«In Appenzell sind die Menschen eng miteinander verbunden. Gerade deshalb ist die Hemmschwelle gross. Viele haben Angst, ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie psychologische Hilfe beanspruchen», sagt Luzia Mock von der Frauengemeinschaft Eggerstanden. Zusammen mit zwei weiteren Vertreterinnen der Frauengemeinschaften Schlatt und Schwende und der Arbeitsstelle «Kirche und Soziales» gehört sie zur Projektgruppe von «Chomm, vezöll doch». Seit einem halben Jahr lädt die Gruppe zu Vortrags- und Gesprächsabenden ein. Ziel ist es, einen geschützten Raum für Sensibilisierung und offene Gespräche rund um das Thema «Psychische Gesundheit» zu bieten. Jahrelang hatte Appenzell Innerrhoden die höchste Suizidrate in der Schweiz aufgewiesen. Noch immer sind die Zahlen besonders hoch. Psychische Erkrankungen gelten bis heute als Tabuthema. Offen darüber zu reden, fällt vielen schwer. An diesem Punkt setzt das Projekt an, das beim Jubiläumswettbewerb des Pfarreiforums den 1. Platz gewonnen hat.
Ein Zeichen von Stärke
«Das Thema ‹Psychische Gesundheit› geht uns alle etwas an. Für Betroffene ist nichts so heilsam wie ein offener und verständnisvoller Umgang damit», sagt Luzia Mock. In ihrem nahen Umfeld gibt es selbst eine betroffene Person. Darüber zu sprechen, sei wichtig. Es dürfe kein Tabu sein. Niemand solle das Gefühl haben, etwas verstecken zu müssen. «Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Stärke. Man darf und soll ohne Scham zu seiner Krankheit stehen«, sagt sie. Als das Gesundheitsamt die Kampagne «Chomm, vezöll doch» vor zwei Jahren an der Präsidentinnenkonferenz der Frauengemeinschaften vorstellte, war für Luzia Mock sofort klar, dass sie sich für dieses Thema engagieren würde.
Das passende Format
Schon der erste Gesprächsabend im Januar fand grossen Anklang. Es handelte sich um einen Informationsabend über die Grundlagen psychischer Gesundheit und psychischer Erkrankungen. Anschliessend gab es ein offenes Gespräch. Der Anlass fand zunächst im kleineren Rahmen in Gonten und später im grösseren Rahmen in Appenzell statt. «So konnten die Teilnehmenden selbst wählen, welches Format besser zu ihnen passt«, sagt sie.
Frühzeitig handeln
Am 6. November ist ein Anlass zum Thema «Psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen heute» in Eggerstanden geplant. Eingeladen sind Eltern sowie alle Interessierten. Hinzu kommen im nächsten Jahr drei Veranstaltungen, in denen Frauen und Männer mit Verantwortung in Familie und Beruf im Fokus stehen. Die Veranstaltungen sollen die Teilnehmenden dazu ermutigen, über das eigene psychische Wohlbefinden zu sprechen. Ein weiteres Ziel ist es, frühzeitig Anzeichen psychischer Probleme zu erkennen und entsprechende Unterstützungsmöglichkeiten bekannt zu machen. Nicht zuletzt geht es laut Luzia Mock darum, auch das Umfeld von Betroffenen wie die Eltern, den Freundeskreis und die Nachbarschaft zu sensibilisieren. Die Vortragsabende holen die Familien und Betroffenen in ihren Lebensrealitäten ab und sollen Vertrauen schaffen, gegenseitiges Verständnis fördern und die seelische Gesundheit in den Dörfern stärken. «Das gelingt umso besser, je mehr Beteiligte sich zusammentun», sagt Luzia Mock. Im Rahmen von «Chomm, vezöll doch» sind das in Appenzell Innerrhoden nebst den sieben Frauengemeinschaften der regionale Bäuerinnen- und Landfrauenverband, die örtliche kath. Kirche und das kantonale Gesundheitsamt.
Offenheit statt Tabu
Wie das Preisgeld von 3000 Franken aus dem Jubiläumswettbewerb eingesetzt wird, werde man an einer der nächsten Sitzungen besprechen. «Es ist eine zusätzliche Motivation, weiterzumachen und ein guter Moment, interessierte Personen zu finden, die in unserer Gruppe mitmachen möchten. Wir freuen uns über alle, die sich bei ‹Chomm, vezöll doch› einbringen wollen», sagt sie und fügt an: «Zu oft haben Menschen hier still gelitten und manchmal den einzigen Ausweg im Suizid gesehen. Darum ist es jetzt wichtiger denn je, offen über psychische Gesundheit zu reden, Tabus zu brechen und Wege zu finden, wie wir einander rechtzeitig helfen können.»
Infos und Veranstaltungen auf www.fmg-ai.ch
Die Erstplatzierten im Überblick
Die Gewinnerinnen und Gewinner des Jubiläumswettbewerbs des Pfarreiforums und somit des Preisgeldes von 3000, 2000 und 1000 Franken sind: die Projektgruppe hinter «Chomm, vezöll doch» mit dem 1. Platz (siehe Haupttext). Den zweiten Platz hat die NGO «Cup of Color» gewonnen. «Cup of Color» bringt durch Kunst Menschen zusammen. Die Organisation bemalt weltweit zusammen mit Menschen verschiedener Hintergründe Wände. Im Rahmen des neuen Projekts «We paint hope – in Jemen!» werden seit November 2024 bis Frühjahr 2027 20 Schulen, Spitäler und Wasserspeicher in gemeinschaftliche Wandkunstbilder verwandelt. Der dritte Platz geht an die Initiative «Hebet Sorg» der drei Jublas Gommiswald, Uznach und Kaltbrunn mit einem Scharanlass zum Thema «Nachhaltigkeit». Thema des Jubiläumswettbewerbs war «Was bringt uns zusammen?». Gesucht waren Projekte, die die Gesellschaft zusammenbringen und gemeinschaftsstiftend sind. Über 20 Gruppen, Vereine, Einzelpersonen und Institutionen nahmen teil.