«Da steckt viel Beziehung drin»

Wer im hohen Alter zuhau­se wohnen möch­te, ist oft auf Betreu­ung ange­wie­sen. Was es braucht, um faire und nach­hal­ti­ge Care-Migration zu ermög­li­chen, zeigt ein Caritas-Projekt.

Frau Michel, was ist die ­Heraus­for­de­rung in der ­Betreu­ung von Senio­rin­nen und Senioren?

Gudrun Michel: Das Modell der Cari­tas ist die Live-in-Betreuung. Dies bezeich­net die Form der Betreu­ung, bei der die Betreu­ungs­per­son im Haus­halt der zu betreu­en­den Person lebt. Dieses Modell ist sehr indi­vi­du­ell und es steckt viel Bezie­hungs­ar­beit darin. Zudem gibt es im Gegen­satz zur Pfle­ge keine klare Defi­ni­ti­on dazu, was Betreu­ungs­ar­beit ist. Im Prin­zip gehört hier alles dazu, was Senio­rin­nen und Senio­ren in ihrem Alltag unter­stützt wie Einkau­fen, den Haus­halt erle­di­gen, Kochen aber auch gemein­sam Mittag essen und spazie­ren. Daher ist es wich­tig, die Erwar­tun­gen an die Betreu­ung gut zu bespre­chen und dabei auch stets die Mach­bar­keit und die Einhal­tung der Arbeits­zeit im Auge zu behalten.

Gudrun Michel, Leite­rin Caritas-Care

Cari­tas vermit­telt Betreu­ungs­per­so­nen aus Osteu­ro­pa in die Schweiz, neu auch ins Bistum St. Gallen. Wie kommt das?

Gudrun Michel: Ein Haupt­grund ist der Wandel der Gesell­schaft. Wir werden immer älter, was bedeu­tet, dass auch die fragi­le Lebens­pha­se länger wird. Sehr viele hoch­alt­ri­ge Perso­nen brau­chen nur in ihren letz­ten zwei bis drei Lebens­jah­ren Pfle­ge, können davor aber lange Zeit gut zuhau­se leben, sofern sie im Alltag unter­stützt werden. Nun nimmt der Wunsch zuhau­se wohnen zu blei­ben zu, aber auch die Einsam­keit im Alter. Nicht alle haben ein Fami­li­en­netz, das die Betreu­ungs­auf­ga­ben über­neh­men kann. Hier kommen die Betreu­ungs­per­so­nen aus Osteu­ro­pa zum Zug, auch wegen des Fachkräftemangels.

Viele Care-Migrantinnen und ‑Migran­ten arbei­ten hier unter prekä­ren Bedin­gun­gen. Was macht Cari­tas anders?

Gudrun Michel: Als wir mit dem Projekt vor über zehn Jahren star­te­ten, war es unser Ziel, ein nach­hal­ti­ges Care-Angebot aufzu­bau­en. Konkret bedeu­tet das, die Abwan­de­rung von Fach­kräf­ten in den Herkunfts­län­dern zu verrin­gern und faire Arbeits­be­din­gun­gen zu schaf­fen. Wir arbei­ten mit der Cari­tas in Rumä­ni­en und der Slowa­kei zusam­men. Alle, die als Betreu­ungs­per­son in der Schweiz arbei­ten, blei­ben bei der Cari­tas in ihren Herkunfts­län­dern einge­bun­den. Sie arbei­ten eini­ge Wochen in der Schweiz und kehren dann an ihren Arbeits­platz zuhau­se zurück. Der wich­tigs­te Punkt ist, dass sie in beiden Ländern beglei­tet werden. In der Schweiz werden sie durch die Einsatz­lei­ten­den, also diplo­mier­te Pfle­ge­fach­kräf­te, unter­stützt. Mit diesem Modell heben wir uns von ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen ab.

Wie finden Sie Klien­tin­nen und Klien­ten für Cari­tas Care, und wie die Betreuungspersonen?

Gudrun Michel: Eini­ge Perso­nen stos­sen bei Recher­chen im Inter­net selbst auf unser Ange­bot. Ande­re werden über die Alters­stel­len in den Gemein­den, Spitex, Haus­arzt­pra­xen oder Spitä­ler auf uns aufmerk­sam gemacht. Am Tele­fon bespre­chen wir dann die Rahmen­be­din­gun­gen. Anschlies­send besucht eine unse­rer Fach­kräf­te die Person zuhau­se. Poten­zi­el­le Klien­tin­nen und Klien­ten müssen sich bewusst sein, dass in der Schweiz Betreu­ungs­leis­tun­gen privat finan­ziert werden müssen. Pfle­ge­leis­tun­gen, welche in der Regel von einer Spitex-Organisation geleis­tet werden, werden hinge­gen über die Kran­ken­kas­sen abge­rech­net. Die Betreu­ungs­per­so­nen kommen wie gesagt über die Cari­tas in den Herkunfts­län­dern zu uns. Die meis­ten haben eine Ausbil­dung in der Alten­pfle­ge oder Sozi­al­ar­beit absolviert.

Eine gute Ausbil­dung garan­tiert aber noch nicht, dass es bei der Live-in-Betreuung auch zwischen­mensch­lich passt.

Gudrun Michel: Genau, das ist eine Heraus­for­de­rung. Zusam­men in einem Haus­halt zu leben, erfor­dert viel Sensi­bi­li­tät und Bezie­hungs­ar­beit. Das benö­tigt Offen­heit von beiden Seiten. Wenn es nicht passt, suchen wir Lösun­gen. In weni­gen Fällen muss schon mal eine Betreu­ungs­per­son ausge­tauscht werden. Umso wich­ti­ger sind die Abklä­run­gen, Unter­stüt­zung und Rück­spra­chen, die Cari­tas Care durch die diplo­mier­ten Pfle­ge­fach­per­so­nen sowohl den Klien­tin­nen und Klien­ten als auch den Betreu­ungs­per­so­nen bietet. In Zukunft wird es gene­rell eine Heraus­for­de­rung sein, Betreuungs- und Care-Arbeit in unser immer älter werden­den Gesell­schaft sicher­zu­stel­len. Es wird Ansät­ze wie unse­re für die Unter­stüt­zung zuhau­se brauchen.

Faire Betreu­ung Im vergan­ge­nen Jahr arbei­te­ten 37 Betreu­ungs­per­so­nen der rumä­ni­schen Caritas-Organisation Alba Iulia in der Schweiz. Hinzu kamen 17 Betreu­ungs­per­so­nen von Cari­tas Spis in der Slowa­kei. In der Schweiz sind gemäss Cari­tas Care 620 000 älte­re Menschen auf Betreu­ung ange­wie­sen. Viele von ihnen wünschen sich, so lang wie möglich zuhau­se wohnen zu blei­ben. Nach­hal­ti­ge und faire Lösun­gen in Bezug auf Care-Migration haben aller­dings ihren Preis. Im Schnitt 7000 Fran­ken kostet etwa die soge­nann­te Live-in-Betreuung von Cari­tas Care.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: zVg.

Veröf­fent­li­chung: 27. Juli 2023

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