallen und Umgebung verbinden mit ihm unvergessliche Erinnerungen: In Tovia Ben Chorin trat uns ein liberaler Rabbiner entgegen, der mit Charme, Witz, Temperament, Aufmerksamkeit, Freundlichkeit, Gastfreundschaft, einem ungeheuren Wissen und grosser Sensibilität auch für die schwierigen Seiten im interreligiösen Dialog die Menschen inspirierte.» Hunderten von Schulkindern in St.Gallen habe er die Synagoge gezeigt, öffentliche Anlässe mit seinen persönlichen Anekdoten unvergesslich gemacht, beim Eidgenössischen Dank‑, Buss- und Bettag mit dem Schofar den Klosterplatz beschallt, beim islamischen Fastenbrechen Iftar alle Anwesenden gesegnet. «Trotz seines hohen Alters lagen ihm die Durchführung der jüdischen Gottesdienste, und die Teilnahme an interreligiösen Veranstaltungen so sehr am Herzen, dass er sich über Länder- und Zeitgrenzen hinweg mit der Technik der Zoom-Übertragung vertraut machte. Bis kurz vor seinem Tod nahm er digital an Sitzungen teil», so Gässlein. Tovia Ben Chorin wurde 1936 in Jerusalem geboren. Er war Rabbiner in Jerusalem, Berlin, Zürich und seit 2015 in Konstanz und St.Gallen. Er hatte zweimal den Vorsitz des Israel Council of Progressive Rabbis inne, war Dozent und Direktoriumsmitglied des Abraham Geiger Kollegs und engagierte sich im jüdisch-christlichen, israelisch-palästinensischen und deutsch-jüdischen Dialog. In Berlin war er einer der drei Initiatoren des House of One, einem interreligiösen Gebetshaus.

Einer der aussergewöhnlichsten Menschen
Auch von Seiten des Bistums St.Gallen zeigt man sich betroffen: «Tovia Ben Chorin war einer der aussergewöhnlichsten Menschen, die ich jemals kennen lernen durfte, ein grosser Sohn seiner Familie und seines Volkes. Dazu einer der wenigen, der alle Schriften der monotheistischen Religionen kannte und wirklich zum Dialog fähig war», sagt Franz Kreissl, Pastoralamtsleiter auf Anfrage von kath.ch. «Ich erlebte ihn humorvoll, bescheiden, kreativ und neugierig, ja, immer neugierig auf die Sicht und den Glauben anderer. Er, von dem wir so viel lernen konnten, bedankte sich nach jeder Begegnung für alles, was er wieder gelernt hatte – und das war keine leere Floskel. Ich freue mich für ihn, dass sein Schöpfer ihm nun alle Fragen beantworten wird, die im Leben offen geblieben waren.»
Tovia Ben Chorin war regelmässig zu Gast in TV-und Radiosendungen.
«Ich habe mitgeholfen zu töten» Video SRF-Kulturplatz (27. Februar 2017)
Auch sehenswert: Tovia Ben Chorin spricht über das House of One
Text: Stephan Sigg
Fotos: zVg.