Neben der Autobahn zu Fuss nach Rom unterwegs

Wie ist es für einen Degers­hei­mer, in der Ordens­zen­tra­le der Fran­zis­ka­ner mitten in Rom zu leben? Bruder Albert Schmucki erzählt, wo er in der Gross­stadt Raum für Spiri­tua­li­tät findet, was ihn bei seiner ersten Ankunft 1983 sofort in den Bann zog und weshalb er Rom nach über 40 Jahren bald verlas­sen wird.

Sein erstes Romer­leb­nis beginnt aben­teu­er­lich. Bruder Albert Schmucki ist 19 Jahre alt, als er nach seiner Matu­ra an der Kantons­schu­le St. Gallen zu einer Fuss­wall­fahrt von Assi­si nach Rom aufbricht. Es ist August 1983, und die klei­ne Grup­pe läuft wegen der Hitze morgens jeweils vor 5 Uhr los. «In den Dörfern bettel­ten wir spon­tan um Unter­kunft, und als wir uns Rom näher­ten, liefen wir neben der Auto­bahn her, um auch ja den Weg nicht zu verpas­sen», sagt Albert Schmucki, der heute in der Gene­ral­ku­rie der Fran­zis­ka­ner in Rom arbei­tet, also in der Ordens­zen­tra­le. Dort ist der Degers­hei­mer Präsi­dent der inter­na­tio­na­len Safeguarding-Kommission des Ordens. Safe­guar­ding bedeu­tet, Perso­nen inner­halb einer Orga­ni­sa­ti­on durch verschie­de­ne Mass­nah­men vor Miss­brauch zu schüt­zen. «Als Fran­zis­ka­ner bemü­hen wir uns, sicher­zu­stel­len, dass alle dem Orden anver­trau­ten Orte ein siche­res Umfeld für das gesam­te Volk Gottes sind, insbe­son­de­re für die Schwächs­ten», heisst es gemäss Bruder Albert Schmucki in einem Ordens­do­ku­ment. Bis vor Kurzem war er zudem Profes­sor an der päpst­li­chen Univer­si­tät Antonianum.

Ohne Metall­de­tek­to­ren

Dass Rom sich durch sein ganzes Leben ziehen würde, ahnte Bruder Albert Schmucki als junger Mann nicht. In 40 Jahren hat sich Rom verän­dert. Bruder Albert Schmucki nennt drei Einschnit­te: erstens die Terror­an­schlä­ge vom 11. Septem­ber 2001. «In der ganzen Stadt gab es Solda­ten und Metall­de­tek­to­ren. Wenn ich eine Kirche betrat, stell­te sich fort­an immer die Frage, ob ich nun ein Gläu­bi­ger oder ein poten­zi­el­ler Atten­tä­ter bin», sagt er. Als zwei­ten Einschnitt geht der 61-Jährige auf die «medi­al perfekt insze­nier­te Beer­di­gung» von Papst Johan­nes Paul II im Jahr 2005 ein. «Die Folge davon waren star­ke Pilgerinnen- und Pilger­strö­me, wie es sie zuvor in Rom nicht gege­ben hatte.» Als drit­ten Punkt nennt er die Coro­na­pan­de­mie, die Rom vorüber­ge­hend zu einer Geis­ter­stadt werden liess. Über all die Jahre in Rom hinweg faszi­nie­ren Bruder Albert Schmucki die Kontras­te in dieser Stadt. Heili­ges exis­tie­re neben Profa­nem. Es gebe das sehr gebil­de­te Rom, aber auch das Rom der Aussen­quar­tie­re mit höhe­rer Drogen- und Krimi­na­li­täts­ra­te, sagt er und kommt zurück auf das Jahr 1983. Am Tag nach seiner Ankunft in Rom besuch­te er die Ausgra­bun­gen unter dem Peters­dom. «Dort befin­det sich das Armen­grab, in dem mit gros­ser Wahr­schein­lich­keit der Heili­ge Petrus begra­ben wurde. Bis heute bin ich beein­druckt davon, dass so ein impo­san­ter Pracht­bau direkt über einem Armen­grab steht», sagt er. Das symbo­li­sie­re für ihn das Geheim­nis der Kirche, indem es ihm verdeut­li­che, dass alles keinen Sinn hätte ohne Gott, der sich für die Menschen arm und verwund­bar gemacht habe.

Abseits der Touristenströme

Wo findet Bruder Albert Schmucki heute Gott sowie Raum und Zeit für Spiri­tua­li­tät? «Ich habe meine Orte, und sie liegen abseits der Touris­ten­strö­me», sagt er. Das Klos­ter Tre Fonta­ne mit seinem grünen, ruhi­gen Innen­hof in einem Tal mit Euka­lyp­tus­bäu­men im Süden von Rom ist ein solcher Ort. Dort befin­det sich auch das Zentrum der Gemein­schaft der klei­nen Schwes­tern Jesu. «Als Theo­lo­gie­stu­dent ging ich oft dort­hin und war faszi­niert von der Hoff­nung, die vom einfa­chen Lebens­stil und der Anbe­tung dieser Schwes­tern ausging», sagt er. Der Ort ist eng verbun­den mit der Legen­de um den Apos­tel Paulus. Drei­mal sei sein enthaup­te­ter Kopf zu Boden gefal­len und jedes Mal sei aus einem Bluts­trop­fen einer der drei Brun­nen entstan­den, die dem Klos­ter heute seinen Namen geben. Auch die Jesui­ten­kir­che Il Gesù im histo­ri­schen Zentrum Roms besucht Bruder Albert Schmucki gerne. Einer seiner geist­li­chen Beglei­ter hatte dort gewohnt. Daher hat er einen beson­de­ren Bezug zu einem Kreuz in einer Seiten­ka­pel­le, das von vielen Besu­chen­den verehrt wird. Den Peters­dom betritt er zwar nur selten, sieht ihn aber täglich von der Terras­se der Gene­ral­ku­rie aus. Diese befin­det sich auf einem Hügel hinter dem Vati­kan. Dort lebt Albert Schmucki in einer Gemein­schaft von 40 Brüdern, die aus 21 Ländern kommen.

16 000 Studierende

Der Austausch mit den Studie­ren­den während seiner Zeit als Profes­sor am Fran­zis­ka­ni­schen Insti­tut für Spiri­tua­li­tät an der Päpst­li­chen Univer­si­tät gehört zu jenen Erfah­run­gen, die ihn am meis­ten beein­dru­cken. «An den päpst­li­chen Univer­si­tä­ten gibt es rund 16 000 Studie­ren­de aus 120 Ländern», sagt er. «Viele dieser Studie­ren­den, darun­ter auch Laien, kommen nach Rom, um sich in einem Fach zu spezia­li­sie­ren und danach in ihre Heimat zurück­zu­keh­ren. Dabei entste­hen Freund­schaf­ten fürs Leben und ein welt­wei­tes Netz­werk.» Auch Bruder Albert Schmucki kam nach zwei Jahren Theo­lo­gie­stu­di­um in Chur als Student nach Rom an die Päpst­li­che Univer­si­tät Grego­ria­na. Später, als Fran­zis­ka­ner, dokto­rier­te er an der Univer­si­tät Anto­nia­num, wo er auch ab 2007 unterrichtete.

Zukunft in der alten Heimat

In zwei Jahren wird das Mandat von Bruder Albert Schmucki an der Gene­ral­ku­rie in Rom auslau­fen, und er wird in die Schweiz zurück­keh­ren. Als Präsi­dent der Safeguarding-Kommission und als Gene­ral­rat des Fran­zis­ka­ner­or­dens, wo er als Bezugs­per­son für die mittel- und nord­eu­ro­päi­schen Fran­zis­ka­ner­pro­vin­zen tätig ist, gibt es bis dahin noch genug zu tun. Zum einen gilt es, mit allen 120 Ordens­pro­vin­zen rund um die Welt eine Rahmen­ord­nung für Safe­guar­ding auszu­ar­bei­ten. Dabei gehe es nicht nur darum, einzel­ne Mass­nah­men zum Schutz der verwund­ba­ren Perso­nen fest­zu­le­gen, sondern auch um eine grund­sätz­li­che Sensi­bi­li­sie­rung für verschie­de­ne Formen des Macht­miss­brauchs in Gestalt von emotio­na­lem, spiri­tu­el­lem, körper­li­chem und sexu­el­lem Miss­brauch. «Das ist ange­sichts der kultu­rel­len und pasto­ra­len Unter­schie­de in den einzel­nen Regio­nen eine gros­se Heraus­for­de­rung.» Niemand könne allein etwas bewe­gen. Daher würden einzel­ne Brüder gezielt am Insti­tut für Anthro­po­lo­gie an der Grego­ria­na ausge­bil­det. Sie könn­ten dann als Multi­pli­ka­to­ren Brüder und Laien in deren Regio­nen ausbilden.

Eine Stadt für Umbrüche

An Rom vermis­sen werde er vor allem die Lebens­kunst und den Prag­ma­tis­mus der Röme­rin­nen und Römer, ihre Direkt­heit und Offen­heit sowie deren Fähig­keit, nebst dem Touris­mus ein eige­nes Leben in den Quar­tie­ren zu führen. Dies­be­züg­lich wird das Heili­ge Jahr 2025 zu einer Heraus­for­de­rung: Zu dessen Höhe­punk­ten gehö­ren die Wall­fahrt nach Rom und das Durch­schrei­ten der Heili­gen Pfor­ten der vier Basi­li­ken Peters­dom, Late­ran, Santa Maria Maggio­re und Sankt Paul vor den Mauern. Die Stadt Rom rech­net in diesem Jahr mit bis zu 30 Millio­nen zusätz­li­chen Pilge­rin­nen und Pilgern nebst den regu­lä­ren Touris­ten. An vorders­ter Front ist Bruder Albert Schmucki zwar nicht dabei, wenn die Pilge­rin­nen und Pilger ankom­men. Eini­ge seiner Mitbrü­der sind dies aber schon. So habe er erfah­ren, dass es bei St. Peter manch­mal bis zu zwei Stun­den dauern könne, bis man in der Warte­schlan­ge über­haupt zur Heili­gen Pfor­te komme. Oder dass Rom für viele Pilge­rin­nen und Pilger eine Stadt sei, die ihnen einen Halt im Glau­ben oder bei persön­li­chen Umbrü­chen gebe. Er sagt: «Persön­li­che Umbrü­che lassen einen oft stär­ker werden. Am Ende ist eine Pilger­rei­se eine Suche nach dem, was bleibt.»

Den Peters­dom sieht Bruder Albert Schmucki täglich von der Terras­se der Gene­ral­ku­rie aus. Er lebt in der Ordens­zen­tra­le der Franziskaner.

Rom-Tipp 1: Museo ­Nazio­na­le Roma­no Das Muse­um in der Nähe des Bahn­hofs Termi­ni gehört zu den Lieb­lings­mu­se­en von Bruder Albert Schmucki. «Es hat vergleichs­mäs­sig weni­ge Besu­che­rin­nen und Besu­cher, ist dafür aber umso span­nen­der», sagt er. Ob Mosai­ke, Münzen, Fres­ken oder Wand­ma­le­rei­en: Hier sind Fund­stü­cke aus der Anti­ke ausge­stellt. Diese veran­schau­li­chen, wie die Röme­rin­nen und Römer früher lebten.

Rom-Tipp 2: Basi­li­ka San Clemen­te «In der Basi­li­ka San Clemen­te kann man Rom Schicht für Schicht besich­ti­gen», sagt Bruder Albert Schmucki. Die Stadt liege heute acht bis neun Meter höher als das ursprüng­li­che Rom. So befän­den sich unter der Basi­li­ka weite­re Gebäu­de wie eine Kirche aus dem 4. und 8. Jahr­hun­dert, ein anti­kes Haus sowie das Mithra­s­hei­lig­tum mit Ruhe­bän­ken und einem Altar.

Rom-Tipp 3: Sant’Isidoro a Capo le Case Als eine Oase mitten im quir­li­gen Zentrum von Rom bezeich­net Bruder Albert Schmucki die Kirche Sant’Isidoro a Capo le Case. Die Seiten­ka­pel­le hat Gian Loren­zo Berni­ni, einer der bedeu­tends­ten italie­ni­schen Bild­hau­er, gestal­tet. Sant’Isidoro liegt an der Via degli Artis­ti. Der Stras­sen­na­me erin­nert daran, dass das irische Fran­zis­ka­ner­klos­ter zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts die Künst­ler­ko­lo­nie der Naza­re­ner beherbergte.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: zVg

Veröf­fent­li­chung: 24. April 2025

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