«Schmelzer hatte eine wahre Fan-Gemeinde»

Buch­au­tor Roland Kley an der Vernis­sa­ge in der St.Galler Hauptpost.

Rabbi­ner Schmel­zer wirk­te über 30 Jahre in der jüdi­schen Gemein­de St. Gallen. Einem brei­ten Publi­kum wurde er als HSG-Dozent bekannt. Nun ist ein neues Buch erschie­nen, das seine inter­na­tio­na­len Statio­nen aufzeigt und darlegt, wie sich der Beruf des Rabbi­ners während seiner Karrie­re veränderte.

Als ein hervor­ra­gen­der Botschaf­ter des Juden­tums in der Ostschweiz sowie als kriti­scher Denker und Forscher: So wurde der St. Galler Rabbi­ner Hermann I. Schmel­zer nach seinem Tod 2020 in den Medi­en gewür­digt. Zwei Jahre später ist nun das Buch «Am Rand» des emeri­tier­ten HSG-Professors Roland Kley erschie­nen, das die neue­re Vergan­gen­heit der jüdi­schen Gemein­de St. Gallen mit der Biogra­fie ihres lang­jäh­ri­gen Rabbi­ners verknüpft und tiefer hinter die Person Schmel­zers blicken lässt. «Ich wünsche allen diesen offe­nen Blick und das kriti­sche Denken Schmel­zers sowie den steten Willen, in den Dialog zu treten» begrüss­te die St. Galler Regie­rungs­rä­tin Laura Bucher das zahl­reich erschie­ne­ne Publi­kum an der Buch­ver­nis­sa­ge am 14. Novem­ber im Raum für Lite­ra­tur in St. Gallen. Sie bezeich­ne­te Schmel­zer als Brücken­bau­er, der es immer verstan­den habe, verschie­de­ne Stand­punk­te im Dialog mitein­an­der zu verbin­den. Nur auf diese Weise sei es möglich, Extre­mis­mus Einhalt zu gebieten.

Die St. Galler ­Regie­rungs­rä­tin Laura Bucher und der Autor Roland Kley an der ­Vernis­sa­ge des neuen Buchs «Am Rand».

Ein jüdi­scher Noma­de ist die Bezeich­nung, die Roland Kley wählt, um die verschie­de­nen Statio­nen Schmel­zers aufzu­zei­gen. So hatte sich Schmel­zer im Gespräch mit Kley einst selbst charak­te­ri­siert. Auf 250 Seiten erzählt das Buch, wie sich der Rabbi­ner­be­ruf vor allem im 20. Jahr­hun­dert allmäh­lich änder­te, indem die Rabbi­na­te der schwei­ze­ri­schen Einheits­ge­mein­den eine ortho­do­xe Rich­tung nahmen. Der 1932 in Ungarn gebo­re­ne Schmel­zer hinge­gen verstand sich als euro­päi­scher Semi­nar­rab­bi­ner – ein Beruf, der an Bedeu­tung verlor und Schmel­zer so zu einem der letz­ten seiner Art mach­te. «Das Thema rund um die Semi­nar­rab­bi­ner, die nicht bloss die jüdi­schen Schrif­ten Talmud und Thora studiert hatten, sondern auch akade­misch gebil­det und der Wissen­schaft zuge­wandt waren, weck­ten mein Inter­es­se», sagt Roland Kley. 2011 entschloss er sich zu dem Buch­pro­jekt, das die eins­ti­ge Bedeu­tung des Rabbi­ner­se­mi­nars und dessen nach­las­sen­de Bedeu­tung mit der Fall­stu­die Schmel­zers verbin­den soll­te. Die beiden kann­ten sich von ihrer Lehr­tä­tig­keit an der Univer­si­tät St. Gallen – Roland Kley als Profes­sor und Hermann I. Schmel­zer als Dozent im öffent­li­chen Programm. Nicht weni­ger als 27 Gesprä­che von zwei bis drei Stun­den führ­ten die beiden im Büro an der HSG. Ein Kapi­tel im Buch widmet sich denn auch dieser für Schmel­zer uner­war­te­ten Fügung, an einer öffent­li­chen Univer­si­tät einen Lehr­auf­trag zu erhal­ten und wissen­schaft­lich publi­zie­ren zu können. In 35 Jahren hatte er dort 120 Kurse und Vorle­sun­gen ange­bo­ten. «Er hatte eine echte Fan-Gemeinde», sagt Kley.

Das Buch erzählt aber auch, wie Schmel­zer von Buda­pest über Paris, Stock­holm, London und Malmö 1986 nach St. Gallen kam, wo er seine Lebens­stel­le antrat, und wie ihn diese Statio­nen beein­fluss­ten. Ein weite­res Kapi­tel beschreibt, wie sich durch den Migra­ti­ons­strom in die USA und nach Isra­el als Folge des zwei­ten Welt­krie­ges auch die Juda­is­ti­sche Forschung, also die jüdi­sche Wissen­schaft, dort­hin verschob. Kley sagt: «Es war eine ­Entwick­lung, die Schmel­zer die Basis raubte.»

Roland Kley: Der Rabbi­ner Hermann I. ­Schmel­ze­r­und die jüdi­sche Gemein­de St. Gallen, 1968–2012.St. Galler Kultur und Geschich­te, Band 43.Chronos Verlag, 2022.

Text: Nina Rudnicki

Bilder: Regi­na Kühne

Veröf­fent­li­chung: 22. Novem­ber 2022

Pfarrblatt im Bistum St.Gallen
Webergasse 9
9000 St.Gallen

+41 71 230 05 31
info@pfarreiforum.ch