Alle Jahre wieder: Was schenke ich bloss meiner Familie und meiner Verwandtschaft zu Weihnachten? Diesem Geschenke Stress haben Murielle und Samuel Heeb aus Sargans letztes Jahr den Rücken gekehrt – und mit einer neuen Tradition die Besinnlichkeit zurückgeholt.
Zeit für eine heisse Tasse Tee zu Hause, sich die Weihnachtsbeleuchtung im Nachbarsgarten anschauen und sich auf Weihnachten freuen. Der Dezember kann aber auch anders: Geschenkestress, von einem Glühwein zum nächsten hetzen und dann auch noch die Wohnung festlich herausputzen. Oh, du besinnlicher Advent! Damit Advent und auch Weihnachten wieder mehr zu einem besinnlichen, friedlichen Fest und weniger zu einer Geschenkeschlacht werden, haben Murielle und Samuel Heeb aus Sargans eine neue «Tradition» in der Verwandtschaft eingeführt. Die beiden sind seit drei Jahren verheiratet und seit Weihnachten 2020 wird bei ihnen gewichtelt. «Es war immer wieder ein Thema in der Familie meines Mannes», erzählt die 27-jährige Primarlehrerin. In den gemeinsamen Ferien letzten Sommer habe sie es erneut in die grosse Runde geworfen, so Murielle. Und es wurde zur beschlossenen Sache.

Panne bei der Auslosung
Eine Tradition ist per Definition unter anderem ein Handlungsmuster, welches innerhalb einer Gruppe von Generation zu eneration weitergegeben wird. Bei der Familie Heeb steckt die Wichtel-Tradition noch in Babysöckchen und muss erst eingeübt werden. Das zeigte sich bei der ersten Auslosung. «Wir haben schlichtweg einen Namen zu wenig aufgeschrieben», schildert Samuel, der im IT-Bereich tätig ist. Sie hätten es dann zum Glück noch gemerkt. Aber erst etwas später, als man sich bereits mit dem gezogenen Namen auseinandergesetzt hatte. «Die Person auf meinem Zettel hätte so gut gepasst», ärgert sich Murielle spasseshalber. Dieses Jahr funktionierte alles auf Anhieb. Und das, obwohl aus den 13 Heebs mittlerweile 14 geworden sind. Auch das jüngste Familienmitglied, die neugeborene Tochter von Samuels Bruder, bekam einen Zettel im Wichteltopf.
Mehr Vorteile
Wenn Murielle und Samuel heute auf die erste Wichtelrunde zurückschauen, bietet diese für sie definitiv mehr Vor- als Nachteile. Die Geschenke fielen zwar tendenziell teurer aus als sonst. Samuel zum Beispiel hat von seinem Wichtel einen
neuen Drucker überreicht bekommen. Doch ihr Leben habe sich durch diesen neuen Geschenkemodus vereinfacht, resümiert Murielle. «Ich wusste nie, ob meine Geschenke geschätzt wurden und war ziemlich überfordert mit so viel schenken.» Samuel nimmt es etwas gelassener. Trotzdem ist auch er nicht unglücklich darüber, dass er sich zwei Wochen vor Weihnachten nur um ein Geschenk kümmern muss.
Besser abgestimmt
Einig sind sich aber beide, dass die Geschenke auf diese Weise mehr Sinn machen. Sie sind besser und überlegter auf die einzelnen Personen abgestimmt, doppelt Murielle nach. «Ich bekomme längst nicht mehr so viele Säckchen mit Weihnachtsguetzli.» In Zeiten, in denen Konsumwahnsinn und «weniger ist mehr» um Anhänger buhlen, wo die Spielzeugregale leer bleiben wegen steckengebliebenen Containerschiffen und wo man doch in allem auf den Klimawandel achtgeben möchte, scheint diese Variante Gold Wert zu sein.

Wer braucht schon Regeln?
Ein solches Wichtel-Experiment zu starten, ist auf jeden Fall eine aufregende Sache in vielerlei Hinsicht. Die einen haben das Bedürfnis, ein paar Grundregeln aufzustellen: Wie viel darf ein Geschenk kosten? Wie viele Geschenke überreicht man der gezogenen Person? Dürfen auch noch anderen Personen Geschenke gemacht werden? Die Familie Heeb hat einfach begonnen, ohne irgendeinen Regelkatalog. Und es habe wirklich auf Anhieb funktioniert, bestätigen Murielle und Samuel unisono. Die Mutter von Samuel hat zwar ihrer Schwiegertochter über die Adventszeit immer wieder kleine Geschenke gemacht. «Aber das hat auch gepasst und war in Ordnung», erzählt Murielle weiter. Alles in allem bekam am letzten Weihnachtsfest jedes Mitglied von seinem Wichtel ein Präsent.
Weihnachten anders geniessen
Die Vorfreude auf dieses Jahr hat bei dem Paar aus Sargans bereits nach dem letzten Weihnachtsfest begonnen. «Ich habe mir tatsächlich nach der ersten Runde Gedanken darüber gemacht, was ich im Jahr darauf verschenken könnte», sagt Murielle. Die Ideen für die zweite Durchführung waren somit Ende Oktober bereits konkret. Eine dieser Ideen betrifft die grosse Runde. «Ich fände es schön, wenn die Päckchen anonymer übergeben werden.» Soll heissen, nicht wie im letzten Jahr vom Wichtel selbst. Damit bekommt der Geschenkeaustausch einen geheimnisvolleren Charakter. Samuel geht derweil einem anderen Rätsel nach: «Gibt es diese Weihnachten doch wieder Autovignetten für alle?» Neue Traditionen beginnen heisst eben auch, alte loszulassen. Und so erzählt der 33-Jährige etwas wehmütig weiter: «Bis anhin hat immer meine Mutter für uns Kinder die Vignetten organsiert und sie dann auch verschenkt.» Seit langem musste sich das Paar aus Sargans dieses Jahr selbst um den obligatorischen Kleber kümmern. Vignette hin oder her, eine neue Familientradition ist geboren. Die neue Geschenktradition hat der Familie Heeb ein Stück Besinnlichkeit zurückgebracht.
Nina Frauenfelder
ZEIT STATT GESCHENKEFLUT
Weihnachten ganz ohne Geschenke? Für viele undenkbar. Schon lange beschäftigen sich die Psychologie und auch die Soziologie mit der Bedeutung des Schenkens. Geschenke erfüllen eine gesellschaftliche Funktion. Sie können Beziehungen
erhalten und festigen. Es werden damit aber auch immaterielle Werte wie soziale Wertschätzung oder Macht transportiert.
Das Herausfordernde dabei: Ein Geschenk ist immer eine Antwort, die wiederum eine Antwort nach sich zieht. Ein anderes
Verständnis von Geschenken hatten indianische Kulturen: Mit Geschenken an Feiertagen wurden soziale Unterschiede
ausgeglichen. Ärmere Menschen erhielten etwas von den Wohlhabenderen.
327 Franken gaben Menschen in der Schweiz 2020 an Weihnachten durchschnittlich für Weihnachtsgeschenke aus – so viel wie noch nie in den letzten zehn Jahren. Das ergab die Umfrage des Beratungs- und Prüfungsunternehmens EY Schweiz. Diese Geschenkflut belastet nicht nur das Portemonnaie, sondern auch das Klima. Umwelt- und Nachhaltigkeitsorganisationen versuchen für «Weniger ist mehr» oder «Plastikfreie Weihnachten» zu sensibilisieren. Wer nicht auf Schenken verzichten will, kann auf verschiedene Kriterien achten: Regionale und nachhaltige Produktion, keine Kinderarbeit oder vielleicht auch mal Second Hand – muss es immer etwas Nigelnagelneues sein? Die Website www.zeit-statt-zeug.de motiviert dazu, Zeit zu verschenken und stellt eine Liste mit zahlreichen konkreten Ideen vor wie zum Beispiel Kochabend statt Kochbuch», «Waldluft statt Parfüm» oder «Zoobesuch statt Stofftier».