Täglich eine halbe Stunde Stille: Daniel Wyder aus Algetshausen und Erna Stäger aus Engelburg lassen sich als Teilnehmende der «grossen Exerzitien» mehrere Monate lang auf einen inneren Übungsweg ein.

Daniel Wyder, Algetshausen Disziplin braucht es und vielleicht das eine oder andere Hilfsmittel: Seit vielen Jahren nimmt sich Daniel Wyder aus Algetshausen bei Uzwil jeden Morgen eine halbe Stunde Zeit, sich in Meditation und Gebet zurückzuziehen. Seit einem Jahr ist er im «Netzkloster» mit dabei. Das ist ein Angebot der Evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz, deren Mitglied der 58-Jährige ist. Durch diese Zeit am Morgen gewinnt er an Gelassenheit und Zuversicht. «Wir haben nicht alles in der Hand. Es braucht Vertrauen auf Gottes liebende Gegenwart. Das ist gerade auch in Umbruchsituationen wichtig», sagt er. Als Schulleiter tritt er nach den Sommerferien eine neue Stelle an und auch in der Kirche hat er neue Aufgaben übernommen. «Dass ich gerade in diesem Jahr bei den grossen Exerzitien mitmache, passt also gut», sagt er und fügt an, dass es immer einfacher sei, in einer Gruppe unterwegs zu sein und sich mit anderen gemeinsam auf einen Weg zu begeben. «Einmal im Monat treffen wir uns und tauschen uns über Erfahrungen, aber auch über Herausforderungen aus.» Das können etwa Textpassagen aus der Bibel sein oder Phasen, in denen es schwieriger ist, sich bewusst eine halbe Stunde Zeit für die geistlichen Übungen zu nehmen. «Wenn man in solchen Momenten trotzdem dranbleibt, ist es immer ein grosser Gewinn und etwas, das einen langfristig beschenkt.» Es ist bereits das zweite Mal, dass Daniel Wyder bei den grossen Exerzitien im Alltag mitmacht. Er kennt die Abläufe, die aus Textarbeit, Gebet, Meditation und Auseinandersetzung mit der eigenen Sehnsucht bestehen. «Ich war schon als Jugendlicher suchend. So bin ich über unseren evangelischen Pfarrer im Dorf zur methodistischen Jugendgruppe gekommen und heute ökumenisch unterwegs.»
Grosse Exerzitien
Von November 2025 bis Mai 2026 werden erstmals ökumenische grosse Exerzitien im Alltag stattfinden. Zu den Initiantinnen gehört die St. Galler Seelsorgerin Hildegard Aepli, die für das 175-jährige Bistumsjubiläum 2022 erstmals halbjährliche Exerzitien im Alltag anbot. 210 Personen machten damals mit. Das ökumenische Projekt der grossen Exerzitien im Alltag lädt ein, während eines halben Jahres einen spirituellen Weg mitzugehen. Die täglichen Übungen setzen sich aus Gebeten, Meditation, Bibellektüre und Kontemplation zusammen. Die Teilnehmenden treffen sich zudem regelmässig in einer Gruppe zum Austausch. www.grosse-exerzitien-im-alltag.ch

Erna Stäger, Engelburg In ihrer Wohnung hat sich Erna Stäger eine Ecke mit Kerzen eingerichtet. Dort nimmt sie sich fünf Mal die Woche 25 Minuten für den inneren Übungsweg Zeit. «Gestalte dir einen Ort», sei einer der Tipps gewesen, den sie im Rahmen der grossen Exerzitien bekommen habe. An diesen hat sie bereits 2021 mitgemacht. «Es ist herausfordernd, sich im Berufsalltag Zeit für Gebet und Mediation zu nehmen. Aber die grossen Exerzitien sind so gut organisiert, dass man sich wie auf einer Reise mit perfekter Reiseleitung fühlt», sagt die 55-Jährige. Es sind die monatlichen Treffen mit der Gruppe, der Austausch mit der persönlichen Leiterin sowie das Begleitbuch für zu Hause, die Erna Stäger dabei helfen, während eines halben Jahrs an den geistlichen Übungen dranzubleiben. «Wir alle leben meist in einer Bubble. Gerade wenn Dinge geschehen, die einem den Boden unter den Füssen wegreissen, braucht es Inputs von aussen. Mir haben die grossen Exerzitien in einer solchen Lebensphase stark geholfen», sagt die Engelburgerin. Der Alltag und der eigene Lebensweg werde durch das Bewusstsein für ein grossen Ganzes, durch die Gegenwart Gottes gestärkt. Nach der Schulzeit in ihrem Heimatdorf Häggenschwil besucht Erna Stäger das Lehrerinnenseminar bei den Franziskanerinnen in Baldegg. Heute arbeitet sie als Schulleiterin. «Was ich an den grossen Exerzitien schätze, ist, dass sich im Gegenzug zu Klostergemeinschaften Menschen aus dem zivilen Alltag auf einen gemeinsamen Rhythmus einlassen», sagt sie. Die grossen Exerzitien haben bei Erna Stäger einen weiteren praktischen Nutzen. Seit einigen Jahren gestaltet sie Frauenandachten. «Ich fand es oft herausfordernd, Bibelstellen in die Andachten lebensnah einzubetten. Durch die Exerzitien habe ich geübt, wie man sich auf eine Bibelstelle einlassen kann.»
Text: Nina Rudnicki
Bilder: Ana Kontoulis, Nina Rudnicki
Veröffentlichung: 28. Juli 2025