Da ist der Saturn. Ungefähr so gross wie ein Ohrstecker. Dafür zeigen sich die goldenen Ringe, die den Planeten umgeben, deutlich beim Blick durchs Teleskop. Es ist eisig kalt und dunkel. Das Thermometer der Sternwarte Antares in Andwil misst minus zehn Grad. Doch der Anblick des Planeten lässt einen die Kälte für einen Moment vergessen. «Zumindest diesen Planeten erkenne ich. So viel weiss ich über unser Sonnensystem», sagt eine der Besucherinnen. Zusammen mit weiteren Leiterinnen und Leitern der Pfadi St. Laurentius in Flawil hat sie eine Führung in der Sternwarte gebucht. An diesem Abend Ende November stehen Kugelsternhaufen, offene Sternhaufen, Galaxien, ein Ringnebel und weitere Objekte auf dem Programm. «Ringnebel sind leuchtende Gashüllen, die am Lebensende eines Sterns von ihm übrigbleiben», erklärt Fabian Neyer, Präsident der Sternwarte, den Teilnehmenden. Wann immer sich am Himmel die Wolken an einer neuen Stelle auftun, richtet der 40-Jährige das grosse Spiegelreflexteleskop neu aus oder erklärt mittels einer Taschenlampe den Sternenhimmel. Mit dem Lichtstrahl zeichnet er nach, wo die Sternbilder Andromeda, Pegasus oder Schwan liegen.
Weder starr noch stabil
«Blicken wir in den Sternenhimmel, haben wir das Gefühl, der Himmel sei immer gleich. Dabei ist im Universum nichts starr und stabil. Alles verändert sich ständig. Nur sind die Zeiten und Distanzen so extrem lang und gross, dass wir uns das kaum vorstellen können», sagt er. Der Blick ins All bedeutet für Fabian Neyer Abschalten von der Hektik des Alltags. Das hilft ihm dabei, vieles zu relativieren. Mit seiner Spezialkamera, die sich am Teleskop befestigen lässt, hält er in Aufnahmen fest, was ihn besonders fasziniert oder was er im Weltall neu entdeckt. Eine seiner Fotografien zeigt als erste Aufnahme weltweit extrem lichtschwache Objekte um die Sunflower Galaxy. In der Folge ist eine Publikation darüber erschienen. Für seine Leidenschaft, die Astrofotografie, investiert Fabian Neyer bis zu 150 Stunden pro Aufnahme. «Für ein Foto mache ich über mehrere Wochen hinweg hunderte einzelne Aufnahmen mit im Schnitt zwanzig Minuten Belichtungszeit. Anschliessend verarbeitet der Computer diese grossen Datenmengen zu einem einzigen Bild. Auch das dauert», sagt der Abtwiler. Einige seiner Bilder hat er in der Sternwarte aufgehängt, eine Übersicht findet sich auf seiner Website www.starpointing.com.
Ohne Sterne kein Leben
«Ohne Sterne gäbe es kein Leben, keine Wärme und das Universum wäre dunkel. Und alles was es auf der Erde gibt, stammt aus dem Innern von Sternen. Es kommt nicht von irgendwoher, dass es heisst, wir Menschen bestünden aus Sternenstaub», sagt er. Geburt, verschiedene Lebensphasen, dann der Tod: Explodiert ein Stern am Ende seiner Existenz, gelangen all seine Elemente ins All, mischen sich mit interstellarem Gas und bilden später neue Sterne, Planeten und schliesslich auch Lebewesen. Der Blick nach oben entspreche seit jeher der Neugier des Menschen, sagt er. «Ohne sie hätten wir uns nicht weiterentwickelt. Wir wollten schon immer verstehen, wie etwas funktioniert. Dieser Drang hat uns geholfen, die Natur und unsere Umgebung zu begreifen.» Heute wie damals stellen wir dieselben grossen Fragen: Woher kommen wir? Wie sind wir entstanden? Was macht uns aus? Nicht alles könne man mit Fakten erklären. Es bleibe immer noch Raum für anderes. «Es tut gut, nachzudenken, woher wir kommen, über den Platz auf der Erde und über das Geschenk des Lebens. Wenn man sich auf das Universum einlässt, öffnen sich Fragen, die sonst im Alltag untergehen.»
Vom Podcast zur Sternwarte
Über den Podcast «Sternengeschichten» ist Nico Wohlwend zur Sternwarte gekommen. Der 26-jährige Flawiler ist Zuständiger für die Leitenden der Pfadi St. Laurentius. Es war seine Idee, die Gruppe in die Sternwarte einzuladen. Noch bevor die Führung an diesem Abend begonnen hat, hat er den Platz vor dem Schuppen, auf dem die Teleskope aufgestellt werden, mit einer Schneeschaufel freigeräumt. Zwischendurch hat er Pausen eingelegt und erzählt, wie er vor Kurzem den Kurs zum Demonstrator in der Sternwarte absolviert hat. Seither kann er selbst die Teleskope bedienen und auch Führungen machen. «Ich bin einfach fasziniert davon, was das Universum an verschiedensten Themen hergibt», sagt er und erzählt, wie er während seines Studiums nach einem Podcast gesucht habe, der sich für kurze Pausen eigne. «Sternengeschichten» dauere jeweils nur knapp 15 Minuten lang und jede Folge habe ihn mehr und mehr in das Thema hineingezogen.
Auch eine Frage der Theologie
Was sind Sterne? Davon handelt die erste Folge. Während Folge 658 etwa der Frage nachgeht, was christliche Theologen aus verschiedenen Jahrhunderten über das Universum und ausserirdisches Leben dachten. So war der katholische Kirchenlehrer Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert der Ansicht, es könne nur eine Welt geben, da es auch nur einen Gott gebe. Eine Welt für einen Gott spiegle dessen Perfektion wieder. Im 15. Jahrhundert behauptete der Theologe Niklaus von Kues, dass alle Sterne am Nachthimmel Welten seien und überall jemand leben würde. Der italienische Mönch und Philosoph Giordano Bruno vertrat im 16. Jahrhundert die Meinung, dass ein unendlicher Gott auch ein unendlich grosses Universum mit unendlich vielen Welten erschaffen habe, sonst mache alles keinen Sinn. Jeder Stern sei eine Sonne und werde von Planeten umkreist. «Der Podcast hat mich inspiriert und ich wollte die Sachen mit eigenen Augen sehen, von denen ich gehört hatte», sagt Nico Wohlwend. Er recherchierte im Internet und fand so die öffentlichen Führungen in der Sternwarte Antares. «Nach meinem Besuch stand für mich fest, dass ich Mitglied werden würde.»
Klarere Sicht danke Kälte
In einer der kältesten Nächte des Jahres die Sternwarte zu besuchen, habe auch Vorteile, sagt Nico Wohlwend im Hinblick auf den Besuch der Pfadileiterinnen und Pfadileiter. Der Himmel sei dann klarer und die Sterne und Planeten liessen sich besser betrachten. Fabian Neyer stimmt ihm zu. Gemeinsam schaufeln sie die letzten Meter Schnee vom Vorplatz, fahren das Spiegelreflexteleskop und den Refraktor, ein Linsenteleskop, auf der Bodenschiene unter den freien Himmel. Dann richten sie die Geräte auf den Nordstern aus. Auf einem kleinen Computer sind die Koordinaten weiterer Himmelskörper abgespeichert. Per Knopfdruck finden die Teleskope so jeweils in die entsprechende Position.
Erleben und lernen
Eine der Aufgaben der Sternwarte und des Vereins Antares ist ein Beitrag an die Bildung der Gesellschaft. «Astronomie ist heute kein Pflichtstoff in der Schule mehr», sagt Fabian Neyer. «Die meisten von uns wissen fast nichts übers Universum oder unser Sonnensystem. Diese Lücke möchten wir schliessen.» So würden auch regelmässig interessierte Primarschul- oder Oberstufenschulkinder die Sternwarte besuchen, etwa im Rahmen einer Projektwoche. «Mit den Lehrpersonen in der Umgebung sind wir regelmässig im Kontakt», sagt er und fügt an, dass es einen grossen Unterschied mache, ob man etwas auf Papier oder in Bildern sehe und kennenlerne oder ob man etwas vor Ort erlebe. «Etwas, das man selbst gesehen hat, bleibt einem ganz anders in Erinnerung.»
Überall Neues zu entdecken
Fabian Neyer erzählt von seinem ersten Teleskop, das er als Oberstufenschüler von seinen Eltern geschenkt bekam. Bereits mit zehn Jahren habe er angefangen, sich für das Weltall zu interessieren. «Ich habe mich gefragt, wieso am Himmel einige Sterne viel heller leuchten als andere», sagt er. Zusammen mit seinem Vater habe er Bücher angeschaut und immer mehr Fragen gestellt: Bewegen sich Planeten und Sterne? Sind die Sterne ewig da? Wie viel Mal grösser sind Sterne als unsere Sonne? Später studierte er Geophysik, also die Wissenschaft der Erforschung und Beschreibung der Erde. Heute arbeitet er als Softwareentwickler bei einer Vermessungsfirma. «Ich habe mich bewusst dafür entschieden, nicht Astrophysik zu studieren. Zum einen gibt es den klassischen Astronomen heute nicht mehr, zum anderen sollte die Astronomie meine Leidenschaft und Ausgleich zum Beruf bleiben.» Das Universum biete selbst für Amateure noch die Chance, etwas Neues zu entdecken. «Es gibt Milliarden von Galaxien, viele sehen wir von hier aus», sagt er. «Und dabei blicken wir immer in unseren eigenen Ursprung.»
Lesenswertes zum Thema:
Artikel auf kath.ch: «Papst Leo XIV. hält Leben in anderen Sonnensystemen für möglich»
Das sagt die renommierte Theologin und Ethikerin Christina Aus der Au über Sternenstaub: www.die-bibel.ch/veranstaltung-mehr-als-sternenstaub/
Tipps für zuhause
1. Feldstecher verwenden
Ein normaler Feldstecher genügt, um bereits viele Himmelsobjekte zu entdecken. Wird der Feldstecher auf einem Stativ befestigt, bleibt das Bild ruhig und feine Strukturen sind besser erkennbar.
2. Orientierung am Januarhimmel
Der Orion steht zu dieser Jahreszeit besonders gut. Die drei Gürtelsterne dienen als Anhaltspunkt. Direkt darunter, im Schwert des Orions, findet sich ein verschwommener Lichtfleck. Das ist der Orionnebel, eines der nächstgelegenen Gebiete, in denen neue Sterne entstehen. Durch einen Feldstecher wirkt er wie eine feine leuchtende, beinahe räumlich erkennbare Wolke.
3. Digitale Hilfe nutzen
Apps wie Stellarium zeigen eine aktuelle Himmelskarte und erklären, wo sich Objekte wie der Orionnebel befinden. Für die Beobachtung von Kometen eignet sich die Website www.theskylive.com, da sie aktuelle Positions- und Sichtbarkeitsdaten liefert.
4. Geeigneten Standort wählen
Ein Balkon oder Garten genügen, sofern störende Lichtquellen reduziert werden: Beleuchtungen ausschalten und den Blick weg von starken Strassenlampen richten.
5. Augen an die Dunkelheit gewöhnen
Die Augen brauchen etwa fünf Minuten Zeit, um sich an die Dunkelheit anzupassen. Danach treten Nebel und schwächere Sterne deutlich besser hervor.
Über die Sternwarte
Die Gründung der Sternwarte in Gossau geht auf Ewgeni Obreschkow, einst Rektor des Gymnasiums Friedberg in Gossau, zurück. Zusammen mit dem Astronauten-Experten Men Schmidt suchte er «einen dunklen Ort, welcher nicht zu weit von der Stadt Gossau entfernt liegt». Er wurde zwischen Gossau und Andwil fündig. 1998 wurde der Verein gegründet. Sogleich schlossen sich 45 Leute an – heute sind es bereits über 100. 1999 wurde die Sternwarte eröffnet. Mit Förder-, Mitgliederbeiträgen und Spendengeldern wurden die rund 150 000 Franken zusammengetragen, mit denen das Haus und die Infrastruktur bereitgestellt wurden. Ein nachträglich hinzugefügter Anbau sowie eine Erweiterung liessen den Anlagewert seither auf rund 250 000 Franken ansteigen. Seit 2021 ist Fabian Neyer der Präsident des Vereins. In der Sternwarte gibt es monatlich stattfindende öffentliche Führungen sowie die Möglichkeit für private Gruppenbesuche.