Leserfrage: Wieso ist das Einfache so schwierig?

Wenn die Sonne mich lockt und der Tag frei ist, geh ich im Sommer gern in den Bergen wandern. Sportlich bin ich nicht, vermutlich sogar eher langweilig langsam. Oft wähle ich die gleichen Wege.

Einer meiner Lieblingswege beginnt steil durch Weideland, sodass ich recht am Schwitzen bin. Schliesslich kam ich auf die Idee, den Weg einmal in die andere Richtung zu probieren. Der Anstieg war sanft, am Schluss ging es sogar leichtfüssig bergab. Obwohl die Höhenmeter gleich waren, war der Weg weniger anstrengend, weil die Belastungen anders verteilt waren. Auch konnte ich manches neu von einer anderen Seite sehen, die mir andersherum nicht ins Auge gefallen war. Das hat mich nachdenklich gemacht. Warum bin ich vorher nie auf die Idee gekommen, den Weg umgekehrt zu gehen, eine andere Perspektive zu nehmen, die festgetretenen Muster zu hinterfragen? Das, was mir schwer schien, konnte auch leicht sein. Es lag nicht am Weg, es lag an mir selbst, und ich frage mich: Sind wir uns selbst manchmal im Weg, wenn das, was leicht sein könnte, schwer ist?

 

Lösen vom Fixiertsein

Kürzlich habe ich meine Brille verzweifelt gesucht. Das kann passieren, wenn die Gedanken herumirren. Sie ist rahmenlos, die Brille, fast unsichtbar. Ich bräuchte eine Brille, um meine Brille zu suchen. Sogar im Kühlschrank habe ich nachgeschaut, ob ich sie etwa achtlos am Morgen zur Kirschkonfi gelegt habe. Nichts. Schliesslich geriet ich unter Termindruck und habe mich, in angestauter Not, an meine Kindheit erinnert, in der ich lernte, einen Helfer anzurufen: den heiligen Antonius. Ich wandte mich also eindringlich und flehend an den heiligen Antonius, und da lag die Brille auch schon neben dem Spülbecken, durch ein Handtuch halb versteckt, als würde sie mich auslachen: «Da bin ich schon die ganze Zeit!» Warum habe ich sie vorher nicht gesehen? Hat der heilige Antonius geholfen, die Brille zu finden, oder wurde ich aus meinem Herumkreisen und Fixiertsein auf die Suche erlöst, als ich ihn zu Hilfe rief, und konnte wieder wahrnehmen, was um mich herum war?

 

Dinge auf den Kopf stellen

Sie können sicher selber solche Beispiele dazulegen, wo man bei etwas Leichtem so richtig in Stress gerät und es einem schwer vorkommt, ohne dass man weiss, warum. Oft gelingt es uns nicht, uns aus diesem Stress, aus den Mustern, aus dem Hamsterrad zu befreien, und wir drehen uns im Kreis und finden den Rank nicht. Als Seelsorgerin beschäftigt mich dies auch in der Kirche. Wäre manches nicht einfacher, leichter, ehrlicher, wenn es uns gelänge, die Dinge einmal wie beim Wandern andersherum anzugehn, die Perspektive zu wechseln und die Gewohnheiten und unser Kirchenbild auf den Kopf zu stellen? Und, wenn nichts weiterführt, sich einzugestehen, dass ein Helfer oder eine Helferin Not täte, damit wir uns aus unserem Kreisen um uns selbst befreien lassen? Ich wünsche es uns.

Ulrike Wolitz
Spitalseelsorgerin in Grabs
Veröffentlichung: 10.09.2025