Carsten Wolfers, was fällt Ihnen zu den Stichworten Spiritualität und Beziehungen spontan ein?
Denkt man an Spiritualität, geht es oft um die Frage, wie man den eigenen Glauben gestalten könnte. Man richtet den Blick also auf sich selbst und überlegt sich, ob man seine Spiritualität etwa in Form von Stundengebeten oder Yoga praktizieren möchte. Alleine das Christentum bietet eine 2000 Jahre alte Schatzkiste an unzähligen Möglichkeiten, seine Spiritualität zu leben. Auf die Idee, eine Beziehung als Ressource für Spiritualität zu sehen, kommen wir allerdings selten. Wieso fragen wir unsere Partnerin oder unseren Partner nicht, wie es ihm mit diesem Thema geht?
Ist das eine Frage, mit der Paare in der Seelsorge auf Sie zukommen?
Nein. Das habe ich noch nie erlebt. Wie man Spiritualität in einer Beziehung leben kann, kommt weniger direkt als vielmehr über Brücken zur Sprache. In erster Linie geht es meist um Themen, die generell für eine Partnerschaft wichtig sind. Dazu gehören etwa Liebe, Erziehung, Feste und Feiern oder Versöhnung und Vergebung. Beginnt man, sich mit diesen Werten auseinanderzusetzen, wird man wacher dafür, wo in Beziehungen oder in Familien überall Spiritualität zum Tragen kommt.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Nehmen wir den Impulstag für Paare, die sich kirchlich trauen lassen wollen. Ich leite die Impulstage seit etwa 15 Jahren. In dieser Zeit hat sich viel verändert. Früher kamen die Paare oft auf Empfehlung des zuständigen Seelsorgenden in den Kurs. Sie hatten die Einstellung: «Was könnt ihr uns von der Kirche überhaupt über Beziehungen erzählen?» Ich hatte immer den Eindruck, dass viele Teilnehmende nicht das Gefühl hatten, Spiritualität würde ihnen in einer Beziehung helfen können.
Und heute?
Heute sind die Paare viel weniger voreingenommen. Sie wissen weniger über Religion und Spiritualität. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass sie neugierig und offen sind. An den Impulstagen sind die Paare interessiert daran, wie Spiritualität zu einer langfristigen Beziehung beitragen kann. Spiritualität zeigt sich unter anderem in Ritualen. Das kann damit beginnen, jemandem etwas Gutes zu wünschen, wenn er das Haus verlässt und füreinander da zu sein, wenn man abends wieder heimkommt. Eine Beziehung ist ein gemeinsames Suchen auf der Basis von etwas Schönem, von Göttlichem und Liebe. Man kann sie zusammen gestalten. Mir fällt dazu folgendes Zitat aus der Bibel ein: «Die Liebe deckt viele Sünden zu.» Das bedeutet auch, dass wir in der Spiritualität Kraft und Ressourcen haben, Unterschiede zu überwinden.
Das heisst aber auch, dass es eine gemeinsame Basis braucht.
Ja, aber ich stelle einen zunehmenden Generationenunterschied fest in Bezug darauf, wie diese Basis sein sollte. Als meine Frau und ich uns vor über 23 Jahren kennenlernten, merkten wir, wie sich unsere Spiritualität und unser Brauchtum unterschieden. Sie kam aus einer modernen Stadtpfarrei. Ich besuchte eine typische Dorfkirche. Wir sind mit ganz anderen spirituellen Traditionen aufgewachsen und haben dann geschaut, wie wir eine gemeinsame Grundlage schaffen. Bei der heutigen Generation ist kirchliches Brauchtum kaum mehr ein Thema. Es geht um allgemeinere spirituelle Fragen: Glauben wir an etwas Grösseres? Welche Vorstellung haben wir von Liebe? Wie können wir ein Segen füreinander sein?
Haben Sie einen Tipp, wie man ganz einfach Raum für Spiritualität in einer Beziehung schaffen kann?
Mir fällt die Hochzeitskerze ein. Diese bekommen Paare bei der Trauung geschenkt. Gibt es ein Problem oder eine Herausforderung könnte man diese anzünden. Das Licht steht für Hoffnung und macht uns bewusst, dass wir in uns über Mittel verfügen, wie wir Herausforderungen angehen können. Solche Rituale machen uns unsere eigene Spiritualität und die damit verbundenen Ressourcen bewusst.
Und was raten Sie Profis?
Ist man seit vielen Jahren in einer Beziehung, lohnt es sich, bewusst eine Perspektive der Dankbarkeit oder einen anderen Blickwinkel einzunehmen: Warum bin ich mit dieser Person zusammen? Wie habe ich dank dieser Beziehung meine Persönlichkeit weiterentwickelt? Was für ein Mensch wäre ich sonst geworden? Das macht einem womöglich bewusst, weshalb man ein Segen füreinander ist. Wenn ich zurückblicke, frage ich mich manchmal, was für ein komischer Kauz wohl aus mir geworden wäre, wenn ich meine Frau nicht kennengelernt hätte.
Mehr zum Thema «Spiritualität in Beziehungen» in der aktuellen Folge des Podcasts «Soulfood» von Carsten Wolfers. Überall, wo es Podcasts gibt.