«Das Stigma ist gross»

Margot Vogelsanger

Maria Magda­le­na, das Bera­tungs­an­ge­bot des Kantons St. Gallen für Sexar­bei­ten­de, bietet seit Früh­jahr jede Woche in Buchs, Uznach und St. Gallen ein «Café des Profes­sio­nel­les» an. Es geht dabei um Austausch, aber auch um Gesund­heits­the­men und recht­li­che Fragen.

Der Tisch ist gedeckt, Kaffee­tas­sen, ein Kuchen, Guetz­li, eine Scha­le mit frischen Kirschen stehen bereit. «Mit unse­rem Café wollen wir Sexar­bei­ten­den die Möglich­keit geben, sich auszu­tau­schen», erklärt Margot Vogel­s­an­ger, Psycho­lo­gin und Team­lei­te­rin des Bera­tungs­an­ge­bots Maria Magda­le­na. «Die Teil­neh­men­den erhal­ten aber auch Inputs zu Gesund­heits­the­men, recht­li­chen Fragen oder auch zum Self­mar­ke­ting.» Dazu gehö­ren zum Beispiel Fragen rund um den Daten­schutz. Das Café erfül­le auch die Funk­ti­on von Selbst­hilfe. «Manch­mal spru­delt es nur so.» Und bei sprach­li­chen Miss­ver­ständ­nis­sen helfe auch schon mal die Über­set­zungs­funk­ti­on von Goog­le. Die Cafés stos­sen bis jetzt auf unter­schied­li­che Reso­nanz: Manch­mal seien sechs oder mehr Gäste bei einem Café, manch­mal tauche auch niemand auf.

Zusam­men­ar­beit mit Caritas

Ein Thema beschäf­ti­ge gegen­wär­tig viele: Seit der Corona-Pandemie hat die Nach­fra­ge nach­ge­las­sen. «Woran das genau liegt, weiss man nicht», sagt Margot Vogel­s­an­ger, «aber ein Grund ist sicher­lich die Digi­ta­li­sie­rung.» Einer­seits ermög­li­chen Apps und Online-Portale Sexar­bei­ten­den mehr Selbst­stän­dig­keit, da sie ihre Dienst­leis­tun­gen online bewer­ben können. Ande­rer­seits vergrös­sern sie die Konkur­renz. «Apps wie Tinder haben die Ware Sex viel schnel­ler verfüg­bar gemacht. Es kommt immer häufi­ger vor, dass Amateu­re ihre Dienst­leis­tun­gen anbie­ten.» Die exis­ten­zi­el­len Notla­gen nehmen zu. Laut Jahres­be­richt 2021 von Maria Magda­le­na sind finan­zi­el­le Fragen bei den Bera­tungs­ge­sprä­chen ein gros­ses Thema: 30 Prozent der Gesprächs­the­men beschäf­tig­ten sich damit. «Wir sind froh, auf die Zusam­men­ar­beit mit der Cari­tas zählen zu können», sagt Margot Vogel­s­an­ger. «Die Cari­tas unter­stützt Sexar­bei­ten­de bei der Schul­den­be­ra­tung oder bietet mit den Caritas-Märkten in St. Gallen und Wil die Möglich­keit, güns­tig einzu­kau­fen.» Während der Corona-Pandemie hätten zudem Cari­tas und der Katho­li­sche Konfes­si­ons­teil des Kantons St. Gallen Spen­den­gel­der für Sexar­bei­ten­de, die in finan­zi­el­le Not gera­ten sind, zur Verfü­gung gestellt.

Margot Vogelsanger, Maria Magdalena
Margot Vogel­s­an­ger berät auch Sexar­bei­ten­de beim Ausstieg.

Gesell­schaft­li­ches Stigma

Die Frage nach dem Ausstieg aus dem Beruf sei bei den Cafés bisher kaum ein Thema gewe­sen. «Wenn, dann taucht so etwas in Einzel­ge­sprä­chen auf, aber auch das eher selten», so Vogel­s­an­ger. Viele Bran­chen suchen momen­tan nach Perso­nal und die Chan­cen für Quer­ein­stei­ge­rin­nen und ‑einstei­ger sind gut, denkt da trotz­dem niemand an den Ausstieg? «Es mag wohl manche über­ra­schen, aber viele Sexar­bei­ten­de machen ihren Beruf gerne», betont Margot Vogel­s­an­ger. «Falls jemand ausstei­gen will, ist das oft eine Heraus­for­de­rung. Das gesell­schaft­li­che Stig­ma ist gross. Sie können ja bei der Bewer­bung nicht offen ange­ben, was sie bisher gemacht haben. Ich habe mir schon mit Klien­tin­nen den Kopf zerbro­chen, wie genau sie das in ihrem Lebens­lauf formu­lie­ren, ohne dass die Tür gleich wieder zugeht.» Für viele Beru­fe seien auch die sprach­li­chen Hürden zu hoch.

Viel­falt der Biografien

Margot Vogel­s­an­ger ist seit zwei Jahren bei Maria Magda­le­na tätig. Sie persön­lich habe die Viel­falt der Biogra­fien über­rascht: «In den Medi­en werden meist nur Klischees gezeigt: Auf der einen Seite Frau­en als Opfer von Ausbeu­tung und Menschen­han­del, auf der ande­ren Seite die Models, die perfekt ausse­hen. Natür­lich gibt es beides, aber das sind eher die Ausnah­men. Die Reali­tät ist viel diffe­ren­zier­ter.» In der Schweiz geht man nach einer Studie von 4000 bis 8000 Sexar­bei­ten­den aus. Doch in der Ostschweiz finde Sexar­beit meist im Verbor­ge­nen in Privat­woh­nun­gen statt. «Das macht es für uns schwie­ri­ger, mit ihnen in Kontakt zu kommen und auf unser Ange­bot aufmerk­sam zu machen.» Bei der Bera­tung hätten Fragen rund um Präven­ti­on von über­trag­ba­ren Krank­hei­ten, aber auch recht­li­che Fragen einen zentra­len Stel­len­wert «Aber häufig geht es um Themen, die Menschen in allen gesell­schaft­li­chen Milieus beschäf­ti­gen: Proble­me in der Ehe oder mit den Kindern, Stress, der Umgang mit eige­nen Wünschen und Bedürfnissen …»

Margot Vogelsanger, Maria Magdalena
Die Psycho­lo­gin Margot Vogel­s­an­ger ist seit zwei Jahren bei «Maria Magda­le­na» tätig.

Name als Türöffner

Das Bera­tungs­an­ge­bot für Sexar­bei­ten­de trägt den Namen einer bibli­schen Person. Margot Vogel­s­an­ger schmun­zelt: «Warum die Verant­wort­li­chen bei der Grün­dung unse­res Ange­bots vor 22 Jahren auf Maria Magda­le­na gekom­men sind, weiss ich nicht. Aber ich erle­be diesen Namen oft als Türöff­ner. Vor allem Sexar­bei­ten­de aus südame­ri­ka­ni­schen Ländern, aber auch aus Osteu­ro­pa wissen sofort etwas mit dem Namen anzu­fan­gen, sie fühlen sich ange­spro­chen und reagie­ren posi­tiv darauf.»

Text: Stephan Sigg

Bilder: Ana Kontoulis

Veröf­fent­licht: 09. August 2022

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