Welchen Platz hat die Jugend in der Gesellschaft? Und wie ist es, während der Pandemie jung zu sein? Darüber diskutieren die 14-jährige Jeannine Fürer und ihr Grossvater Gerhard Ledergerber im Gossauer Jugendtreff Westhouse.
Zack – der Ball knallt ins Goal. Jeannine Fürer und Gerhard Ledergerber sind konzentriert, lachen und sehen so aus, als ob sie ewig am Töggelikasten weiterspielen könnten. Obwohl sie eingespielt wirken, kommt es normalerweise nicht vor, dass Enkelin und Grossvater zusammen in einem Jugendtreff sind: Das Westhouse in Gossau ist Jugendlichen im Oberstufenalter und an speziellen Nachmittagen Mittelstufenschülerinnen und ‑schülern vorenthalten.
Ein Abend mit 50 Jugendlichen
Doch während Corona ist einiges anders. Anstatt 40 bis 50 Jugendliche an einem Abend sind aktuell nur Treffen in kleineren Gruppen möglich. Viele Angebote des ökumenisch geführten Jugendtreffs sind zudem zeitweise ganz weggefallen. «Ein wenig habe ich schon das Gefühl, dass uns durch die Pandemie die Jugend weggenommen wird», sagt Jeannine Fürer. «Ich treffe meine Freunde nicht mehr wie früher. Wenn wir uns sehen, dann eben einfach draussen wie beispielsweise auf dem Schulhausplatz.» Deswegen aber Krawall machen, sagt die 14-Jährige, würde sie nicht. «Ich finde es respektlos und es bringt auch nichts.»
Pfarreiheim als Treffpunkt
Welchen Platz haben Jugendliche in unserer Gesellschaft? Fühlen sie sich verstanden? Was denken sie über die ältere Generation? Und wie wiederum nimmt diese die Jugend von heute wahr? Über diese Fragen wollen Jeannine Fürer und Gerhard Ledergerber an diesem Vormittag im Westhouse Gossau diskutieren.
«Solch strukturierte Treffpunkte wie diesen hatten wir während meiner Oberstufenzeit eigentlich keine»,
sagt Gerhard Ledergerber, der im St.Galler Quartier Heiligkreuz als jüngstes von drei Kindern aufgewachsen ist und dort in den 1960er-Jahren seine Jugend erlebt hat. «Erst während meiner Lehre als Buchdrucker engagierte ich mich im Pfarreiverein «Jungmannschaft», wo sich vorwiegend Kollegen aus Jungwacht und Pfadi im Pfarreiheim zur Freizeitgestaltung trafen. Dort gab es eine Bühne und bald gründeten wir eine Musikgruppe, in der ich E‑Bass spielte. Wir traten dann an Tanzabenden auf», sagt der 74-Jährige.
Eine neue Welt, die aufgeht
Nebst seinen Freunden und seiner Familie gehörten auch die Lehrperson und der Pfarrer zu den Einflusspersonen in Ledergerbers sozialem Umfeld. «Unsere Lehrer nahm ich allerdings meist als dominante Respektspersonen wahr. Und der Pfarrer vermittelte uns die Christenlehre auf eine Art und Weise, die uns manchmal auch Angst einflössen konnte. Uns wurde oft das Gefühl gegeben, mehr falsch als richtig zu machen», sagt er und fügt an: «Die heutige Jugend beneide ich daher vor allem um ihre Freiheit und ihre Aufgeschlossenheit. Und ich beneide das heutige Schulsystem, in dem es darum geht, miteinander statt gegeneinander zu lernen.» Jeannine Fürer schaut etwas erstaunt und lacht. «Unsere Lehrpersonen würde ich schon als sozial bezeichnen», sagt sie. «Ausserdem gefällt mir, dass durch Apps, das Internet und die Sozialen Medien eine ganz neue Welt aufgegangen ist.» Durch die Sozialen Medien und den Austausch mit verschiedensten Personen falle es einem leichter, fremde Sprachen wie Englisch zu lernen. «Und wenn ich etwas nicht weiss, kann ich es jederzeit nachschlagen.»
Demonstrieren ohne Gewalt
Die digitale gegen die analoge Welt: Wenn Jeannine Fürer etwas gerne erleben würde, dann für einmal, wie ihr Grossvater in einer Zeit vor dem Internet zu leben.
«Ich stelle mir vor, dass man damals noch viel mehr miteinander unternommen hat. Man musste sich treffen, um sich zu sehen»,
sagt Jeannine Fürer. Gerhard Ledergerber fügt an: «Also, einige Erscheinungen der heutigen digitalen Zeit wie etwa Influencer interessieren mich nicht. Aber die Vereinsarbeit war früher unglaublich aufwändig. Da musste alles handschriftlich festgehalten und jeder Brief per Post verschickt werden.» Die Zeit, in der er geboren wurde, beschreibt er als eine Epoche, in der stets alles einfach ging. «Alles entwickelte sich aufwärts und war vom technischen Fortschritt geprägt. Es musste beispielsweise niemand Angst haben, keine Lehrstelle zu finden», sagt er. Verständnis für die Jugendkrawalle an den Ostertagen in St. Gallen hat er keins. «Klar, die Jugend ist ungehalten und möchte vorwärts gehen. Und wenn sie das Gefühl hat, in der Gesellschaft kein Gehör zu finden, darf sie demonstrieren. Aber das darf niemals in Gewalt ausarten», sagt Gerhard Ledergerber. Er selbst nahm an gewerkschaftlichen Demonstrationen teil, etwa als es darum ging, den Gesamtarbeitsvertrag für die grafische Industrie zu erhalten. Nebst diversen anderen ehrenamtlichen Engagements wie als Kommunionhelfer oder als Tixi-Fahrer ist Gerhard Ledergerber aktuell Präsident der Sektion Gossau der Katholischen Arbeitnehmerinnen-und Arbeitnehmerbewegung.
Etwas zurückgeben
«Auch ich finde es wichtig, für seine Rechte oder für Dinge einzustehen, die einem wichtig sind», sagt Jeannine Fürer, die wie ihr Grossvater das Jüngste von drei Geschwistern ist. Als Beispiel nennt sie die Klimastreiks. An diesen würde sie allerdings nur ausserhalb der Schulzeit teilnehmen. Auf die Strasse gehen würde sie auch, um ein Zeichen gegen Rassismus oder die Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen zu setzen. In ihrer Freizeit ist sie unter anderem Statistin im Theater St. Gallen, spielt Cello, ministriert und unterstützt Mitschülerinnen und Mitschüler im Rahmen des Nachhilfeprojektes «Schüler helfen Schülern». Nach den Sommerferien wird sie von der Oberstufe Buchenwald in Gossau an die Kantonsschule in St.Gallen wechseln. Der Gesellschaft etwas zurückgeben und einen Beitrag für andere leisten, das gehört einfach dazu, sind sich Gerhard Ledergerber und Jeannine Fürer einig. Und auch darin stimmen sie überein, dass man im Glauben Grundvertrauen findet. Jeannine Fürer sagt: «Ich finde, der Glaube ist etwas, das man beibehalten sollte. Für jeden ist er etwas Eigenes und jeder glaubt anders, aber dass man es tut, finde ich wichtig.» (nar)
Fotos: Ana Kontoulis
EIN ÖKUMENISCHER JUGENDTREFF
Der Jugendtreff Westhouse im Quartier Mettendorf in Gossau wurde 2017 eröffnet. Seit 2018 wird er ökumenisch geführt. Das Westhouse hat an festgelegten Abenden und Nachmittagen geöffnet. Das Team setzt sich aus vier Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern zusammen. Sie organisieren nebst den offenen Abenden und Nachmittagen auch spezielle Anlässe wie Spieleabende mit Pizza oder Sporttage. Zum Westhouse gehören ein Sportplatz, eine Grillstelle und eine Sitzecke im Freien. Einmal im Monat finden jeweils Treffs ausschliesslich für Mädchen, Buben und Lehrlinge statt. An diesen wird auch thematisch gearbeitet. Sowohl der Beginn als auch der Schluss des Schuljahres wird im Westhouse mit einem Gottesdienst gefeiert.