Editorial

Jede neue Erfindung teilt die Gesellschaft in verschiedene Gruppen: Manche nutzen das Neue sofort, neugierig und vielleicht auch unbedarft, manche warten die ersten Erfahrungen von anderen und die Einschätzung von Expert*innen ab und manche haben gleich zig Gründe zur Hand, warum das Neue unnötig, schlecht oder sogar gefährlich ist. Dass Tech-Firmen inzwischen erste KI-Anwendungen anbieten, die die Kommunikation mit Verstorbenen ermöglichen, löst bei mir Befremden aus. Skeptische und gegnerische Stimmen nennen zu Recht mögliche Gefahren dieser KI-Trauer-Tools: eine drohende Abhängigkeit, eine psychologische Überforderung, die der simulierte Kontakt mit Verstorbenen verursachen kann.

 

Aber die aktuell vielleicht drängendsten Fragen werden kaum gestellt: Welche Ziele und Absichten verfolgen die KI-Firmen? Auf welchem Datenmaterial basiert die Technik? Kann ich als Nutzer sicher sein, dass bei der Entwicklung der Anwendung Expert*innen aus der Trauerbegleitung und Therapie involviert waren? Oder liefere ich mich, die Verstorbenen, meine und die Daten der Verstorbenen rein  kommerziellen Konzernen aus? Viele KI-Anwendungen ködern mit ihren Gratisangeboten. Umsonst scheint inzwischen aber nicht einmal mehr der Tod zu sein.

Stephan Sigg
Leitender Redaktor
Veröffentlichung: 28.08.2025