Die wirtschaftlichen Verwerfungen der Pandemie wirken noch immer nach: Diverse kulturelle und gemeinnützige Angebote, aber auch Privatpersonen sind deswegen auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Auch die katholische Kirche erhält zunehmend mehr Anfragen.
Ist es in Ordnung, dass die Kirchen immer mehr Anfragen für finanzielle Unterstützungsgesuche bekommen, sich gleichzeitig aber viele Personen für einen Kirchenaustritt entscheiden? Diese Frage stellte eine reformierte Pfarrerin aus Zürich jüngst öffentlich im Sozialen Medium Twitter. Diese Entwicklung sei Thema in Sitzungen ihrer Kirchgemeinde. Auch im Bistum St. Gallen haben die Gesuche etwa für finanzielle Notfallüberbrückungen zugenommen. «Gerade während der Corona-Massnahmen haben wir massiv mehr Anfragen erhalten», sagt Philipp Holderegger, Geschäftsleiter der Caritas St. Gallen-Appenzell. «Gleichzeitig haben wir aber auch die nötigen finanziellen Mittel erhalten. Einerseits von kirchlicher Seite, die die Hälfte aller Mittel aufbringt. Andererseits haben wir beispielsweise vom Kanton eine Viertelmillion Franken bekommen und von der Hilfsaktion «Ostschweizer helfen Ostschweizern» (OhO) zweimal je eine halbe Million.»
Mehr Menschen verschuldet
Laut Holderegger befinden sich die Gesuche derzeit in etwa wieder auf demselben Niveau wie vor Corona. «Insofern würde ich der Aussage auf Twitter nicht ganz zustimmen», sagt er. «Was wir aber feststellen ist, dass aktuell immer mehr Personen zu uns in die Schuldenberatung kommen. Die Betroffenen haben beispielsweise während der Pandemie die Limits ihrer Kreditkarten aufgebraucht und wissen nicht, wie es finanziell weitergehen soll.» Holderegger betont, dass die Caritas ja genau dafür da sei, dass man vorbeikommen könne. «Die Schuldenberatung und allenfalls finanzielle Unterstützung sind eine der Kernaufgaben, die der Katholische Konfessionsteil mit seinen Beiträgen an uns verknüpft hat», sagt er.
Gemeinnützige Engagements
Beim Katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen sind es vor allem Organisationen und Institutionen, die um finanzielle Unterstützung anfragen. Laut Mediensprecher Roger Fuchs war die Zahl der Gesuche in den vergangenen Jahren steigend. «Die Dienste und Leistungen des Katholischen Konfessionsteils werden innerhalb und ausserhalb der Kirche immer besser bekannt», sagt Roger Fuchs über diese Entwicklung. «Gleichzeitig sind in vielen Bereichen die Herausforderungen in den letzten Jahren mit der Pandemie gewachsen: Überall muss gespart werden. Bei Sozialem und Kulturellem ist der Rotstift häufig sehr schnell angesetzt. Folglich läuft vielerorts die Suche nach Finanzen.» Aktuell unterstützt der Katholische Konfessionsteil unter anderem das Respect Camp in Gossau, die Rheintaler Bachtage, die Stiftung Autobahnkirche Andeer, die Dargebotene Hand Ostschweiz oder den Verein B‑treff Flawil. Während der Pandemie haben der Katholische Konfessionsteil und die Caritas beispielsweise auch über Maria Magdalena (ein Beratungsangebot des Kantons St. Gallen für Sexarbeitende) Spendengelder für Sexarbeitende, die in finanzielle Not geraten sind, zur Verfügung gestellt (siehe www.pfarreiforum.ch, Ausgabe 08/2022). Die Anspruchshaltung, dass die Kirche finanzielle Unterstützung leisten soll, bezeichnet Roger Fuchs in Bezug auf den Katholischen Konfessionsteil als berechtigt. «Der Konfessionsteil verwaltet die Einnahmen aus der Zentralsteuer. Es gehört unter anderem zu seinen Aufgaben, das kulturelle Erbe zu bewahren, Güter und Immobilien für die Nachwelt zu erhalten und auch in wohltätige Arbeiten zu investieren», sagt er. Die Kirche trage mit ihren verschiedenen Engagements zum Gemeinwohl und letztlich auch zum Zusammenhalt in der Gesellschaft bei.
Zu wenig zum Leben
Kaum jemand, der bei der Caritas in die Schuldenberatung kommt, fordert laut Philipp Holderegger, dass diese sämtliche seiner Schulden begleichen solle. «Und eine Zunahme diesbezüglich stelle ich auch nicht fest. Es sind Einzelpersonen, die eine solche Erwartung haben und die gab es früher genauso wie heute», sagt er. Zielgruppe der Caritas sind von Armut betroffene Personen und Working Poor. Letzteres sind Personen, die zwar keine Sozialhilfe beziehen, aber so wenig verdienen, dass das Geld nur knapp oder nicht bis Ende Monat reicht. «Oft schämen sich die Betroffenen oder glauben, selbst schuld an ihrer Situation zu sein», sagt Holderegger. «In solchen Situationen stehen wir als Caritas hin und schauen mit der betroffenen Person, was wir machen und wie wir aus dieser Situation hinaushelfen können.»
Text: Nina Rudnicki
Bild: Kellenberger und Kaminski/Caritas Schweiz
Veröffentlichung: 8. Oktober 2022