Kompromisse für ein ­harmonisches Familienfest

Die pubertierende Tochter findet die geliebte Tradition mit dem Schoko-­Adventskalender in diesem Jahr auf einmal einfach nur peinlich – was tun? Das Angebot der Kinder- und ­Jugendhilfe St. Gallen ist gerade in den Wintermonaten besonders gefragt. Jana Schmidli, die neue Geschäftsleiterin, sagt, wie man Konflikte im Advent und an Weihnachten löst.

Die Geschenke sind ausgepackt, der 17-jährige Sohn möchte an eine Party, die Mutter möchte lieber Weihnachtslieder singen und der Weihnachtsgeschichte horchen, der Vater will mit der ganzen Familie die Mitternachtsmesse besuchen. So oder so ähnlich sieht es in vielen Haushalten an Heiligabend aus. Mehrere Personen, mehrere Vorstellungen – da ist Streit nicht selten programmiert. «Die Adventszeit ist für Jugendliche und Eltern herausfordernd und bietet Konfliktpotenzial», sagt Jana Schmidli von der Kinder- und Jugendhilfe St. Gallen (KJH). Das Sozialwerk des Bistums St. Gallen berät und begleitet Eltern, Kinder, Jugendliche und Familien bei Fragen, Unsicherheiten oder Schwierigkeiten im Alltag (siehe Kasten). Wann immer es geht, versuchen die Mitarbeitenden der KJH auch kurzfristig Beratungsgespräche anzubieten.

 

Dazugehören wollen

Jana Schmidli bestätigt, dass in den Wintermonaten diese Themen mehr in den Fokus rücken. Sie sagt: «Weihnachten und die Adventszeit sind geprägt von vielen Ritualen und Traditionen. Es kann sein, dass die Jugendlichen sich immer weniger mit diesen Traditionen identifizieren oder sie sogar ablehnen, was schnell zu Reibungen führen kann.»

Jana Schmidli ist seit 1. September 2025 neue Geschäftsleiterin der Kinder- und Jugendhilfe St. Gallen.

Die Jugend gilt als Zeit der Veränderung und der Unsicherheit. «Die Identitätssuche ist für das Jugendalter charakteristisch, die Meinung der Gleichaltrigen wird immer wichtiger», so Schmidli. Die Jugendlichen vergleichen sich mit anderen und wollen dazugehören. Das schafft Druck bei den Jugendlichen. «Die digitalen Medien verstärken diesen Druck noch mehr», so Jana Schmidli.

 

(Zu) Hohe Erwartungen

Aber nicht nur unterschiedliche Auffassungen bezüglich Wahrung von Traditionen können die Stimmung an den Weihnachtstagen trüben. «Der Erwartungsdruck spielt in dieser Jahreszeit eine noch grössere Rolle als im ‹normalen› Alltag», sagt Jana Schmidli. Die Tage rund um Weihnachten sind besonders für uns alle. Das weiss auch die Sozialarbeiterin, die selbst Mutter von zwei erwachsenen Kindern ist. «Es ist für viele die Zeit des Innehaltens und der Reflexion. Wir blicken zurück und wollen zur Ruhe kommen. Die Realität ist allerdings meist eine andere», so Schmidli. Alle hätten viel zu tun, seien mit Vorbereitungen beschäftigt, oft fehle Eltern die Zeit. «Das schafft auch bei ihnen Druck. Hinzu kommt die Anforderung an sich selbst, alles allen richtig machen zu wollen und allen Bedürfnissen gerecht zu werden.» Jana Schmidli spricht auch den finanziellen Druck in der Weihnachtszeit an. Eltern müssen sich um die Geschenke kümmern, Kinder wollen dieselben coolen Sachen, die sie im Freundeskreis oder im Internet sehen. Möglicherweise wird aber auch von den Jugendlichen ein «Schenken und Beschenken» erwartet. Hier spiele vor allem die Konsumwerbung eine bedeutende Rolle, so Schmidli. «Das alles kann bei Eltern und auch bei Jugendlichen Stress auslösen. Und wenn die Jugendlichen dann auch noch auf das letzte Jahr zurückblicken oder an das neue denken, kann das bei manchen Zukunftsängste wecken – je nachdem, wo sie im Leben gerade stehen.»

 

Neue Wege suchen

Gehören Streitigkeiten und Konflikte mit den Eltern einfach zum Grosswerden dazu? Jana Schmidli lacht bei der Frage. «Solche Reibereien sind wohl normal.» Den Eltern und Grosseltern rät sie, die Themen und Ängste der Jugendlichen ernst zu nehmen und sich in diese hineinzuversetzen. «Wie wäre es denn mit einem Kompromiss», sagt Jana Schmidli und veranschaulicht am Beispiel des Jugendlichen, der Lust auf eine Christmas-Party hat: Ausgang an Heiligabend – okay, aber erst nach dem gemeinsamen Essen und dem Singen eines Liedes. «Wichtig ist, dass Eltern und Grosseltern immer versuchen, im Gespräch mit den Jugendlichen zu bleiben und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie gehört werden. Für Eltern bedeutet das nicht zuletzt, neue Wege zu suchen und offen zu sein für Neues.»

Nachfrage nimmt zu

Die Kinder- und Jugendhilfe St. Gallen ist ein Sozialwerk des Bistums St. Gallen und wird vom Kath. Konfessionsteil des Kantons St. Gallen (mit-)finanziert. Sie existiert seit rund 135 Jahren und hat Beratungsstellen in St. Gallen und Sargans. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 3756 Beratungsgespräche im Bereich Familien/Eltern/Jugendliche geführt, davon 1564 vor Ort, 2139 per Telefon oder Mail und 53 in Form von auswärtigen Gesprächen. Im Vergleich zum Vorjahr zeigt sich ein stärkeres Bedürfnis nach dem Angebot. Im Jahr 2023 wurde mit 2253 Beratungen noch über ein Drittel weniger Nachfrage registriert.

Seit 1. September 2025 ist Jana Schmidli neue Geschäftsleiterin der KJH. Sie folgte auf Christoph Wick, der die Beratungsstelle während 23 Jahren leitete. Der Anspruch der neuen Leiterin ist es, mit den Angeboten nahe an den Bedürfnissen der Menschen zu sein. «Das Familienleben ist sehr wichtig für die Kinder. Familienmitglieder sind die primären Bezugspersonen. Sie geben Halt und Sicherheit, vermitteln aber auch Werte. Kinder zu verantwortungsvollen Menschen zu erziehen, erfordert sehr viele Ressourcen. Nicht alle Familien verfügen über diese Ressourcen», sagt Jana Schmidli. Genau hier möchte die Kinder- und Jugendhilfe St. Gallen schnell und unkompliziert helfen.

→ https://kjh.ch/

 

Bilder: Pixabay/zVg.

Alessia Pagani
Autorin
Veröffentlichung: 01.12.2025