«Hauptsache, man macht ums Thema keinen grossen Bogen»

Wieso fehlen uns ausge­rech­net dann die Worte, wenn sie wich­tig wären? Anne Heither-Kleynmans (44) aus Altstät­ten erzählt, wie sie als Spital­seel­sor­ge­rin­ge­lernt hat, Passen­des zu sagen und auch ­Pausen auszu­hal­ten. Denn zu einem gelin­gen­den Gespräch gehört mehr als Worte.

Anne Heither-Kleynmans, Sie sind Spital­seel­sor­ge­rin und leiten das Trau­er­ca­fé in Altstät­ten. Sie sind schwie­ri­ge Momen­te gewohnt. Wann fällt es Ihnen dennoch schwer, das Rich­ti­ge zu sagen?

Anne Heither-Kleynmans: Das ist für mich immer dann der Fall, wenn die Umstän­de beson­ders schwie­rig sind. Im Spital ist das etwa, wenn junge Mütter oder Väter im Ster­ben liegen oder ich Menschen begeg­ne, die viele schwe­re Schick­sals­schlä­ge erlit­ten haben. Ich habe einmal eine älte­re Frau getrof­fen, deren Mann und zwei erwach­se­ne Kinder inner­halb von fünf Jahren gestor­ben sind. Das macht einen sprachlos.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie sich im ersten ­Moment sprach­los fühlen?

Anne Heither-Kleynmans: Ich denke, das schlimms­te ist, wenn man dann einfach weiter redet und viel­leicht sogar zu viele Worte wählt. Mir ist es wich­tig, dass ich inne­hal­te und dann auch sage und benen­ne, dass ich auf bestimm­te Situa­tio­nen auch kaum etwas zu sagen weiss. Und ich fasse in Worte, was es in mir auslöst. Dann versu­che ich heraus­zu­fin­den, was mein Gegen­über gera­de beschäf­tigt. Um beim Beispiel mit der ster­ben­den jungen Mutter oder dem jungen Vater zu blei­ben: Manch­mal beschäf­ti­gen ganz alltäg­li­che Dinge wie der Geburts­tag des 4‑jährigen Sohnes: Wer orga­ni­siert das Fest während man selbst schwer­krank im Spital liegt? Ande­rer­seits sind da der Zwei­fel und das Hadern mit seinem Schick­sal. Ich versu­che daher bei jedem Gespräch zu verste­hen, in welcher Situa­ti­on sich jemand befindet.

Das heisst aber auch, einen ­fixen Ablauf für Gesprä­che in schwie­ri­gen Lebens­si­tua­tio­nen haben Sie nicht?

Anne Heither-Kleynmans: Nein, für mich gibt es über­haupt keinen festen Ablauf. Fix ist nur, dass ich mich am Anfang eines Gesprächs vorstel­le, falls ich jeman­den noch nicht kenne und am Schluss versu­che, einen runden Abschluss zu machen. Das ist manch­mal ein Segen, ein Gebet, eine Kran­ken­kom­mu­ni­on oder einfach Wünsche, die auf mein Gegen­über zutref­fen. Das sollen keine Flos­keln sein, sondern zusam­men­fas­sen, was aus meiner Sicht für jeman­den das Wich­tigs­te zu sein scheint. Das trifft sowohl auf Gesprä­che zu, die eine Vier­tel­stun­de dauern, wie auch für über Einstündige.

Klappt das bei kurzen und ­langen Gesprä­chen glei­cher­mas­sen gut?

Anne Heither-Kleynmans: Einen Abschluss mit den rich­ti­gen Worten zu finden, funk­tio­niert schon einfa­cher bei Gesprä­chen, die in die Tiefe gehen. Ich hatte einmal eine hoch­alt­ri­ge Pati­en­tin, die als Kind eine verstö­ren­de Gewalt­tat beob­ach­tet hatte. Sie hatte noch nie zuvor jeman­dem davon erzählt. In dem Moment, als sie mir davon erzähl­te, war sie sehr bewegt. Das lag ja 85 Jahre zurück. Wenn man über so etwas redet, braucht es viel Zeit und geht in die Tiefe. Da kommen viele Emotio­nen hoch.

Welche Worte soll man wählen, damit beim Gegen­über auch ankommt, was man wirk­lich gemeint hat? (Bild: pixabay.com)

Aber was sagen Sie denn, wenn Ihnen jemand von so ­einer schreck­li­chen Erin­ne­rung erzählt? Nahe­lie­gend wäre da doch «Was, wirk­lich?», «Ist das wahr?», «Im Ernst?» …

Anne Heither-Kleynmans: Naja, von so einer ­Erin­ne­rung zu erzäh­len, kommt ja nicht aus dem blau­en Himmel, sondern bahnt sich im Gespräch lang­sam an. ­Häufig merke ich auch, dass die ­Perso­nen mir noch etwas erzäh­len wollen, wenn ich zum ­Gesprächs­ab­schluss komme. So ein Gespräch ist ein gemein­sa­mes Durch­ar­bei­ten von verschie­de­nen Themen. Wenn ich da die falschen Worte wählen würde wie «Das lassen wir jetzt mal sein» könn­te so ein Gespräch schnell been­det sein.

Sie sind seit 16 Jahren ­Seel­sor­ge­rin, 12 davon ­Spital­seel­sor­ge­rin. Können Sie heute besser die passen­den Worte wählen als früher?

Anne Heither-Kleynmans: Ja, ich würde sagen, ich bin heute geüb­ter darin. Gesprächs­füh­rung ist ja auch Teil der Ausbil­dung zur Spital­seel­sor­ge­rin. Gelernt habe ich in all dieser Zeit auch, dass es nicht nur um Worte geht. Die Haltung beispiels­wei­se ist genau­so wich­tig: Bin ich zuge­wandt und verständ­nis­voll. Ausser­dem sind manch­mal Gesprächs­pau­sen wich­tig. Diese geben Raum, sich zu öffnen.

Im Spital haben Sie mit schwer­kran­ken Perso­nen zu tun, im Trau­er­ca­fé mit ­Ange­hö­ri­gen. Was ist für Sie schwieriger?

Anne Heither-Kleynmans: Da gibt es für mich keine pauscha­le Antwort. Jeder Mensch und jede Situa­ti­on sind unter­schied­lich. Im Gespräch mit ande­ren zu sein ist immer indi­vi­du­ell. Man kann Leid nicht abwie­gen. Ein Leid ist nicht schlim­mer als das ande­re. Es geht immer auch darum, nach Posi­ti­vem und Ressour­cen zu suchen.

Gera­de im Trau­er­ca­fé tref­fen so viele verschie­de­ne Perso­nen mit verschie­de­nen ­Geschich­ten und Erleb­tem ­aufein­an­der. Wie schafft man es da, eine ­gemein­sa­me ­Spra­che zu finden?

Anne Heither-Kleynmans: So unter­schied­lich das Erleb­te ist, so finde ich doch, dass Trau­ern­de unter­ein­an­der sich bestär­ken. Oft hilft es Perso­nen, die neu ins Trau­er­ca­fé kommen, zu hören was ande­ren in Krisen­si­tua­tio­nen gehol­fen hat. Das soll­te aber nicht als Auffor­de­rung oder Befehl formu­liert werden, also in der Art «Mach doch auch mal das und das …». Das versu­chen wir zu vermei­den. Denn was dem einen gehol­fen hat muss der ande­ren nicht auch helfen. Aber wenn jemand einfach von seiner eige­nen Erfah­rung erzählt, probiert die ande­re das viel­leicht auch einmal aus. Oft sind es auch die trös­ten­den und bestär­ken­den Worte von uns Leiten­den und den ande­ren Trau­ern­den, die die Betrof­fe­nen als hilf­reich empfin­den, gera­de da Trau­ern­de oft auch Worte hören, die sie sehr verletzen.

Was soll­te man denn eher nicht sagen?

Anne Heither-Kleynmans: Zum Beispiel «Das kommt schon wieder gut» oder «Zeit heilt alle Wunden». Das sind Flos­keln oder Sprü­che, die oftmals aus Hilf­lo­sig­keit gesagt werden.

Wieso fallen uns denn oftmals genau solche Flos­keln ein statt der passen­den Worte?

Anne Heither-Kleynmans: Ich denke, es ist Gewohn­heit. Das ist wie mit dem «Wie geht es dir?». Gera­de Trau­ern­de werden das stän­dig gefragt. Aber wenn sie anfan­gen zu erzäh­len, inter­es­siert es den ande­ren viel­fach bereits nicht mehr. Wir sagen solche Sätze oft einfach ohne uns bewusst zu sein, was in ihnen steckt. Wenn man beispiels­wei­se gera­de keine Zeit hat für ein Gespräch, wäre es ehrli­cher zu sagen: «Schön, dass ich dich sehe. Ich kann mir vorstel­len, dass es schwer ist im Moment für dich. Ich melde mich morgen bei dir.» Dann ist es aber auch wich­tig, das einzu­hal­ten und sich wirk­lich am nächs­ten Tag zu melden.

Haben Sie selbst schon einmal eine Reak­ti­on bekom­men, die Sie völlig unpas­send fanden?

Anne Heither-Kleynmans: Dass ich mich in alltäg­li­chen Situa­tio­nen miss­ver­stan­den fühle, kommt natür­lich immer wieder einmal vor. Da denke ich dann, mein Gegen­über hat jetzt gar nicht verstan­den, worum es mir geht. Gene­rell gilt es im Gespräch mit jeman­dem, acht­sam und aufmerk­sam zu sein und Flos­keln zu vermeiden.

Welche Worte sind beim ­Kondo­lie­ren passend? Und ist es zum Beispiel ange­mes­sen, jeman­dem über Whats­App zu kondolieren?

Anne Heither-Kleynmans: Ich denke, es muss immer für einen selbst stim­men. Ob man schrift­lich, münd­lich oder sogar per Whats­App kondo­liert, hängt auch davon ab, wie man selbst ist und auf welchem Weg beide Perso­nen sonst kommu­ni­zie­ren. Wie man kondo­lie­ren soll ist ein riesi­ges Thema und es gibt in der Bevöl­ke­rung eine Unsi­cher­heit, was da heute ange­mes­sen ist. Man kann beim Kondo­lie­ren sagen, was einem wich­tig ist wie «Ich denke an dich» oder «Ich wünsche dir Kraft». Auch beim Zeit­punkt des Kondo­lie­rens kann man sich auf sein Gefühl verlas­sen. Haupt­sa­che ist, man macht keinen gros­sen Bogen um die betrof­fe­nen Menschen oder denkt «Oh, jetzt ist es eh zu spät.» Seine Anteil­nah­me kann man auch Wochen später ausdrü­cken und sich daran erin­nern, was einen mit dem Verstor­be­nen verbun­den hat.

Text: Nina Rudnicki

Bild: zVg.

Veröf­fent­li­chung: 23.08.2022

Zum Thema:

«Ehrlich­keit und Acht­sam­keit» (24.08.2022)

«Das Wich­tigs­te im Gespräch mit Ster­ben­den sind Ehrlich­keit und Acht­sam­keit», sagt Moni­ka Ganten­bein aus Wild­haus. Als frei­wil­li­ge Ster­be­be­glei­te­rin entlas­tet die Toggen­bur­ge­rin Ange­hö­ri­ge und steht Ster­ben­den in den letz­ten Tagen und Stun­den bei.

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