Ein Käfig als Sinnbild für die Situation von Armutsbetroffenen: Caritas St. Gallen-Appenzell stellte das Projekt rund um die Kunstinstallation beim Diakonie-Treffen in Rorschach vor.
«Willkür», «Schuld», «Vorurteile», «Ohnmacht», «Scham» und «Fremdbestimmung» steht auf verschiedenen Schildern. Sie konfrontieren den Betrachter mit der komplexen Situation von armutsbetroffenen Menschen, die sich durch alle Lebensbereiche zieht. Im Innern des Käfigs sind emotionale Statements von Armutsbetroffenen auf laminiertem Papier zu lesen. Beim Treffen der Diakonie-Ressortbeauftragten aus dem ganzen Bistum St. Gallen Mitte März in Rorschach zeigte Caritas St. Gallen-Appenzell den beklemmenden Käfig zum ersten Mal und stellte Ideen für zukünftige Einsätze in den Seelsorgeeinheiten zur Diskussion. «Die Anregung für die Käfig-Kunstinstallation ist im Herbst 2022 bei einem Treffen mit der Organisation ‹verkehrt Bern› entstanden», sagt Olivia Conrad, Mitarbeiterin Diakonieanimation der Caritas Regionalstelle Sargans. «verkehrt Bern» ist eine Gemeinschaft aus Sozialarbeitenden und armutsbetroffenen Menschen, die sich freiwillig engagieren und mit kreativen Aktionen auf die Armutssituation in der Schweiz aufmerksam machen. «Ich habe sie kontaktiert, weil ich gerne eine überkantonale Aktion planen wollte, die möglichst viele Menschen in der Ostschweiz erreicht», erklärt die Sozialarbeiterin. Im gemeinsamen Brainstorming mit Armutsbetroffenen ist die Idee mit dem Käfig entstanden: «Wir wollen mit einem 3D-Objekt das Gefühl von gefangen und ausgestellt sein sichtbar machen», sagt Conrad. Für die plastische Gestaltung wurde der freischaffende Künstler Manfred Sytsma aus Bern engagiert. Er hat eine modulare Holzkonstruktion gefertigt, die durch den rostartigen Anstrich sehr authentisch wirkt.
Einbinden statt ausgrenzen
Den ersten Auftritt hatte der Käfig auf dem Berner Bundesplatz im Februar 2023 am internationalen Tag der sozialen Gerechtigkeit. «Der Käfig zog viele interessierte Menschen aus allen sozialen Schichten an und es entstanden spannende Gespräche», so Conrad. Nun geht es darum, weitere Aktionen in den verschiedenen Seelsorgeeinheiten des Bistums zu planen. Interesse am Aufbau des Käfigs zeigt Franz Schibli, Leiter Soziales der Katholischen Pfarr- und Kirchgemeinde Wil: «Fürs nächste Jahr planen wir, zusammen mit anderen Sozialpartnern neue Gefässe zu schaffen, um gemeinsam mit betroffenen Personen konkrete Massnahmen in der Armutsprävention und ‑bekämpfung anzustossen.» Zentral dabei sei, dass das Wissen und die Erfahrung von Betroffenen vor allem auch in der Sozialhilfe einbezogen werden. Es gehe auch darum, Sozialhilfeempfängerinnen und ‑empfänger eine Stimme zu geben, die gehört werde. Das wäre der erste Schritt, aus der Armutsspirale auszubrechen. Das Ganze mache jedoch nur Sinn, wenn auch die lokale Sozialbehörde gewillt sei, einen derartigen Prozess zu unterstützen. «Für den Startschuss dieser Aktion wäre der Käfig ein ideales Symbol gegen die Demütigung von Armutsbetroffenen», sagt der Theologe und Sozialarbeiter und spricht damit die grosse Hürde bei einer Sozialhilfe-Anmeldung an: «Wenn jemand beim Sozialamt um Hilfe bittet, muss man ein 15-seitiges Formular mit 25 Beilagen einreichen und somit das komplette Privatleben preisgeben.»
Armut kann alle treffen
Armut wird ausgelöst durch Schicksale wie Krankheit, Unfall, Scheidung, Arbeitslosigkeit oder Erwerbstätigkeit im Tieflohnsegment. Es kann jeden und jede treffen. Dies zu verstehen, hilft die Klischees abzubauen, die an armutsbetroffenen Menschen haften. «Viele glauben, dass ihre Situation selbstverschuldet ist. Diese Pauschalisierung ist falsch und löst bei Betroffenen oft Schamgefühle aus», weiss Conrad aus ihrer Arbeit mit armutsbetroffenen Menschen. Laut der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) haben im Jahr 2021 über 265 000 Menschen in der Schweiz Sozialhilfe bezogen. Die Sozialhilfe ist das letzte Netz, wenn jemand keine Arbeit mehr findet, alles Vermögen aufgebraucht ist und keine der Sozialversicherungen zuständig ist.
Gefangen im System
Aus dieser Situation herauszukommen, ist nicht einfach. Auch wenn man wieder Arbeit findet, verlangen die Sozialämter in einigen Kantonen das Geld, das ausbezahlt wurde, zurück. «Für Betroffene ist es deshalb schwierig bis aussichtslos, sich aus diesem Kreislauf jemals befreien zu können», sagt Conrad. Für diese Situation ist der Käfig ein passendes Sinnbild. In der Armutsthematik dürfen die sogenannten «Working Poor» nicht vergessen werden: Personen, die im Tieflohnsegment arbeiten und keinen Anspruch auf Sozialhilfe haben, aber trotzdem am Existenzminimum leben. Caritas St. Gallen-Appenzell geht davon aus, dass circa 50 000 Menschen im Kanton St. Gallen und den beiden Appenzell trotz Arbeit in Armut leben oder armutsgefährdet sind und keine staatliche Unterstützung beziehen.
Die modular aufbaubare Kunstinstallation kann für Anlässe und Aktionen in den Seelsorgeeinheiten des Bistums St. Gallen ausgeliehen werden.



Text: Katja Hongler, Bilder: Ana Kontoulis