Auf eigene Bedürfnisse achten

Was tun, damit die Lebens­qua­li­tät für Perso­nen mit Demenz, deren Ange­hö­ri­ge und Betreu­en­de möglichst gut bleibt? Ute Latuski-Ramm, Leite­rin der ökume­ni­schen Fach­stel­le «Beglei­tung in der letz­ten Lebens­pha­se» (BILL) sagt, wie wich­tig ein gutes Netz­werk ist. 

Wenn Ute Latuski-Ramm, Leite­rin BILL, einen konkre­ten Ratschlag an pfle­gen­de Ange­hö­ri­ge von Demenz-Betroffenen gibt, dann diesen: «Holt euch Hilfe, um euch bei der Betreu­ungs­ar­beit zu entlas­ten. Man kann nicht auf allen Gebie­ten Exper­te sein.» In der Erschöp­fung sieht die refor­mier­te Pfar­re­rin denn auch die gröss­te Gefahr für die Ange­hö­ri­gen. Häufig leben Demenz­kran­ke mit ihrem Part­ner oder ihrer Part­ne­rin zusam­men. Mit der Krank­heit ändert sich die Bezie­hung grund­le­gend: «Die Rollen sind nicht mehr diesel­ben, die gemein­sa­men Akti­vi­tä­ten sind einge­schränk­ter, die Selbst­be­stim­mung ist für beide nicht wie zuvor. Die Pati­en­ten sind oft unru­hig, auch nachts», erklärt sie. Die Situa­ti­on der Ange­hö­ri­gen kann auch mit Unsi­cher­hei­ten, Zukunfts­ängs­ten, Schuld­ge­füh­len oder Druck von aussen belas­tet werden. Damit die Abwärts­spi­ra­le gestoppt werden kann, empfiehlt die Fach­stel­len­lei­te­rin, auf eige­ne Gren­zen und Bedürf­nis­se zu achten: «Nicht ohne Grund spricht man bei Ange­hö­ri­gen von ‹Pati­en­ten zwei­ter Ordnung›. Oft ist der Leidens­druck bei ihnen nicht weni­ger gross als bei den Betrof­fe­nen, aber sie sind weni­ger sicht­bar.» Darum sei es zentral, dass Ange­hö­ri­ge auf ein Netz­werk von Fach­leu­ten, Insti­tu­tio­nen und Frei­wil­li­gen zurück­grei­fen können. Punk­to Unter­stüt­zung für Ange­hö­ri­ge weist Latu­ski darauf hin, dass die BILL-Website demnächst mit einer Liste aller Hilfs­an­ge­bo­te verlinkt wird. «Mitt­ler­wei­le besteht ein gros­ses Ange­bot von profes­sio­nel­len Insti­tu­tio­nen, Pfar­rei­en und Frei­wil­li­gen, die Treff­punk­te, Ausflü­ge oder auch Feri­en­be­treu­ung für Demenz-Patienten mit oder ohne Ange­hö­ri­gen organisieren.»

Kurse für Ange­hö­ri­ge 

Im Aufbau­kurs der BILL-Kursreihe «Nahe sein in schwe­rer Zeit» lernen die Teil­neh­men­den viel über die Pallia­tiv­pfle­ge. Nebst ethi­schen Fragen zu Krank­heit und Ster­ben wird der Umgang mit an Demenz erkrank­ten Menschen thema­ti­siert. Für die einzel­nen Modu­le zieht die Fach­stel­len­lei­te­rin weite­re Fach­per­so­nen wie eine Psych­ia­te­rin, Geron­to­lo­gin oder Juris­tin bei. Sie selbst deckt den seel­sor­ge­ri­schen Bereich ab. «Bei der spiri­tu­el­len Beglei­tung von Demenz-Patienten ist mir wich­tig, dass man den Menschen in seiner Persön­lich­keit und Würde nicht vernach­läs­sigt.» Dabei spie­le die nonver­ba­le Kommu­ni­ka­ti­on eine zentra­le Rolle. Gera­de wenn sich die Betrof­fe­nen mit Worten schwer­tun würden, müsse man einen ande­ren Weg finden. Zum Beispiel mit der basa­len Stimu­la­ti­on: «Durch Gerü­che, Berüh­run­gen oder Musik werden verschie­de­ne Sinne akti­viert. So kann man Menschen trotz­dem nahe sein und den Moment erleb­ba­rer machen.» Auch reli­giö­se Ritua­le können hilf­reich sein. Es gelte stets auf die Bedürf­nis­se, die Biogra­phie und die Spiri­tua­li­tät der an Demenz erkrank­ten Person zu achten. Da müsse man sehr offen sein und die eige­ne reli­giö­se Prägung bewusst zurückstellen. 

Die Liebe im Zentrum

Latu­ski weiss aus ihrer Tätig­keit, dass die Bedürf­nis­se nach Liebe und Wert­schät­zung bei Demenz-Betroffenen oft ganz tief da sind. Damit diese Gefüh­le fass­ba­rer werden, verweist sie auf die Bedürf­nis­blu­me von Tom Kitwood und erklärt anhand von zwei Beispie­len: «Beim gemein­sa­men Betrach­ten von Fotos erkennt sich die demenz­kran­ke Frau viel­leicht wieder als junges Mädchen auf dem Hoch­zeits­bild, obwohl sie sich im Spie­gel schon länger nicht mehr erkennt. Oder mit Fragen wie: Erzähl doch mal, wie war das früher? kann man die Iden­ti­tät von Demenz­kran­ken stär­ken. Wert­schät­zung bedeu­tet auch, dass man einer Person mit Demenz weiter­hin wert­schät­zend und empa­thisch zuhört, auch wenn sie schon zum x‑ten Mal diesel­be Aussa­ge macht. Es hilft nicht, wenn man ihr entgeg­net, dass sie dies gera­de eben schon erzählt habe.» Diese Metho­de nennt man Vali­da­ti­on: Statt zu korri­gie­ren und auf die Fehler hinzu­wei­sen, erkennt man die Gefüh­le und bestä­tigt, dass diese gerecht­fer­tigt sind. 

Aufbau­kurs «Nahe sein in schwe­rer Zeit»

Der Aufbau­kurs «Nahe sein in schwe­rer Zeit» geht auch auf den Umgang mit ­Demenz­kran­ken ein. Behan­delt werden ­folgen­de Themen: Vorsor­ge, Ange­hö­ri­ge gut beglei­ten, Demenz und spiri­tu­el­le Beglei­tung, nonver­ba­le und verba­le Kommu­ni­ka­ti­on. Ute Latuski-Ramm leitet die ökume­ni­sche Fach­stel­le seit Septem­ber 2022. Sie hat Theo­lo­gie studiert und den­Lehrgang «Pallia­ti­ve Care» absol­viert. Weite­re Infor­ma­tio­nen: www.bill-sg.ch

Text: Katja Hongler

Fotos: zVg.

Veröf­fent­licht: 24.10.2022

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