Meine Sicht: Nur kurz arm?

«Die Teilzeit-Armen», so laute­te eine ­etwas flap­si­ge Schlag­zei­le einer Wochen­zei­tung zu den neuen Armuts­zah­len in der Schweiz. Ein Begriff, der sugge­riert: «Nur gele­gent­lich betrof­fen – also halb so schlimm.»

Doch Armut lässt sich nicht auf eine Zahl in der Jahres­sta­tis­tik oder auf eine Durchlauferhitzer-Logik redu­zie­ren. Eigent­lich spricht es für das sozia­le Siche­rungs­sys­tem, dass es nur weni­ge Perso­nen über mehre­re Jahre hinweg nicht über die Armuts­gren­ze schaf­fen. Aber ob ein- oder mehr­jäh­rig, wem das Geld vor Monats­en­de ausgeht, für den fühlt sich das nicht nach einem Teil­zeit­job an, wohl eher nach einer stres­si­gen Voll­zeit­stel­le ohne Lohn.

Trüge­ri­sches Bild

Und was heisst schon «über der Armuts­gren­ze»? Das klingt nach retten­dem Ufer. Prägnan­ter wäre wohl das Bild von dünnem Eis oder eines rutschi­gen Abhangs. Realis­ti­scher beginnt hier nämlich die Zone der stän­di­gen Unsi­cher­heit. Eine Krank­heit, ein Jobver­lust, eine uner­war­te­te Rech­nung können das Budget wieder aus dem Gleich­ge­wicht brin­gen. Die Angst vor Zusatz­kos­ten bohrt Löcher in die Zukunfts­träu­me. Statis­tisch gehö­ren diese Lebens­si­tua­tio­nen in die soge­nann­te Armuts­ge­fähr­dung. Exis­ten­zi­ell und psycho­lo­gisch gehö­ren sie eben­so zum Phäno­men Armut. Wem das Wasser bis zum Hals steht, der ist froh, dass er atmen kann. Gleich­zei­tig lebt er mit der stän­di­gen Bedro­hung, der Pegel könn­te wieder stei­gen – und das Vollzeit.

Text: Gregor Scher­zin­ger, Co-Geschäftsleiter Cari­tas St. Gallen-Appenzell

Bild: zVg

Veröf­fent­li­chung: 16. Mai 2025

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