Im Moment da sein

Wie funk­tio­nie­ren Gottes­diens­te für Menschen mit Demenz? Zwei Seel­sor­gen­de erzäh­len, worauf es dabei ankommt und wieso es wich­tig ist, sie zu feiern.

Stär­ken­des mitgeben

«An erster Stel­le stehen für mich in einem Gottes­dienst für Menschen mit Demenz die eige­ne Grund­hal­tung und die Würde des Menschen», sagt Andre­as Barth, Verant­wort­li­cher für den Fach­be­reich «Seel­sor­ge­Plus» des Bistums St. Gallen. Hier­bei handelt es sich um Seel­sor­ge im Zusam­men­wir­ken mit Menschen mit und ohne Beein­träch­ti­gun­gen. «Die Würde steht jedem von uns zu jeder Zeit zu. Mit der Taufe bekommt man das Verspre­chen mit auf den Weg, dass man seine Würde bis zum Lebens­en­de und auch trotz star­ker Einschrän­kun­gen nicht verliert.» Der Gottes­dienst sei der Rahmen, in dem spür­bar werde, dass Gott für alle da ist. Ausser­dem solle der Gottes­dienst einem etwas mitge­ben, das fürs Leben stär­kend sei.

«Unge­plan­te Momen­te stos­sen bei mir immer auf ein offe­nes Herz und lösen ein Gefühl der Zuge­hö­rig­keit aus: Im Sinne von ‹schön, dass du da bist›», sagt Andre­as Barth, Verant­wort­li­cher Fach­be­reich «Seel­sor­ge­Plus» des Bistums St. Gallen.

In der Gelas­sen­heit bleiben

Anders als in einem gewöhn­li­chen Gottes­dienst ist in einem Gottes­dienst für Menschen mit Demenz vor allem die Spra­che. Laut Barth ist sie lang­sa­mer und besteht aus weni­ger Worten. Demge­gen­über steht eine grös­se­re Acht­sam­keit im Blick auf die Körper­spra­che, Mimik und Gestik. Auch die «Versinn­li­chung» wie durch Musik oder Gerü­che bekommt mehr Bedeu­tung. «Anders ist auch, dass man als Seel­sor­gen­der stär­ker im Moment präsent sein muss. Was durch­aus heraus­for­dernd ist», sagt er. «Es geht darum, körper­li­che und emotio­na­le Äusse­run­gen wahr­zu­neh­men. Lächelt jemand? Hat er Tränen in den Augen? Macht er etwas Spezi­el­les?» Barth erzählt von einem Mann mit Demenz, der jeweils seine Mund­har­mo­ni­ka hervor­zog. Er hatte darauf immer schon gerne Kirchen­lie­der gespielt. «Ich bat ihn folg­lich jeweils darauf zu spie­len und merk­te, dass seine Lieder auch vielen der ande­ren Perso­nen mit Demenz vertraut waren», sagt er. «Solche unge­plan­ten Momen­te stos­sen bei mir immer auf ein offe­nes Herz und lösen ein Gefühl der Zuge­hö­rig­keit aus: Im Sinne von ‹schön, dass du da bist›». Auch Ange­hö­ri­gen könne es helfen, zu versu­chen in der Gelas­sen­heit zu blei­ben. Anspan­nun­gen in einem selbst könn­ten die Unsi­cher­heit von Menschen mit Demenz noch verstär­ken. «Für Ange­hö­ri­ge ist es schwie­rig, wenn der Vater oder die Mutter ‹nicht mehr so funk­tio­niert› wie früher. Sie brin­gen Dinge anders und vor allem im Hier und Jetzt zum Ausdruck.»

Worte erleb­bar machen

Laut Barth ist ein Gottes­dienst ein Raum für sinn­emp­find­li­che Wahr­neh­mung. «Umso wich­ti­ger ist es, ihn nicht mit Symbo­len zu über­frach­ten, sondern sich auf weni­ges zu konzen­trie­ren», sagt er. Barth arbei­tet gern mit den Worten von Jesus: «Kommet her zu mir alle, die ihr mühse­lig und bela­den seid (…) so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen.» «Gleich­zei­tig zeige ich ein Bild von Jesus, der seine Arme öffnet oder reiche ein Herz aus Stoff herum. So dass dieses Gefühl durch ein Zeichen versinn­licht wird», sagt er. Eine weite­re Möglich­keit etwas zu versinn­li­chen sei beispiels­wei­se, mit Öl das Kreuz­zei­chen auf die Hand einer Person zu zeich­nen. Auch die Kommu­ni­on löse Emotio­nen aus. «Sie ist in der Gene­ra­ti­on, die aktu­ell an Demenz erkrankt ist, das Erken­nungs­zei­chen dafür, Teil einer Gemein­schaft zu sein und die Erin­ne­rung daran ist oft tief verankert.»

«Ich erle­be oft, dass wich­ti­ge Feste im Kirchen­jahr wie Weih­nach­ten oder Ostern mit ihrer spezi­el­len Atmo­sphä­re, ihren Symbo­len und Gerü­chen posi­ti­ve Emotio­nen bei Perso­nen mit Demenz auslö­sen», sagt Sepp Koller, Spital­seel­sor­ger am Kantons­spi­tal St. Gallen.

Sich an Bekann­tem orientieren

Auch für Sepp Koller, Spital­seel­sor­ger am Kantons­spi­tal St. Gallen, zeich­net sich ein Gottes­dienst für Menschen mit Demenz durch seine Schlicht­heit aus. «Wich­tig sind zudem vertrau­te Elemen­te, die aber möglichst kurz gehal­ten werden», sagt er. Gebe­te wie das Vater­un­ser, das Ave Maria oder auch bekann­te Bibel­tex­te würden meist gut funk­tio­nie­ren. «Da viele der älte­ren Perso­nen die Texte seit ihrer Kind­heit kennen, sind sie im Lang­zeit­ge­dächt­nis gespei­chert und geben ihnen ein Gefühl der Sicher­heit.» Dassel­be gelte für bekann­te Lieder wie die Mari­en­lie­der, das «Lobe den Herren», das «Gros­ser Gott, wir loben dich» sowie Weihnachts- oder Oster­lie­der. Vertraut­heit könne beispiels­wei­se zudem ein Gesang­buch schaf­fen, das die jewei­li­ge Person in den Händen halte. «Ich erle­be oft auch, dass wich­ti­ge Feste im Kirchen­jahr wie Weih­nach­ten oder Ostern mit ihrer spezi­el­len Atmo­sphä­re, ihren Symbo­len und Gerü­chen posi­ti­ve Emotio­nen bei Perso­nen mit Demenz auslö­sen», sagt er. «Voraus­set­zung ist immer, dass die Erin­ne­rung an die Kirche gute Gefüh­le auslöst.»

Text: Nina Rudnicki

Bilder: pixabay.com; zVg.; Ana Kontoulis

Veröf­fent­li­chung: 25. Okto­ber 2022

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